Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Polemik um die Ehrung des Antisemiten & Schriftstellers Lous-Ferdinand „Céline“

02/11

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Am 19. Januar dieses Jahres schlug Serge Klarsfeld Alarm. Der Vorsitzende der Vereinigung „Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten aus Frankreich“, von manchen auch – was mitunter abschätzig gemeint ist – als „Nazijäger“ bezeichnet, war zornig. Und dies nicht ohne Grund. Wie er soeben entdeckt hatte, war dem berühmten Schriftsteller und Antisemiten Louis-Ferdinand Céline ein unerwarteter Ruhm in Aussicht gestellt worden. Der am 1. Juli 1961 verstorbene Vorstadtarzt und nebenberufliche Schriftsteller ist allgemein als „Céline“ bekannt: Er hieß mit richtigem Namen Louis-Ferdinand Destouches, hatte aber als Autorenpseudonym den Vornamen seiner Grobmutter angenommen.

In einer offiziellen Hochglanzbroschüre unter dem Titel „Nationale Gedenkfeiern 2011“ wurden vor kurzem jene Persönlichkeiten aufgelistet, derer im laufenden Jahr gedacht werden sollte. Unter ihnen auch, im fünfzigsten Jahr seines Todes, Céline. Die Broschüre war das Werk eines bis dahin weitgehend unbekannten „Hohen Komitees für die nationalen Gedenkfeiern“, einer jener Ausschüsse mit hochtrabendem Namen, die man in französischen Institutionen liebt. Als Herausgeber firmierte jedoch das Kulturministerium, dem das obskure Gremium zuarbeitete.

Kulturminister vollführt Rückzieher

Kulturminister Frédéric Mitterrand gab schnell nach. Am 21. Januar alarmierte zunächst eine Internetnutzerin die Onlinezeitung Rue89: Der Name Louis-Ferdinand Célines sei soeben von der Webseite des Nationalarchivs – wo die groben Persönlichkeiten des Jahres 2011 aufgelistet waren – verschwunden, nachdem der erste Zeitungsartikel über die einsetzende Polemik veröffentlicht worden war. Kurz darauf trat Frédéric Mitterrand vor die Presse und verkündete offiziell seine Entscheidung: Céline sei von der Liste des Gedenkens für das Jahr 2011 entfernt worden. In der Nacht zuvor, führte der Minister zur Begründung an, habe er noch einmal das Buch Bagatelles pour un massacre des Schriftstellers aus dem Jahr 1937 gelesen. Es handelt sich um das erste manifest antisemitische Werk Célines, das auf quasi jeder Seite Hasstiraden enthält. Diese Lektüre habe ihm genügt. Das schriftstellerische Talent Célines, das „bis hinein in seine abscheulichsten Schriften unbestreitbar“ sei, stehe nicht in Abrede. Aber ein offizielles Gedenken erfolge im Namen „der Werte der Republik“. Tatsächlich werden solche Persönlichkeiten geehrt, „deren Lebenswerk, deren Reputation, deren moralisches Verhalten“ dafür sprechen, so lautet die offizielle Formulierung. Und dies sei im Falle Célines „im Augenblick und, ich glaube, für immer unmöglich“, fügte Mitterrand hinzu.

Zuvor hatte Serge Klarsfeld ihm mit politischen Konsequenzen gedroht für den Fall, dass der Namen Célines in der Gedenkbroschüre beibehalten werde. Er verglich die geplante Ehrung mit der Kranzniederlegung, die der Cousin des amtierenden Kulturministers – der 1996 verstorbene frühere Staatspräsident François Mitterrands – zunächst alljährlich im November am Grab des Marschalls Philippe Pétain durchführte. Der „sozialistische“ Präsident, der selbst eine Vichy-Vergangenheit hatte, führte dazu stets an, er ehre ja nicht den Chef der Kollaborateursregierung in Vichy, sondern den französischen „Sieger des Ersten Weltkrieges“. Doch im Jahr 1993 sorgte öffentlicher Druck dafür, dass die Kranzniederlegung auf der Insel Ile d’Yeu unterblieb.

Doch der durch Frédéric Mitterrand angeordnete Orientierungswechsel war nicht nach dem Geschmack aller Beobachter. Während der Filmemacher und Schöpfer des Dokumentarfilms Shoah, Claude Lanzmann, ihn im Wochenmagazin Le Point (Ausgabe vom 27. Januar 11) energisch verteidigte, vertraten andere Zeitgenossen vehement die Gegenauffassung. Und dies nicht nur notorische Antisemiten und Geschichtsrevisionisten.

So erklärte der Schriftsteller Philippe Sollers, ein Schicki-Micki-Autor mit eher vage liberalen Auffassungen, er sei „absolut bestürzt“. Denn, so seine Begründung, „wie schon Hemingway sagte: wenn die Lage schlecht ist, dann bekommt die Literatur als Erste ihr Fett ab. Wir haben hier eine niederschmetternde Vorführung davon. Das Kulturministerium ist zum Zensurministerium geworden.“ Aus anderen Gründen nahmen auch die jüdischen Intellektuellen Bernard-Henri Lévy (BHL) und Alain Finkielkraut gegen die Entscheidung Mitterrands Stellung. BHL vertrat dabei die Auffassung, man dürfe sich „blob nicht dem Gedenken an Céline widersetzen“, denn dieses sei eine gute Gelegenheit, aufzuzeigen, „dass man gleichzeitig ein sehr grober Schriftsteller und ein absoluter Schweinehund sein kann“.

Exkurs:  Der NeoReaktionär Alain Finkielkraut: Der nazi-nahe Schriftsteller ist egal - Hauptsache, es wurde gegen linke Kritik am Staat Israel vorgegangen

Alain Finkielkraut, der in den letzten Jahren vom Maoismus der siebziger Jahre zu einem konservativ-reaktionären Kulturelitismus überging, führte hingegen stärker politische Beweggründe ins Feld. Er argumentierte, es sei falsch, wenn jüdische Persönlichkeiten sich gegen das Abfeiern Célines in die Bresche würfen. Denn dies drohe „politische Konsequenzen“ zu haben, „indem es der Idee Nahrung gibt, dass die ,jüdische Lobby’ in Frankreich bestimmt“. Finkielkraut zog eine Parallele zu einer anderen Polemik, die sicherlich von der Auseinandersetzung um Céline sehr unterschiedlich zu bewerten ist.

Der 93jährige frühere Widerstandskämpfer und KZ-Häftling Stéphane Hessel war in den letzten Wochen durch sein schmales Büchlein „Empört Euch!“ sehr berühmt worden, das im November erschien und schnell in rund einer Million Auflage verkauft worden war. Darin fordert der alte Mann, der auch – als Leiter eines thematischen Unterausschusses - an der Ausarbeitung der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 beteiligt war, legt darin die moralischen Gründe dafür dar, warum die junge Generation sich engagieren solle: Hunger in der Welt, die extremen Ungleichheiten und die Behandlung von Einwandern in Frankreich dürften heute nicht gleichgültig lassen.

Neben diesem moralischen, freilich sehr im Allgemeinen bleibenden Appell tritt Hessel aber auch als Kritiker der israelischen Regierungspolitik auf, die ihn „als Juden“ moralisch schockiere. Und er befürwortete in jüngster Zeit Wirtschaftssanktionen, um einen Rückzug Israels aus den besetzten palästinensischen Gebieten herbeizuführen. Dies trug ihm nicht nur polemische Angriffe ein – der neokonservative Autor Pierre-André Taguieff sprach in einem Facebook-Eintrag davon, „dieser Giftschlange den Kopf zu zermalmen“, zog ihn jedoch nach Bekanntwerden schnell zurück -, sondern auch einen Aufruf jüdischer Einrichtungen zur Absage von Konferenzen mit Stéphane Hessel. Ein Auftritt des 93jährigen an der Seite anderer Prominenter, unter ihnen Régis Debray, bei einer Diskussionsveranstaltung an der Ecole Normale Supérieure wurde daraufhin im Januar 2011 durch deren Direktion unterbunden. Das harsche Auftreten der eher rechtsgerichteten Teile der jüdischen Einrichtungen gegen Stéphane Hessel rief, aufgrund der Persönlichkeit und der weithin als integer geltenden Beweggründe des Mannes, in breiten Kreisen Unverständnis oder Unmut hervor.

Finkielkraut fürchtete nun, ein Vorpreschen gegen das Gedenken an Céline werde dies nur noch verschlimmern. Hintergrund ist aber auch, dass Finkielkraut der erklärten Auffassung ist, die historischen Antisemiten, Nazis und anderen Rechten sei heute eine vernachlässigbare Gefahr – eine antisemitische Bedrohung gehe vielmehr von Linken und Arabern aus. Aufgrund dieser persönlichen Auffassung dürfte er die Kritik an den antisemitischen Tiraden Célines eher geringer bewerten als den aktuellen Einsatz gegen Kritiker der israelischen Regierungspolitik.

„Echte“ Antisemiten melden sich zu Wort

Natürlich rief die Entscheidung Frédéric Mitterrands tatsächlich auch schnell diverse Antisemiten auf den Plan. So den gern Verschwörungstheorien anhängenden und immer wieder diffus antisemitische Inhalte verbreitenden Schriftsteller Marc-Edouard Nabé, dem das konservative Wochenmagazin ‚Le Point’ (a.a.O.) immerhin zwei Drittelseiten einräumte. Dort bezeichnet er Louis-Ferdinand Céline wörtlich als „gröbten Schriftsteller aller Zeiten“; und beschwert sich darüber, der Kulturminister habe „auf Befehl eines einzigen Bürgers, Serge Klarsfeld“, hin gehandelt. Er vergleicht dieses angebliche Diktat mit der Unterstützung der französischen Regierung für die vor kurzem gestürzte Diktatur Tunesiens, schlägt dann aber eine Wendung ein, um von einem faktischen Triumph Célines zu sprechen: Er habe schon immer die Ehrungen des Establishments verabscheue und wäre deswegen wohl auch zufrieden gewesen.

Sonstige Stimmen

Der Schauspieler Fabrice Luchini, der selbst antisemitischer Auffassungen unverdächtigt ist, aber früher vor ausverkauften Sälen aus den Werken Célines – ihrem inhaltlich nicht umstrittenen Teil – rezitierte, erklärte sich ebenfalls „konsterniert“. Und er fragte: „Wird man ,Le voyage au bout de la nuit?’ aus den Buchhandlungen nehmen?“

Die Position Luchinis rührt an eine sensible Stelle, denn tatsächlich rührt die Reputation Célines als „literarisches Genie“ zu groben Teilen von dieser Schrift „Reise ans Ende der Nacht“, die er im Jahr 1932 publiziert. Darin schildert Céline die Schlächterei des Ersten Weltkriegs in extrem grellen Farben, schildert apolakyptische Szenen voll von Fleischstücken, züngelnden Flammen, Schreien. Zu jener Zeit tritt Céline auch als Kritiker des französischen Kolonialismus in Erscheinung. Der Arzt und Autor, der im Ersten Weltkrieg zeitweise zur Leitung einer Plantage in Kamerun abgestellt worden war, schildert etwa Offiziere an Bord eines Schiffes – das sie gemeinsam nach Douala transportiert -, wie sie unter dem Einfluss von Hitze und Tropenkrankheiten allmählich von innen her in Verwesung übergehen. Dabei spart Céline nicht mit Namenswitzen, anatomischen Details und despektierlichen Betrachtungen über ihr organisches Innenleben. Dieser bis dahin unbekannte und unerhörte Stil, aber auch das Spiel Célines mit der Interpunktion und das- ebenfalls neue – Einbringen von Umgangssprache oder sexuell konnotierten Ausdrücken in die Literatur machten einen Bruch mit bis dahin herrschenden literarischen Standards aus. Er begründete Célines Ruf als Schriftsteller. Aber die Wortspiele mit Namen, die Reduzierung von Menschen auf Fleisch und ein oft abgrundtiefer Zynismus wendeten sich bei Céline wenig später in sprachliche Gewalt, als er ab 1937 und auch unter der Kollaboration offen gegen Juden hetzte. Dieses Thema kam bei ihm im Kontext der Weltwirtschaftskrise, einer allgemeinen gesellschaftlichen Verunsicherung und dem drohenden Heraufdämmern eines neuen Weltkriegs - das in Frankreich damals viele dem Drängen jüdischer Kreise gegen Hitlerdeutschland in die Schuhe schieben – zum Durchbruch.

Célines antisemitische Tiraden waren oft so grell und heftig, dass der Mitarbeiter des deutschen Propagandadienstes für das besetzte Frankreich Bernard Payr mitunter gegen ihr Veröffentlichung eintrat: Es handele sich um „Obszönitäten“ und „hysterische Schreie“, die eher abstobend wirkten denn propagandistische Wirkung erzielten. Aber manche Vertreter der Nazibesatzer oder der Kollaborateursbewegung unter Jacques Doriot arbeiteten mit Céline zusammen und veröffentlichten seine Artikel. 1944 floh er zusammen mit den Nazis ins süddeutsche Sigmaringen, später nach Dänemark. Er kehrte erst nach der Amnestie des in der Nachkriegszeit gegen ihn ausgesprochenen Urteils, 1951,  nach Frankreich zurück. Zuvor hatte er Briefkontakt zu dem bettlägerigen antisemitischen Ideologen Albert Paraz gehalten. Später stellte Céline sich stets nur als Opfer einer unwürdigen Behandlung in Nachkriegsfrankreich hin.

Staatspräsident Sarkozy verehrt Céline

Doch aufgrund des anfänglichen Ruhms seines literarischen Schaffens bleibt Céline im französischen Establishment weithin als „schriftstellerisches Talent“ anerkannt, wobei der Autor antisemitischer Pamphlete vom Literaten unterschieden wird.

Auch Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte Céline in jüngerer Zeit gar als „seinen Lieblingsschriftsteller“ bezeichnet, was insofern nichts bedeuten muss, als der aktuelle französische Präsident ein notorisch geringes kulturelles Niveau hat. Seine Literaturkenntnisse dürften sich in Grenzen halten. An Büchern scheint ihn generell eher der Öffentlichkeitserfolg zu interessieren denn das literarische Niveau: Als Nicolas Sarkozy am 19. November vergangenen Jahres den von ihm bewunderten Goncourt-Preisträger Michel Houllebecq zum Diner in den Elysée-Palast einlud, da erwähnte er von dessen preisgekröntem Buch (http://jungle-world.com/artikel/2011) vor allem die Auflage. Ähnlich hielt er es 2006 mit Jonathan Littel, der mit „Die Wohlgesinnten“ ein umstrittenes 900seitiges Buch über das Innenleben von SS-Tätern verfasst und damit einen Bestseller vorlegt hatte (http://jungle-world.com/artikel/2006). Über ihn erklärte Sarkozy damals im „Off“: „250.000 Exemplare verkauft, ohne dass bis dahin ein einziger Presseartikel erschienen wäre. Da ist was passiert, oder nicht? Ich, ich habe über 400.000 Exemplare von ,Témoignages’“ – seinem für den Wahlkampf von 2006/07 verfassten Taschenbuch – „verkauft. Das ist was, oder nicht?“ (Quelle[1]) Im selben Atemzug hatte Sarkozy an die Spitze der Bücher, die er schätze, gesetzt.

Lange Zeit war Louis-Ferdinand Céline sogar der einzige Autor „von Rang“, den Sarkozy zitierte. Allerdings dürfte ihn auch dabei vielleicht eher die Aufstiegsgeschichte des Mannes, sein Durchbruch zu Ruhm und Bekanntheit, interessiert haben denn der Inhalt seiner Bücher. Im Jahr 1996 jedenfalls erklärte der aufstrebende Jungpolitiker der damaligen konservativen Opposition, Sarkozy, gegenüber einem Prominentenmagazin: „Sehen Sie, nehmen wir Céline als Beispiel. Da haben wir einen Mann, der nur ein mittelmäbiger Vorstadtarzt war. Eines Tages schreibt er ,Voyage au bout de la nuit’. Das fasziniert mich! Diese Aktion, die darin besteht, mehr zu geben; dieser Elan, der Sie dazu bringt, sich selbst zu übertreffen, aus Leidenschaft zu schaffen und zu handeln. Daran hängt alles!“ Auch später noch führte Nicolas Sarkozy immer wieder Céline als positives Beispiel an. Im Jahr 2008 rechtfertigte er dies gegenüber Journalisten, die ihn auf einem Flug nach Indien begleiteten, mit den Worten: „Man kann Céline schätzen, ohne Antisemit zu sein, wie man (Marcel) Proust schätzen kann, ohne homosexuell zu sein!“

Rechtsextreme Antisemiten

Die organisierten Rechtsextremen mochten nicht nachstehen, als in den letzten Tagen Kritik an der Entscheidung Frédéric Mitterrands gegen das Céline-Gedenken geübt wurde. Bei ihnen roch man sofort die Gelegenheit, Stimmung zu verbreiten, um gegen ein „Diktat“ der angeblich herrschenden „Gedankenpolizei der Politischen Korrektheit“ zu wettern.

Auf der Webseite von Bruno Gollnisch, des im Januar 2011  unterlegenen Anwärters auf den Parteivorsitz des Front National (FN), wurde die Affäre am 24. Januar d.J. aufgegriffen. Bruno Gollnisch steht für eine andere Linie im Umgang mit dem historischen Faschismus und Antisemitismus als die innerparteiliche Wahlgewinnerin Marine Le Pen, die es für taktisch unsinnig hält, erkennbar positiv an diese Vergangenheit anzuknüpfen: In der Ausgabe des Wochenmagazins ,Le Point’ vom 03. Februar 11 erklärt die neue Vorsitzende des FN etwa: „Alle Welt weib, was in den Lagern der Nazis passiert ist und unter welchen Bedingungen. Was dort geschehen ist, ist der Gipfel der Barbarei. Und, glauben Sie mir, ich habe es wohl im Gedächtnis.“ Sie fügte hinzu: „Ich fühle keinerlei Verbindung zu dem, was die deutsche Armee damals war. Diese Armee hat unsere Väter und Brüder ermordet, ich vergesse es nicht. Und alle, die zu diesem Thema eine Zweideutigkeit an den Tag legen, verärgern mich im höchsten Mabe.“

Dazu müsste dann konsequenterweise ihr eigener Vater gehören – der im Januar 2005 in der altfaschistischen Wochenzeitung ‚Rivarol’ die Nazibesatzung in Frankreich als „nicht besonders inhuman“ bezeichnet hatte, vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0105/t390105.html  -, aber auch Bruno Gollnisch. Ihm hatte sie noch auf dem Parteitag im Januar 2011 eine Vizepräsidentenposten angeboten, den er jedoch ausschlug. Auf dessen Webseite wird die aktuelle Polemik um Louis-Ferdinand Céline unter der Überschrift aufgegriffen: „Serge hat es verlangt: Céline ist eines Platzes in der ,Sammlung’ beraubt.“ Die Despektierlichkeit im Tonfall gegenüber Serge Klarsfeld ist selbstverständlich beabsichtigt.

In dem Blog-Artikel wird Klarsfeld ferner einer „Säuberung“ (épuration) geziehen; ein Begriff, der in Frankreich in dieser Form vor allem im Jahr 1944 bei der Entfernung von Vichy-Beamten und aktiven Nazikollaborateuren aus vielen Ämtern und Positionen benutzt wurde. Der Autor echauffiert sich darüber, dass Céline als „mit den Werten der Republik inkompatibel“ eingestuft worden sei, „nicht jedoch Frantz Fanon“ – der antikoloniale Schriftsteller war im selben Jahr wie Louis-Ferdinand Céline verstorben, 1961, und deswegen wird seiner auch in diesem Jahr gedacht. Am Ende des Artikels wird die drohende Perspektive ausgemalt, es zeichne sich „eine lange Liste von Schriftstellern“ ab, „deren Bücher zensiert werden könnten, wenn es nicht bereits der Fall ist, und die heute im Namen der ,antirassistischen’ Politischen Korrektheit verurteilt werden. Ihre Werke könnten auf die Dauer unter dem Druck kommunitärer ,Pressure Groups’ aus den Bibliotheken verschwenden.“ Ohne es näher argumentativ zu untermauern, werden dabei William Shakespeare, Guy de Maupassant, Jules Verne und Emile Zola neben anderen aufgezählt.

In dasselbe Horn bläst ferner auch Robert Spieler, der ursprünglichen aus dem GRECE – der intellektuellen „Neuen Rechten“ der 1970er Jahre – kommende Sprecher der rechtsextremen Kleinpartei ‚Nouvelle Droite Populaire’ (NDP). Diese versucht die „Dissidenten“, denen der Front National zu schlapp geworden ist, anzuziehen. In einem Kommuniqué vom 24. Januar 11 unter der Überschrift „Céline: Die unerträgliche Gedankenpolizei hat wieder zugeschlagen“ erklärt Spieler den antisemitischen Buchautor rundheraus zum „größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts“. Und im Folgenden gräbt er ein Zitat des 1914 durch einen Nationalisten ermordeten, historischen Sozialistenführers Jean Jaurès aus. Dieser kritisierte in einem Artikel vom 1. Mai 1895 die „dominante“ Präsenz jüdischer Geschäftsleute in französischen Städten – der französische Frühsozialismus griff manches antijüdische Ressentiment auf, doch Jaurès vollzog drei Jahre später aus Anlass der Dreyfus-Affäre eine scharfe Kehrtwende und wandte sich klar gegen den Antisemitismus. Robert Spieler fragt suggestiv nach: „Also, soll Jaurès bald auch auf die Müllkippe, wie Céline?“

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.