28.Januar 2012: 40 Jahre Berufsverbote
Berufsverbot: Verfolgungswelle gegen die Linke
Eine Diskussion im März 1972

zwischen Joscha Schmierer, Dietrich Hildebrandt, Jürgen Seifert, Wolfgang Lefèvre und Arno Widmann(*)

02/12

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Allgemeine Bedingungen der Unterdrückungswelle

J. Schmierer: Wir meinen, daß man nicht an den Phänomenen hängenbleiben darf, daß man nicht auf das Verfolgungsphänomen starren darf, was unter Umständen dazu führen könnte, die genaue Tragweite dieser Verfolgungen nicht richtig einzuschätzen, sondern hysterisch zu reagieren. Wir meinen auch nicht, daß solche Erklärungen ausreichen wie «innerstaatliche Feinderklärung», weil man ja sonst gleich von vornherein davon absieht, daß es sich hier tatsächlich zum Teil auch um Verfolgungen von wirklichen Feinden handelt, die ja nicht einfach erfunden werden müssen. Die Kommunisten müssen nicht erfunden werden, sondern sind tatsächlich vorhanden. Es handelt sich nicht nur um eine sozialpsychologische Frage, daß diese Verfolgungsmaßnahmen jetzt zur Befestigung der Herrschaft über das Bewußtsein der Massen dienen, sondern sie richten sich natürlich gegen einen Gegner, der tatsächlich mit der herrschenden Klasse um das Bewußtsein der Masse kämpft. Gehen wir zunächst von dem scheinbaren Widerspruch in der Politik der SPD-Regierung aus zwischen scheinbarer Friedenspolitik auf der Ebene der Außenpolitik und Zunahme der inneren Verfolgungen in der Bundesrepublik selber. Wir meinen, daß da kein Widerspruch existiert, sondern daß der Widerspruch bloß auf der Ebene der Phänomene liegt. Wir gehen in der Einschätzung der gegenwärtigen Verfolgungswellen davon aus, daß wir sie ableiten aus der gegenwärtigen Entwicklung des BRD-Imperialismus im Rahmen der innerimperialistischen Auseinandersetzung und also auch der Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion und dem Comecon-Lager. Man kann sich dabei aber auch nicht bloß auf die Frage der Ostpolitik beschränken, sondern muß auch die Politik in der EWG hinzunehmen. Nach unserer Auffassung ist derzeitig der BRD-Imperialismus dabei, sich einerseits in Westeuropa die Ausgangsposition und Vorrangstellung zu sichern, die ihm andererseits ermöglicht, eine vorläufig vorwiegend oder zunächst friedliche Expansion nach Osten zu unternehmen, wobei die Möglichkeit dieser friedlichen Expansion gerade durch innere Entwicklungen in der Sowjetunion und in den Comecon-Ländern selber ermöglicht wird, also daß diese Entwicklung, diese Expansion friedlich möglich ist. Man muß aber sehen, wenn man die angeblich friedliche Politik im EWG-Raum und andererseits die Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten betrachtet, daß die Ziele, nämlich Expansionen des BRD-Kapitals in Westeuropa und in Osteuropa, in die Sowjetunion hinein, selber notwendig aggressiv sind; und es sich derzeitig nur vorübergehend darum handelt, diesen Zielen mit friedlichen Mitteln näher zu kommen. Aber der Kampf um Absatzmärkte, um Kapital, um Kapitalanlagesphären und auch um Grundstofflager muß natürlich notwendig zu Auseinandersetzungen führen, die derzeit, auch in bestimmten Fällen die Form kriegerischer Auseinandersetzungen annehmen können. Wenn man sich überlegt, daß der BRD-Imperialismus, nachdem er in den joer Jahren wieder in das imperialistische Lager eintreten konnte, heute dabei ist, wirklich seine Vorrangstellung zu sichern, dann ist auf der anderen Seite einsichtig, daß der Kampf um diese Vorrangstellung mit der Notwendigkeit verbunden ist, den inneren Druck auf die Arbeiterklasse zu verschärfen. Und ich glaube auch, in diesem Zusammenhang sind die Verfolgungswellen, die jetzt stattfinden, schon zu sehen — auch wenn die Arbeiterklasse selber scheinbar noch nicht so unmittelbar betroffen ist. Denn natürlich ist auch das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) etwa in diesem Zusammenhang zu sehen, das in den zentralen Punkten, nämlich «Friedenspflicht» und Verpflichtungen zur «vertrauensvollen Zusammenarbeit», eine Verschlechterung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse darstellt. Und wir meinen deswegen auch,  wellen davon aus, daß wir sie ableiten aus der gegenwärtigen Entwicklung des BRD-Imperialismus im Rahmen der innerimperialistischen Auseinandersetzung und also auch der Auseinandersetzungen mit der Sowjetunion und dem Comecon-Lager. Man kann sich dabei aber auch nicht bloß auf die Frage der Ostpolitik beschränken, sondern muß auch die Politik in der EWG hinzunehmen. Nach unserer Auffassung ist derzeitig der BRD-Imperialismus dabei, sich einerseits in Westeuropa die Ausgangsposition und Vorrangstellung zu sichern, die ihm andererseits ermöglicht, eine vorläufig vorwiegend oder zunächst friedliche Expansion nach Osten zu unternehmen, wobei die Möglichkeit dieser friedlichen Expansion gerade durch innere Entwicklungen in der Sowjetunion und in den Comecon-Ländern selber ermöglicht wird, also daß diese Entwicklung, diese Expansion friedlich möglich ist. Man muß aber sehen, wenn man die angeblich friedliche Politik im EWG-Raum und andererseits die Politik gegenüber den osteuropäischen Staaten betrachtet, daß die Ziele, nämlich Expansionen des BRD-Kapitals in Westeuropa und in Osteuropa, in die Sowjetunion hinein, selber notwendig aggressiv sind; und es sich derzeitig nur vorübergehend darum handelt, diesen Zielen mit friedlichen Mitteln näher zu kommen. Aber der Kampf um Absatzmärkte, um Kapital, um Kapitalanlagesphären und auch um Grundstofflager muß natürlich notwendig zu Auseinandersetzungen führen, die derzeit, auch in bestimmten Fällen die Form kriegerischer Auseinandersetzungen annehmen können. Wenn man sich überlegt, daß der BRD-Imperialismus, nachdem er in den joer Jahren wieder in das imperialistische Lager eintreten konnte, heute dabei ist, wirklich seine Vorrangstellung zu sichern, dann ist auf der anderen Seite einsichtig, daß der Kampf um diese Vorrangstellung mit der Notwendigkeit verbunden ist, den inneren Druck auf die Arbeiterklasse zu verschärfen. Und ich glaube auch, in diesem Zusammenhang sind die Verfolgungswellen, die jetzt stattfinden, schon zu sehen — auch wenn die Arbeiterklasse selber scheinbar noch nicht so unmittelbar betroffen ist. Denn natürlich ist auch das Betriebsverfassungsgesetz (BVG) etwa in diesem Zusammenhang zu sehen, das in den zentralen Punkten, nämlich «Friedenspflicht» und Verpflichtungen zur «vertrauensvollen Zusammenarbeit», eine Verschlechterung der Kampfbedingungen der Arbeiterklasse darstellt. Und wir meinen deswegen auch, daß das Ziel der Verfolgungsmaßnahmen nicht einfach Linke sind, sondern auf der einen Seite speziell Kommunisten und auf der anderen Seite Linke insofern, als es darauf ankommt, den bürgerlichen Staatsapparat von allen «gefährlichen» Elementen freizuhalten. Das ist der Punkt, um den es bei der Verfolgung geht: Das Kampffeld, das Kampfinstrument der herrschenden Klasse, der bürgerliche Staat, soll in Ordnung gebracht werden, um die mit der Politik der Expansion notwendig verstärkte Unterdrückung durchführen zu können. Der entscheidende Punkt ist also, Schaffung des Kampfinstruments, Reinigung des Staatsapparates von unsicheren Stellen, keineswegs nur bei Lehrern und Intellektuellen, sondern betroffen ist der ganze öffentliche Dienst. Wie wichtig das ist, kann man an einem kleinen Beispiel, den jüngsten Vorgängen in Heidelberg, sehen. Hier ist ein liberaler Rektor für den Staatsapparat tendenziell untragbar geworden, weil er die Verfolgung der Kommunisten nicht effektiv genug zuläßt.

J. Seifert: Ich stimme zu, daß wir bei der Analyse davon auszugehen haben, daß der Kapitalismus in der Bundesrepublik die Stagnation zur Zeit nur überwinden kann, wenn es ihm gelingt, einerseits die Löhne niedrig zu halten und andererseits die Wachstumsrate durch Vergrößerung des Exportanteils zu steigern. Dazu braucht man eine politische Absicherung. Das geschieht durch die Ost-Politik der SPD-FDP-Regierung, aber auch - das ist auch nur ein Beispiel - durch die Reise von Brandt nach Persien. Die Kapitalinteressen in der Bundesrepublik sind im internationalen Konkurrenzkampf darauf angewiesen, daß die BRD als sicherer Partner erscheint, als ein Partner, der stabiler ist als die USA und Frankreich. Unsere Analyse wird jedoch unzureichend, wenn wir bei einer rein ökonomischen Erklärung stehen bleiben. Warum gibt es beispielsweise nicht im gleichen Maße eine solche Verfolgungswelle in anderen westeuropäischen Ländern? Warum hat man sich in Frankreich und Italien, aber auch in den angelsächsischen Ländern daran gewöhnt, daß Marxisten, daß auch Kommunisten Lehrer sein dürfen? Das sind Fragen, die man nur durch eine Analyse erklären kann, die bestimmte historische Fakten - Faschismus - und konkrete Vorgänge im politischen Bereich berücksichtigt. In diesem Zusammenhang kann deshalb das, was man «innerstaatliche Feinderklärung» genannt hat, doch etwas zur Analyse beitragen. In den Entstehungsjahren der BRD und in der Restaurationsphase war der äußere Feind, den das System zur Stabilisierung brauchte, identisch mit dem Feind im Innern, mit der KPD und ihren Organisationen. Die Intensität, mit der der «innere Feind» bekämpft wurde, ließ nach, als es im Verhältnis des Ostblocks zu den kapitalistischen Staaten zu einem veränderten politischen Verhalten kam. So konnte die Schüler- und Studentenbewegung in einer Zeit operieren, in der die Inhaber der Staatsgewalt in der Bestimmung des inneren Feindes verunsichert waren. Das Ausmaß dieser Revolte hat dazu geführt, daß die innerstaatliche Feinderklärung teilweise abgeschwächt, teilweise außer Kraft gesetzt wurde. Die Illegalitätserklärungen blieben - wenn man vom Verbot des Heidelberger SDS einmal absieht, das ja erst in einer relativ späten Phase erfolgt - rein verbal. Die DKP und die aus der Studentenbewegung entstehenden Organisationskerne wurden zwar nicht sanktioniert, aber aus Opportunitätsgründen geduldet. Mancher hat daran falsche Hoffnungen geknüpft. Die eigenen Möglichkeiten wurden überschätzt, es wurde nicht analysiert, welchen Spielraum der Staatsapparat hat. Beispielhaft dafür ist das Gerede von einer revolutionären Berufspraxis als Lehrer. Doch nun ist zu fragen: Warum kommt es heute unter einer SPD-FDP-Bundesregierung zu einer neuen innerstaatlichen Feinderklärung? Welche Funktion hat sie im politischen Bereich?

W. Lefèvre: Ja eben, wenn du nach ihrer Funktion fragst, kommst du auf die Frage nach der sozialpolitischen Situation — und das heißt vornehmlich eben doch auf die ökonomische Situation zurück.

J. Seifert: Das streite ich ja nicht ab. Wir dürfen jedoch auch nicht übersehen, daß die CDU/CSU sowohl in der Außenpolitik als auch in relevanten innenpolitischen Fragen auf einen Konfrontationskurs gegangen ist. Dieser Konfrontationskurs birgt für die CDU/CSU die Gefahr in sich, daß die SPD nach «links» gedrängt wird, daß die Polarisierung im politischen Bereich tendenziell den Charakter einer Klassenauseinandersetzung annehmen könnte. Um die Polarisierung nicht zu unversöhnlicher, absoluter Feindschaft werden zu lassen, bedürfte es eines gemeinsamen Feindes: der sogenannten Linksradikalen. So wurde die SPD in einen Zugzwang gebracht, sich nach links abzugrenzen. Die neue innerstaatliche Feinderklärung ist deshalb - so meine ich — auch zu bestimmen als ein von der CDU/ CSU gemachter Versuch, die Polarisierung zwischen den Regierungsparteien einerseits und der Opposition andererseits voranzutreiben, zugleich jedoch eine totale Konfrontation auszuschließen. Der gemeinsame Feind soll vereinbaren.

W. Lefèvre: Wenn ich ausführlich auf das antworten soll, was Joscha vorhin gesagt hat, dann käme hier eine EWG-Debatte herein, die viel zu weit führen würde. Nur eine Bemerkung dazu: Was Joscha den Kampf des BRD-Imperialismus um seine Vorherrschaft genannt hat, ist eben doch, und das wissen die Kapitalisten auch ganz genau, nur innerhalb der EWG möglich. Und zweitens: Die Sowjetunion der 30er Jahre war vielleicht noch militärisch zu besiegen, die der /oer Jahre ist es nicht mehr. Das sind zwei Dinge, mit denen die BRD-Imperialisten kalkulieren müssen, und mit denen sie auch kalkulieren.

Dennoch ist es vollkommen richtig zu sagen, daß die BRD sich in einer Situation befindet, in der sie, ob sie will oder nicht, Druck nach innen ausüben muß. Repression ist ja nicht erst, wenn einer von uns von der Uni geschmissen wird oder eine Demonstration verprügelt wird, sondern auch, wenn die Arbeitssituation in den Fabriken sich verschärft. Und die heutige Situation in den Fabriken ist wesentlich unerträglicher als vor zehn Jahren. Repression ist auch, wenn die Lebensbedingungen sich so verschlechtern, daß die Leute gezwungen sind, Überstunden bis zu zehn, zwölf Stunden zu machen, das aber unter den Anforderungen der heutigen Technologie, wo schon in acht Stunden mehr Lebenskraft aus dem Arbeiter herausgepreßt wird als etwa vor dreißig Jahren in zehn oder elf Stunden. Zu all dem ist die BRD gezwungen, weil sie, wie alle kapitalistischen Länder mit der zweiten ganz vehementen Krise einer Weltüberproduktion des kapitalistischen Lager konfrontiert ist. Natürlich gibt es ein Gerangel zwischen all den kapitalistischen Ländern, wer bei einer nötig werdenden Regelung zwischen ihnen darüber entscheidet, wie man z. B. Exporte kontingentiert, wie man Einflußsphären aufteilt etc. - von welchen Startlöchern aus die einzelnen «Partner» an eine solche Übereinkunft gehen. Natürlich versucht die BRD, weil sie in diesem Streit nicht mehr als BRD allein auftreten kann, sondern mit der EWG auftreten muß, z. B. gegen USA, gegen Japan, sich in der EWG eine Position zu verschaffen, so daß die EWG zugleich ihre ureigensten Interessen vertritt. Das ist keine Frage. Aber insgesamt stimmt doch wohl, wenn man sagt, der BRD-Imperialismus steckt in einer Krise, die darin besteht, daß er konfrontiert ist mit einer Überproduktion, die vorerst nicht zu lösen ist, sondern auf die Rationalisierungen, weitere Intensivierung der Arbeit, weitere verschärfte Ausbeutungen hinausläuft und eventuell, ich will das hier gar nicht weiter ausmalen, mit einer strukturellen Arbeitslosigkeit als Folge von Konzentration einhergeht. All das sind Zeichen, die am Horizont seit Mitte der 6oer Jahre stehen, die jeder sehen konnte, die immer deutlicher werden, wie etwa im letzten Sommer mit der Weltwährungskrise, und entsprechend ist etwas zu erwarten von seiten der Arbeiter. Jetzt kommt aber etwas sehr Eigenartiges hinzu, was aber in der deutschen Geschichte gar nicht so eigenartig ist: Die herrschende Klasse Deutschlands hat immer aus sozialen Erhebungen in anderen Ländern gelernt, bevor diese in Deutschland selbst ausbrachen. D. h., die Repression wirst du z.T. nur daraus erklären können, daß die deutschen Unternehmer natürlich nicht so dumm sind, denn schließlich reisen sie ja jeden Tag nach Paris, Brüssel und Mailand, sich nicht ausrechnen können, daß die bundesrepublikanische Situation heute so aussieht, wie sie in Frankreich und Italien 1962/63 ausgesehen hat, und daß man eben nicht tatenlos warten darf, wie die Kollegen in Italien und Frankreich, bis hier der Mai 1968 ausbricht, sondern daß man dem vorbeugen muß. Ich denke, das ist einer der wichtigsten Gründe. Speziell kommt da noch etwas dazu, da hat der Joscha - glaube ich - ganz recht, was aus den Zufälligkeiten der sozial-liberalen Koalition resultiert. Die sozial-liberale Koalition war notwendig, weil die alte CDU diese neue ökonomische Politik des BRD-Imperialismus nicht durchführen konnte. Die SPD, so verkommen und verrottet sie ist, war aber auf der anderen Seite nicht an die Macht zu bringen, ohne daß die herrschende Klasse zunächst jene Reformillusionen hinnehmen mußte, die diese Partei an ihren linken Seiten usw. mitschleppt, die man sozusagen hof- und regierungsfähig machen mußte, um überhaupt diese Regierung haben zu können. Und jetzt, wo es an die Zeit der Verwirklichung der Reformen käme, da passen schon CDU, Unternehmer usw. auf, daß mit diesem sozusagen überschwenglichen rosa Rest dieser ansonsten so brauchbaren SPD nicht erst ernst gemacht werden kann. Und von daher ist ein spezieller Grund dafür da, daß man jetzt die SPD trimmt, all das, was an ihr rosa aussieht, abzulegen.

J. Seifert: Warum läßt sich die SPD dazu bringen, gerade in dieser Situation?

Funktion der SPD

J. Schmierer: Um das beantworten zu können, müßte man vielleicht die Einschätzung der SPD, die du gebraucht hast, überprüfen; d.h. wenn du sagst: «so verkommen und verrottet die SPD ist», dann betrachtest du die SPD immer noch von einem Standpunkt aus, als wäre sie eine verrottete und verkommene Arbeiterpartei. Ich halte die SPD weder für verkommen, noch für verrottet im Sinne einer bürgerlichen Partei, sondern für eine höchst effektive Partei. Man darf auch nicht einfach sagen, die SPD sei jetzt durch den Bruch der CDU gezwungen worden, oder man kann ebenso nicht sagen, sie mache das sehr ungern, sondern man muß sehen, daß sie in bestimmten Vorhaben ganz klar vorgeprescht ist - im Sinne der Bourgeoisie. Die Hamburger Beschlüsse sind natürlich nicht auf Druck der CDU zustande gekommen. Daß die SPD versucht, über die Widersprüche, in die sie zu Teilen ihres Wählerpotentials gerät, hinwegzukommen, das ist eine andere Sache. Auf jeden Fall darf man diese Widersprüche, in die die SPD aufgrund ihrer Geschichte gerät, nicht so mißverstehen, daß man sich wundert, warum die SPD diese Politik macht. Dann nämlich begreift man die SPD nicht als bewußten Handlanger des Kapitals, sondern als eine Partei, die unglückseligerweise in diese Rolle gekommen ist. Auf dieser Ebene bleibt dann auch der Widerspruch zwischen Außenpolitik und Innenpolitik bestehen, denn dann wird die Außenpolitik der SPD-Regierung doch als eine Politik begriffen, die im Grunde fortschrittlich ist und im Widerspruch zu ihrer Innenpolitik steht, zu der sie gezwungen wird, durch die «böse» CDU. Das Problem ist, den Funktionswandel der SPD zu sehen; zu sehen, wer sie will, mit wem sie koaliert, daß sie von der Mehrheit der Arbeiter als ihre Interessenvertretung angesehen wird, nichtsdestoweniger eine durch und durch bürgerliche Partei ist.

W. Lefèvre: So einfach läßt sich der Punkt nicht fassen. Joscha hat ganz recht, wenn er sagt, die SPD hat nicht bedrängt durch diese Ereignisse, sondern hat ganz bewußt die Politik des Kapitals gemacht. Aber: die SPD ist die Partei eines fiktiven Kapitalismus, nämlich eines schon zum Staatskapitalismus gediehenen. Sie tut so, als wäre der Kapitalismus schon von einer Kommandozentrale auszumachen. Das bringt sie auch nebenbei in Widerspruch zum konkreten Kapitalismus. Und das macht auch ihre reformistische Qualität aus, ihre Fähigkeit, reformistische Illusionen in der Arbeiterklasse zu bewirken. Nehmt z.B. ihre Vorstellungen von Sozialpolitik, von Markterweiterungspolitik, von Kaufkraftpolitik etc.; an so etwas würde ein Kapitalist nur denken, wenn ihm garantiert ist, daß nicht mit den Löhnen oder Steuern, die er bezahlt, Kaufkraft für seine Produkte geschaffen werden soll; anderenfalls lehnt er solche sozialdemokratische Politik mit Recht als schlechtes Geschäft ab. Und diese Widersprüche zwischen der kapitalistischen SPD und den Kapitalisten sind auch der Grund, weshalb es einen pseudo-linken Flügel in der SPD geben kann, der so etwas wie Sozialreformerisches draufhat, und der auch immer noch einen großen Einfluß auf Teile der Arbeiterklasse hat. Und deshalb ist es auch meine Meinung, daß man nicht so tun kann, als sei die SPD hier versehentlich in die Repressionen reingeschlittert. Vielmehr muß ihr reformerischer Teil - soweit er fürs Kapital zu weit geht - jetzt abgebaut werden, wenn sie an der Regierung bleiben will.

J. Seifert: Ich halte die Analyse der Vorgänge im politischen Bereich deshalb für so relevant, weil es nicht nur um den Beschluß der Ministerpräsidenten geht. Parallel dazu läuft ja eine Kampagne gegen linke Gewerkschafter und ein Bündnis zwischen den sogenannten christlichen Gewerkschaftern mit Sozialdemokraten, mit dem Ziel einer Ausschaltung von Kommunisten und den Gruppen der «Neuen Linken» bei den Betriebsratswahlen und bei der Aktivität in den Betrieben. Nur wenn wir den politischen Bereich mit in die Analyse einbeziehen, wenn wir beispielsweise fragen, welche Tendenzen gibt es in den Gewerkschaften, ist eine sinnvolle Gegenstrategie zu bestimmen. Das ist deshalb wichtig, weil wir nur dann entscheiden können, ob es aussichtsreich ist, auf Widersprüche im bürgerlichen Lager etwa in der Weise zu setzen, wie es bei der englischen Zehnstunden-Bill von 1847 geschehen ist. Dieses Gesetz ist bekanntlich ja nicht von der englischen Arbeiterklasse im Frontalangriff erkämpft worden; trotzdem nannte Marx eine solche Ausnutzung von Widersprüchen den «Sieg eines Prinzips», einen Erfolg der «politischen Ökonomie der Arbeiterklasse».

Ziel der Verfolgungen

A. Widmann: Es ist vielleicht besser, wir gehen hier nicht weiter auf die SPD-Frage ein, sondern auf das Ziel der Verfolgungen, wie es Joscha dargestellt hat. Er hat gesagt, auf der einen Seite seien das Ziel die Kommunisten, auf der anderen die Freisetzung des Staatsapparates von Linken, um die Verfolgungen der Kommunisten zu garantieren. Wir hatten die Sache so gesehen, daß es sich um eine neue Phase des BRD-Imperialismus handelt, eine offensive Phase, die begleitet ist von einer verstärkten Unterdrückung nach innen. Wir hatten besonderes Gewicht auf die Bedeutung der öffentlichen Meinung und deren Beherrschung gelegt. Wir haben nach unseren knappen Recherchen den Eindruck gewonnen, daß eine neue Phase in dem Sinne eingetreten ist, daß es nicht mehr so ganz gleichgültig ist, was die Leute gesagt bekommen, wer in den Rundfunkanstalten sitzt, wer die Kinder unterrichtet usw., sondern daß es jetzt darum geht, ein ganz klares Programm unter die Leute zu bringen. Die FAZ bringt seit der Unternehmertagung in Stuttgart, auf der Miehlke so ein großes Programm entworfen hat, was die Unternehmer zu machen haben. Der zweite Punkt seines Programms war der, dem Dialektischen Materialismus eine ebenso in sich geschlossene und in sich stimmige Weltanschauung entgegenzustellen.

W. Lefèvre: Das wollen sie schon seit hundert Jahren.

A. Widmann: Seitdem finden wir auffällig häufig Artikel in der FAZ mit der Tendenz, ein neues Bild der Unternehmer in die Öffentlichkeit zu bringen, quasi als Leitbild, die freie Marktwirtschaft als einzig richtige Wirtschaftsform zu proklamieren; also grundsätzliche ideologische Artikel, in denen wieder so etwas wie eine Weltanschauung hergestellt wird. Wir sehen das in einem für uns ganz deutlichen Zusammenhang mit dem, was sich in den Medien tut, z.B. wird das ganz deutlich bei dem Gerangel um das Bayrische Rundfunkgesetz und das private Fernsehen.

J. Seifert: Das hat aber auch noch andere Gründe. Z.B. geht es dabei auch schlicht um den Machtkampf im politischen Bereich, um den Kampf um Einflußchancen gegen die Sozialdemokratie. Das überlagert sich, weil für bestimmte Kapitalinteressen die SPD noch immer nicht als zuverlässig genug gilt.

A. Widmann: Wir haben es uns so überlegt, und wir möchten hier an die Resolution des ZK der KP China zur Kulturrevolution vom 8. August erinnern, in der es heißt: die Verschärfung eines Klassenkampfes in jedem Land beginnt immer mit einem Kampf um die öffentliche Meinung. Es ist unser Eindruck, daß es im Moment einen Kampf um grundsätzliche ideologische «Weltanschauungsfragen» gibt. Das Kapital ist im Moment offensiv und will die entsprechenden Posten mit hörigen Leuten besetzen. Wir haben das, was sich im Moment abspielt, mehr unter diesem Gesichtspunkt gesehen, als unter dem, das man sagt, es bilden sich Gruppen, die zur Avantgarde des Proletariats werden können, wenngleich sie es jetzt noch nicht sind. Die Kapitalisten sehen das und schlagen deshalb zu.

J. Schmierer: Wenn ich da gleich darauf eingehen kann. Das, was ich vorhin sagte, war notwendig ziemlich verkürzt. Was viel wichtiger ist, sind nicht die kommunistischen Grüppchen oder Gruppen, die sich bilden, sondern wichtig sind die Bewegungen und Regungen in der Arbeiterklasse selber, die spontane Reaktionen auf den verschärften Druck sind. Ich meine, dort, wo es gelungen ist, daß in bestimmter Weise Kommunisten auch eine Basis gefunden haben, da liegt es natürlich auch an diesen objektiv bedingten spontanen Bewegungen in der Arbeiterklasse selber. Ich bin weithin mit der Frage der Propagandaoffensive einverstanden, darauf komme ich auch später noch zurück. Ich sehe aber andererseits schon die Möglichkeit der Organisation des Proletariats. Auch die Propagandaoffensive hat das Ziel, dagegen anzukämpfen. Wenn man etwa den Katzer im Bundestag reden hört, daß der Linksradikalismus vor allem in den Betrieben und in den Universitäten ständig zunehmen würde, muß man auf die Reihenfolge achten, in der das genannt wird. Vor zwei Jahren oder etwa 1968, wenn da solche Sätze gekommen wären, hätte man von seiten der herrschenden Klasse so argumentiert, daß man gesagt hätte: «Guck sie doch an, die Spinner, die haben überhaupt nichts mit der Arbeiterklasse zu tun». Man muß natürlich hier auf die Nuancen achten, die sich in der Propaganda in der herrschenden Klasse zeigen. Wenn man von der herrschenden Klasse ausgeht, so hat sie doch folgendes gelernt: Die Studentenbewegung hat sie anfangs - und natürlich auch zu recht - als Bewegung innerhalb der Bourgeoisie begriffen und hat deswegen relativ verwirrt reagiert. Einerseits so, daß sie durchaus versuchte zu diskutieren, andererseits so, daß auch über das SDS-Verbot diskutiert worden ist. Heute hat die herrschende Klasse gemerkt, daß die Studentenbewegung ihrerseits vermittelt war über allgemeine Widersprüche des BRD-Imperialismus, daß sie nicht einfach so eine Sache war, die mal gekommen und dann wieder zusammengebrochen ist. Obwohl sie als Studentenbewegung keinerlei Relevanz hat, ist sie doch Symptom für bestimmte Entwicklungen innerhalb der BRD. Einige Teile der Studentenbewegung haben bestimmte Entwicklungen durchgemacht, die sie in die Lage versetzten, taktisch und strategisch sich Überlegungen zu machen, die über das «In-den-Tag-reinleben» der Studentenbewegung - das ja existiert hat - hinausgehen. Aber dieser Aspekt der Propagandaoffensive ist ja wichtig, und da sind wir auch in der Analyse, die wir im «Neuen Roten Forum» abgedruckt haben, darauf eingegangen, insofern als es sich ja nicht einfach um eine Sache handelt, wo man verschreckt reagiert auf Entwicklungen in der öffentlichen Meinung, sondern wo ganz zielbewußt — etwa von seiten des BDI-Instituts — versucht wird, eine Kampagne mit allen Mitteln einzuleiten. Nebenbei bemerkt ist das ein zusätzlicher Punkt, der erklärt, warum auch Lehrer jetzt den Repressionen ausgesetzt sind. Aber jetzt noch einmal zurück zu der Frage der Entwicklung des BRD-Imperialismus und des Imperialismus überhaupt. Wir müssen sehen, daß der Imperialismus heute nicht einfach bloßes Objekt der Bewegung ist, wie er das lange Zeit gegenüber den Befreiungskriegen etwa gewesen ist, sondern daß er heute gegenüber den unterentwickelt gehaltenen Ländern bestimmte Strategien zustande bringt, die Submetropolen schaffen, und wo er zum Teil tatsächlich in der Offensive ist — und das andererseits, und das ist entscheidend, die Offensive gegenüber den revisionistischen Ländern, die überhaupt erst - jetzt speziell im Hinblick auf den BRD-Imperialismus — die Chance bietet, sich selber wieder als progressiven Faktor anzubieten. D. h., die Propagandaoffensive hat in der Offensive des Kapitals selber und in der Offensive des Imperialismus eine bestimmte reale Basis. Das ist nicht einfach eine hysterische Reaktion auf irgend etwas, sondern ist eine Offensive, die einer politisch-ökonomischen Offensive entspricht, und die ihre Chance gerade in den Entwicklungen innerhalb des ehemaligen sozialistischen Lagers hat — und sich auch deshalb vorläufig als so friedlich ausgeben kann. Die Tatsache, daß diese Offensive sich als friedlich ausgeben kann, ist von ganz entscheidender Bedeutung im Kampf um die Meinung der Massen. Deshalb ist auch eine bloße euphorische Solidarisierungsstrategie der Linken in der Weise, daß sie versucht, aufgrund der Repressionen eine möglichst breite Solidarisierung zustande zu bringen, völlig hilflos. Auf dieser Ebene kann man die Verteidigungslinie überhaupt nicht ziehen, und deshalb sind auch die Reaktionen, die seitens bestimmter Linker erfolgen, so erschreckend hilflos. Ich meine, wenn man gegenüber der Entwicklung jetzt z. B. sagt, es komme vor allem darauf an, wieder eine diskutierende Öffentlichkeit herzustellen, wie wir sie 1968 oder 1967 zu Anfang der Bewegung gehabt haben, dann wird überhaupt nicht gesehen, daß gegenüber einer sehr viel bewußter gewordenen Bourgeoisie nicht mehr die Mittel der Abwehrmaßnahmen und des taktischen Verhaltens dieselben bleiben können, wie sie etwa 1968 aufgrund der Unsicherheit der Bourgeoisie hinsichtlich der Einschätzung der Studentenbewegung bestanden haben. Andererseits wird es auch nicht möglich sein, das alte Potential zu halten, das die Studentenbewegung hervorgebracht hat, wenn man versucht, eine Neuauflage der diskutierenden Öffentlichkeit zu schaffen. Sondern wir werden auch an den Universitäten und in dem, was so diffus als antiautoritäre Bewegung bezeichnet wird, dem Kapital nur Widerstand leisten können, wenn wir Fortschritte in unserer Arbeit machen, die sich ausrichten muß auf die real vorhandenen Bewegungen in der Arbeiterklasse und auch dort den Schwerpunkt setzen muß - sonst werden wir reichlich auf den Arsch fallen bei dieser ganzen Sache. Ich sehe eine entscheidende Gefahr darin, daß das, was ihr in Hannover gemacht habt und was in den «Hannoveraner Info» propagiert wird, eine völlig falsche Reaktion ergibt, wenn als strategische Maßnahme eine «linke Öffentlichkeit herstellen» gefordert wird; hinzu kommt noch die Sache mit der «Schaffung des inneren Feindes». Hier liegt der Angriff tatsächlich bloß auf der Überbau-Ebene des Kapitals, hier wird nicht mehr erklärt, hier kann auch die Propagandaoffensive selber gar nicht mehr abgeleitet werden, weil man gar nicht mehr sieht, daß es tatsächlich um reale Gefahren für den Imperialismus geht, und deswegen auch bestimmte Ideologien ausgeschaltet werden müssen — aber nicht die Ideologie der freien Diskussion.

J. Seifert: Ich bin direkt angesprochen Es gibt auch bei uns in Hannover Unterschiede in der Beurteilung. Was Peter Brückner in Heidelberg gesagt hat, ist nur ein Aspekt. Das macht Brückner in seiner neuesten Veröffentlichung, die unter dem Titel «Staatsfeinde» bei Wagenbach erscheint, selbst deutlich. Wichtig ist das, was wir hier unter dem Stichwort «reale Bewegung» zusammenfassen. Gerade die dabei entwickelten Basisaktivitäten sollen getroffen werden. Die sogenannte Liberalisierung des Beschlusses der Ministerpräsidenten, die unscharfe, nicht auf Organisationszugehörigkeiten festgelegte Formulierungen des Beschlusses läßt es heute zu, daß man sich einerseits mit der DKP als Partei abfinden und sie bestehen lassen kann, daß man zugleich aber alles, was an Basisaktivitäten geschieht, zu treffen versucht — sei es nun in den Schulen und Hochschulen, sei es in den Betrieben. Es gilt, diese neue Form der gegenwärtigen Bestimmung des inneren Feindes zu erkennen: Entscheidend für die Bestimmung als innerer Feind ist nicht die Organisationszugehörigkeit, die Mitgliedschaft; getroffen werden soll vielmehr eine ganz bestimmte Form der Aktivität an der Basis. Ich halte es für falsch, wenn wir aus der bloßen Tatsache der innerstaatlichen Feinderklärung ableiten würden, daß von den davon betroffenen Gruppen hier und jetzt auch wirklich eine Gefahr ausgeht. Nicht jeder, der zum inneren Feind gemacht wird - denken wir an die Juden im NS-Regime — ist auch realiter eine Bedrohung; trotzdem braucht man die Juden, trotzdem braucht man das Baader-Meinhof-Etikett, trotzdem braucht man das Gespenst einer Machtergreifung durch den «roten Faschismus». Für das Verhalten der Sozialdemokraten bei der gegenwärtigen Feinderklärung ist es allerdings auch von Bedeutung, daß sich die SPD gerade durch Basisaktivitäten in Frage gestellt sieht. Je mehr die Sozialdemokratie den Kontakt zur Basis verliert, je mehr diese Partei objektiv die Funktion eines Ordnungsfaktors zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise erfüllt und sich auf Einflußchancen in den Massenmedien verläßt, desto mehr wird für sie jede Basisaktivität zur Bedrohung. Deshalb wird es für einige Sozialdemokraten zu einer Existenzfrage, zu sagen, daß alles, was sich links von ihnen tut, in einem verbotenen Raum geschieht. Wenn man das weiß, macht man sich keine Illusionen über die Herstellung einer diskutierenden Öffentlichkeit. Wem bekannt ist, wie die KPD in den 5oer Jahren zerschlagen worden ist — mit legalen Mitteln und mit Mitteln außerhalb der Legalität — und welche Rolle gerade bei diesen Maßnahmen die nicht vorhandene Öffentlichkeit spielte, der muß -so meine ich - fragen, wie kann man eine neue Erzeugung des Verschweigens, des Totschweigens verhindern, wie können wir Einbrüche erzielen...

J. Schmierer: Das kann doch kein Selbstzweck sein...

J. Seifert: Darüber sind wir einig. Ich halte die Abstraktion «die» Öffentlichkeit schon für eine den Blick trübende Verselbständigung. Hier geht es konkret um die Frage, in welchem Umfang werden Verfolgungsmaßnahmen über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus noch bekannt, in welchem Umfang finden Aktivitäten an der Basis noch eine überregionale Resonanz? Wer meint, das würde sich naturwüchsig regeln, der verkennt, daß wichtige Aktionsformen von der studentischen Protestbewegung ja entwickelt worden sind, um sich auf die Weise Gehör zu verschaffen! Wenn wir davon ausgehen, daß Basisaktivitäten in einer spezifischen Weise Resonanz erzeugen können und daß es bei den kommenden Auseinandersetzungen gerade auf diese Formen des Widerhalls an der Basis ankommt, dann kann es uns dennoch nicht gleichgültig sein, ob Unterdrückungsmaßnahmen der Staatsgewalt von liberalen Medien registriert oder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werden. Deshalb ist die Analyse des politischen Bereichs so eminent wichtig, deshalb kommt es auch darauf an, jede Chance zu nutzen, jeden Ansatz aufzuspüren, um zu verhindern, daß sich über die Repressionsmaßregeln ein Schleier des Schweigens senkt. Deshalb kann es sich die Linke nicht leisten, nur wegen bestimmter Organisationszugehörigkeiten andere vor den Kopf zu stoßen, die sich gleichfalls gegen den Beschluß der Ministerpräsidenten wenden. In der gegenwärtigen Situation ist die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ein wichtiger Faktor. Es wäre falsch, die Kritik linker Sozialdemokraten und auch die Proteste der DKP einfach abzutun. Hier ist es teilweise allerdings notwendig, die Argumente zu kritisieren, mit denen der neuen innerstaatlichen Feinderklärung entgegengetreten wird. Doch primär geht es heute darum, zu verhindern, daß die zweite Unterdrückungswelle in der BRD zu ähnlichen Ergebnissen führt, wie die Verfolgung der KPD in den 5oer Jahren.

W. Lefèvre: Ich bin ganz einig mit euch, daß man langfristig überhaupt nur arbeiten kann, wenn man sich durch solche Repressionskampagnen wie im Augenblick überhaupt nicht beirren läßt bei dem, was man Kleinarbeit nennen kann. D. h., Arbeit an den z. T. noch schlechten, z. T. schon besseren Bewegungsansätzen der Klassen selber. Nur, aktuelle Schläge der Konterrevolution beantwortet man, das war einmal ein geflügeltes Wort im SDS - und ich denke, ein richtiges -, nicht mit der Ankündigung langfristiger Wühlarbeit. Wir wissen natürlich, die Arbeiterklasse Deutschlands ist nicht mehr so passiv wie vor zehn Jahren, aber sie ist z. B. noch nicht bereit, gegen Repressionsmaßnahmen, wie sie im Moment laufen, aufzutreten - obgleich sich diese Maßnahmen ja nicht nur, der Joscha hat das ja vorhin gezeigt, gegen die Intelligenz, sondern - wie die Novellierung des BVG, die Konzentration des Polizeiapparates usw. zeigen - auch gegen die Arbeiterklasse selber richten. Du stehst also vor dem alten Problem der Linken der letzten zehn Jahre: Müssen wir die verschiedenen präventiven Maßnahmen des kapitalistischen Staatsapparates hinnehmen, weil sich die Arbeiterklasse nicht zureichend oder manchmal auch gar nicht zur Wehr setzt, oder müssen wir nicht mit den vorhandenen Kräften einen Abwehrkampf führen, auch wenn wir dabei in die sektiererischen Gefahren geraten, die mit jeder Sorte «stellvertretenden Klassenkampfs» verbunden sind. Und ich denke, du kommst nicht umhin, dich in diese Gefahren hineinzubegeben, mit dem jetzt vorhandenen Potential Defensivschlachten zu führen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das nun Bürgersöhnchen sind oder nicht.

Strategie-Ansätze

J. Schmierer: Damit du mich nicht mißverstehst, wir haben niemals aufgehört an der Universität zu arbeiten. Wir sind nie zu einer Intellektuellen-Verachtung gekommen. Vielleicht gerade deshalb, weil wir keine übertriebenen Hoffnungen hatten ...

D. Hildebrandt: Wir haben niemals aufgehört, das zu führen, was wir den demokratischen Kampf genannt haben. Wir sind niemals übergegangen von der Euphorie der Bewegung zu neuen angeblich möglichen direkten Veränderungen der Gesellschaft, wie sie in den Konzepten von Rätestrukturen, Basisdemokratie diskutiert wurden, oder wie das auch immer geheißen hat. Wir haben vielmehr niemals aufgehört, den demokratischen Kampf, d. h. die Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Staatsmacht, auch auf der Ebene der demokratischen Rechte, zu führen. Wir haben uns also niemals grundsätzlich gegen die mögliche Ausnutzung von Bündnismöglichkeiten und Öffentlichkeit ausgesprochen - aber heute geht es doch um die Analyse dessen, was passiert. Und da steht doch fest, daß etwa der Beschluß der Ministerpräsidenten die klare Stoßrichtung hat, politische Gruppen an der Universität direkt zu treffen. Sie sollen nicht mehr auftreten können, ohne zu riskieren, ihre Berufsperspektive zu verlieren. Das Ziel ist also nicht so sehr die Einigung des Lehrerapparates, sondern die Verhinderung des offenen politischen Auftretens - und das wird sich noch verschärfen. Und da stellt sich die Frage - und darum ist die Analyse so wichtig - welche Bündnisse man schließt und mit welchen Argumentationen man sich an die demokratische Öffentlichkeit wendet. Man sieht z. B., daß jetzt im Bewußtsein der Schwäche und in einer gewissen Hysterie eine Politik mit falscher Stoßrichtung gemacht wird. Man versucht, Maßnahmen, die heute durchaus innerhalb der bürgerlichen Demokratie durchgesetzt werden, mit den Prinzipien bürgerlicher Demokratie zu schlagen. Also ein breites Bündnis herzustellen, das sich auf die Verfassung beruft, das die Bourgeoisie zwingen will, ihre Maßnahmen aufgrund ihrer eigenen abstrakten Gesetzlichkeit zurückzunehmen. Viele Gruppen geben im Augenblick bei der Bestimmung der Bündnisse Grundpfeiler einer sozialistischen Bündnispolitik auf, weil sie bei der Analyse nicht klar genug gesehen haben, daß sich das, was im Augenblick geschieht, gegen die sich herausbildende Avantgarde der Arbeiterklasse richtet und damit natürlich in der Konsequenz auch gegen alles, was noch irgendwie als oppositionell angesehen werden kann. Diese Bündnisse werden natürlich in der Abwehr dieser Maßnahmen scheitern.

J. Schmierer: Ich habe ja schon gesagt, die alte Taktik der Solidaritätskampagne geht nicht mehr, weil klar ist, daß auf der Ebene der bloßen Solidaritätsdemonstration mit einzelnen besonders Betroffenen der breit angesetzten Verfolgungskampagnen nicht begegnet werden kann. Inzwischen ist es doch so, daß die Studenten schon fürchten müssen, in Seminaren aufzutreten, für das Studentenparlament zu kandidieren, weil das ihre Angehörigkeit zu einer politischen Organisation offenlegt und das Berufsverbot nach sich zieht. Wir können nur dadurch wieder in die Offensive kommen, wenn wir unsere Politik ändern, und zwar auch an der Universität nachweisbar ändern. Wir müssen für die Studenten nachprüfbar auf die realen Bedingungen, die in der Arbeiterklasse da sind, eingehen. Müssen sie an der Universität vermitteln, wobei das Entscheidende ist, daß wir diese Politik nicht verlogen vermitteln. Das würde die ganze Resignation auf einer neuen Ebene wieder hervorbringen.

W. Lefèvre: Was heißt das konkret? Z. B. Sommersemester 72 Heidelberg? Du kannst doch jetzt, wo die Repressionswelle läuft, nicht eine auf 1975 ausgerichtete Politik vorstellen.

J. Schmierer: Da in Heidelberg die Studentenbewegung noch intakt ist, nicht auseinandergebrochen, die diskutierende studentische Öffentlichkeit also vorhanden ist, wäre es ziemlich leicht für uns, im Rahmen einer taktischen Entgegnung auf die Re-pressionen eine Solidaritätskampagne durchzuführen. Es würden dafür wahrscheinlich viele auf die Straße gehen. Was würde das aber helfen, wenn wir ganz genau wissen, daß solche Solidaritätsaktionen praktisch dauernd nötig wären, denn Mandel ist natürlich weder der erste noch der letzte -warum sollte man nicht für jeden Lehrer auf die Straße gehen? Wir sind gezwungen, durch diese Verfolgungsmaßnahmen unsere ganze Politik an der Universität zu überprüfen. Wir müssen uns jetzt schon überlegen, wie wir zu bestimmten Formen der politischen Arbeit übergehen, die nicht sofort die ganze Organisation offenlegen und alle Sympathisanten faßbar macht. Das ist das eine. Das andere ist, daß wir versuchen müssen, an der Universität - und das ist das Entscheidende der Arbeit an der Universität — einen strategischen Blick zu entwickeln. Dadurch etwa, daß man auf die realen Bewegungen in der Arbeiterklasse zielt, und das ist zunächst mal Aufklärungsarbeit. Hier kommt es sehr auf das Wie dieser Aufklärungsarbeit an. Man darf den Studenten kein falsches Bild der Arbeiterklasse vorführen, schon gar nicht auf dem Hintergrund spektakulärer Ereignisse, sondern man muß in den Studenten die Fähigkeit entwickeln - und das hat der SDS und die Studentenbewegung in weiten Teilen nie gemacht - sich in realen Situationen zurechtzufinden. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn uns das gelingt, dann führt auch das taktische Nachgeben in bestimmten Situationen nicht zu Resignation. Wie kann man — und das ist doch eine entscheidende Frage - ein Bewußtsein entwickeln, das die Studenten und die Intellektuellen überhaupt von ihrer falschen Spontaneität herunterbringt. Wir müssen doch unsere eigenen früheren Auffassungen auch in der Weise bekämpfen, daß wir klarmachen, daß Spontaneität zwar wichtig ist, aber doch überwunden, zu Bewußtsein werden muß. Sie muß übergeführt werden in bewußtes Handeln. Wobei bewußtes Handeln in zunehmendem Maße sich von spontanem Handeln unterscheiden wird.

J. Seifert: Resignation ist immer nur einfache Negation, in ihr werden Erfahrungen nicht auf eine neue Ebene gehoben.

W. Lefèvre: Meines Erachtens ist es richtig, zu sagen, daß die nächste Offensive der Sozialisten erst von einer ganz anderen sozialen Grundlage aus geführt werden kann, nämlich von der dem Sozialismus allein angemessenen Grundlage der Arbeiterklasse aus. Auch hat Joscha recht, wenn er betont, daß jeder Versuch von Politik, der so tut, als habe die Studentenbewegung die Apo, keine Niederlagenerfahrungen gemacht, scheitert und nur dazu beiträgt, daß die gegenwärtigen sozialistischen Kräfte, wie es zu einem bedauerlich großen Teil schon der Fall ist, der Resignation verfallen. Dennoch denke ich, daß das Zurückweichen, auf das man sich jetzt einrichten muß, um sich die aufbauende Kleinarbeit nicht zerschlagen zu lassen, nicht ohne Resignation abgehen wird, wenn man nicht auch Defensivschlachten führt. Auch meine ich nicht, daß wir über keinerlei machtpolitische Mittel verfügen. Der Widerstand, den wir z.B. an den Universitäten ausüben können - Streik, Erzwingung der Schließung oder ähnliches -, ist sicherlich der gegenwärtigen Repressionswelle unangemessen, weil sich diese in erster Linie ja gar nicht gegen die Intelligenz richtet. Aber ist diese Einsicht vielleicht ein Grund, auf derartigen Widerstand zu verzichten?! Die wenigen Möglichkeiten von Abwehraktionen und auch Abwehrschlachten, die wir haben, können wir doch nicht ungenutzt lassen, bloß weil sie insgesamt unzureichend sind, angesichts des Charakters der gegenwärtigen Offensive der bundesrepublikanischen Kapitalisten und ihres Staatsapparats. Würden wir diese Möglichkeiten ungenutzt lassen, dann müßten wir auch in Kauf nehmen, daß die sozialistischen Kräfte, mit denen wir jetzt rechnen können, nicht für die von Joscha beschriebene langfristige Arbeit gewonnen werden können, sondern in Apathie verfallen oder den sozialdemokratischen Weg gehen.

J. Schmierer: Du hast jetzt das Bild etwas sehr strapaziert, und zwar so, daß auch wirklich Fehler dabei herausgekommen sind. Ich meine, daß wir im Gegenteil sowohl ideologisch als auch organisatorisch bestimmte Positionen errungen haben, die es uns erlauben, z. B. diesen Verfolgungsmaßnahmen standzuhalten. Wir werden bei diesen Verfolgungsmaßnahmen noch dazulernen, und ich glaube nicht, daß das zur Auflösung etwa der Massenbasis an der Universität führen wird. Das wäre auch ein schwerer Schaden für die Kämpfe der Arbeiterklassen. Es ist ganz klar, unsere Pflicht als Kommunisten ist es, von den Kämpfen der Arbeiterklasse auszugehen, jeden Kampf von dieser Position aus zu führen und die erreichten Positionen in der Studentenbewegung nicht aufzugeben. Aber die Frage ist, wie können diese Positionen verteidigt werden und wie können sie so verteidigt werden, daß sie nicht zu Niederlagen, sondern zur ideologischen und organisatorischen Stabilisierung führen.

Was du da eben gesagt hast, hat zwar deinen Intentionen ziemlich widersprochen, aber du hast doch so etwas wie eine letzte Schlacht Vesuv beschrieben und zwar damit, daß du gesagt hast: Solange die Herrschaftsseite nicht mit ihren Repressionen nachgibt, solange werden wir dafür sorgen, daß die Universität nicht funktioniert. Das ist ein ganz illusionäres Konzept, weil es nach wie vor die Auseinandersetzung auf den Staat beschränkt und zwar dort, wo schon was passiert ist. Während wir umgekehrt alle Kämpfe danach bestimmen müssen, wie sie in Beziehung zu den Kämpfen der Arbeiterklasse stehen und wie wir als Kommunisten dann in diese Kämpfe einzugreifen haben. Ich spreche überhaupt nicht gegen den Kampf, den führen wir noch ziemlich intensiv in Heidelberg, ich spreche aber dagegen, daß wir falsches Bewußtsein in der Studentenbewegung stabilisieren, daß wir selber uns diesem falschen Bewußtsein unterwerfen. So werden wir nicht in der Lage sein, diesen Verfolgungsmaßnahmen zu begegnen. Wir müssen gerade darüber eine Diskussion in der Universität zustanden bekommen, wie wir diesen Angriffen, die nicht mehr primär gegen die Studentenbewegung gerichtet sind, adäquat begegnen können. Und da komme ich auf den Propaganda-Feldzug zurück. Die Konsolidierung hat doch inzwischen ganz andere Formen angenommen, und wir brauchen doch nicht auf die Erwartungen, die die Bourgeoisie uns gegenüber hat, hereinfallen und genau so reagieren, wie sie es erwartet.

J. Seifert: Ich halte das Wort Rückzug für nicht angemessen. Es handelt sich in der gegenwärtigen Phase noch weitgehend um einen Propaganda-Feldzug. Es wäre ein Fehler, das nicht zu erkennen. Getroffen werden sollen ganz bestimmte Aktivitäten an der Basis. Aber gerade solche Arbeit ist durch Kampagnen, die bisher primär in den Massenmedien geführt werden, nicht ohne weiteres lahmzulegen. Das ist die Stärke jeder wirklichen Basisarbeit.

A. Widmann: Ich sehe einen wesentlichen Unterschied zwischen dem was Lefèvre und Schmierer sagen darin, daß Lefèvre im Hintergrund dauernd die Vorstellung von den großen Massen der Studenten hat, die man nicht einfach fallen lassen darf -während Schmierer dauernd die ideologische und organisatorische Festigung betont. Er argumentiert doch so, wenn er sagt, daß man gerade durch diese ideologische und organisatorische Festigung den Massen der Studenten hilft. In bestimmten Situationen aber gerade nicht dadurch, daß man sie praktische Erfahrungen im Sinne einer Rektoratserstürmung machen läßt.

D. Hildebrandt: Der Erfolg der Aktionen von dieser Art 1967 bis 1970 beruhte doch darauf, daß sie aufbauen konnten auf dem demokratischen Bewußtsein großer Teile der Studenten, die die Institutionen verändern oder letztlich gar abschaffen wollten, nach den Vorstellungen, die sie sich von ihnen gemacht hatten, d. h. von deren notwendiger demokratischer Struktur. Ihre Stoßkraft kam aus der Illusion einer möglichen linearen Ausbreitung der Bewegung. Das hat dann dazu geführt, daß man damals sagte, der SDS definiere sich in der Aktion. Das führte zur Ausschaltung von bestimmten Diskussionen und das wiederum zur zunehmenden Zersplitterung, weil die Aktionen eben nicht zur weiteren linearen Ausdehnung geführt hatten. Aus dieser Zersplitterung entstanden zwei Pole: erstens der Versuch der «Erneuerung der Demokratie», den revolutionären Kampf eben darum versacken zu lassen, im Grunde also seinen Frieden mit der Bourgeoisie zu machen, und diese Teile gingen zur DKP. Gerade aus dieser Resignation - angesichts des Ausbleibens der erwarteten Ausbreitung - die den Ausweg dann nur noch im Kampf für die «Erneuerung der Demokratie» sieht, erklärt sich dann auch der dort überraschende Erfolg vom Spartakus und SHB an einigen Universitäten. Diese Politik wird im Kampf gegen die Repression scheitern, denn alle Versuche, etwa der DKP, sich ganz lammfromm zu geben, immer wieder zu unterstreichen, daß man auf dem Boden des Grundgesetzes steht, schützen sie nicht vor den Angriffen der Staatsmacht, es sei denn, sie verzichten auch auf den geringsten Anlaß. Der zweite Pol ist der, der sich ein wenig in den Diskussionen über die Militanz äußert, in den Fragen des sofortigen Widerstands. Hier wird gesagt, wir dürfen nicht zurückweichen, wir müssen der Staatsgewalt eins auswischen. Hier wird die strategische Richtung der Aktion wieder nur aus der Aktion selber, aus dem Widerstand, abgeleitet und nicht aus der Analyse und Diskussion der gegenwärtigen Situation. Hier meine ich all das, was um die Diskussionen des bewaffneten Kampfs in den Metropolen kursiert. Eine ganz gefährliche Sache dabei ist, daß gerade solche Gruppen, die in der Studentenbewegung keine oder kaum Praxis hatten, sich in einer linksradikalen Attitüde mit verfolgten und in die Enge getriebenen Gruppen oder Einzelnen in der Weise «solidarisieren», daß sie darüber theoretisie-ren und leichtfertig die These verbreiten, es sei jetzt und heute direkt bewaffneter Widerstand zu leisten, ohne daß sie selber es tun, sich also mit der Praxis und dem Heroismus anderer schmücken. Bei der Durchführung der Solidaritätsaktionen, oder besser, des demokratischen Kampfes, müssen wir darauf achten, daß die Bündnisse eine materielle Grundlage und eine praktische Perspektive haben. Sie können nicht mehr einfach Solidaritätsaktionen aus dem Bewußtsein der Verletzung der Demokratie sein, von den demokratischen Spielregeln ausgehen, sondern müssen die Möglichkeiten tatsächlicher praktischer Arbeit aufgreifen. Wir müssen bei der Frage der Bündnisse - und hier spielt die Gewerkschaftsarbeit u. a. eine Rolle - darauf achten, gegen wen sich der Schlag richtet und wer mitgetroffen wird. Deswegen ist die Analyse so wichtig. An der Universität ist es noch verhältnismäßig einfach, weil hier unter den Studenten ein Interesse daran besteht, in der Auseinandersetzung mit der Repression und den Gang der monokapitalistischen Hochschulreform - die sehr wohl vermittelbar ist mit dem Anspruch des demokratischen Staates und damit dem spontanen Bewußtsein der Studenten - den Kampf mit den Kämpfen der Arbeiterklasse zu vermitteln. So kann der Studentenbewegung eine Perspektive für den demokratischen Kampf gegeben und die Massenbasis erhalten werden.

J. Seifert: Aber bewußte Aktion heißt doch, ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Ich muß analysieren, was hier und jetzt möglich ist...

D. Hildebrandt: Es gibt doch keine «sicheren» Aktionen ...

J. Seifert: Es gibt keine sicheren Aktionen, das ist klar. Es gibt im voraus auch nie die Sicherheit, daß das, was wir tun, tatsächlich «systemüberwindend» ist. Das gilt für jede Form der Basisaktivität ebenso wie den Glauben an bestimmte Organisationsformen; denn jedes Ding ist heute, so heißt es bei Marx, «schwanger mit seinem Gegenteil». Wichtig ist es, unsere Aktivitäten in den konkreten Zusammenhang einzuordnen, der sich aus der ökonomischen Entwicklung der historisch-sozialen Situation und aus den politischen Kräfteverhältnissen ergibt. Aber nur dann kann unser Tun «systemüberwindend» werden, wenn es uns gelingt, unsere heutige Aktivität zu einer Stufe auf dem Wege der Abschaffung des Prinzips der Lohnarbeit zu machen. Ob etwas in dieser Weise zum Hebel wird, darüber entscheidet allein die weitere Form unserer praktisch-kritischen Tätigkeit.

J. Schmierer: Wie führt man diese Kämpfe aber im richtigen Bewußtsein? Da ist natürlich die Frage, wie man den Erfolg ansetzt, wichtig, Aber falsch ist es, den Erfolg darin zu sehen, ob man etwas erreicht hat, was die Eroberung von Positionen an der Universität etwa im Sinne von einem «sozialistischen Studium» angeht. Ich glaube nicht, daß man da -denn die Studentenbewegung ist noch nicht Teil einer breiten Massenbewegung - viel erreichen kann. Auch kann man nicht den Staat zwingen, bestimmte Repressionsmaßnahmen rückgängig zu machen. Den Erfolg hier anzusetzen, heißt gerade sozialdemokratische Kriterien anzuwenden. Unsere Erfolgskriterien müssen ideologische Klarheit und organisatorische Stärke sein. Denn unser Ziel muß sein, immer mehr Teile der Studenten von der Bourgeoisie zu trennen. Und nur soweit können Reformen oder Rücknahmen von Repressionsmaßnahmen durch die Bourgeoisie als Erfolg verbucht werden, wenn sie die Trennung von der Bourgeoisie stabilisieren. Auf der Ebene des unmittelbaren Erfolgs kann man Abwehrkämpfe nicht erfolgreich führen. Würde etwa das Einreiseverbot für Mandel zurückgenommen, so wäre der Grund nicht in den Aktionen der Linken zu suchen, sondern in der Uneinigkeit der Bourgeoisie. Ich meine, daß wir uns nicht ducken müssen, daß wir uns nicht verstecken müssen. Ich meine aber auch, daß jede Aktion nicht danach bemessen sein kann: wirkt das jetzt spektakulär, gewinnen wir damit Einfluß auf die Widersprüche innerhalb der bürgerlichen Presse, sondern der entscheidende Punkt ist, wie stabilisieren wir die Ansätze von revolutionärem Bewußtsein, die sich in diesen Bewegungen gezeigt haben. Und da gewinnt der ideologische Kampf eine zentrale Bedeutung, weil wir die Verhinderung der Unterwerfung unter die Bourgeoisie nicht so erreichen können, daß wir sagen, wir führen jetzt Aktionen durch, die die Grenzen der bürgerlichen Legalität durchbrechen. Das halte ich für ganz falsch, denn gerade der Spartakus profitiert ja von den Leuten, die sehr wohl solche Aktionen gemacht haben. Die bloße Gesetzesübertretung wäre ja erst dann stabilisierend, wenn man objektiv nicht mehr zurückgehen könnte. Der wichtigste Punkt ist vielmehr der ideologische Kampf gegen diese Neigung der Unterwerfung unter die Bourgeoisie, die gerade darin ihre materielle Grundlage hat, daß der größte Teil noch zurück kann. Denn diese Repressionswelle läßt Auswege offen. Es soll ja nicht die bürgerliche Intelligenz vernichtet werden, sondern es soll verhindert werden, daß Teile der Intelligentz sich von der Bourgeoisie abspalten und bewußt an der Seite der Arbeiterklasse kämpfen.

W. Lefèvre: Wir wissen, daß ganz unabhängig davon, was nun die DKP ist und was einige studentische Organisationen sind, die sich leninistische Parteien oder so ähnlich nennen - daß völlig unabhängig davon natürlich eine reale Bewegung der Klasse in tausendfältiger Form, in jeder Fabrik usw. stattfindet und die sich in rudimentären organisatorischen Ansätzen niederschlägt, die, wenn's hochkommt, als Zirkelwesen, manchmal sind es auch nur Freundeskreise u. ä., bezeichnet werden können. Angesichts dieser Situationen, denke ich, ist es nur eine abstrakte Auskunft für jemand, der jetzt als Lehrer nach Oldenburg geschickt wird, wenn man ihm sagt, du mußt jetzt deine Berufsperspektive innerhalb der Bündnisperspektive sehen und dich an der Arbeiterbewegung orientieren und zwar an dem Aktionsprogramm ihrer organisierten Vorhut. Und der fragt, wo ist det?

J. Schmierer: Ich würde es viel schärfer fassen. Ich würde sagen, daß das an den Schulen in den größeren Städten gar nicht anders ist. Gerade in der Frage der «revolutionären Berufsperspektive» hat sich gezeigt, daß in dem Moment, wo der Beruf tatsächlich von vielen Genossen aufgenommen worden ist, gar keine Perspektive war, sondern daß natürlich gerade der Beruf am festesten in der Hand der Bourgeoisie ist. Jetzt können wir doch nicht so reagieren, daß wir gegenüber der Illusion von der «revolutionären Berufsperspektive» den liberalen Unterricht als Möglichkeit anbieten. Sondern die Antwort muß im Rahmen eines strategischen Konzepts gegeben werden, so abstrakt das tatsächlich in vieler Hinsicht heute noch ist, nämlich auf der Ebene der Schaffung einer politischen Organisation, die in der Lage ist, die Kämpfe des Volkes unter der Führung der Arbeiterklasse anzuleiten. Wir dürfen aber nicht übersehen, daß die «revolutionäre Berufsperspektive» für viele Genossen ein strategisches Konzept gewesen ist, dem die Meinung zugrunde lag, die Studentenbewegung könne sich einfach so in das Volk ausdehnen. Wir müssen diesem strategischen Konzept ein strategisches Konzept entgegensetzen. Und wenn wir dieses strategische Konzept, das jetzt zugegeben zunächst mal abstrakt ist, dem entgegenstellen und auch erklären, warum das so sein muß, dann, glaube ich, können wir wieder praktische Handlungsanweisungen bis in die Berufssphäre reingeben. Wir müssen gerade für die Schulen - was völlig versäumt wird - ein Programm angeben, das sich eben in solche Sachen einläßt, wie Kampf gegen das Beamtenrecht, Kampf gegen die zusätzliche politische Unterdrückung, die in diesen Berufen mit Hilfe des Beamtenrechts ausgeübt wird. Wir müssen andererseits in der Lage sein, auch solchen Notwendigkeiten zu entsprechen, wie den, daß es gar nicht möglich ist für den einzelnen Lehrer z.B. einen materialistischen Unterricht zu machen. D.h., wir müssen Organisationsformen finden und schaffen - und wir versuchen das auch - die es erlauben, solche Sachen wie Unterrichtshilfe für fortschrittliche Lehrer zu entwickeln. Aber das wiederum können wir nur, wenn wir von einer revolutionären Strategie ausgehen, die sich auf die Arbeiterklasse stützt und die auch dann diese Tätigkeiten im Schulbereich richtig einschätzen kann - ohne Illusionen. Denn was nun jetzt dauernd ins Kreuz schlägt, sind die Illusionen, die wir selber gesät haben.

W. Lefèvre: Also, was nicht geht, ist meines Erach-tens: In einer Mathematikaufgabe kannst du dir zehn borgen, wenn du von sieben zwölf abziehen mußt; du kannst aber nicht, um eine Strategie zu entwerfen, dir die Arbeiterpartei gedanklich borgen...

J. Schmierer: Du hast die Alternative so dargestellt, wie sie nach meiner Auffassung historisch schon nicht mehr stimmt. Das klingt praktisch so, daß man entweder sagen müßte: wir sind die Partei der Arbeiterklasse, wir zeigen euch die Perspektive, oder daß wir sagen müßten, wir sind ein Intelligenzler-Zirkel, der versucht, marxistisch-leninistisch zu sein. Diese Alternative hat faktisch aufgrund der tatsächlichen historischen Situation existiert. Diese Situation ist aber in bestimmter Weise überwunden. Wir können von den lokalen Zirkeln, von denen ich jetzt ausgehe, die es vermieden haben, sich irgendeiner Partei anzugliedern, heute nicht mehr sagen, daß sie schlicht Intelligenzler-Zirkel seien, selbst wenn dort die Intelligenz noch überwiegt. Wir dürfen aus ihrer mangelnden Verankerung in der Arbeiterklasse kein Hehl machen. Wir können nicht gegenüber Bewegungen außerhalb der Arbeiterklasse genausowenig wie gegenüber Bewegungen innerhalb der Arbeiterklasse einfach als Führung auftreten. Das ist ganz klar. Wir müssen also sehen, daß die kommunistischen Organisationen in die Lage kommen, gerade in bezug auf ihre Fortschritte, in bezug auf ihre Arbeit in der Arbeiterklasse und in bezug auf ihre Erfahrungen, die sie in bestimmter Weise dort machen, auch eine politische und organisatorische Perspektive für die Genossen zu entwickeln, die in den Berufen stehen. Praktisch wird sich das niederschlagen müssen etwa im Aufbau einer politischen Propagandazeitung in der Arbeiterklasse.

Editorische Hinweise

Die Diskussion wurde entnommen: Ästhetik und Kommunikation, Nr. 8, Reinbek, Juni 1972, S. 6-16

Die Diskussion fand am 23. März 1972 in Frankfurt (IKAe) statt.

*)
Joscha Schmierer Redaktion Neues Rotes Forum. Dietrich Hildebrandt Redaktion Neues Rotes Forum. Prof. Dr. jur. Jürgen Seifert Seminar Wissenschaft von der Politik der Technischen Universität Hannover. Wolfgang Lefèvre dessen Anstellung als Wissenschaftlicher Assistent am Philosophischen Seminar der Freien Universität Berlin vom Berliner Wissenschaftssenator untersagt wurde.  Arno Widmann Redaktion Ästhetik und Kommunikation.