Sage niemand mehr, die
französische extreme Rechte sei ausschließlich „ewig
gestrig“… Jedenfalls dazu, neue Themen aufzugreifen, scheint
sie in der Lage. Es fragt sich nur, mit welchem Ziel, und um
welche Ideologie zu entwickeln. Alle Welt redet vom
Klimawandel oder der drohenden Klimakatastrophe - der Front
National auch. Allerdings, um, gelinde ausgedrückt,
unorthodoxe Thesen zum Thema zu verbreiten.
Am Samstag, den 30. Januar 10 tagte
der „Wissenschaftliche Beirat“ (Conseil Scientifique) der
rechtsextremen Partei, zusammen mit hochrangigen
Führungsmitgliedern und rund 100 Aktivisten, am Parteisitz des
FN in Nanterre. Das Thema lautete „Klimaerwärmung: Mythos oder
Realität?“ Die Botschaft, die Jean-Marie Le Pen dazu
verbreitete, soll allen Populisten und Verschwörungstheoretikern
wie Öl hinuntergehen: Man - also die Regierenden, die „verrückt
gewordenen Gutmenschen“ und die „Anhänger der neuen
Umweltschutz-Religion“ - belügt uns mit „manipulierten oder
nicht haltbaren wissenschaftlichen Berichten“ über den
Klimawandel. Ziel sei es, unter Berufung auf dieses globale
Problem „eine Weltregierung zu errichten“ und „unsere nationale
Freiheit zu zerstören“. Die gute alte Weltverschwörung zur
Unterjochung der Nationen also. Ferner, führte Le Pen aus, gehe
es darum, die Öffentlichkeit auf die Aufnahme „von angeblichen
Klimaflüchtlingen“ aus armen und besonders getroffenen Ländern
vorzubereiten.
In den letzten Wochen und Monaten hat der Front National einen
neuen Aufschwung erlebt. Die durch die konservative französische
Regierung seit Ende Oktober 2009 ausgerufene „Debatte über die
nationale Identität“ hat es der rechtsextremen Partei zwar nicht
unbedingt erlaubt, neue Wählerschichten zu erschließen.
Jedenfalls bleibt es noch abzuwarten, in welchem Ausma ihr ein
erfolgreiches Abschneiden bei den bevorstehenden
Regionalparlamentswahlen, die in ganz Frankreich am 14. und 21.
März 10 stattfinden werden, gelingen wird. Was dem FN aber auf
jeden Fall bereits geglückt ist, ist die Aufrüttelung seiner
aktiven Anhänger und seiner Mitgliedschaft, die durch die in
allen französischen Départements stattfinden Veranstaltungen zur
„Nationalidentität“ in jüngster Zeit mobilisiert worden sind.
Wird dem FN ein Stimmenzuwachs bei den bald stattfinden
Regionalparlamentswahlen glücken? Gegenüber den
Europaparlamentswahlen vom Juni 2009 (der FN erhielt landesweit
6,3 Prozent) dürfte dies spürbar der Fall sein, jedoch gegenüber
den letzten Regionalparlamentswahlen im März 2004 - bei denen
die Partei durchschnittlich 15 Prozent erhielt - sehr schwer
fallen. Manche Umfragen sehen den Front National, der in den
Jahren seit 2005 und bis vor kurzem auf ein vergleichweise
tiefes Niveau abgesackt war, wieder relativ stark im Aufschwung.
So sagte jüngst eine Umfrage für die südostfranzösische Region
PACA (Provence-Alpes-Côte d’Azur) der Liste des FN, die dort
durch den alternden Chef Jean-Marie Le Pen persönlich angeführt
wird, 19 Prozent der Stimmen bevor. Weitere drei Prozent gingen
demnach an eine konkurrierende rechtsextreme Liste, die der
‚Ligue du Sud’ unter Jacques Bompard - dem Bürgermeister von
Orange, der bis 2005 dem FN, daraufhin und noch bis vergangene
Woche dann der rechtskatholischen Kleinpartei MPF (Bewegung für
Frankreich) angehörte und der sich jetzt mit den aktivistischen
Neofaschisten des Bloc identitaire verbündet hat.
Am 1. Februar 10 warf das linksnationalistische Wochenmagazin
‚Marianne’ zudem den französischen Sozialisten - ihr
Regionalpräsident in Marseille, Michel Vauzelle, hatte die o.g.
Umfrage in Auftrag gegeben - vor, die Wahlabsichten zugunsten
des FN aufzublasen, um die politische Rechte zu spalten.
Ähnlich, wie es der gewiefte Taktiker François Mitterrand in den
80er Jahren getan habe. Damals hatte der Machiavellist im
Präsidentenamt, Mitterrand, tatsächlich bisweilen mit dem FN
„gespielt“ und seinen Stimmenanteil, etwa durch Einladungen an
Jean-Marie Le Pen ins damals noch staatliche Fernsehen, mitunter
„angefacht“. Dadurch hatte er erklärtermaßen das Ziel verfolgt,
den FN auf Kosten der Konservativen anwachsen zu lassen und
dadurch einen Keil in die Rechte zu treiben. Längst allerdings
hat heute die bürgerliche Rechte das „Andenken“ an die damalige
zeitweilige Taktik François Mitterrand aufgegriffen und
ihrerseits ein politisches Instrument daraus geformt: Sobald die
Linksparteien Forderung erheben wie jüngst jene der
Sozialisten-Chefin Martine Aubry, das kommunale Wahlrecht für
Ausländer/innen einzuführen, schreit die regierende Rechte unter
Nicolas Sarkozy sofort auf, ihre Gegner wollten „wieder den FN
zu unseren Lasten erstarken lassen“… Dieses Argument wird also
heute in unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichsten
Motiven taktisch benutzt....
Andere Quellen hingegen glauben, dass der FN bei Wahlen unter
seinem früheren Niveau von vor 2005 bleiben wird. Denn dem
regierenden konservativen Lager gehe es insbesondere mit der
Kampagne zur „Nationalidentität“ (sowie einer scharfen
Abschiebepolitik) sichtbar darum, sich auch explizit an die
Kernwählerschaft des FN zu wenden.
Ein Teil der extremen Rechten gibt sich jedoch mit den Antworten
von Einwanderungs- und Nationalidentitäts-Minister Eric Besson
auf die Kritik des FN nicht zufrieden. Während der FN den
Minister weiterhin als „immigrationiste“ - also
Einwanderungs-Apostel - tituliert, demonstrierten 100 bis 200
Anhänger der ‚Ligue du Sud’ (ihr Name ist erkennbar an jenen der
rassistischen Regionalpartei Lega Nord in Italien angelehnt) und
des ‚Bloc identitaire’ am 30. Januar 10 im südfranzösischen
Donzère. Eric Besson ist der Bürgermeister dieser Kleinstadt.
Die Demonstranten warfen ihm vor, durch eine nicht an Blut und
Boden gebundene Nationsdefinition einen Ausverkauf „der Erde
unserer Vorfahren“ zu befördern. Durch ihren Aktivismus
versuchen die ‚Ligue du Sud’ und die ‚Identitaires’, im Vorfeld
der Wahlen außerparlamentarisch den FN zu überflügeln, der
jedoch in der rechten Wählergunst deutlich die Nase vorn behält.
Um sich vom Regierungslager abzusetzen, forciert der Front
National nun seine Agitation gegen Einwanderer. Nachdem am 22.
Januar dieses Jahres 124 migrantische ‚boat people’ - mutmaßlich
Kurden aus dem nahöstlichen Diktaturstaat Syrien, die gute
Chancen auf eine Anerkennung als politische Flüchtlinge haben -
an der Südküste Korsikas strandeten, hatte die Regierung diese
zunächst in Abschiebehaft nehmen lassen. Französische Richter
hatten die Flüchtlinge jedoch allesamt aus den
Abschiebegefängnissen, über die sie verteilt worden waren,
freigelassen, um ihr Recht auf Stellen eines Asylantrags zu
garantieren. Dies nutzte Jean-Marie Le Pen als Steilvorlage, um
eine offene Hetze zu lancieren: Auf einer Großveranstaltung in
Toulon am 24. Januar 10 forderte er lautstark, „diese Migranten,
diese Illegalen, diese Kriminellen“ sofort „von französischem
Boden auszuweisen“. Andere Teile der extremen Rechten zogen ihm
nach, wie etwa der Rechtskatholik Bernard Antony (bis im Jahr
2006 Parteimitglied des FN), der auf seinem ,Blog du pays réel’,
dazu aufforderte, diese syrischen Kurden „in die Türkei
zurückzuschicken“ (sic). - Jean-Marie Le Pen sprach auf
derselben Kundgebung von einem „Migrations-Tsunami“, der über
Frankreich hereinbreche.
Aber an manchen Punkten scheint er selbst für den rassistisch
und gegen Einwanderer gestimmten Teil des Publikums - bei dem
Versuch um spürbare Unterscheidung vom konservativen Block - zu
weit zu gehen. In verbaler Übersteigerung übertitelte etwa eine
regionale Webpage des FN einen Beitrag über einen Abschiebestopp
nach Haiti: „Unanständig!“ Infolge der schweren
Erdbebenkatastrophe in Haiti vom 12. Januar d.J. hatte
Einwanderungsminister Eric Besson angekündigt, vorläufig nicht
in die von schweren Zerstörungen geprägte Karibikrepublik
abzuschieben. Dies kommentierte die Homepage des FN
Neukaledonien (die weiße Siedlerbevölkerung der Pazifikinsel
bildet eine Hochburg der rechtsextremen Partei) gehässig. Doch
die in breiten Kreisen manifest gewordenen Emotionen und
Sympathien zugunsten der Bevölkerung Haitis hatten zugleich
sogar den FN im Regionalparlament der Hauptstadtregion
Ile-de-France (Großraums Paris) - der üblicherweise alle
Ausgaben für Solidarität oder internationale Nothilfe als
„Geldverschwendung“ anprangert - dazu geführt, zugunsten einer
Katastrophenhilfe für Haiti zu stimmen. In diesem Sinne äuerte
sich die Regionalrätin und nunmehrige Pariser Spitzenkandidatin
zu den herannahenden Regionalparlamentswahlen, Marie-Christine
Arnutu.
Den Eindruck der Kohärenz (Stimmigkeit) kann der FN auf diese
Weise nicht erwecken. Eher scheint er sich in Teilen einer
Tendenz zur rücksichtslosen verbalen Übersteigerung hinzugeben,
um sich vom konservativen Lager abzusetzen. Die Cheftochter
Marine Le Pen, die voraussichtlich im kommenden Herbst das Ruder
der Parteiführung übernehmen wird, schaffte es dann allerdings,
wieder ein bisschen scheinbare Kohärenz in die programmatische
Selbstdarstellung zu geben. Nachdem die liberale Pariser
Abendzeitung ‚Le Monde’ ihr in der ersten Februarwoche 2010 die
Gelegenheit gegeben hatte, in einem ‚Chat’ mit ihrer
Leser/innen/schaft Fragen und Antworten auszutauschen, konnte
Marine Le Pen auch auf eine Nachfrage zu diesem Thema Stellung
beziehen. Auf die Leserfrage bezüglich der Erdbebenopfer auf
Haiti und der Aufnahmepolitik Frankreichs bekundete die
41jährige rechtsextreme Politikerin zunächst, auch bei ihrer
Partei verspüre man menschliches Gefühl mit den
Katastrophenopfern in der Karibikrepublik. Jedoch, fügte sie in
einem schlauen Schachzug hinzu, wenn die Lage in Haiti heute so
tragisch sei, dann liege dies auch an einer „Flucht der
Gehirne“, also an der Abwanderung aller besser Ausgebildeten von
der Insel. Und dies wiederum sei die Konsequenz einer verfehlten
Migrationspolitik in den westlichen Ländern wie den USA und
Frankreich, die ihrer Schilderung zufolge angeblich auf quasi
offenen Grenzen beruhe. Quod erat demonstrandum – Was zu
beweisen war: Die Grenzen müssen also dicht gemacht werden, denn
dies ist dann (längerfristig) auch für die Haitianer so viel
besser....
Unterdessen startete Jean-Marie Le Pen – seit langen Jahren nie
um ein ekelhaftes „Wortspiel“ verlegen, sofern es darum geht,
von sich zu machen, weil er sich nicht genügend im Brennpunkt
der Öffentlichkeit wähnt – eine neue Provokation. Am vergangenen
Sonntag, o7. Februar hielt der FN im 15. Pariser Bezirk eine
regionale Wahlkampfveranstaltung ab. Angesichts eines
proppenvollen Saals rief Jean-Marie Le Pen: „Das nächste Mal
nehmen wir das Vel d’Hiv!“ Dieses frühere Sportstadion
(Vélodrome d’Hiver) im Pariser Süden ist vor allem dafür
bekannt, dass dort infolge der Judenrazzien im Juli 1942 über
13.000 jüdische Personen interniert wurden, bevor kurz darauf
ihr „Abtransport“ in die deutschen Vernichtungslager erfolgte.
Das Stadion wurde 1959 abgerissen, so dass es rein materiell
unmöglich ist, dass Le Pen auf eine eventuell dort stattfindende
Veranstaltung angespielt hätte.
Editorische
Anmerkungen
Der Artikel
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