trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Interview mit dem Blogger Hossam al Hamalawy zur aktuellen Situation in Ägypten
 

02/11

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LeVine: Warum hat es eine Revolution in Tunesien gebraucht um Ägypter in beispielsloser Zahl auf die Straße zu bringen?

Hamalawy: In Ägypten sagen wir, dass Tunesien nicht mehr als ein Anlass gewesen ist, keine Ursache, weil die tatsächlichen Bedingungen für einen Aufstand in Ägypten existieren und die Revolte lag in den vergangenen Jahren in der Luft. Tatsächlich haben wir es schon geschafft 2008 zwei kleine Intifadas(1) oder kleine Tunesien zu haben. Die erste war im April 2008 in Mahalla(2), gefolgt von einer weiteren in Borollos im Norden des Landes.

Revolutionen fallen nicht vom Himmel. Es liegt nicht an Tunesien gestern, dass wir automatisch am nächsten Tag eine in Ägypten haben. Man kann diese Proteste nicht von den vergangenen vier Jahren der Streiks in Ägypten trennen oder von internationalen Ereignissen wie die Al-Aqsa-Intifada und die US-Invasion in Irak. Der Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada war deswegen wichtig, weil in den 80er und 90er Jahren öffentlicher Aktivismus effektiv von der Regierung gestoppt wurde als Teil im Kampf gegen islamistische Aufstände. Es wurde nur innerhalb der Universitätscampi oder Parteizentralen fortgeführt. Aber als die Intifada 2000 ausbrach und Al Jazeera anfing Bilder zu senden, hat es die Jugend inspiriert auf die Straße zu gehen, genauso wie wir heute von Tunesien inspiriert wurden.

LeVine:Wie gehen die Proteste weiter?

Hamalawy: Es ist zu früh um zu sagen wie sie sich entwickeln wird. Es ist ein Wunder, wie sie seit vergangener Nacht (Anm. gemeint ist Dienstag, 25.01.2011)  im Angesicht von Furcht und Repression weitergehen. Aber während ich das sage, die Situation hat eine Dimension erfahren, von der jeder genug hat, wirklich genug hat. Und selbst wenn es die Sicherheitskräfte heute schaffen die Proteste niederzuschlagen, werden sie versagen die in der nächsten Woche, oder nächsten Monat oder später im Jahr niederzuschlagen. Es gibt zweifellos einen Wandel im Mut der Menschen. Dem Staat war der Vorwand behilflich in den 90er Jahren den Terrorismus zu bekämpfen um damit jede Unzufriedenheit im Land zu bekämpfen. Das ist ein Trick, den alle Regierungen anwenden, eingeschlossen die US-Regierung. Aber sobald sich die Opposition gegen ein Regime von Gewehren zu Massenprotesten zuwendet, wird es sehr schwierig solchem Unfrieden zu begegnen. Man kann es planen eine Gruppe von Terroristen, die in den Zuckerrohrfeldern kämpfen, auszuheben, aber was soll man mit Tausenden von Protestierenden in den Straßen machen? Man kann sie nicht alle töten. Man kann noch nicht mal sicher sein, dass die Truppen es tun, dass sie auf die Armen schießen werden.

LeVine: Wie gestaltet sich hier die Beziehung zwischen regionalen und lokalen Ereignissen?

Hamalawy: Sie müssen verstehen, dass Regionales hier Lokales bedeutet. Im Jahr 2000 begannen die Proteste nicht als Anti-Regime Proteste, sondern gegen Israel und zur Unterstützung der Palästinenser. Das gleiche geschah mit der US-Invasion im Irak drei Jahre später. Aber wenn man einmal auf die Straße geht und mit der Gewalt des Regimes konfrontiert wird, fängt man an Fragen zu stellen: Warum schickte Mubarak Truppen um Demonstranten zu bekämpfen,  anstatt Israel? Warum exportiert er Zement, dass von Israel genutzt wird um Siedlungen zu bauen, statt den Palästinensern zu helfen? Warum springt die Polizei so brutal mit uns um, wenn wir nur versuchen, unsere Solidarität mit den Palästinensern auf friedliche Weise zum Ausdruck bringen? Und so verschoben sich regionale Fragen wie Israel und Irak auf  lokale Fragen. Und innerhalb weniger Augenblicke, begannen die gleichen Demonstranten, die pro-palästinensische Parolen skandierten, Sprechchöre gegen Mubarak zu skandieren. Der spezifische interne Wendepunkt in Bezug auf die Proteste war 2004, als der Dissens inländisch wurde.

LeVine: In Tunesien spielten die Gewerkschaften eine entscheidende Rolle in der Revolution, wie ihre große und disziplinierte Mitgliederzahl gewährleisteet, dass die Proteste nicht einfach zerschlagen werden konnten und gaben einen organisatorischen Rahmen. Was ist die Rolle der Arbeiterbewegung in Ägypten im aktuellen Aufstand?

Hamalawy: Die ägyptische Arbeiterbewegung war in den 1980er und 1990er Jahren ziemlich unter Beschuss von der Polizei, die im Jahr 1989 scharfe Munition gegen friedliche Streikende während eines Streiks in den Stahlwerken eingesetzt haben  und im Jahr 1994 in der Textilfabrikenstreiks. Aber allmählich, seit Dezember 2006, wurde unser Land Zeuge der größten und tiefgreifensten Streikwelle seit 1946, ausgelöst durch Textil-Streiks in der Nildeltastadt Mahalla, mit über 28.000 Arbeitnehmern Heimat der größten Arbeitskraftreservoirs im Nahen Osten. Es begann wegen arbeitsrechtlicher Fragen, aber wuchs in jeden Bereich der Gesellschaft, außer der Polizei und dem Militär.

Als Ergebnis dieser Streiks wir es geschafft, 2 unabhängige Gewerkschaften bekommen habe, die erste ihrer Art seit 1957 Grundsteuer Sammler, darunter mehr als 40.000 Beamte, und dann Gesundheit Techniker, mehr als 30.000, von denen eine Vereinigung ins Leben gerufen erst im vergangenen Monat außerhalb der staatlich kontrollierten Gewerkschaften.

Aber es stimmt, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen uns und Tunesien ist, dass es zwar eine Diktatur war, aber Tunesien einen semi-unabhängigen Gewerkschaftsbund hatte. Auch wenn die Führung mit dem Regime zusammenarbeitete, waren die mittleren Funktionäre militante Gewerkschafter. Also, als die Zeit für Generalstreiks kam, konnten die Gewerkschaften an einem Strang ziehen. Aber hier in Ägypten haben wir ein Vakuum, das wir hoffen, bald zu füllen. Unabhängige Gewerkschafter wurden Opfer von Hexenjagden, seit dem sie versucht haben sich zu etablieren. Es wurden bereits Klagen gegen sie durch staatliche und staatlich unterstützte Gewerkschaften eingereicht, aber sie werden stärker trotz der fortgesetzten Versuche sie zum Schweigen zu bringen.

Im Ergebnis dieser Streiks haben wir es geschafft zwei unabhängige Gewerkschaften zu kriegen, die ersten ihrer Art seit den Finanzbeamten 1957, die umfassen mehr als 40.000 Beamte, und schließlich die Angestellte im Gesundheitswesen, mehr als 30.000 von ihnen haben erst vergangenen Monat unabhängig von den staatskontrollierten Gewerkschaften eine Gewerkschaft gegründet.

Natürlich, in den letzten Tagen hat sich das harte Vorgehen gegen Demonstranten gerichtet, die nicht unbedingt Gewerkschafter waren. Diese Proteste haben ein breites Spektrum von Ägyptern, einschließlich Söhnen und Töchtern der Elite zusammengebracht. So haben wir eine Kombination aus städtischen Armen und Jugend gemeinsam mit der Mittelschicht und die Söhnen und Töchtern der Elite.

Ich denke Mubarak hat es geschafft, alle Bereiche der Gesellschaft mit Ausnahme seiner engen Kreis von Kumpanen zu entfremden.

LeVine: Die tunesische Revolution wurde als weitgehend eine “Jugend”-geführte geführte Revolte beschrieben und abhängig von sozialen Netzwerk-Technologien wie Facebook und Twitter für seinen Erfolg. Und nun sind die Menschen auf die Jugend in Ägypten als ein wichtiger Katalysator konzentriert. Ist das eine “Jugend-Intifada” und konnte es ohne Facebook und anderen neuen Medien geschehen?

Hamalawy: Ja, es ist von Grund auf eine Jugend-Intifada. Das Internet spielt nur eine Rolle, dass es sich herumspricht und Bilder verbreitet werden über das, was vor Ort vorgeht. Wir verwenden das Internet nicht um uns zu organisieren. Wir nutzen das Internet um zu veröffentlichen, was wir vor Ort tun in der Hoffnung, andere für Handlungen zu begeistern.

LeVine: Wie Sie vielleicht gehört haben, in den USA, der rechte Talkmaster Glenn Beck ist auf eine  ältere Akademikerin, Frances Fox Piven, losgegangen, wegen eines Artikels, den sie schrieb um die Arbeitslosen zu Massenprotesten für Arbeitsplätze aufzufordern. Sie erhielt sogar Morddrohungen, einige von Arbeitslosen über fröhliche Phantasien sie mit einer ihrer vielen Gewehre zu erschießen als tatsächlich für ihre Rechte zu kämpfen. Es ist erstaunlich über die entscheidende Rolle der Gewerkschaften in der arabischen Welt heute angesichts mehr als zwei Jahrzehnte des neoliberalen Regimes in der Region, deren primäres Ziel es war die Solidarität der Arbeiterklasse zu zerstören, nachzudenken. Warum blieben die Gewerkschaftenso wichtig?

Hamalawy: Gewerkschaften haben immer bewiesen, dass sie der Fangschuss für jede Diktatur sind. Sehen Sie nur nach Polen, Südkorea, Lateinamerika und Tunesien. Gewerkschaften waren immer maßgeblich beteiligt an Massenmobilisierungen. Man möchte einen Generalstreik um eine Diktatur zu stürzen und es gibt nichts besseres als eine unabhängige Gewerkschaft um das zu tun.

LeVine: Gibt es ein größeres ideologisches Programm hinter den Protesten oder nur Mubarak los zu werden?

Hamalawy: Jeder hat seine oder ihre Gründe auf die Straße zu gehen, aber ich nehme an, dass es Spaltungen geben wird, wenn der Aufstand erfolgreich ist und er gestürzt wurde. Die Armen wollen die Revolution zu einer viel radikaleren Position vorantreiben, vorantreiben zu einer radikalen Umverteilung von Reichtümern und die Korruption bekämpfen, wogegen die sogenannten Reformer, die Brüche (im Regime, Anm. daeva) erzeugen wollen und mehr oder weniger einen Wechsel an der Spitze unterstützen und die Macht des Staates ein bißchen zügeln wollen, aber einen Teil der Essenz des States beibehalten möchten.

LeVine: Was ist die Rolle der Muslimbrüder und wird ihre derzeitige Abwesenheit von den gegenwärtigen Protesten die Situation beeinflussen?

Hamalawy: Die Bruderschaft leidet seit dem Ausbruch der al-Aqsa-Intifada unter Spaltungen. Ihre Beteiligung an der Palästinasolidaritätsbewegung als es dazu kam dem Regime entgegen zu treten war furchtbar. Grundsätzlich, immer wenn ihre Führung einen Kompromiss mit dem Regime macht, besonders die letzte Politik des derzeitigen Amirs (Führer, Anm. daeva), hat es ihre Massenkader demoralisiert. Ich kenne persönlich viele junge Brüder, die die Gruppe verlassen haben. Einige haben sich anderen Gruppen angeschlossen oder blieben unabhängig. Als die derzeitige Straßenbewegung wuchs und sich die untere Führungsebene involvierte, wird es mehr Spaltungen geben, weil die oberste Führung nicht rechtfertigen kann, warum sie nicht Teil des neues Aufstandes sind. (3)

LeVine: Was ist mit der Rolle der USA in diesem Konflikt. Wie sehen die Leute auf der Straße ihre Position?
 

Hamalawy: Mubarak ist der zweitgrößte Empfänger von US-Auslandshilfe neben Israel. Er ist bekannt als Amerikas Schläger in der Region; eines der Instrumente der amerikanischen Auslandspolitik und setzt ihre Sicherheitsagenda für Israel und den reibungslosen Fluss des Öls um, während er die Palästinenser auf Linie hält. Deshalb ist es kein Geheimnis, dass seine Diktatur seit dem ersten Tag die Unterstützung der USA genoß, sogar während Bushs unechter pro-demokratischer Rhetorik. Deshalb sollte man nicht überrascht sein von Clintons lächerlichen Erklärungen, die mehr oder weniger Mubaraks Regime verteidigten, da ein Pfeiler der US-Außenpolitik ist, Regime auf Kosten von Freiheit und Bürgerrechten zu stabilisieren.

Wir erwarten nichts von Obama, den wir als großen Heuchler betrachten. Aber wir hoffen und erwarten vom amerikanischen Volk – Gewerkschaften, akademischen Vereinigungen, Studentenvereinigungen, Bürgerrechtsgruppen -, dass sie sich zu unserer Unterstützung bekennen. Was wir von der US-Regierung wollen ist vollkommen zu verschwinden. Wir wollen keinerlei Art von Unterstützung; nur kürzt sofort die Hilfe an Mubarak  und streicht eure Unterstützung für ihn, zieht von allen Basen im Nahen Osten ab und hört auf den Staat Israel zu unterstützen.

Letztendlich, Mubarak wird tun, was auch immer er tun muss um sich zu schützen. Er wird plötzlich die größte anti-US-Rhetorik übernehmen, wenn er denkt, dass würde ihm helfen seine Haut zu retten. Am Ende ist er seinen eigenen Interessen verpflichtet und wenn er denkt, dass die USA ihn nicht unterstützen, wird er sich irgendwo anders hinwenden. Die Wirklichkeit ist, dass irgendeine wirklich saubere Regierung, die in der Region an die Macht kommt, in offenen Konflikt mit den USA kommen wird, weil sie für radikale Umverteilung eintreten und die Unterstützung für Israel und andere Diktaturen beenden wird. Also erwarten wir keine Unterstützung von Amerika, nur lasst uns in Ruhe.

Anmerkungen

  1. Anm. gemeint ist die erste Intifada 1987.
  2. Anm. Mahalla el Kubra ist eine Industriestadt im Delta des Nils mit der größten Textilindustrie des Nahen Ostens. Proteste finden hier seit 2005 statt. Es haben sich darüber auch Selbstverwaltungen von Fabriken entwickelt.
  3. Yusuf al Qaradawi hat sich am Samstag, den 29.01.2011, auch gegen die Protest gewandt. Qaradawi ist momentan der intellektueller Vorreiter der Muslimbrüder. [

 

Editorische Anmerkungen

Das Interview erschien zuerst bei Al Jazeera. Die deutsche Version erschien am 29.1.2011 auf dem Blog KALIMA. Wir wurden gebeten von dort zu spiegeln. Dort heißt es einleitend zum Interview:

Das Interview ...  von Mark LeVine geführt. LeVine hat sich mit sozialen Bewegungen und Kommunikation im öffentlichen Raum beschäftigt. Ansonsten ist er Geschichtsprofessor in Irvine/Kalifornien und macht Kuschelrockmusik. Hossam al Hamalawy ist ein bekannter Blogger auf “3Arabawy”.  Der letzte Teil gibt auch einen Einblick in seine etwas naive Sicht in außenpolitischen Dingen (u.a. in Wirtschaftsfragen). Das Interview ist an der ein oder anderen Stelle vom Satzbau nicht so gelungen, was aber am Interviewpartner liegt, der Sätze während des Sprechens modifiziert hat. Das ist natürlich typisch für Interviewsituation.