Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

124 Migranten stranden in Korsika - Erste Reaktion des französischen Staates: Ab in Abschiebehaft!

02/10

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Doch vor französischen Richter/inne/n musste die Regierung diesbezüglich eine schwere Schlappe hinnehmen. Einwanderungsminister Eric Besson tobt und kündigt neue Gesetzesverschärfungen an

Am Vormittag des vergangenen Freitag, 22. Januar tauchten an einem Strand in der Nähe von Bonifacio - einer Stadt auf dem Südzipfel von Korsika - 124 Migranten auf, unter ihnen 57 Männer, 29 Frauen und 38 Kinder. Diese geben sich als syrische Kurden aus (obwohl erste Angaben in der französischen Presse auch von „Maghrebinern“ sprachen), was, falls diese Aussage zutrifft, aus ihnen Angehörige einer offenkundig staatlich unterdrückten Minderheit macht. Inzwischen tauchen immer mehr nähere Einzelheiten zu ihrer jeweiligen Lebensgeschichte auf, die dafür plädieren, dass ein Großteil dieser Menschen tatsächlich vor unmittelbarer politischer Unterdrückungserfahrung aus Syrien floh. So findet sich ein doppelseitiges Portrait mehrerer der Betroffenen in ‚Libération’, Wochenend-Ausgabe vom 30. und 31. Januar 2010. Vom 19tägigen Aufenthalt in einer Folterkammer der syrischen Polizei, aufgrund von Kritik an einem Polizeimassaker in einer syrisch-kurdischen Stadt (Qamichli) im Jahr 2004, bis zur polizeilichen Ausschreibung zur Fahndung aufgrund der Verbreitung von Zeitschriften in kurdischer Sprache – deren Benutzung in Syrien strikt verboten ist – ist eine ganze Palette ähnlicher Situationen von Verfolgung und Unterdrückung dabei.

Allem Anschein aber kam das Schiff, das sie mutmaßlich transportiert hatte - aufgrund der Insellage Korsikas ist schwerlich vorstellbar, wie die Migranten anders auf die Südküste der Mittelmeerinsel gekommen seien - nicht direkt aus Syrien. Höchstwahrscheinlich hatten die Migranten zuvor in Nordafrika (etwa in Tunesien) Station gemacht, denn laut Auffassung der Behörden war ihre Kleidung und die Schminke der Frauen zu frisch, um von eine lang dauernden Überfahrt auszugehen. - Es handelt sich um die mit Abstand größte „Anlandung“ von Migranten oder ‚boat people’, seitdem im Februar 2001 das Schiff ‚East Sun’ mit 910 Menschen – auch damals zum Gutteil kurdischen Ursprungs – an Bord an der Côte d’Azur strandete. (Vgl. dazu Ausführlicheres unter http://jungle-world.com )

Sofern es stimmt, dass die Betreffenden Angehörige der Kurdenbevölkerung aus der arabisch-nationalistischen Diktatur Syrien sind, dann haben sie relativ gute Chancen, den Status des politischen Asyls zuerkannt zu bekommen. Umgehend reagierte der französische Staat allerdings, indem er die Betreffenden - erst einmal in Abschiebehaftanstalten sperrte. Zu diesem Zweck verteilte er die Gruppe von 124 Migranten am Freitag und Samstag, den 22./23. Januar, auf Abschiebezentren in der ganzen Südhälfte und im Westen Frankreichs: Marseille, Lyon, Nîmes, Toulouse, Rennes. (Abschiebezentren, auf französisch als „Zentren für administrative Verwahrung“ - abgekürzt CRA - bezeichnet, sind im französischen Recht keine Gefängnisse, da sie nicht der Bestrafung dienten, sondern nur der materiellen Vorbereitung der unfreiwilligen Ausreise. Der erzwungene Aufenthalt dort wird juristisch nicht als Haft betrachtet, weshalb die Festgehaltenen etwa ihre Telefone behalten dürfen - soweit sie es nicht erlaubt, Fotos damit aufzunehmen. Die maximal zulässige Verweildauer in einem CRA beträgt 32 Tage, im Vergleich zu bis zu 18 Monaten Höchstdauer in mehreren deutschen Bundesländern oder auch nach der „Rückkehr-Richtlinie“ der EU.)

Die Richter, die innerhalb von maximal 48 Stunden die Rechtmäßigkeit einer Überstellung in ein CRA zu kontrollieren haben, betrachteten die Maßnahme jedoch durchweg als rechtswidrig. Aufgrund der schnellen Entfernung von ihrem Anlandeort und der mehrstündige Reise in die Abschiebezentren sei das Grundrecht der Betreffenden auf rechtliches Gehör - das ihre Möglichkeit, einen Anwalt/eine Anwältin zu kontaktieren und sich darauf vorzubereiten, für ihre Interessen zu plädieren, beinhaltet - eindeutig verletzt worden. Inzwischen kamen sämtliche Betroffene, auf richterliche Anordnung hin, ausnahmslos auf freien Fuß. Eine schwere Niederlage für die Regierung!

Sofern sie dies wünschen, können die Betreffenden nunmehr einen Asylantrag in Frankreich stellen. Die Regierung hat – nachdem die Betreffenden einmal aus den Abschiebe-„Verwahranstalten“ frei gelassen worden sind – für rund die Hälfte von ihnen die (dem Aufenthalt dort rechtlich zugrunde liegenden) Ausreiseverfügungen annulliert und formell aufgehoben. Unter der Bedingung, dass diese Personen unverzüglich einen Asylantrag stellen, über den die zuständigen französischen Stellen entscheiden werden. Die übrigen Migranten stehen formell noch unter der Verfügung einer „notfalls erzwungenen“ Ausreise, haben jedoch ihrerseits ebenfalls das verbriefte Recht, einen Asylantrag bei den französischen Behörden zu stellen. Erst sobald dieser ggf. abgelehnt worden ist, kann die Ausreiseverfügung dann greifen, im Prinzip unverzüglich.

Rechte Regierung übt sich in Richterschelte - Rechtsextreme eröffnen ungeschminkte Hetze

Einwanderungsminister Eric Besson hat unterdessen am Montag (25. Januar) künftige Gesetzesänderungen „für solche Notfallsituationen“ angekündigt. Dabei beruft er sich auf die Notwendigkeit, „Schlepperbanden“ und Kriminelle, deren „Opfer“ Menschen wie die Kurden seien, „besser bekämpfen zu können“. Um Migrant/inn/en wie die jetzt angelandeten „effizienter“ vor diesen „Mafiabanden“ – von denen sie oft tatsächlich ausgebeutet werden, weil sie aufgrund der Politik geschlossener Grenzen rund um die Europäische Union auf deren durchaus oft sehr eigennützige „Hilfe“ angewiesen bleiben – zu schützen, soll also ihre Ankunft auf europäischen Boden zukünftig möglichst noch schärfer unterbunden werden. Aufgrund dieses manifest gewordenen Willens, ihm nicht genehmen Urteile von französischen Richtern sogleich durch eine neue Gesetzesverschärfung – bezüglich derer sich die Solidaritätsvereinigungen und NGOs in den letzten Januartagen bereits „besorgt“ äußerten – zu umgehen, bezeichnete die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ den Minister in einem Leitartikel als „Gesetzlosen“ oder „Out-law“ (im Original: ‚Hors-la-loi’, vgl.
http://abonnes.lemonde.fr/opinions/article/2010/01/26/hors-la-loi_1296796_3232.html). Unterdessen hat Präsident Nicolas Sarkozy angekündigt, trotz aller laut gewordenen Kritik an der Politik Bessons an ihm unbedingt festzuhalten. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr)

Auch andere rechte Scharfmacher nutzen die Gelegenheit zur Profilierung. Der prominente rechte Leitartikler Eric Zemmour (u.a. ,Figaro Magazine’), der irgendwo zwischen Nicolas Sarkozy und Marine Le Pen steht und auch eine eigene Sendung auf dem Fernsehkanal RTL innehat, übte scharfe Richterschelte: Die Richter/innen amüsierten sich darin, alle Bemühungen der armen französischen Polizei sofort wieder zunichte zu machen; und ihre Anordnung zur Freilassung der „Illegalen“ sei ein Anschlag auf die „Sozialversicherung der französischen Bevölkerung“. Eine sonst eher bürgerlich-moderate Richtergewerkschaft, die eher im Mitte-Rechts-Spektrum anzusiedelnde USM (Union syndicale des magistrats) – nicht zu vergleichen mit der linksalternativen Richtergewerkschaft SM (Syndicat de la magistrature) in ihrer Radikalität -, forderte deswegen nun das Justizministerium dazu auf, Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Zemmour einzuleiten. (Vgl. http://www.marianne2.fr/ ) Dessen Auslassungen in seiner RTL-Sendung „Z wie Zemmour“ vom 27. Januar 10 beinhalteten nämlich die Aufforderung an Richter/innen, „das Gesetz mit Füßen zu treten“. Unterdessen hat Eric Zemmour seine Agitation in einem Editorial für das ‚Figaro-Magazine’ (Wochenendbeilage der konservativen Tageszeitung ‚Le Figaro’) vom 30./31. Januar 10 wiederholt.

Am Sonntag Abend, den 24. Januar hielt der rechtsextreme Jean-Marie Le Pen eine Wahlkampfveranstaltung für die bevorstehenden Regionalparlamentswahlen, zu denen er in Südostfrankreich als Spitzenkandidat antritt (die Wahlabsichten für seine Liste betragen laut einer jüngsten Umfrage 19 %), in Toulon ab. Dort forderte er, die Betreffenden, „diese Immigranten, diese Illegalen, diese Kriminellen“ umgehend von französischem Boden zu entfernen und abzuschieben. (Vgl. http://www.lefigaro.fr) Auch andere Figuren der französischen extremen Rechten zeichneten sich durch ähnliche Hetze im Umgang mit den Flüchtlingen aus, wie bspw. Bernard Antony, Kopf des nationalkatholisch-,traditionalistischen’ Flügels der extremen Rechten und bis im Jahr 2006 noch Mitglied des Front National. (Vgl. seinen Artikel zur Raus-mit-ihnen-Forderung )
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erhielten wir vom Autor.