Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die französische extreme Rechte, fünf Wochen vor den französischen Regionalparlamentswahlen

02/10

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Sage niemand mehr, die französische extreme Rechte sei ausschließlich „ewig gestrig“… Jedenfalls dazu, neue Themen aufzugreifen, scheint sie in der Lage. Es fragt sich nur, mit welchem Ziel, und um welche Ideologie zu entwickeln. Alle Welt redet vom Klimawandel oder der drohenden Klimakatastrophe - der Front National auch. Allerdings, um, gelinde ausgedrückt, unorthodoxe Thesen zum Thema zu verbreiten.

Am Samstag, den 30. Januar 10 tagte der „Wissenschaftliche Beirat“ (Conseil Scientifique) der rechtsextremen Partei, zusammen mit hochrangigen Führungsmitgliedern und rund 100 Aktivisten, am Parteisitz des FN in Nanterre. Das Thema lautete „Klimaerwärmung: Mythos oder Realität?“ Die Botschaft, die Jean-Marie Le Pen dazu verbreitete, soll allen Populisten und Verschwörungstheoretikern wie Öl hinuntergehen: Man - also die Regierenden, die „verrückt gewordenen Gutmenschen“ und die „Anhänger der neuen Umweltschutz-Religion“ - belügt uns mit „manipulierten oder nicht haltbaren wissenschaftlichen Berichten“ über den Klimawandel. Ziel sei es, unter Berufung auf dieses globale Problem „eine Weltregierung zu errichten“ und „unsere nationale Freiheit zu zerstören“. Die gute alte Weltverschwörung zur Unterjochung der Nationen also. Ferner, führte Le Pen aus, gehe es darum, die Öffentlichkeit auf die Aufnahme „von angeblichen Klimaflüchtlingen“ aus armen und besonders getroffenen Ländern vorzubereiten.

In den letzten Wochen und Monaten hat der Front National einen neuen Aufschwung erlebt. Die durch die konservative französische Regierung seit Ende Oktober 2009 ausgerufene „Debatte über die nationale Identität“ hat es der rechtsextremen Partei zwar nicht unbedingt erlaubt, neue Wählerschichten zu erschließen. Jedenfalls bleibt es noch abzuwarten, in welchem Ausma ihr ein erfolgreiches Abschneiden bei den bevorstehenden Regionalparlamentswahlen, die in ganz Frankreich am 14. und 21. März 10 stattfinden werden, gelingen wird. Was dem FN aber auf jeden Fall bereits geglückt ist, ist die Aufrüttelung seiner aktiven Anhänger und seiner Mitgliedschaft, die durch die in allen französischen Départements stattfinden Veranstaltungen zur „Nationalidentität“ in jüngster Zeit mobilisiert worden sind.

Wird dem FN ein Stimmenzuwachs bei den bald stattfinden Regionalparlamentswahlen glücken? Gegenüber den Europaparlamentswahlen vom Juni 2009 (der FN erhielt landesweit 6,3 Prozent) dürfte dies spürbar der Fall sein, jedoch gegenüber den letzten Regionalparlamentswahlen im März 2004 - bei denen die Partei durchschnittlich 15 Prozent erhielt - sehr schwer fallen. Manche Umfragen sehen den Front National, der in den Jahren seit 2005 und bis vor kurzem auf ein vergleichweise tiefes Niveau abgesackt war, wieder relativ stark im Aufschwung. So sagte jüngst eine Umfrage für die südostfranzösische Region PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) der Liste des FN, die dort durch den alternden Chef Jean-Marie Le Pen persönlich angeführt wird, 19 Prozent der Stimmen bevor. Weitere drei Prozent gingen demnach an eine konkurrierende rechtsextreme Liste, die der ‚Ligue du Sud’ unter Jacques Bompard - dem Bürgermeister von Orange, der bis 2005 dem FN, daraufhin und noch bis vergangene Woche dann der rechtskatholischen Kleinpartei MPF (Bewegung für Frankreich) angehörte und der sich jetzt mit den aktivistischen Neofaschisten des Bloc identitaire verbündet hat.

Am 1. Februar 10 warf das linksnationalistische Wochenmagazin ‚Marianne’ zudem den französischen Sozialisten - ihr Regionalpräsident in Marseille, Michel Vauzelle, hatte die o.g. Umfrage in Auftrag gegeben - vor, die Wahlabsichten zugunsten des FN aufzublasen, um die politische Rechte zu spalten. Ähnlich, wie es der gewiefte Taktiker François Mitterrand in den 80er Jahren getan habe. Damals hatte der Machiavellist im Präsidentenamt, Mitterrand, tatsächlich bisweilen mit dem FN „gespielt“ und seinen Stimmenanteil, etwa durch Einladungen an Jean-Marie Le Pen ins damals noch staatliche Fernsehen, mitunter „angefacht“. Dadurch hatte er erklärtermaßen das Ziel verfolgt, den FN auf Kosten der Konservativen anwachsen zu lassen und dadurch einen Keil in die Rechte zu treiben. Längst allerdings hat heute die bürgerliche Rechte das „Andenken“ an die damalige zeitweilige Taktik François Mitterrand aufgegriffen und ihrerseits ein politisches Instrument daraus geformt: Sobald die Linksparteien Forderung erheben wie jüngst jene der Sozialisten-Chefin Martine Aubry, das kommunale Wahlrecht für Ausländer/innen einzuführen, schreit die regierende Rechte unter Nicolas Sarkozy sofort auf, ihre Gegner wollten „wieder den FN zu unseren Lasten erstarken lassen“… Dieses Argument wird also heute in unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichsten Motiven taktisch benutzt....

Andere Quellen hingegen glauben, dass der FN bei Wahlen unter seinem früheren Niveau von vor 2005 bleiben wird. Denn dem regierenden konservativen Lager gehe es insbesondere mit der Kampagne zur „Nationalidentität“ (sowie einer scharfen Abschiebepolitik) sichtbar darum, sich auch explizit an die Kernwählerschaft des FN zu wenden.

Ein Teil der extremen Rechten gibt sich jedoch mit den Antworten von Einwanderungs- und Nationalidentitäts-Minister Eric Besson auf die Kritik des FN nicht zufrieden. Während der FN den Minister weiterhin als „immigrationiste“ - also Einwanderungs-Apostel - tituliert, demonstrierten 100 bis 200 Anhänger der ‚Ligue du Sud’ (ihr Name ist erkennbar an jenen der rassistischen Regionalpartei Lega Nord in Italien angelehnt) und des ‚Bloc identitaire’ am 30. Januar 10 im südfranzösischen Donzère. Eric Besson ist der Bürgermeister dieser Kleinstadt. Die Demonstranten warfen ihm vor, durch eine nicht an Blut und Boden gebundene Nationsdefinition einen Ausverkauf „der Erde unserer Vorfahren“ zu befördern. Durch ihren Aktivismus versuchen die ‚Ligue du Sud’ und die ‚Identitaires’, im Vorfeld der Wahlen außerparlamentarisch den FN zu überflügeln, der jedoch in der rechten Wählergunst deutlich die Nase vorn behält.

Um sich vom Regierungslager abzusetzen, forciert der Front National nun seine Agitation gegen Einwanderer. Nachdem am 22. Januar dieses Jahres 124 migrantische ‚boat people’ - mutmaßlich Kurden aus dem nahöstlichen Diktaturstaat Syrien, die gute Chancen auf eine Anerkennung als politische Flüchtlinge haben - an der Südküste Korsikas strandeten, hatte die Regierung diese zunächst in Abschiebehaft nehmen lassen. Französische Richter hatten die Flüchtlinge jedoch allesamt aus den Abschiebegefängnissen, über die sie verteilt worden waren, freigelassen, um ihr Recht auf Stellen eines Asylantrags zu garantieren. Dies nutzte Jean-Marie Le Pen als Steilvorlage, um eine offene Hetze zu lancieren: Auf einer Großveranstaltung in Toulon am 24. Januar 10 forderte er lautstark, „diese Migranten, diese Illegalen, diese Kriminellen“ sofort „von französischem Boden auszuweisen“. Andere Teile der extremen Rechten zogen ihm nach, wie etwa der Rechtskatholik Bernard Antony (bis im Jahr 2006 Parteimitglied des FN), der auf seinem ,Blog du pays réel’, dazu aufforderte, diese syrischen Kurden „in die Türkei zurückzuschicken“ (sic). - Jean-Marie Le Pen sprach auf derselben Kundgebung von einem „Migrations-Tsunami“, der über Frankreich hereinbreche.

Aber an manchen Punkten scheint er selbst für den rassistisch und gegen Einwanderer gestimmten Teil des Publikums - bei dem Versuch um spürbare Unterscheidung vom konservativen Block - zu weit zu gehen. In verbaler Übersteigerung übertitelte etwa eine regionale Webpage des FN einen Beitrag über einen Abschiebestopp nach Haiti: „Unanständig!“ Infolge der schweren Erdbebenkatastrophe in Haiti vom 12. Januar d.J. hatte Einwanderungsminister Eric Besson angekündigt, vorläufig nicht in die von schweren Zerstörungen geprägte Karibikrepublik abzuschieben. Dies kommentierte die Homepage des FN Neukaledonien (die weiße Siedlerbevölkerung der Pazifikinsel bildet eine Hochburg der rechtsextremen Partei) gehässig. Doch die in breiten Kreisen manifest gewordenen Emotionen und Sympathien zugunsten der Bevölkerung Haitis hatten zugleich sogar den FN im Regionalparlament der Hauptstadtregion Ile-de-France (Großraums Paris) - der üblicherweise alle Ausgaben für Solidarität oder internationale Nothilfe als „Geldverschwendung“ anprangert - dazu geführt, zugunsten einer Katastrophenhilfe für Haiti zu stimmen. In diesem Sinne äuerte sich die Regionalrätin und nunmehrige Pariser Spitzenkandidatin zu den herannahenden Regionalparlamentswahlen, Marie-Christine Arnutu.

Den Eindruck der Kohärenz (Stimmigkeit) kann der FN auf diese Weise nicht erwecken. Eher scheint er sich in Teilen einer Tendenz zur rücksichtslosen verbalen Übersteigerung hinzugeben, um sich vom konservativen Lager abzusetzen. Die Cheftochter Marine Le Pen, die voraussichtlich im kommenden Herbst das Ruder der Parteiführung übernehmen wird, schaffte es dann allerdings, wieder ein bisschen scheinbare Kohärenz in die programmatische Selbstdarstellung zu geben. Nachdem die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ ihr in der ersten Februarwoche 2010 die Gelegenheit gegeben hatte, in einem ‚Chat’ mit ihrer Leser/innen/schaft Fragen und Antworten auszutauschen, konnte Marine Le Pen auch auf eine Nachfrage zu diesem Thema Stellung beziehen. Auf die Leserfrage bezüglich der Erdbebenopfer auf Haiti und der Aufnahmepolitik Frankreichs bekundete die 41jährige rechtsextreme Politikerin zunächst, auch bei ihrer Partei verspüre man menschliches Gefühl mit den Katastrophenopfern in der Karibikrepublik. Jedoch, fügte sie in einem schlauen Schachzug hinzu, wenn die Lage in Haiti heute so tragisch sei, dann liege dies auch an einer „Flucht der Gehirne“, also an der Abwanderung aller besser Ausgebildeten von der Insel. Und dies wiederum sei die Konsequenz einer verfehlten Migrationspolitik in den westlichen Ländern wie den USA und Frankreich, die ihrer Schilderung zufolge angeblich auf quasi offenen Grenzen beruhe. Quod erat demonstrandum – Was zu beweisen war: Die Grenzen müssen also dicht gemacht werden, denn dies ist dann (längerfristig) auch für die Haitianer so viel besser....

Unterdessen startete Jean-Marie Le Pen – seit langen Jahren nie um ein ekelhaftes „Wortspiel“ verlegen, sofern es darum geht, von sich zu machen, weil er sich nicht genügend im Brennpunkt der Öffentlichkeit wähnt – eine neue Provokation. Am vergangenen Sonntag, o7. Februar hielt der FN im 15. Pariser Bezirk eine regionale Wahlkampfveranstaltung ab. Angesichts eines proppenvollen Saals rief Jean-Marie Le Pen: „Das nächste Mal nehmen wir das Vel d’Hiv!“ Dieses frühere Sportstadion (Vélodrome d’Hiver) im Pariser Süden ist vor allem dafür bekannt, dass dort infolge der Judenrazzien im Juli 1942 über 13.000 jüdische Personen interniert wurden, bevor kurz darauf ihr „Abtransport“ in die deutschen Vernichtungslager erfolgte. Das Stadion wurde 1959 abgerissen, so dass es rein materiell unmöglich ist, dass Le Pen auf eine eventuell dort stattfindende Veranstaltung angespielt hätte.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erhielten wir vom Autor.