Wider die Anarchisten der Bourgeoisie (Teil II)
Zur Antwort von Sergio Lopez

von Peter Nowak

02/10

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung.
In der Novemberausgabe 2009 hatte sich Peter Nowak kritisch mit Anarchisten in Venezuela auseinandergesetzt. Sergio Lopez wies diese Kritik in der Januarausgabe zurück. Hierauf bezieht sich nun wieder Peter Nowak. ( red. trend)

Lopez ist auf die wesentliche Punkte meines Textes gar nicht eingegangen ist, dafür will er mich in das Lager der bedingungslosen Chavez-Befürworter verorten. Ich habe am Anfang und am Ende des Textes klargestellt, dass ich keineswegs zu den bedingungslosen Verteidigern der Chavez-Regierung gehöre, dass ich linke Kritik an der bolivarianschen Regierung sehr unterstütze.

Lopez kritisiert gleich zu Beginn, ich würde aus einem anarchistischen Zeitungsprojekt eine Gruppe machen, die aber gäbe es definitiv nicht. Doch wie leicht nachzuprüfen ist, spreche ich nie von einer Gruppe, sondern von einer Zeitung, von einer Strömung, oder Vertretern einer Strömung. Ich ging nämlich davon aus, dass hinter einer Zeitung auch Menschen stecken, die sich auf eine bestimmte Politik verständigen.

Nur merkwürdigerweise schreibt Lopez dann selber von der Gruppe El Libertario (siehe Punkt 5), deren Existenz er so zunächst so vehement bestreitet.

Ich kritisiere, dass Libertario einen Anarchismus der Bourgeoisie betreibt und Lopez schreibt: „Die uns bekannten Aktivisten der Gruppe stehen in der einen oder anderen Weise im Berufsleben, u.a. als Journalisten, Rechtsanwälte für Menschenrechte etc.“. Er meint, mich damit widerlegen zu können, ich sehe darin aber eine Bestätigung. In der Gesellschaft Venezuelas gehören diese Berufsschichten eindeutig zur Bourgeoisie. Die bolivarianische Bildungsreform will an diesen Punkt Änderungen durchsetzen.

Selbstorganisation in den Barrios

Warum aber sollen Angehörige der Bourgeoisie wie Lopez schreibt: die „Perspektive der unteren Schichten der Gesellschaft, verbunden mit dem Wunsch nach einer wirklichen sozialen Emanzipation“ einnehmen? Es ist natürlich möglich, wie die Geschichte der kommunistischen und anarchistischen Bewegung gezeigt hat, dass auch einzelne Angehörige der Bourgeoisie einen wichtigen Beitrag zur Emanzipation der unteren Klassen leisten können. Aber das geht nur im Bündnis mit den Betroffenen. Nun haben sich schon lange vor der Präsidentschaft von Chavez in einigen Barrios, vor allem in Caracas, Strukturen de Selbstorganisation herausgebildet. Es gibt aktuelle Filme und Bücher, in der diese Prozesse beschrieben sind. Ich verweise nur auf: Revolution als Prozess, Selbstorganisierung und Partizipation in Venezuela, von der Gruppe MovimentoR, VSA-Verlag, 2007, IBN: 978-3-89965-259-8 oder mehrere Filme von Dario Azzellini, sein aktuellster Film „Venezuela- eine Gesellschaft im Aufbau“ hat am 4. Februar Premiere.

An diesen Selbstorganisationsprozessen sind auch AnarchistInnen beteiligt, die aber nichts mit den Bourgeoisie-Anarchisten a la Libertario zu tun haben.

Lopez aber negiert diese Prozesse, ja er diffamiert sie sogar, wenn er schreibt:

„Wenn man die Geschichte Venezuelas etwas längerfristig betrachtet, dann erkennt man unschwer hinter der von oben angeordneten Gründung der „Consejos Comunales“, das Gespenst des seit 1958 wohlbekannten Klientelismus der jeweils herrschenden Parteien in den Armenvierteln, wobei die jeweiligen Anhänger dort auch entsprechend ihrem Einsatz oder Status belohnt werden müssen, sei es mit Hemden und Mützen oder mit kleinen Pöstchen“.

Tatsächlich haben viele der Barrioaktivisten schon in den 70er und 80er Jahren unter teilweise illegalen Bedingungen in den Barrios gearbeitet, haben sich an den Kämpfen in Nicaragua und El Salvador beteiligt und sind mit der Regierungsübernahme von Chavez nach Venezuela zurückgekehrt. Ein bekannter Aktivist wurde während des Putsches im Jahr 2002 von der Militärpolizei erschossen. Die Mobilisierung gegen den Putsch ging von den BarrioaktivistInnen aus. Indem dieser Prozess geleugnet wird, sollen die Menschen wieder in die alte Position der Ausbeutung und Unterdrückung zurückstoßen werden. Dafür wollen dann die Bourgeois-Anarchisten sich als deren Helfer aufspielen. Dabei haben die sich schon selber organisiert und brauchen diese Hilfe gar nicht.

Es ist bezeichnet, dass Lopez den Eindruck erweckt, als würde sich El Libertario vor allem für die Fabrikarbeiter einsetzen, die in Venezuela eine Minderheit sind und die oft über die korporatistischen Gewerkschaften, die auch den Putsch im Jahr 2002 unterstützt haben, in das Ancien Regime eingebunden waren.

Vor diesem Hintergrund ist das von Lopez angeführte Chavez-Zitat verständlich:

„Meint Ihr denn, ich würde den Müttern in den Armenvierteln das Geld streichen oder der Medizinischen Grundversorgung dort, um es einigen Gewerkschaften zuzustecken?“

Tatsächlich sind in Ländern wie Venezuela die BarriobewohnerInnen die Ärmsten der Armen. Ein Präsident, der r nicht den Rotstift ansetzen will, passt nicht in die Ideologie des Wirtschaftsliberalismus. Selbst Lopez kann nicht umhin, einige soziale Verbesserungen in den letzten 10 Jahren zu konzedieren. Was er verschweigt, ist, dass es der Regierung in den Jahren 2002 und 2003 gelungen ist, den Erdölkonzern PDVSA, der vorher in den Händen der Reichen war, für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu benutzen. Der Kampf um die PDVSA war auch der Hintergrund des Putschversuches von 2002 und des Unternehmerboykotts vom Jahr 2003. Warum Lopez als vermeintlicher Anarchist dann mit den Bürgerlichen darüber klagt, dass die PDVDSA nicht vom Parlament kontrolliert wird, ist unverständlich. Eine richtige Kritik ist, dass es dort keine Arbeiterkontrolle gibt. Allerdings gab es konkrete Versuche mit einer solchen Arbeiterkontrolle in einem verstaatlichten Stahlwerk.

Mehr darüber kann man in dem Film „5 Fabriken – Arbeiterkontrolle in Venezuela“ von Dario Azzellini erfahren.

Fazit

Venezuela ist zurzeit ein Laboratorium für viele nichtkapitalistische Experimente auch in den Betrieben. Es gibt genügend bedenkliche Entwicklungen, gerade auch in der Außenpolitik, zu nennen sei da nur die Liaison Venezuela – Iran, die weit über Handelsbeziehungen zwischen zwei souveränen Staaten hinausgeht. Linke und auch anarchistische Kritik an vielen Entwicklungen ist also dringend erforderlich. Doch auch nach der Intervention von Lopez, halt ich daran fest, Libertario gehört nicht dazu.

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellt uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.