trend spezial:  Die Aufstände in Nordafrika

Ägypten und der Imperialismus

Stefan Horvath (RSO Wien)

02/11

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Ägypten war über Jahrzehnte ein überaus wichtiger Partner für den „westlichen“ Imperialismus in der arabischen Welt. Die jüngsten revolutionären Erhebungen stellen die imperialistischen MachthaberInnen nun aber vor neue Herausforderungen...

Wie andere Länder der Region auch (zum Beispiel Syrien) lehnte sich Ägypten in den 1960er Jahren an die stalinistische Sowjetunion an. Der „Nasserismus“ unter Staatspräsident Gamal Abdel Nasser verstaatlichte wesentliche Teile der Ökonomie (ohne die kapitalistisch Funktionsweise der Wirtschaft grundsätzlich anzutasten), gab sich verbalradikal antiimperialistisch und sozialistisch. In den 1970er Jahren kam es jedoch unter Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat zu einem Wechsel in Richtung einer Anlehnung an die USA und Israel. 1979 wurde schließlich ein Friedensvertrag mit Israel geschlossen – der die Aufhebung des Kriegszustandes, gegenseitige Anerkennung sowie die Rückgabe der Sinai-Halbinsel an Ägypten vorsah.

Gleichzeitig privatisierte das Sadat-Regime (später von Mubarak fortgeführt) Staatsbetriebe, lockerte wirtschaftliche Einschränkungen und öffnete die Ökonomie gegenüber stärkerer imperialistischer Durchdringung. So entstanden auch die Bedingungen, die den Nährboden für die gegenwärtige Revolte bilden: Armut, (Jugend-)Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit für die breite Masse und eine enorme soziale Polarisierung; jene Revolte, die den Imperialismus nun vor neue Herausforderungen stellt.
Reaktionen des Imperialismus

Zu Beginn der Massenproteste in Kairo, Alexandria und anderen ägyptischen Großstädten waren die Regierungen in Europa und Nordamerika überrascht und mit der Situation überfordert. Vor kurzer Zeit noch undenkbar, stellte eine Massenbewegung plötzlich den Langzeitpräsidenten Husni Mubarak in Frage, seines Zeichens essentieller Verbündeter der USA und anderer imperialistischer Staaten. Erst als sich immer mehr herauskristallisierte, dass Mubarak nicht mehr haltbar ist, änderten die einzelnen RegierungsvertreterInnen schrittweise ihre Position.

Nachdem sich etwa die US-Regierung anfänglich noch klar hinter Mubarak stellte, forderten dann Obama, Clinton und andere VertreterInnen des US-Imperialismus immer deutlicher eine Ablöse des verhassten Diktators. So meinte Obama nach der letzten Fernsehansprache von Mubarak vor seinem Rücktritt, die ägyptische Regierung müsse einen „glaubwürdigen, konkreten und unmissverständlichen Pfad in Richtung einer echten Demokratie einschlagen, und sie habe diese Gelegenheit noch nicht beim Schopf ergriffen“.

Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton sprach sich für einen umgehenden Machtwechsel in Ägypten aus: „Die Zeit für den Wechsel ist jetzt“, erklärte Ashton und meinte, Mubarak habe „den Weg für schnellere und umfassendere Reformen noch nicht freigemacht“. Die Europäische Union werde sich jedenfalls weiterhin für einen „geordneten, sinnvollen und dauerhaften Wandel“ in Ägypten einsetzen. Von einem „geordneten Übergang“ sprach auch Angela Merkel auf dem unlängst in München abgehaltenen Kriegstreibertreffen („NATO-Sicherheitskonferenz“).

Signifikante Interessenunterschiede zwischen US- und EU-Imperialismus scheint es in dieser Frage bislang nicht zu geben. Doch was meinen die „hohen“ Damen und Herren, wenn sie von einem „geordneten“ und „sinnvollen“ Wandel sprechen? Sowohl Clinton als auch Merkel warnten auf der Münchner Konferenz vor einem „zu schnellen“ Übergang zur „Demokratie“. Diese könne „Instabilität“ hervorrufen oder sogar zu einem neuen „autoritären Regime“ führen.

Der Imperialismus und die Demokratie

Nun, autoritäre Regime haben den US- und EU-Imperialismus nie gestört – solange sie nur kooperiert haben. Das sehen wir etwa am Beispiel Saudi-Arabien, wo ein extrem reaktionäres Königshaus regiert, dass Homosexualität unter Todesstrafe stellt und Frauen das Autofahren in Städten verbietet. Wo bleiben hier die Forderungen der imperialistischen OberheuchlerInnen aus Washington, Berlin oder Paris nach Demokratisierung? Und wo waren sie, als Ben Ali und Husni Mubarak noch fest im Sattel saßen?

Wovor Obama, Merkel und Co. Angst haben, ist, dass hier Kräfte an die Macht kommen, die nicht gewillt sind, den Kofferträger für den Imperialismus zu spielen. Dabei kann es sich – theoretisch – um islamistische Kräfte handeln, so wie etwa im Iran 1979, wo es islamischen Fundamentalisten gelungen ist, eine anfangs progressive Revolution zu okkupieren (mehr dazu in "Revolutionen nach 1945 "). Doch es liegt in der sozialen Systematik islamistischer Strömungen, dass sie, da sie keine über die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse hinaus gehende Perspektive haben immer wieder zu einem Deal mit dem Imperialismus finden müssen (siehe etwa die Taliban Mitte der 90er Jahre – sieh dazu "Antikriegsbewegung und Islamismus "). Und schließlich gibt es gegenwärtig in Ägypten auch gar keine relevanten islamistischen Kräfte, die auf Konfrontationskurs mit dem Imperialismus gehen würden. So hat etwa Essam El Eryan, einer der führenden Vertreter der einflussreichen Muslimbrüderschaft, in einem israelischen Fernsehinterview gesagt, dass er die Verträge Ägyptens mit Israel nicht antasten würde. Und ausländische islamisch-fundamentalistische Kräfte verfügen über zu wenig Verankerung in Ägypten. Wenn der irakische Al-Qaida-Ableger mit deutlicher Verspätung völlig aufgesetzt zum „heiligen Krieg“ im nordafrikanischen Land aufruft, dann zeigt das letztendlich doch nur, wie wenig Einfluss diese jämmerliche Organisation auf die derzeitige Massenbewegung hat.

Was die imperialistischen Regierungen um jeden Preis verhindern wollen, ist, dass die Massen in Ägypten, Tunesien und der (arabischen) Welt überhaupt sich ihrer Kraft bewusst werden und selbst die Initiative ergreifen. Eine Erhebung der mächtigen arabischen ArbeiterInnenklasse, die sich angesichts der gegenwärtige ökonomischen Weltlage ausbreiten könnte wie ein Flächenbrand – das kann der Imperialismus am wenigsten gebrauchen. Gerade Ägypten ist ökonomisch und geostrategisch gesehen für den „Westen“ eines der wichtigsten Länder der Region. Durch den 162 km langen Sueskanal gehen fast zehn Prozent des weltweiten Seehandels, darunter ein erheblicher Teil der Öllieferungen. Ein Ausfall der günstigen Konditionen, zu denen Schiffe den Wasserweg benutzen können, würde den Ölpreis nachhaltig nach oben treiben. Der Kanal gilt daher als einer der sieben zentralen geografischen Punkte, die vom US-Energieministerium als besonders wichtig für den globalen Ölhandel eingestuft werden.

In der Sprache des Imperialismus bedeutet ein „sinnvoller“ Übergang eine Ablösung des alten bürgerlich-kapitalistischen Regimes durch ein neues bürgerlich-kapitalistisches Regime mit neuen, in der Bevölkerung beliebten Köpfen an der Spitze, gleichzeitig aber starken personellen und organisatorischen Kontinuitäten. In der Sprache Obamas bedeutet das: „Die USA waren und sind ein Freund Ägyptens.“ Richtig! Die Herrschenden der USA waren ein Freund des Mubarak Regimes, genauso, wie sie nun mit einer neuen Führung nach ihren Vorstellungen befreundet sein wollen.

Welche konkrete Person nun an der Spitze steht, ist für den Imperialismus relativ egal, solange seine Bedingungen erfüllt sind. So gilt etwa der bisherige Vize-Präsident Omar Suleiman als Favorit Israels und auch der USA, wie auf Wikileaks veröffentlichte Depeschen aus dem Jahr 2008 zeigen. Doch der ehemalige Geheimdienst- und Folterchef Suleiman ist auch nicht gerade der Liebling der Massen. In der arabischen Welt gut verkaufbar wäre wohl auch der der ehemalige IAEO-Generaldirektor Mohammed el-Baradei, der gegen den Irak-Krieg war, jedoch trotzdem pro-imperialistisch genug eingestellt ist.

Die spannende Frage ist natürlich, ob sich die ägyptischen Massen diese oder ähnliche Figuren aufschwatzen und als „Wandel“ verkaufen lassen. Die gegenwärtige Dynamik der Bewegung, die auch stark von Streiks in verschiedenen Branchen geprägt wird, spricht eher nicht dafür. Andererseits fehlt eine relevante revolutionäre Organisation, die imstande wäre, eine tatsächlich systemüberwindende Perspektive zu geben und die Proteste weiter zu treiben.
„Demokratischer Wandel“

Nach dem Rücktritt von Mubarak scheint es nun so, als würde sich die ganze Welt mit den Massen in Ägypten freuen. Von Sarkozy („historischer Moment“) über Obama („Die Ägypter haben uns inspiriert“) bis hin zum iranischen Außenminister Ali Akbar Salehi („Sieg“) übten sich die Regierungen weltweit im Süßholz raspeln. Dass nun die Armee vorübergehend (auch) formell die Macht im Land übernommen hat – und nicht etwaige Revolutionskomitees oder ArbeiterInnenmilizen - , ist natürlich ganz im Sinn des Imperialismus, der möglichst schnell wieder „Stabilität“ (NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen) im Land sehen will.

Nun wollen die imperialistischen Regierungen „die Entwicklung in Richtung Demokratie zu unterstützen“, wie es der deutsche Außenminister Guido Westerwelle ausdrückte. Gleichzeitig müssen natürlich Warnungen vor einem „zu schnellen Übergang zur Demokratie“ a la Merkel berücksichtigt werden. Übersetzt heißt das: Es soll bürgerlich-demokratischen Wahlen geben, allerdings nicht zu schnell, damit vorher noch besonders pro-“westliche“ Strömungen und Parteien aufgebaut werden können, die stark genug sind, das Land im Sinne von USA und EU zu führen. Das heißt: Weiterführung günstiger Handelsbedingungen und guter Konditionen bei der Benutzung des Sueskanals, Kooperation im „Kampf gegen den Terror“, Unterstützung Israels bei der Unterdrückung des palästinensischen Widerstands und so weiter.
Internationale Solidarität

USA und EU werden alles tun, um eine Weiterführung der ägyptischen Revolution hin zu einer wahren Demokratie der ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und verarmten Massen, hin zu einer Vergesellschaftung der kapitalistischen Wirtschaft zu verhindern. Doch dieser Weg ist der einzige, der eine dauerhafte und umfassende Verbesserung der sozialen Lage großer Teile der ägyptischen Bevölkerung bringen könnte. Die ägyptische ArbeiterInnenklasse braucht keine heuchlerischen Glückwünsche der KriegstreiberInnen in Washington, Berlin oder Paris. Was sie braucht, ist die Solidarität der ArbeiterInnenbewegung hier, im Herzen des Imperialismus. Und die beste Solidarität, die wir geben können, ist immer noch der Kampf vor Ort, gegen die eigene herrschende Klasse.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel von der RSO-Website.