Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Marine Le Pen, die Listen der extremen Rechten und die neueste irre „Islamdebatte“

02/10

trend
onlinezeitung

Frankreich wählt am 14. und 21. März 2010, in zwei Durchgängen, seine sämtlichen Regionalparlamente neu. Ein Überblick über das Angebot auf der extremen Rechten und die derzeitigen „Debatten-“ respektive Kampagnenthemen, die sie anstoßen konnte.

Am 15. Februar endete die Frist für die Einreichung der Kandidatenlisten für die ins Haus stehenden Regionalparlamentswahlen. Als deren voraussichtliche Gewinner wird derzeit vor allem die französische Sozialdemokratie betrachtet. Letztere profitiert einerseits davon, dass sie auf nationaler Ebene in der Opposition sitzt und – „mechanisch“, automatisch – von der wachsenden Unpopularität der Regierungspolitik unter Präsident Sarkozy profitiert. Und dies trotz Chaos, Zwietracht und Strategielosigkeit in den eigenen Reihen. Aber auch davon, dass die Sozialdemokratie schon seit den letzten Regionalwahlen im März 2004 insgesamt 20 von 22 französischen Regionen regiert (weil sie bereits damals von demselben Oppositionsbonus auf zentralstaatlicher Ebene profitieren konnte), dürfte sie Nutzen ziehen. Sind ihre regionalen Spitzenkandidat/inn/en doch dadurch bekannt und profiliert.

Daneben könnte aber auch die extreme Rechte bei diesen Wahlen von sich reden machen. Konnte diese doch ihre Anhängerschaft und ihr Wähler/innen/Potenzial insbesondere vor dem Hintergrund der „Debatte um die nationale Identität“ (vgl. vorige Ausgaben), die offiziell durch die Regierung am 08. Februar beendet respektive bis zur Nach-Wahl-Periode ausgesetzt worden ist, re-mobilisieren. Auch wenn ein Artikel der französischen Nachrichten-Agentur AFP vom vergangenen Freitag (19. Februar) realistisch davon ausgeht, dass der Front National derzeit 5.000 bis 10.000 Mitglieder aufweise – zum Vergleich: bei der ersten größeren Parteispaltung, dem Abgang der Anhänger Bruno Mégrets im Dezember 1998, ergab eine (aufgrund eines Streits beider Fraktionen um den Parteinamen erforderlich gewordene) gerichtliche Überprüfung der Karteien damals 42.000 eingeschriebene Mitglieder.1 Dennoch konnte dieser infolge der Krisen und Spaltungen der letzten Jahre - sowie des 2007 manifest gewordenen Rückgangs der prozentualen Stimmenanteile des FN – übriggebliebene „harte Kern“ nunmehr stärker denn je mobilisiert werden.

Wird dem FN ein Stimmenzuwachs bei den bald stattfinden Regionalparlamentswahlen glücken? Dies hängt sehr stark vom Vergleichsmaßstab ab, den man anlegt. Gegenüber den Europaparlamentswahlen vom Juni 2009 (der FN erhielt landesweit 6,3 Prozent) dürfte dies zweifellos spürbar der Fall sein; jedoch gegenüber den letzten Regionalparlamentswahlen im März 2004 - bei denen die Partei durchschnittlich 15 Prozent erhielt - sehr schwer fallen. Manche Umfragen sehen den Front National, der in den Jahren seit 2005 und bis vor kurzem auf ein vergleichweise tiefes Niveau abgesackt war, wieder relativ stark im Aufschwung. Im nationalen Durchschnitt werden dem FN derzeit 8,5 bis 9 Prozent prognostiziert. Bei einem Büro für politische Wetten (PrédiPol) wird er hingegen bei, vielleicht überzogenen, 11,5 % frankreichweit gehandelt.

Neueste Islamdebatte

Profitieren dürfte die extreme Rechte insbesondere auch von der neuesten Auflage der nicht enden wollenden „Islamdebatte“ - die in mehr oder minder breiten Kreisen vor allem der „kulturellen“ Selbstvergewisserung und der Abgrenzung zwischen „Eigenem“ und „fremd“ dient. Und die von vornherein, als Subtext, in der gesamten „Debatte zur nationalen Identität“ (welche auch genau so angelegt war) mitgeschwungen hat.

Bei der neuesten Variante dieser Never-ending-„Diskussion“ geht es um ein Fastfood-Restaurant im nordfranzösischen Roubaix, einer Stadt mit hohem Einwandereranteil und allgemein eher „sozial schwacher“ Bevölkerung. Schon seit November 2009 führt die Schnellrestaurant-Kette Quick in insgesamt acht Restaurants frankreichweit – von Roubaix bis zu einem Stadtteil in Marseille, Saint-Louis, wo angeblich 80 Prozent der Kundschaft moslemisch ist – ein „verkaufspolitisches Experiment“ durch: Diese Läden bieten nur noch „Halal“-Erzeugnisse an. Halal ist dem Moslem, was den Juden ihr Koscherstempel ist; das bedeutet, es handelt sich um Essen, das bestimmten Speisevorschriften stammt und von Tieren erzeugt ist, die unter Einhaltung eines bestimmten Ritus geschlachtet worden sind. Die Tatsache, dass dort nurmehr ausschließich solche Erzeugnisse verkauft werden, hängt eng damit zusammen, dass es sich um ein „Experiment“ handelt - dessen Ergebnisse besser auswertbar sein sollen, wenn ein Faktor (der Übergang zu halal-Produkten) gesondert herausgehoben wird.

Am vorvergangenen Sonntag, den 14. Februar, erhob Marine Le Pen dieses Vorgehen der Fastfood-Kette jedoch zum Skandal nationalen Rangs. Sie bezeichnete es als Unterdrückung der nicht-moslemischen Kundschaft, dass dieser nunmehr keine nicht-halal-gemäße Speiseauswahl angeboten werde. Gleichzeitig machte sie es zum Aufhänger ihrer Kampagne, dass ein Unternehmen dafür, dass seine Produkte „halal-konform“ erklärt werden, den Stempel einer darauf spezialisierten moslemischen Gemeindeeinrichtung benötigt - die dafür Geld kassiert (ähnlich wie es einen „Markt“ für Koscher-Erklärungen durch rabbinische Institutionen gibt). Marine Le Pen machte aus demselben Anlass publik, dass die Restaurantkette sich seit 2006 indirekt zu 98 Prozent im Staatsbesitz befindet, was in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war: In jenem Jahr übernahm ein Ableger der öffentlichen Bank ,Caisse des dépôts’ (mit einer Art Sparkasse vergleichbar, aber im Firmengeschäft aktiv) den Großteil der Kapitalanteile an Quick, nachdem dessen vormalige Eigentümer - eine belgische Aktionärsfamilie - ausgestiegen war. Es ging damals darum, das Absaufen des Unternehmens zu verhindern. Die Staatsbank möchte die Anteile allerdings derzeit gerne veräußern. Über die Assoziationskette „Halal-Erklärung - Bezahlen dafür - im Staatsbesitz befindlich“ kam Marine Le Pen zu dem griffigen Argument, hier liege ein Skandal vor, weil in diesem Zusammenhang „der Staat eine islamische Steuer erhebt“. Was selbstverständlich Unfug ist: So fragwürdig der sich ausbreitende Halal-Markt (5,5 Milliarden Euro Umsatz im laufenden Jahr werden erwartet) unter den Gesichtspunkten der Ethnisierung und Selbstethnisierung bestimmter Bevölkerungsteile sein mag, so sehr dominiert der Aspekt der Freiwilligkeit. Niemand wird schließlich dazu zu gezwungen, weder bei Quick zu speisen, noch generell „halal“ zu essen.

Doch es blieb nicht bei dem Vorstoß von Marine Le Pen, der lediglich eine breitere Kampagne angestoßen hat. Als nächstes erklärte sich in der darauffolgenden Woche der sozialistische Bürgermeister von Roubaix - René Vandierendonck - öffentlich entsetzt und kündigte an, die Antidiskriminierungsbehörde HALDE gegen das „Rein-Halal-Angebot bei QUICK“ einzuschalten. Inzwischen ist die Stadt Roubaix gar einen Schritt weitergegangen, und das Rathaus hat (statt die Angelegenheit nur bei der HALDE zu signalisieren) Strafanzeige bei Gericht wegen „Diskriminierung“ erstattet. Juristisch ist das purer Unfug, da QUICK weder eine Monopolstellung besetzt noch einen öffentlichen Dienst - etwa eine Schulkantine - betreibt, was das Unternehmen zur Nicht-Ausgrenzung aller Bevölkerungsgruppen (inklusive der erklärten Nicht-Moslems, die auf keinen Fall „halal“ essen möchten) zwingen würde. Insofern wird das Verhalten von QUICK, auf juristisch legitime Weise, allein vom Gesetz des so genannten freien Marktgeschehen und dem der Profitmaximierung regiert. Jedenfalls sofern es nicht eine Kundschaft von vornherein ausgrenzt; allerdings können Nichtmoslems auch problemlos Halal-Speisen verzehren, während es umgekehrt beispielsweise diskriminierend wäre, Moslems und Juden gezielt durch ein pures Schweinefleischangebot zu vergraulen. Auch dies, also ein auf Schweinefleisch basierendes Angebot, wäre aber nur dann gerichtlich zu ahnden, falls ein faktischer „Abschlusszwang“ bestünde, also wenn das Unternehmen eine Monopolstellung hätte oder eine öffentliche Dienstleistung erbrächte. (Just vergangene Woche genehmigte ein Pariser Verwaltungsgericht sogar den Ausschank der „Schweinesuppe für Obdachlose“, die von Rechtsradikalen des ,Bloc identitaire’ seit vier oder fünf Wintern auf einem Platz in Paris angeboten wird. 2007 war diese Aktion zunächst als bewusste Diskriminierung - Moslems und Juden sollen absichtlich ausgeschlossen werden - behördlich untersagt worden. Die Richter sahen jedoch auch hier die Freiheit zur Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Konsumangebot gegeben. Auch wenn Obdachlose sicherlich weniger die Wahl haben, als bspw. Quick-Kunden…)

Auch Politiker der konservativ-wirtschaftsliberalen Regierungspartei UMP schalteten sich ein, mehrere von ihnen - wie der Parteichef (und frühere Arbeits- & Sozialminister Xavier Bertrand) - rügten das Verhalten der QUICK-Filiale in Roubaix. Pikantes Detail am Rande: Deren Betreiber ist zugleich selbst UMP-Stadtrat in einer Nachbarkommune. Inzwischen äußerten sich auch andere Stimmen im gegenläufigen Sinne. Der Grünenpolitiker Daniel Cohn-Bendit erklärte am Wochenende: „Ein Quick halal - na und?“ Ähnlich äußerten sich, vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Privatunternehmen ohne „Abschlusszwang“ und nicht um eine öffentliche Dienstleistung handele, auch etwa die Grünen-Parteivorsitzende Cécile Duflot und die Staatssekretärin für Vorstadtpolitik Fadela Amara.


Andere rechtsextreme Listen

Neben den Kandidatenlisten des FN treten in mehreren französischen Regionen noch weitere Rechtsextreme an.


In zwei ostfranzösischen Regionen, in Lothringen und Franche-Comté (dem französischen Jura und Umland), treten jeweils Listen unter dem Namen „Nein zu Minaretten“ an. Es handelt sich um einen durchsichtigen Versuch, an das Abstimmungsergebnis beim Schweizer Referendum vom 29. November 2009 anzuknüpfen und sich - in diesen unweit der eidgenössischen Grenze liegenden Regionen - an den Zug dranzuhängen. Beide Listen umfassen eine Sammlung von hardliner-faschistischen „Dissidenten“ und Absplitterungen des Front National. Das Personal besteht also vor allem aus Leuten, denen der FN im Zuge des Aufstiegs der Cheftochter (und mutmaßlichen künftigen Parteichefin innerhalb eines Jahres) Marine Le Pen zu schlapp geworden ist. Im Falle Lothringens versammelt die Liste die drei Abspaltungen MNR („Nationale Republikanische Bewegung“) - die frühere Partei Bruno Mégrets, unter ihrer neuen Vorsitzenden Annick Martin -, PdF („Partei Frankreichs“, eine Gründung des früheren FN-Generalsekretärs Carl Lang) sowie NDP („Neue Rechte des kleinen Volkes“ unter Robert Spieler). In der Region Franche-Comté kommen hingegen vier Komponenten zusammen: der MNR, der PdF, eine Splittergruppe unter dem Namen ,Droite nationale’ (nationale Rechte) sowie der ,Front Comtois’. Letzterer ist der örtliche Ableger des Bloc identitaire, einer aktivistischen rechtsextremen Bewegung, die vor allem für die „Überlegenheit der weißen Rasse“ in einer eher gesamteuropäischen denn nationalstaatlichen Perspektive eintritt.

Im Elsass kandidiert eine Liste unter dem Namen ,Alsace d’abord“ (Elsass zuerst). Eine rechtsextreme regionalistische Gruppierung dieses Namens existiert in der ostfranzösischen Region schon seit 1989; es handelte sich damals um eine frühe Abspaltung vom Front National unter dessen ehemaligem Parlamentsabgeordneten (1986 bis 88) Robert Spieler. Doch Spieler ist inzwischen an die Spitze der 2008 neu gegründeten Möchte-gern-Sammlungsbewegung NDP gewechselt. Bei ‚Alsace d’abord’ haben allem Anschein nach die ,Identitaires’ die Kontrolle oder aber den Namen übernommen. Jedenfalls präsentiert die Agentur NOVOPRESS, welche dieser Strömung nahe steht und eine rechte Sammelhomepage ähnlich einem Nazi-Indymedia betreibt, die elsässische Kandidatenliste als „eine der Listen des Bloc identitaire“.

Der Bloc identitaire unterstützt ferner zwei Listen in Südfrankreich, jene der ,Ligue du Sud’ in der Region PACA (um Marseille) und der ‚Ligue du Midi’ - deren Name ungefähr dasselbe bedeutet - in der Region Languedoc-Roussillon (um Montpellier). Im Falle der ,Ligue du Sud’ wird die Liste, neben den Identitaires, auch vom Bürgermeister von Orange, Jacques Bompard, unterstützt. Das frühere FN-Mitglied Bompard war im November 2005 zur rechtskatholischen, rechtsbürgerlichen „Bewegung für Frankreich“ - dem MPF - des Grafen Philippe de Villiers übergetreten. Aus diesem trat er jedoch Ende Januar dieses Jahres aus. (Der MPF seinerseits tritt flächendeckend auf bürgerlich-konservativen Einheitslisten hinter Nicolas Sarkozys UMP an.)

Der PdF (,Le Parti de la France’, mit seinem hochtrabenden Namen) unter Carl Lang wiederum tritt in vier Regionen eigenständig an: Picardie, Obere und Untere Normandie und Centre (rund um Tours). Die Ergebnisse bleiben abzuwarten, dürften jedoch deutlich unterhalb derer des Front National liegen. Bemerkenswert ist, dass der PdF unter Carl Lang es nicht schaffte, in der Grenzregion zu Belgien - Nord-Pas de Calais - anzutreten, obwohl Lang dort selbst noch 2004 die Liste des FN zu den damaligen Regionalparlamentswahlen anführte, ein hohes Ergebnis (18 %) erhielt und seitdem bis jetzt dem Regionalparlament in Lille angehört(e). Das frühere Kohle-Bergbaurevier Nord-Pas de Calais dürfte dem FN, dessen Liste dort durch Marine Le Pen angeführt wird, voraussichtlich eines seiner höchsten Ergebnisse liefern. Nach wie vor glückt der rechtsextremen Partei dort insbesondere auch der Einbruch in die Arbeiterwählerschaft, ähnlich wie es übrigens 2004 auch in der Nachbarregion Picardie (22,9 % FN im ersten Durchgang) zu beobachten war.

Vor allem bei den rechtsextremen „Kritikern“ des FN wird sehr stark auf „den Islam“ fokussiert. Stärker als bei der „Rumpfpartei“, die eher auf ein allgemeineres Programm - mit breiteren auch „sozialen“ Aspekten und Versprechungen, deren Verwirklichung allerdings v.a. durch eine Anti-Einwanderer-Politik (ergänzt durch einen wirtschaftlichen Protektionismus) realisiert werden soll - abhebt und sich wesentlich weniger allein auf die Anti-Islam-Problematik konzentriert.


Inner-rechter Islamstreit

Gleichzeitig ist innerhalb des FN, trotz des Abgangs der „Rot-Braunen“ um Alain Soral, die „Islamfrage“ noch immer ideologisch umstritten. (Letztere „Rot-Braune“ positionieren sich eher vorrangig antijüdisch und geben sich nach außen hin eher als „Moslemfreunde“ aus; so erklärten sie im Dezember 2009 ihre „Unterstützung“ für das Moscheebauprojekt in Marseille. Allerdings verbunden mit dem „Angebot“ an die örtliche Moslemgemeinde, mit ihnen zusammen gegen jegliche Neueinwanderung einzutreten. Die Moslems reagierten nicht auf die unerbetene „Unterstützung“. Der Fanclub Alain Sorals, ,Egalité & Réconciliation’ - „Gleichheit und Aussöhnung“, im volksgemeinschaftlichen Sinne verstanden -, möchte sich nun auf einem Kongress in Paris am 27. und 28. März 2010 in eine politische Partei unter dem Namen „Partei der nationalen Aussöhnung“ umwandeln. Doch derzeit tobt der Streit im Inneren der Gruppierung: Alain Soral hat soeben seinen Generalsekretär Marc George - in den letzten Jahren Chefberater des Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala - wegen zu offen vorgetragener Sympathien für den verstorbenen Neonazi François Duprat gefeuert.)

Die Mainstream-Linie des FN schlägt derzeit eher zugunsten jener Fraktionen aus, die für eine Positionierung zuvörderst gegen den „Hauptfeind Islam“ und eine mehr oder minder „pro-westliche“ Ausrichtung eintreten. Im Umfeld der Partei vertreten diese Linie am klarsten Jean-François Touzé, Chef der neu gegründeten ,Alliance pour les Libertés’ (Bündnis für die Freiheit) - der vor dem letzten FN-Parteitag im November 2007 noch als Kandidat für die Nachfolge Jean-Marie Le Pens auftrat, aber derzeit eher eine „kritische Unterstützung für Sarkozy von Rechts“ vertritt - und der Journalist Alain Sanders. Sanders ist Journalist bei der rechtskatholischen und FN-nahen Tageszeitung ,Présent’, betreibt einen Blog (,Le Lion Ardent’, „der glühende Löwe“) und steht der derzeitigen FN-Spitzenkandidatin zu den Regionalparlamentswahlen - Marie-Christine Arnutu - politisch nahe. Beide, Touzé und Sanders, vertreten einen von ihnen selbst als ,occidentaliste’ (ungefähr: „westlerisch“) bezeichneten Ansatz. Dieser definiert „den Islam“ als planetaren Hauptfeind, ist pro-amerikanisch - das bedeutet im Augenblick: die US-amerikanische Rechtsopposition gegen Obama unterstützend - und auch pro-israelisch, da Israel als „ein Fels in der Brandung der Barbarei der Dritten Welt“ betrachtet wird. Die Auffassungen von Touzé oder Sanders werden durch Internetpublikationen verbreitet, die in das rechte Milieu hinein ausstrahlen (im Falle von Jean-François Touzé der Blog Rebelles.info, der mal den rechten Flügel der Konservativen und mal den ,Bloc identitaire’ unterstützt; seine Redaktion nahm am 17./18. Oktober 2009 als solche am europaweiten „Konvent der Identitären“ in Orange teil), aber auch die Beiträge einflussreicher konservativer Leitartikler wie Ivan Rioufol und Eric Zemmour „,mit Genehmigung des Autors“ übernehmen. Dieses rechte publizistische Netzwerk oszilliert zwischen einer Unterstützung für Teile des FN, einer Ablehnung der Partei - verbunden mit dem Wunsch, statt des FN „eine rein anti-islamische Partei wie den Vlaams Belang oder die Lega Nord“ anwachsen zu sehen, und einen kritischen Unterstützung für den rechten Flügel des Regierungsblocks.

Den Gegenpol dazu bilden die „Rot-Braunen“ und die Nationalrevolutionäre, die in erster Linie den „Widerstand gegen die Neuen Weltordnung“ (frei nach George Bush Vater, anlässlich des Irakkriegs im Januar 1991) propagieren und zuvörderst antisemitisch ausgerichtet sind. Zu ihnen zählt etwa Christian Bouchet, der sich früher selbst als „Nationalbolschewist“ bezeichnete, als Redakteur für Außenpolitik bei der Alain Soral nahe stehenden 14täglichen Zeitung ,Flash’ amtiert und alle „Opponenten gegen die Neue Weltordnung“ von Hugo Chavez bis Mahmud Ahmedinedjad glorifiziert.

Anlässlich der baldigen Regionalparlamentswahlen wurden erneut, wie schon früher zwischen den verschiedenen ideologischen Parteiströmungen, die Karten zwischen den unterschiedlichen Polen verteilt. So kandidieren als Spitzenkandidaten auf den FN-Listen im Raum Paris (Marie-Christine Arnutu) und in der Normandie (Jean-Michel Dubois) Vertreter eines eher nationalkonservativen oder „pro-abendländischen“ Flügels, die explizit durch Alain Sanders unterstützt werden. Umgekehrt kandidiert der oben zitierte „Rot-Braune“ Christian Bouchet auf dem Listenplatz Nummer zwei in Nantes (Region Untere Loire), wobei seine Lebensgefährtin Brigitte Neuveux den Spitzenplatz auf der Liste einnimmt. Im Falle der Region Untere Loire rief der Blog von Alain Sanders - als Sprachrohr der „westlerischen“ extremen Rechten -zum Boykott der FN-Liste und zur Stimmabgabe für die Liste der rechtskonservativen Kleinpartei CNI („Nationales Zentrum der Selbstständigen“, früher „…und der Bauern“, eine traditionsreiche reaktionäre Mittelstandspartei) auf.

Auch in der (Teilen der FN-Führung und besonders Marine Le Pen nahe stehenden) Internetpublikation ,Nations Presse
Info’ - NPI - gibt es Spielräume für die unterschiedlichen Strömungen. NPI wurde in jüngster Zeit mehrfach durch Alain Sanders scharf angegriffen, weil Artikel von Christian Bouchet oder seiner  Sympathisanten dort erschienen, die von Redakteuren wie Roland Machefer auf den Blog gehievt wurden. Im September 2009 etwa konnte  Bouchet dort Ausführlich über eine Reise in den Iran, welche er in der ersten Augusthälfte 2009 unternommen hatte und über die er voller Bewunderung für das dortige Regime berichtet, schreiben. (Vgl. http://www.nationspresse.info/?p=57230  ) Teile der extremen Rechten, einschließlich Jean-Marie Le Pen selbst übrigens, hegen notorisch Sympathien für das iranische Regime: viel Todesstrafe, viel Verteidigung der „eigenen kulturellen Identität“ – notfalls mit der Knute, oder im iranischen Falle auch mit Massenhinrichtungen -, und viel „nationale Selbstbehauptung“ gegenüber den USA und der von den Nationalrevolutionären so gern und oft in allen möglichen Zusammenhängen zitierten „Neuen Weltordnung“. In diesem Geiste gab Jean-Marie Le Pen im Januar 2009 den schiitischen Reaktionären des ,Centre Zahra’ und im September 2009 der nationalrevolutionären Zeitung ,Flash’ jeweils ein Interview. Den Moslemhassern im Umfeld und in den Reihen des FN stießen diese Auslassungen jedoch sauer auf.Ansonsten muss die FN-Führung im Allgemeinen zwischen den unterschiedlichen ideologischen Polen hin- und hernavigieren. Marine Le Pen etwa steht bekanntermaßen dem „pro-westlichen“ Pol - der möglichst wenig Antisemitismus und möglichst viel Moslemgegnerschaft favorisieren möchte - ziemlich nahe. Auch wenn sie bisweilen in andere Richtung gehende Äußerungen tätigt, etwa als sie zu Anfang des Jahres 2010 ein Interview zur Präsentation der im Januar/Februar 10
erstmals erschienen Papierausgabe ihres Mediums NPI - ,Nations Presse Magazine’ - gab. Darin äußert sie sich zugunsten einer Allianz eines starken Europa mit Russland, was eher den Nationalrevolutionären ins  Konzept passte, wie Alain Sanders (der einzig und allein das Bündnis mit Nordamerika favorisiert) auch umgehend auf seinem Blog monierte"/

Der Ausrichtungsstreit zwischen diesen ideologischen Polen wird durch die heranrückenden Regionalparlamentswahlen wohl nicht entschieden werden. Die in diesem Ideologiestreit profiliertesten Köpfe dürften nicht zu den FN-Kandidaten mit den höchsten Ergebnissen zählen: Im Raum Paris befindet sich der Front National (u.a. aufgrund der Veränderungen in der soziologischen Zusammensetzung der Wählerschaft) seit Jahren im Rückgang, und der Liste unter Marie-Christine Arnutu werden dort derzeit nur 5 % der Stimmen prognostiziert. Und die Region Untere Loire - wo Christian Bouchet kandidiert - ist, wie ganz Westfrankreich, eine Zone mit unterdurchschnittlich starker Verankerung der FN. In dieser Region scheiterte die dortige FN-Liste, als eine der wenigen, im März 2004 (mit 9,7 % der Stimmen) damals knapp an der für Regionalparlamentswahlen geltenden Zehn-Prozent-Hürde. Der ideologische Fetzenflug dürfte also auch danach noch fortdauern.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erhielten wir vom Autor.