99 Jahre Krieg
Nena auf Abwegen

von "ich will spass"

02/10

trend
onlinezeitung

Nach dem sich vor einigen Jahren die Band "Mia" mit der Verschandelung des Erich Fried Gedichtes "Es ist, was es ist" zu ihrer Liebe zu Deutschland bekannt hat, leistet sich jetzt Nena ohne Not ähnliche Peinlichkeiten. Die Kritik an Militarismus, die 1983 von ihr in ihrem Hit "99 Luftballons" geäußert wurde, scheint durch sich durch modern gebende Deutschtümelei abgelöst worden zu sein.
"Made in Germany" heißt der Titelsong der neuen Tournee von Nena. Der Text ist Paradebeispiel für Pop-Nationalismus: Ganz seicht, mit Anglizismen und Vokabeln von Liebe und Heimat sickert die in sich eigentlich brutale Ideologie Nationalismus in unser Bewußtsein. Und unsere Luftballon-Heldin wird schnurstracks zur Düsenflieger-Braut. Und das treibt einige Ex-Fans zu Kritik mit zum Teil zynischem Unterton
".... Das Wort Deutschland wird von Nena ganz modern mit einem Anglizismus entschärft, dann hört es sich nicht so nach Weltkrieg an. Und auch nicht nach Düsenfliegern. Zwar auch nicht gerade nach Luftballons, aber man muss ja Kompromisse machen...." [1]


Germany
Germany
Hier gehöre ich hin
Hier gehöre ich hin
Weil ich hier am allerliebsten bin

lautet der Refrain, zumindest in den ersten zwei Wiederholungen. Noch verständlich ist wohl der Wunsch nach einem Ort wo man sich zu Hause fühlen kann. Ich würde das aber weniger Deutschland oder Belgien oder Moldawien nennen, als vielmehr ein Haus, an das ich Erinnerungen habe, eine Stadt in der meine Freund_innen wohnen oder irgend sowas, wenn ich schon unbedingt definieren müsste, was mein zu Hause ist. Vielleicht gibt es auch Leute für die Facebook ihr zu Hause ist, who knows. Und auch Nena mag vermutlich das Sauerland, kann aber dafür vielleicht die Voralpen nicht leiden. Genauso wie sie in "Wat soll dat denn?" und "Tschüssi!" vielleicht mehr Anklänge an zu Hause fände als im Land des "Grüß Gott". Home ist where your heart is, aber wie man dieses "where" nennt, ist ja immer noch eine bewußte Entscheidung. Ich nenns weder Deutschland noch Germany, noch nicht mal Berlin, Nena Kerner aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund schon.
Im nächsten Abschnitt des Songs gehts dann zur Sache: Deutschland darf wieder geliebt werden, ganz privat natürlich:

Germany
Ich verlass dich nie
Germany
Dich verlass ich nie
Meine Liebe
Dich verlass ich nie
Du bleibst mein Germany
I am made in Germany
Wir sind Made in Germany

Tja, am Ende sind wird auch bei Nena doch wieder alle Deutsche. Vielleicht aber schwimmt Nena auch einfach schon immer mit dem hegemonialen Strom, schließlich erschien ihr Friedenshit "99 Luftballons" auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den NATO-Doppelbeschluss. Und jetzt mal das Schlimmste angenommen, nämlich, dass es gerade hip wäre (vielleicht so seit der WM), Deutschland wieder zu mögen, vielleicht ist es dann nur Konsequent von Gabriele Kerner, ihr Fähnchen jetzt nach diesem Wind zu hängen und auch ein bisschen mitzupusten?

Auf jeden Fall wäre es wohl besser gewesen sie hätte diesen Song nie geschrieben und stattdessen ein Ode an ihre frisch geschlüpften Enkel gesungen, da hätte man für das Wort "Liebe" wenigstens noch Verständnis haben können. "Germany - Dich verlass ich nie" ist ja vermutlich metaphorisch gemeint (schließlich führt sie ihre Tour nicht nur nach D, AT und in die Schweiz, sondern auch nach Italien und die Niederlande...)[2] und ist somit eine unbegrenzte Solidaritätsbekundung, die in ihrem bedingungslosen Bekenntnis maximal geliebten Menschen zu Teil werden dürfte, nicht aber Nationen. Oder kann Nena garantieren, was Deutschland in 5 Jahren macht oder in 10? Schon scheiße genug ohne Einschränkung zum Deutschland von Heute zu stehen...

Um sich die Wirksamkeit des subtilen Ideologietransportes, der in Songs wie diesen passiert, vor Augen zu führen, braucht man nur mal ein bisschen in einschlägigen Foren zu stöbern. "Ich wär im Leben nicht drauf gekommen, das MIG ein politischer Song ist" heisst es da [3]. Für politisch denkende Menschen ein Aufreger, muss dieser Satz leider als repräsentativ für große Teile der Bevölkerung als symtomatisch eingeschätzt werden. Was ist an der Liebe zum Geburtsland schon politisch...
Und eins ist klar: Dieses Germany ist weder das der Novemberrevolution noch das des Volkszählungsboykottes, sondern vielmehr das Deutschland, welches im Hindukusch steht und rassistische Sondergesetze erläßt.

Wer Deutschland wählt, wählt Krieg!
Luftballons statt Germany!

Anmerkungen

[1] http://madeinwehringhausen.blogsport.de/
[2] http://www.nena.de/terminetour/tourtermine-2010
[3]
http://www.nena-community.de

Editorische Anmerkungen

Den Artikel spiegelten wir bei Indymedia, wo er am 24.1.2010 erschien.