Ökonomische Germanisierung Europas

von
Tomasz Konicz

02/11

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Der Chef der Europäischen Zentralbank EZB, der Franzose Jean-Claude Trichet, bezog am vergangenen Montag in den Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der künftigen europäischen Wirtschaftspolitik eindeutig Stellung: „Wir müssen die Überwachung der Wirtschaftspolitik verstärken“, forderte der Präsident der EZB in einem Zeitungsinterview. Die Eurozone brauche eine koordinierte und „streng kontrollierte Wirtschaftspolitik.“ Damit stärkt Trichet dem französischen Präsidenten Nicola Sakozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel den Rücken, die mit ihrer bilateral koordinierten Initiative zur Durchsetzung eines „EU-Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“ europaweit auf Empörung und erbitterten Widerstand stießen.

Die seit dem Brüssler EU-Gipfel vom 4. Februar eskalierten Auseinandersetzungen belasteten auch das Treffen der europäischen Finanzminister am vergangenen Montag. Es gebe „ein paar Dinge auszuräumen“, erklärte der luxemburgische Finanzminister Luc Frieden im Vorfeld der Zusammenkunft unter Bezugnahme auf das rabiate deutsch-französische Vorgehen beim EU-Gipfel: „Der Auftritt hat zu der Wahrnehmung geführt, dass es eine deutsch-französische Idee gibt, die die anderen nur schlucken müssen.“ Die Bürger in den anderen europäischen Ländern würden diese umfassenden Reformvorhaben als ein „Diktat aus Berlin und Brüssel“ empfinden. Massive Kritik an dem Vorhaben übten zuvor unter anderem Spitzenpolitiker Belgiens, Polens, Ungarns, der Slowakei, Luxemburgs, Italiens, Irlands und sogar Österreichs, das eigentlich als ein treuer Verbündeter Berlins gilt.

Dabei ist die Handschrift Berlins bei den konkreten Bestimmungen des „EU-Pakts für Wettbewerbsfähigkeit“ unverkennbar. Deutschlands Politik der massenhaften Prekarisierung, des fortgesetzten Lohnkahlschlags und der aggressiven Exportfixierung soll europaweit exportiert werden. Die Mitgliedsländer de Eurozone sollen sich demnach dazu verpflichten, das Renteneintrittsalter anzuheben und eine „Schuldenbremse“ nach deutschem Muster einzuführen. Zudem soll die Kopplung der Löhne an die Inflationsentwicklung, wie sie in etlichen EU-Ländern üblich ist, abgeschafft werden, um so Reallohnsenkungen durchzusetzen. Schließlich sieht der EU-Pakt auch eine europaweite Angleichung der Körperschaftssteuersätze vor. Dieser zwischen Berlin und Paris abgesprochene Vorstoß wurde den anderen europäischen Regierungschefs ohne vorherige Konsultationen am 4. Februar präsentiert, wobei dessen rasche Durchsetzung auch noch außerhalb der europäischen Institutionen im Rahmen multilateraler Verträge realisiert werden sollte.

In einer Hintergrundanalyse legte Gavin Hewitt , der Europa-Korrespondent der BBC („France-Germany pact resisted“), die machtpolitischen Hintergründe dieses deutsch-französischen Vorstoßes offen. Demnach sei Frankreich bestrebt, Deutschland an das „europäische Projekt“ zu binden, um so künftige deutsche Sonderwege zu verhindern. Deshalb habe Paris der Regierung in Berlin angeboten, Europa im Rahmen einer „engen ökonomischen Integration“ entlang „deutscher Standards umzuformen“. Frankreich hätte somit sein Ziel einer stärkeren europäischen Integration Deutschlands erreicht, während Berlin die konkrete wirtschaftspolitische Ausformung dieses Integrationsschubs - der in einer künftigen „europäischen Wirtschaftsregierung“ münden soll - entlang deutscher Interessen diktieren könne. Im Gegenzug musste sich Deutschland verpflichten, künftigen Rettungsmaßnahmen in der Eurozone zuzustimmen.

Auf genau dieses Junktim zwischen der Durchsetzung des neoliberalen"EU-Wettbewerbspakts" und der Etablierung eines dauerhaften EU-Rettungsfonds pocht derzeit Berlin. Der beim besagten montäglichen Finanzminister-Treffen beschlossene Krisenmechanismus ESM (European Stability Mechanism) könne laut dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble nur Teil eines „Gesamtpaketsg sein, dass auch „Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Wachstumspakts und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Eurozoneg beinhalten müsse. Bis Mitte März wollen Berlin und Paris das „Gesamtpaketg aus ESM und „EU-Wettbewerbspaktg durchpeitschen. Während die Euro-Finanzminister sich einhellig auf die Gründung dieses 500 Milliarden Euro umfassenden, dauerhaften Rettungsfonds ab 2013 einigen konnten, lehnte Schäuble eine Erhöhung der Mittel des vorläufigen Rettungsschirms EFSF (European Financial Stability Facility) ab. Beim EFSF sind de facto nur 250 Milliarden Euro abrufbar. Die Finanzmärkte seien dermaßen „stabil,"dass es besser wäre, sie „sie nicht durch eine solche Diskussion zu beunruhigen," so die windschiefe Logik Schäubles. Nur wenige Tage zuvor erreichten die Renditen für zehnjährige portugiesische Staatsanleihen mit 7,64 Prozent neue historische Höchststände.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Tomasz Konicz betreibt einen Blog mit Nachrichten aus Osteuropa.