trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Die Aufgaben der ägyptischen Revolution: Mubarak wurde gestürzt, doch jetzt muss es darum gehen, die Revolution permanent zu machen

Stellungnahme der Liga für die Fünfte Internationale (LFI) nach dem Rücktritt von Mubarak

02/11

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Freitag der 11. Februar 2011 ist ein historischer Tag in der arabischen Welt und auch im Rest der Welt geworden. Die diktatorische Präsidentschaft von Hosni Mubarak, eine der stabilsten der Region, ist zusammengebrochen, nachdem Millionen ÄgypterInnen die Straßen beinahe in jedem Dorf und in jeder Stadt gefüllt haben. Das staatliche Fernsehen, der Präsidentenpalast, das Parlament – all diese Gebäude waren von DemonstrantInnen umstellt.

Die emotionale Erleichterung war unbeschreiblich – die Bilder von feiernden ÄgypterInnen wurden in aller Welt übertragen. Es waren die Bilder von Menschen, die gekämpft und einen beeindruckenden Sieg errungen haben. Neben dem Bildmaterial zum Zusammenbruch der Berliner Mauer und dem Kampf für Bürgerrechte in den USA wird sich auch der Tahrir-Platz in diese Berichterstattungen einreihen.

Die Enttäuschung nach der Anspräche des Präsidenten am Donnerstag, in der alle den Rücktritt von Mubarak erwartet hatten, wurde durch Erleichterung und Hoffnung ersetzt.

Alle, welche die Hoffnung während der Auseinandersetzungen mit den Reichen und Mächtigen verloren hatten, alle, die gedacht haben, dass die Macht von Regierungen und Diktatoren zu stark sei, können nach den ägyptischen Ereignissen neue Kraft tanken. Eine Frau sagte in einem Interview mit Al Jazeera: „Ich habe auf diesen Moment mein ganzes Leben gewartet, nicht nur als Ägypterin, sondern auch als Frau. Jetzt ist alles möglich, sogar Freiheit für Palästina.“

In der Tat gab es zwar Zeiten, in der die Revolution zu langsam erschien, vielleicht sogar ihre Richtung verloren hatte, doch die ungebrochene Entschlossenheit der Massen, die sich selbst befreien wollten, wurde zur zentralen Triebkraft der ägyptischen Politik. Konfrontiert mit diesen Kräften kam es zu Rissen und Spaltungen innerhalb des Regimes, die Armee war paralysiert und die verhasste Polizei wurde von der Straße gezwungen. Die ägyptische Revolution ist der Beweis, dass Massenmobilisierungen Regime stürzen können. Die Revolution zeigt auch, dass angesichts des Drucks der Ereignisse der mächtige US-Imperialismus verblüfft war und die Welle an Protesten nicht stoppen konnte.
Der Grund für die Manöver des Regimes am 10. Februar und die darauf folgende Ansprache des Präsidenten kann eindeutig im organisierten Eintreten der ArbeiterInnenklasse in den Kampf gefunden werden. Die Sturheit und Unnachgiebigkeit von Mubarak, seine Weigerung zurückzutreten, obwohl ihm das Militär bereits die Unterstützung entzogen hatte, hat nach dem Freitagsgebet am 11. Februar noch mehr Menschen auf die Straßen gebracht und seinen Sturz besiegelt.

Mubarak hat nun endgültig sein Amt niedergelegt – Millionen Menschen im Nahen Osten werden nun gespannt die kommenden Ereignisse beobachten. Wer wird als nächster mit Massenprotesten konfrontiert? Wer wird als nächster gestürzt? Die Monarchien von Jordanien und Saudi Arabien werden sich auch nicht ewig halten können. Das iranische Regime wird bereits vor Angst zittern.

Die ägyptische Revolution ist noch nicht vorbei

Als Mubarak zurückgetreten war, hat er seine Macht nicht an Suleiman, sondern an die Armee abgegeben. Jetzt regiert der Hohe Rat der Streitkräfte das Land. Viele der DemonstrantInnen haben tiefe Illusionen in die Armee. „Die Menschen und die Armee sind vereint“ ist eine verbreitete Losung auf den Straßen und am Tahrir-Platz. Als eine Stellungnahme, um die Basis der Soldaten für die Proteste zu gewinnen, ist dieser Slogan lobenswert, doch wenn es um die Armeeführung geht stimmt er nicht mehr. Die Armee ist eine Institution, die nicht die selben Interessen wie die breite Mehrheit der Bevölkerung hat. Natürlich: die Masse der Soldaten wird aus der ArbeiterInnenklasse und der städtischen Armut rekrutiert, oftmals haben sie sich aufgrund des wirtschaftlichen Zwangs der Arbeitslosigkeit verpflichtet. Doch die Generäle an der Spitze sind ohne Zweifel Teil des alten Regimes. Der Fall Mubaraks wurde durch eine Revolution ausgelöst, die einen Teil des Regimes gezwungen hat, einen anderen zu opfern; die Generäle sind jedoch mindestens so korrupt wie andere Teile des Regimes.

Die Rolle des Militärs in der Politik ist fast immer eine negative. In Pakistan hat das Militär oft in die Politik interveniert, um die Ordnung wiederherzustellen, hat Generäle die Verantwortung von Regierungen übertragen und sich anschließend geweigert, die Macht abzugeben. In der Türkei hat die Armee regelmäßig in die Politik interveniert, entweder durch einen Militärputsch oder die Androhung eines solchen. In Portugal hat das Militär nach der Revolution 1974 die Macht übernommen und eine Übergangsregierung installiert, die für zwei Jahre im Amt blieb, bevor die ersten verfassungsmäßigen Wahlen stattfanden.

Die Armee setzt die Stabilität und geregelte Ordnung über alles. Sie ist eine hoch zentralisierte Repressionsmaschine und ein zentraler Bestandteil des kapitalistischen Staates. Die Armee muss gespalten werden, so wie auch die NDP und das Regime gespalten wurden.

Genau das ist die nächste Frage, die von der Revolution beantwortet werden muss. Der Präsident ist verschwunden, aber die Armee bleibt. Die Industriebosse behalten ihre Stellung. Die kapitalistische Klasse bleibt in ihrer Position. Die westlichen Botschaften, die mit Spionen und Diplomaten ausgestattet sind, um damit ihre Interessen zu sichern, bleiben unberührt.

Die Energie und die Größe der Bewegung kann noch mehr erreichen – die ArbeiterInnenklasse muss ihre Streiks fortsetzen, muss ihre wirtschaftlichen und sozialen Forderungen aufrechterhalten und ihre Macht konsolidieren. Nur eine verfassunggebende Versammlung, die von allen gewählt werden kann und deren Delegierte rechenschaftspflichtig sind, kann eine wirklich neue Verfassung ausarbeiten. Die Macht muss in die Hände der ArbeiterInnenklasse und der Armen gelegt werden und durch ihre eigenen Komitees des Widerstandes gefestigt werden. Die Armee hat bereits versprochen, den Ausnahmezustand zurückzunehmen – doch dieser muss sofort zurückgenommen und volle demokratische Rechte müssen gewährleistet werden.

Die Liga für die Fünfte Internationale steht in absoluter Solidarität mit den ägyptischen Massen und mit allen Menschen und Völkern, die gegen Unterdrückung kämpfen. Wir solidarisieren uns mit der ägyptischen ArbeiterInnenklasse, die sich gerade im Widerstand befindet – jetzt ist die Aufgabe des Tages, eine revolutionäre Partei zu gründen. Millionen mehr werden sich an Ägypten orientieren und den Widerstand in Revolutionen umwandeln. Die Zukunft gehört den Milliarden, nicht den Milliardären.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 535
14. Februar 2011

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