Ein Hamburger Multimillionär als ganzdeutscher Großintellektueller (Teil1)

von Richard Albrecht

02/12

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1.Einleitung
2. Ausleitung
3. Soziologie 1995: “Vernichtungskrieg”
4. Soziologie 2011: “ÜberLeben”
5. "Monkey Business" & "Rat Race": Money Makes This Science Go Round
6.
Summary

Sans la liberté de blâmer, il n'est pas d'éloge flatteur."[1]

Einleitung

Der, um dessen (sozial-) „wissenschaftliche“ Karriere es hier geht, wird folgend HMM genannt. Das drei Großbuchstaben umfassende Kürzel steht nicht für Her or His Majesty´s Master. Sondern für einen prominenten Hanseatischen Multimillionär, genauer: um jenen „Gründer und Stifter, dessen Aktivitäten nach dem gescheiterten Einkauf (1984) des Berliner Politologen Wolf Dieter Narr in den letzten fünfundzwanzig Jahren außer einer Titularprofessor zuletzt sogar die reputierliche Anerkennung seines Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) als führendes außeruniversitäres Forschungsinstitut für Zeitgeschichte hervorbrachte, und dessen notorische öffentliche Selbststilisierung als diskursfähiger poeta doctus im Zusammenhang mit seiner Politik der Projektfinanzierung(en) sozialwissenschaftlicher Intelligenz vermutlich später einmal für „die Nachgeborenen“ (Bertolt Brecht) von erheblichen Aufklärungsinteresse sein dürfte ...“[2]

Soweit (m)eine Kennzeichnung im Vorwort von SUCH LINGE (2008). Und in der Tat: Bereits zwanzig Jahre nach Gründung des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“ (HIS) wurde es in den USA öffentlich als eines der fünf führenden im Bereich Geschichte aktiven außeruniversitär-ganzdeutschen Forschungsinstitute vorgestellt[3]. Und in der bundesregierungsnahen Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ), wurde Anfang 2012 die Ausstellung über „Verbrechen der Wehrmacht“ des „Hamburger Institut für Sozialforschung“ professoral doppelt genannt: einmal im Leitessay wegen der von „insgesamt mehr als einer Million Menschen besuchten Ausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung über die Verbrechen der Wehrmacht (1995–1999 und 2001–2004)“ infolge der im wiedervereinigten Deutschland noch gesteigerter „Relevanz symbolischer Abgrenzung“ zu den Verbrechen des „Dritten Reiches“; und zum anderen als herausragendes Beispiel ganzdeutscher zeitgeschichtlicher „´Streitgeschichte´“[4].

An dieser Elegogiererei beteiligte sich – trotz des Datums kein Aprilscherz – auch die weiland als Alternativzeitung angetretene Berliner Tageszeitung. Sie erklärte am 1. April 2009 den Ausgelobten drucköffentlich für habermaskompatibel: HMM „ist nicht irgendwer, sondern einer der wenigen Großintellektuellen seiner Generation“. Und auch im deutsch(sprachig)en Netzlexikon Wikipedia wird der nächst Sechzigjährige, um den´s hier gehen soll, bisher recht unkritisch netztöffentlich ausgelobt[5].

Bis 2011 soll HMM nach Selbstauskunft seit 1997 vierzehn „Ehrungen und Auszeichnungen“[6] - damit jährlich eine -, zuletzt 2011 den Schrader-Preis zur Förderung des „Dialogs zwischen Gesellschaftswissenschaften und Praxis“ erhalten haben[7]. Dieser HMM-„Ehrung“ gingen zwei im engeren Sinn „soziologische“ Anerkenntnisse voraus: 2008 die „Ferdinand-Tönnies-Medaille der Christian Albrechts-Universität zu Kiel“[8] und 2010 der „Preis für hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)“[9]. Dieser interessiert hier in besonderen und als Besonderheit.

Nun könnte man´s bei den Multi-„Ehrungen und Auszeichnungen“ eines so geschwätzigen wie öffentlichkeitswirksamen multimillionario hanseatiensis resignativ, gleichgültig oder wie auch immer achselzuckend unter Verweis auf die eine oder andere Variante des Matthäus-Effekts[10], demzufolge der Teufel immer sei´s auf den größten sei´s auf den dümmsten Haufen scheißt, belassen. Das freilich war - und ist - mein Ding als Kritischer Sozialwissenschaftler (KriSow) nicht: Auch wenn´s hier und heute so erscheint, daß heuer auch alteuropäisch-akademische Soziologie zum „Geheimnis des Erfolgs“ als „erotic power“ ratgeberisch verhelfen soll[11]. Dies war weder der fachgeschichtliche Ausgangspunkt einer „Soziologie des Erfolges“ noch kann es, auch heute noch, ihre soziologische Substanz sein. Vielmehr ging – und geht – es um „Kritik des Erfolges“[12] und Kritik „erfolgreicher Menschen.“[13]. In diesem Sinn interessiert auch hier in Wiederaufnahme und Weiterführung der „alten“ soziologischen Grundfrage „Knowledge For What“[14] – welches Wissen für wen und mit wem – das Beispiel der speziellen DGS-„Auszeichnung“ HMMs für seine „hervorragenden Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie“ in dem Jahr, in dem der Vorsitzende der deutschen Soziologengesellschaft Soziologie zur unentbehrlichen „Korrekturwissenschaft“ (Soeffner, FR 11. Oktober 2010) umfunktionieren wollte.

Um die gesellschafts-soziologisch bedeutsamen und öffentlich ausgelobten „hervorragenden Leistungen“ des multimillionarischen „Großintellektuellen“ hanseatischer Provenience - und nur um diese und diesen - soll es hier gehen – ni mas ni menos: nicht mehr - (aber auch) nicht weniger.

[soll fortgesetzt werden]

Anmerkungen

[1] La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro. Comédie en cinq actes de Beaumarchais (1778; première représentation 1784: http://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Mariage_de_Figaro )
 

[2] Richard Albrecht, SUCH LINGE. Vom Kommunistenprozeß zu Köln zu google.de. Sozialwissenschaftliche Recherchen zum langen, kurzen und neuen Jahrhundert. Aachen: Shaker, 2008: 13 [-> http://www.shaker.de/shop/978-3-8322-7333-0   ]; in anderem Zusammenhang wurde bereits 2000 die Formel “Reemtsmaisierung der Linken” (Jörg Später) benützt: http://www.archiv3.org/volltext_91214.htm

[3] Bulletin of the German Historical Institute, 38 (Spring 2006): 59-79

[4] APuZ 1-3.2012: 4 (Axel Schildt); 16 (Thomas Großbölting)

[5] http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Philipp_Reemtsma

[6] http://www.his-online.de/ueber-uns/mitarbeiter/aktuell/person/reemtsma-jan-philipp/awards.html

[7] http://www.schader-stiftung.de/

[8] http://idw-online.de/pages/de/news250956 ; das Standardphoto des Ausgelobten findet sich ebenso auf der Netzseite der Kieler Tönnies-Gesellschaft wie des Hamburger Literaturhauses: http://www.ftg-kiel.de/aktuell.htm  [und] http://www.literaturhaus-hamburg.de/lit/file/853/05_reemtsma.jpg

[9] http://dgs2010.de/programm/preisausschreibungen

[10] Richard Albrecht, Der Matthäus-Effekt; in soziologie heute, 4 (2011) 17: 28-31

[11] http://www2.lse.ac.uk/newsAndMedia/news/archives/2010/03/erotic.aspx  Catherine Hakim, Honey Money. The Power of Erotic Capital (Penguin 2011, 372 p.)

[12] Gustav Eichheiser, Kritik des Erfolges. Eine soziologische Untersuchung. Leipzig: Hirschfeld, 1930

[13] Weiterführend und historisch-kritisch zur „Kaste berühmter Männer“ der gegenwärtigen „internationalen Gesellschaft der Berühmten“, die (freilich nicht nur) „in der Scheinwelt des Kulturbetriebes“ wirkt Hannah Arendt, The World of Yesterday [1944]; zitiert nach: Die verborgene Tradition. Acht Essays. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1976: 74 ff.; dies., The Origins of Totalitarism [1951]; hier zitiert nach der letzten erweiterten deutsch(sprachig)en Ausgabe: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. München-Zürich: Piper, 1986: 102 ff.; als Anschauungsbeispiel Richard Albrecht, Literarische Prominenz in der Weimarer Republik; in: Blätter der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft, 12 (1986) 2/3: 127 ff.; zusammenfassend zu Arendt ders., „Das totalitäre Phänomen“: Zur politischen Soziologie des Totalitarismus der deutsch-jüdischen Autorin Hannah Arendt: soziologie heute, 3 (2010) 12: 32 ff.; ibid. 13: 36 ff.; systematisch-kritisch und über die „Dialektik der Aufklärung“ hinausgehend zum spätkapitalistischen Kulturbetrieb C. Wright Mills, The Cultural Apparatus [1959]; in: The Politics of Truth. Selected Writings. Ed. John H. Summers (Oxford University Press 2008): 203 ff. “commercial hack” vs. “star“

[14] Robert S. Lynd, Knowledge For What? The place of social science in American culture (Princeton University Press, 1939, x/268 p.) [soll fortgesetzt werden]

 

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor.

Richard Albrecht (Ph.D.; Dr.rer.pol.habil.) lebt als reflexionshistorisch arbeitender Sozialforscher & Freier Autor in Bad Münstereifel. Eigener Forschungsansatz The Utopian Paradigm; in: Communications, 16 [1991] 3: 283-318; gekürzt http://www.grin.com/en/e-book/109171/tertium-ernst-bloch-s-foundation-of-the-utopian-paradigm-as-a-key-concept  

Bio-Bibliographischer Link http://wissenschaftsakademie.net  Kontakt eingreifendes.denken@gmx.net