Ende 2011 hat der Melzer
Verlag ein überaus wichtiges aus zwei CDs bestehendes
Hörbuch zum Zionismus und dessen staatlicher Gestalt,
Israel, herausgegeben. Die leider bis dato nicht gedruckt
für die Öffentlichkeit vorliegenden Texte werden von den
Schauspielern Beate Himmelstoß und Jürgen
Jung gesprochen. Musikalische Einsprengsel
sind solche der Gruppe "Embryo".
Von Bedeutung ist m.
E. insbesondere der 1. Teil (CD I).
Hier werden alle grundlegenden
Mythen des Zionismus und
sympathisierender nicht-jüdischer
Strömungen an Hand eindeutiger Zitate zionistischer Führer wie
David Ben Gurion und israelischer
Wissenschaftlicher wie Shlomo Sand widerlegt. So etwa die
Behauptung, die Mehrzahl der Juden seien im Jahre 70 n.Chr. aus
ihrem Land in Palästina vertrieben worden und nun 2000
Jahre später zurückgekehrt. Weder
gibt es einen historischen Beleg für die
Massenvertreibung noch sind die "Zurückgekehrten" überwiegend
die Nachkommen derer, die damals
und später ihre nahöstlichen Heimat
verlassen haben. Da das Judentum die erste große
Bekehrungsreligion war, ist davon
auszugehen, dass die Mehrzahl der heutigen muslimischen oder
christlichen Palästinenser in der Antike Juden waren --
worauf bereits 1918 David Ben
Gurion,der erste israelische Ministerpräsident, und der
spätere 2. Staatspräsident Israels Jitzchak Ben Zwi
in einem gemeinsam herausgegebenen Buch aufmerksam
gemacht haben - und dass andererseits die
Mehrzahl der seit dem 19. Jahrhundert nach Palästina
ausgewanderten europäischen Juden einst
andere Religionszugehörigkeit hatten.
Insbesondere stellen die
Juden keine biologisch definierte Ethnie dar. Die Zugehörigkeit
zum Judentum allerdings auf die Religion zu begrenzen,
scheint mir zu kurz gegriffen. Letztlich wird es durch
den Antisemitismus in all seinen --
nicht nur religiösen - Spielarten
definiert. Weitere eindeutige Zitate zionistischer Führer zeigen
den bewusst kolonialistischen und
militaristischen Charakter ihrer Bewegung
und weisen etwa die Behauptung, dass Israel sich von Anfang an
einer arabischen militärischen
Übermacht zu erwehren gehabt hätte, in den
Bereich des Märchens. Im Wesentlichen folgt aus diesen
Grundlagen der zionistischen
Bewegungen notwendigerweise alles Weitere, z.B. auch die
anhaltende Politik der Vertreibung der -- Jahrhunderte lang weit
mehrheitlichen - nicht-jüdischen
Bevölkerung Palästinas. Das machte noch zu Beginn dieses
Jahrtausends der Tourismusminister im Kabinett Sharon
und Ex-General Rehavam Ze'evi,
Gründer der rechtsgerichteten Moledet-Partei, deutlich als er
sagte:
"Das Wesen des Zionismus
ist der Transfer. Der Transfer der jüdischen Nation aus der
Diaspora (nach Palästina) und der Transfer der Araber aus
Palästina".
Die Tatsache, dass es
natürlich auch andere Stimmen wie etwa die des Humanisten und
"Kulturzionisten" Martin Buber gab, die auf ein
gleichberechtigtes Zusammenleben von Juden und
Nicht-Juden in Palästina orientierten,
dass aber diese für die politische Linie des Staates
Israel stets irrelevant waren und blieben, deutet darauf
hin, dass sich die herrschende expansive Politik
notwendigerweise aus den realen
Grundlagen der zionistischen Bewegung ergab. Dazu der
Oberbefehlshaber der israelischen
Streitkräfte und spätere Verteidigungs- und Außenminister,
Moshe Dayan, nachzulesen im
Tagebucheintrag des Außenministers und
zeitweiligen Ministerpäsidenten Moshe Sharetts vom 26.5.1955:
(Ein Friedensschluß) "würde uns die Hände binden und uns die
Aktionsfreiheit nehmen, die wir in den kommenden Jahren
brauchen."
Der zweite Teil des Hörbuchs
(CD II), der sich der Entwicklung der jüngeren Vergangenheit --
darunter der Politik Israels gegenüber der
sogenannten Palästinensischen Autonomiebehörde in der
West Bank oder der Regierung der
islamistischen Hamas im Gaza-Streifen sowie überhaupt der
Frage der Demokratie in Israel und insbesondere auch
gegenüber dem 1/5 der arabischen Bürger
Israels -- widmet, zeigt all das, was auf Grund des
im 1. Teil dargelegten Befundes zu erwarten ist. Während die
"Demokratie", die für die jüdische Bevölkerung Israels in
der Tat ungeachtet ihrer grundsätzlichen Beschränkungen durch
ihren kapitalistischen Charakter und
ihrer speziellen Einschränkungen durch
die mannigfachen Auswirkungen der siedlerkolonialen
Unterdrückung der nicht-jüdischen Bevölkerung Palästinas
vergleichsweise mit den umliegenden
arabischen Staaten zwar durchaus real ist, erweist sich der
Gebrauch, der von den Zionisten von diesem Begriff gemacht wird,
wesentlich als propagandistisch. Das machte am 28. Mai
1993 der frühere Verteidigungsminister
und spätere Ministerpräsident, Ariel Sharon
in 'Yedioth Ahronoth', der
größten Tageszeitung Israels, unter der Überschrift
"Demokratie**und der jüdische Staat" folgendermaßen klar:
"Die Begriffe
"Demokratie" oder "demokratisch" kommen in der
Unabhängigkeitserklärung in keiner Weise vor. Dies ist kein
Zufall. Es war nicht die Absicht des
Zionismus -- dies ist kaum erwähnenswert -, eine Demokratie
aufzubauen. Er wurde allein angetrieben von der
Errichtung eines jüdischen Staates in Eretz-Israel, der
dem ganzen jüdischen Volk und dem jüdischen Volk allein
gehört. Deswegen hat jeder Jude in der
Diaspora das Recht, in Israel einzuwandern und ein Bürger
Israels zu werden."
Bei dem vorliegende Hörbuch
haben wir es mit einer Dokumentation zu tun, die so gut wie alle
relevanten Fragen auf überzeugende Art beantwortet
-- durch den Mund jüdischer und nicht-jüdischer Zeugen
wie den bereits erwähnten aber auch solcher wie Uri Avnery,
Albert Einstein, dem Israel immerhin einst das Amt des
Staatspräsidenten angetragen hatte, worauf er wohlweislich
verzichtete, Erich Fromm, Jeff Halper, Theodor Herzl, Yeshayahu
Leibowitz, Moshe Sharett, Norman Finkelstein, Arnold Zweig,
Moshe Zimmermann und Moshe Zuckermann sowie dem früheren
US-Präsidenten Jimmy Carter und dem Völkerrechtlers Norman Paech.
Nachdem die Juden jahrhundertelang Opfer
christlich-abendländischen und schließlich im 20. Jahrhundert
des nazistischen Antisemitismus waren, kann eine solche
Dokumentation nicht vollständig sein, ohne auch einen
emotionalen Zugang zu eröffnen. Das geschieht hier durch den
Rückgriff auf Texte aus dem hervorragenden Gedichtband des
verstorbenen österreich-jüdischen und antizionistischen Dichters
Erich Fried "Höre, Israel!"(1974).
Wenn man alle hier
aufgeführten -- und seit langem bekannte -- Fakten Revue
passieren lässt und sich der Tatsache bewusst bleibt, dass die
Regierungen der imperialistischen Staaten diese selbstredend
auch kennen, bleibt die Frage nach dem Grund für ihre anhaltende
Unterstützung der zionistischen Politik Israels, gleich ob dort
die "linke" Arbeiterpartei oder offen rassistische
Rechtsausleger die Regierung bilden. Da sind natürlich zum einen
die geostrategischen Interessen an der Kontrolle der instabilen
Staaten, die über gewaltige Erdölvorkommen verfügen. Allerdings
bleibt eine Frage offen, die auch von den Autoren dieses
Hörbuchs nicht gestellt wird -- vielleicht, weil die mögliche
Antwort zu grauenhaft ist. Das Hörbuch erwähnt, dass seit Jahren
mehr Juden aus Israel aus - als nach
Israel einwandern. Welcher Art sind dann wohl die, die dort
bleiben oder gar einwandern? Die Bevölkerungsstruktur droht,
sich zu Gunsten der radikalten Zionisten und/ oder religiösen
Fanatiker zu verschieben.
Das hat nicht nur schon jetzt
Auswirkungen auf den speziellen Charakter der bürgerlichen
Demokratie im Land selbst. Wenn wir es hier in wachsendem Maße
mit Menschen zu tun haben, die durch die Erfahrung des stets
drohenden abendländischen Antisemitismus traumatisiert sind,
muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht unerhebliche Zahl
von ihnen potentielle Selbstmordattentäter sind. In diesem
Zusammenhang wird seit langem auch vom "Massada"-Komplex
gesprochen. Aber anders als ihre jüdischen Vorfahren in der
antiken Festung Massada und auch anders als die bislang
bekannten islamistischen Selbstmordattentäter, gebietet das
heutige Israel über ein im Einzelnen unbekanntes aber zweifellos
gewaltigen Arsenal an Atomwaffen. Das dürfte die
Handlungsfähigkeit auch der imperialistischen Staaten, von denen
Israel ökonomisch so abhängig ist, gegenüber diesem Land eng
begrenzen.