Über 16 Millionen TV-Zuschauer/innen hatte Präsident Nicolas
Sarkozy am Abend des Sonntag, 29. Januar 2012. Zur besten
Sendezeit ab circa 20.15 Uhr machte der Präsident seine
Ankündigungen, die seit mehrere Tagen und insbesondere seit
dem so genannten „Sozialgipfel“ im Elysée-Palast vom 18.
Januar 12 (Labournet berichtete) erwartet worden waren.
Mehrwertsteuererhöhung für die nationale Produktion
Besonders intensiv erwartet wurde die Erhöhung der allgemeinen
Mehrwertsteuer, welche im Vorfeld mehrfach angekündigt worden
war. Im Namen der Einführung einer so genannten ,TVA
sociale’ („Soziale Mehrwertsteuer“, wobei
das Adjektiv in dem Falle denselben Sinn hat wie in dem
bekannten deutschen Klospruch: „Sozial ist, was Arbeit
schafft“) hatten Nicolas Sarkozy und seine Leute bereits
im Jahr 2007 angekündigt, einen Teil der „Lohnnebenkosten“ der
Arbeitgeber auf die Konsumbesteuerung umzuwälzen. Wie bereits im
Labournet ausgeführt, ist die Mehrwertsteuer dabei die sozial
ungerechteste Steuer überhaupt, da in keiner Weise proportional
zum Einkommen ausfallend - für dasselbe Produkt bezahlen die
Geringverdienerin und der Millionär dieselbe Mehrwertsteuer.
Dieses Vorhaben hatten französische Arbeitgeberverbände bereits
in den 1980er Jahren vorgeschlagen bzw. als Forderung erhoben.
Doch bislang kamen sie damit noch niemals durch. Nunmehr
scheint, durch die Krise, die Zeit für solche Vorstöße
reif.
Der Kern des Plans
besteht darin, jene bösen Konsumentinnen und Konsumenten, die
ungefälliger Weise „ausländische statt französische Produkte“
kaufen (vielleicht aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse…?),
sollten mit zur Kasse gebeten werden. Um gefälligst „die
Sozialversicherungssysteme finanzieren zu helfen“ - da sie halt
keine Arbeitsplätze im Inland schüfen. Zugleich sollte eine
relative Verteuerung ausländischer Produkte, durch eine höhere
Mehrwertsteuer, zu einer besseren Auslastung der
Produktionskapazitäten im Inland beitragen.
Denn während nämlich die
ausländischen Importprodukte teurer würden, könnte eine Senkung
der so genannten Lohnnebenkosten es den französischen
Unternehmen erlauben, ihre Verbraucherpreise (und übrigens auch
ihre Preise im Export) ebenfalls abzusenken - und so
Marktanteile im In- & Ausland zurückzuerobern. So weit
jedenfalls die Theorie. Denn der wesentliche Unterschied
zwischen, beispielsweise, in Frankreich und in China
produzierten Waren liegt oft einerseits im Preis, aber
andererseits auch in der Qualität. Jedenfalls bei denjenigen
chinesischen Produkten, etwa im Textilbereich, die tatsächlich
erheblich billiger sind. (Die chinesische Industrie kann
natürlich auch qualitativ hochwertigere Waren fabrizieren, nur
sind diese dann ebenfalls erheblich teurer.) Bei den Preisen
werden jene chinesischen Erzeugnisse, die unter die Rubrik
Billigprodukte fallen, dabei ohnehin nicht zu schlagen sein. -
Und dass die französischen Unternehmen eine Senkung ihrer so
genannten Lohnnebenkosten vorrangig dazu nutzen würden, um ihre
Konsumentenpreise zu senken, müsste auch erst noch bewiesen
werden.
Damals, im Jahr 2007,
also zu Anfang der Amtsperiode Sarkozy, war zeitweilig sogar an
eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um „4 bis 5 Prozent“ die
Rede. Dies hätte die französische Mehrwertsteuer, deren
allgemeiner Satz derzeit bei 19,6 % liegt, an den obersten Rand
des in der EU normalerweise Zulässigen befördert. Üblicherweise
sind in der Europäischen Union Mehrwertsteuersätze in Höhe von
bis zu 25 % erlaubt - darüber hinaus gehende Abweichungen nach
oben müssten durch Brüssel genehmigt werden. Damals kam es
jedoch nicht dazu. Denn die Tatsache, dass der seinerzeitige
(kurzzeitige) Wirtschaftsminister Jean-Louis Borloo den Plan
unvorsichtigerweise zwischen den beiden Wahlgängen der
französischen Parlamentswahlen vom 10. und 17. Juni 2007
enthüllte, führte zu einer halben Wahlniederlage der
bürgerlichen Rechten. Während dem Rechtsblock zuvor ein
Wahltriumph (wenige Wochen nach dem Amtsantritt seines „Helden“
Nicolas Sarkozy im Präsidentenpalast) angekündigt worden war,
konnte er so gerade noch die Schäden klein halten. 60
Parlamentskandidaten der Regierungspartei UMP soll diese Affäre
damals ihren Sitz gekostet haben. Borloo verlor sehr schnell den
Posten des Wirtschaftsministers, und wurde auf jenen des
Umweltministers weggelobt.
Nunmehr macht Nicolas Sarkozy jedoch Ernst mit der Sache. Keine
100 Tage vor dem Wahltermin für die Präsidentschaftswahl
verkündete er nun, die Mehrwertsteuer (TVA) werde zum 01.
Oktober dieses Jahres tatsächlich angehoben werden. Aber
letztendlich „nur“ um 1,6 Prozent, von bislang 19,6 % auf dann
21,2 %, nachdem auch in den letzten Wochen im Vorfeld zeitweilig
bis zu vier Prozent Erhöhung erwogen worden waren. Laut Sarkozy
und seiner Umgebung liegt die neue Mehrwertsteuer dann angeblich
„noch im EU-Durchschnitt“. Real liegt sie allerdings danach
bereits im oberen Mittelfeld. (Auf Lebensmittel sowie einige
Grundbedarfsgüter und „Kulturprodukte“, wie Bücher, wird ein
ermäigter Mehrwertsteuersatz erhoben. Er betrug bis im Sommer
2011 noch 5,5 %. Im Rahmen der bislang zwei „Sparpakete“ der
Regierung, von August und November 2011, wurde er jedoch um
anderthalb auf nunmehr sieben Prozent erhöht.)
Umgewälzt auf die Mehrwertsteuer werden künftig 5,4 Prozent der
bisherigen Sozialbeiträge der „Arbeitgeber“, und zwar jener
Anteil an ihnen, der zur Finanzierung der Kindergeld- und
Wohngeldkassen innerhalb des französischen
Sozialversicherungssystems (,la branche famille de la
Sécurité sociale’) dient. Nicht angetastet werden
dagegen die „Arbeitnehmer“-Sozialbeiträge. Im Vorfeld war
erwogen worden, auch diese auf die Mehrwertsteuer umzulegen.
Dann hätten die lohnabhängig Beschäftigten formell am Ende des
Monats mehr Geld auf dem Lohnzettel stehen sehen (welches jedoch
zum Teil - je erheblicher, desto niedriger das Einkommen und
dadurch die Sparquote - wieder durch die Konsumbesteuerung
aufgefressen worden wäre). Davon versprach sich das
Regierungslager zunächst, die Umstellung könnte „populär“
aussehen, da man sie entsprechend als „Reallohnerhöhung“ zu
verkaufen versucht hätte. Doch einerseits hätte die TVA-Erhöhung
dann gleich 4 Prozent betragen müssen, und andererseits fürchte
das konservativ-wirtschaftsliberale Regierungslager davon einen
„die Inflation anheizenden Effekt“.
Finanzmarktbesteuerung
Erhöht wird künftig auch für manche Einkünfte die „Allgemeine
Sozialabgabe“ CSG, die u.a. auf Löhne und Gehälter als Pauschale
neben der Einkommenssteuer erhoben wird und welche seit den
frühen 1990er Jahren zur Finanzierung der
Sozialversicherungssysteme dient. Daneben wird die CSG auch auf
Einkünfte aus Arbeitslosen- und Rentenversicherung (oberhalb
einer gewissen Höhe) sowie aus Kapitaleinkünften aus Mieten,
Renditen usw. erhoben. Allerdings wird derzeit nur Letztere,
also die auf Kapitaleinkünfte erhobene Abgabe, erhöht. In
Zukunft wird sie 10,2 statt bislang 8,2 Prozent betragen.
Allerdings bleibt dies
ein vergleichsweise lächerlicher Betrag. Um sich die Relationen
zu verdeutlichen: Die erhöhte Mehrwertsteuer soll künftig 11
Milliarden Euro jährlich zusätzlicher Staatseinnahmen erbringen,
die Kapitalertragsbesteuerung durch die erhöhte CSG dagegen nur
2 Milliarden Euro. Ihr Verhältnis beträgt also circa 85 Prozent
zu 15 Prozent.
Ab
dem 1. August 2011 wird zudem eine neue Finanztransaktionssteuer
in Höhe von 0,1 Prozent pro Kapitalbewegung erhoben werden.
Bestimmte finanzielle Bewegungen (etwa Börseneinführungen von
Unternehmensanteilen) sollen davon allerdings ausgenommen
bleiben. Die Manahme, welche im Vorfeld u.a. durch die deutsche
Bundesregierung deutlich kritisiert worden war („Berlin möchte
nicht mitziehen“, hie es dazu), ähnelt vom Prinzip her ungefähr
der durch manche Neoliberalismuskritiker/innen, Menschen bei
ATTAC und anderswo propagierten „Tobin-Steuer“ - die
Unterschiede dürften hingegen bei der Verwendung der solcherart
eingetriebenen Finanzmittel liegen. Die Sache belegt allerdings
vor allem die schlussendlich festzustellende Harmlosigkeit eines
solches Vorhabens, aus Sicht des Kapitalismus… Allerdings
hindert dies den britischen Premierminister David Cameron nicht
daran, in den letzten Tagen Zeter & Mordio zu schreien; der Mann
führt sich glatt auf, als würde er gerade abgemurkst. „500.000
Arbeitsplätze in der EU drohten verloren zu gehen“, malte er die
angeblichen Konsequenzen der Steuer in schwärzesten Farben aus.
Erwartet wird durch Nicolas Sarkozys Berater, dass sie jährlich
circa eine Milliarde eintragen werde.
Eigenheim-Erweiterung: eine Lösung für die Wohnungsnot? Wohl
kaum…
Als
Lösung für die absolut gravierende Wohnungsnot in Frankreich
(und besonders in seinen städtischen Ballungsräumen) gab Sarkozy
seinen Beschluss aus, alle bestehenden Gebäude dürften um 30
Prozent erweitert werden. Für Privathäuser, Eigenheime usw.
erwächst daraus die automatische und drei Jahre währende
Genehmigung, diese um drei Zehntel zu vergröern. Das soll
angeblich der Bauindustrie Aufträge verschaffen (was möglich
ist), aber auch die Wohnungsnot lindern, was höchst
unwahrscheinlich sein dürfte.
Um letzterer Aussage zu
widersprechen, platzierte Sarkozy das Argument, auch ein durch
eine Kommune ausgewiesenes Baugrundstück könnte ja nunmehr
dadurch auch um 30 Prozent zusätzlich bebaut werden: „Statt 100
Häusern könnten also 130 entstehen.“ Neben einer Platzfrage,
sowie eventuell einem Finanzierungsproblem, wirft dies
allerdings zudem die Frage des politischen Willens bei den
Kommunen auf - jedenfalls sofern es sich um Sozialwohnungen
handelt, sind Baubeschlüsse bei diesen nämlich oft ausgesprochen
unpopulär. Durch ein Votum des Kommunalparlaments kann jederzeit
beschlossen werden, eine solche Erweiterung um 30 Prozent (oder
sonst wie viel Prozent) abzulehnen, wie Sarkozy gegenüber den
ihn „interviewenden“ Journalisten auch einräumte.
Produktivitätspakte: Heißes
Eisen
Das Brisanteste an den
Ankündigungen Sarkozys ist jedoch, dass künftig demnach ein
Kollektivvertrag auf Unternehmensebene (die ungefähre deutsche
Entsprechung wäre eine Betriebsvereinbarung) genügt, um „in
Krisenzeiten“ eine Absenkung des Lohns und/oder eine Ausdehnung
der Arbeitszeiten OHNE Lohnausgleich zu erwirken. Das Ganze hört
auf den Namen ,Accords de compétitivité’, also ungefähr:
„Abkommen/Vereinbarungen für Wettbewerbsfähigkeit“.
Bislang war bei Eingriffen in den vereinbarten Lohn (jedenfalls
den Grundlohn, ohne Prämien & Zulage sowie variable
Vergütungsbestandteile) sowie in die vereinbarte Dauer der
Arbeitzeit jeweils das Einverständnis jeder/s einzelnen
Lohnabhängigen erforderlich. Denn solcherlei Eingriffe gelten
bislang als Abänderungen am jeweiligen individuellen
Arbeitsvertrag, die ein persönliches Einverständnis jeder der
beiden Vertragsparteien erfordern. Bereits in den 1980er Jahren
schlug eine Arbeitgebervereinigung (,Entreprise & Progrès’)
jedoch vor, stattdessen einen Kollektivvertrag auf Branchen-
oder Unternehmensebene gelten zu lassen, durch den die
Unterzeichner sich auch über Regelungen jeweils gültiger
individueller Arbeitsverträge hinwegsetzen und Letztere zu
Ungunsten der Lohnabhängigen abändern könnten.
Rechtliche Voraussetzung
wäre dafür heute (inzwischen, d.h. seit dem Gesetz zur
Neuregelung der Voraussetzungen für Kollektivverträge vom 20.
August 2008), dass solche Gewerkschaften das betriebliche
Abkommen unterzeichnen, die insgesamt mindestens 30 Prozent der
Stimmen bei den letzten Betriebswahlen erhielten. Innerhalb
eines kurzen Zeitraums von acht Tagen können zudem solche
Gewerkschaften, die - allein oder zu mehreren - mindestens 50 %
der Stimmen erhielten, ein „Veto“ gegen das Inkrafttreten eines
ungünstigen Abkommens einlegen.
Seitens der Gewerkschaften wird dieses Vorhaben jedoch auf
Widerspruch, zum Teil auf entschlossene Widersprüche stoen.
Unter anderem bei der CGT. Die eher sozialdemokratische CFDT
(der zweistärkste Dachverband französischer Gewerkschaften
hinter der CGT) erklärte sich zwar einerseits bereits, „über
Verhandlungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der
französischen Unternehmen“ gern mit sich reden zu lassen, übte
andererseits aber scharfe Methodenkritik an Sarkozy und dem
Regierungslager - diese setzten den Gewerkschaften nunmehr die
Pistole auf die Brust. Völlig in diesem Sinne erläuterte auch
die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ am
gestrigen Tage, es handele sich zwar einerseits in der Sache
inhaltlich um eine „gute Idee“. Andererseits drohe
Sarkozy diese gute Idee aber gerade zu „zerstören“ oder
nachhaltig zu diskreditieren, indem er den Beschluss im
Hau-Ruck-Verfahren durchsetzen wolle, statt zu versuchen, die
Neuregelung (zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit etc.) auf dem
Verhandlungswege durchzusetzen. Der mit CGT und CFDT
rivalisierende, verbalradikal-schillerende Gewerkschaftsverband
FO - ,Force Ouvrière’ - kündigte seinerseits schon mal „harte
Verhandlungen“ an.
Viele
Gewerkschafter/innen und Beobachter/innen erinnern zudem an
negative Präzendenzfälle wie den des Betriebs von Continental in
Clairoix (nördlich von Paris). Dort hatten Belegschaft und
Leitung im Jahr 2007 ein vergleichbares Abkommen zur „Steigerung
der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs“ abgeschlossen - damals
noch gestützt auf eine Änderung der individuellen
Arbeitsverträge, welche (begleitend zum Kollektivvertrag) durch
die einzelnen Lohnabhängigen akzeptiert wurde und eine Erhöhung
der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich vorsah. Doch kaum zwei Jahre
später wurde der Betrieb, den der Konzern zuvor als Testfeld für
neue Produktionstechniken (vor ihrer Auslagerung nach Rumänien)
genutzt hatte, dann dennoch geschlossen. Ähnliche Vorfälle, von
denen es mindestens ein halbes Dutzend gibt, werden derzeit
durch die Kritiker/innen geltend gemacht.
Premierminister François Fillon erklärte dazu, Unternehmen und
Gewerkschaftsverbände hätten nunmehr „zwei Monate Zeit“,
um sich auf die Modalitäten der Einführung solcher
Produktivitätspakte zu einigen. Ansonsten werde der Gesetzgeber
eingreifen. Allerdings wird das französische Parlament, das im
Juni 2012 neu gewählt, ab Ende Februar d.J. seine
Sitzungsperiode beendet haben - es sei denn, es vollführt noch
Sondersitzungen ganz am Ende seiner Legislaturperiode. Dass ein
solch explosives Vorhaben allerdings in solchem Tempo und in so
kurzer Zeit noch durchgedrückt werden könnte, erscheint im
Augenblick dennoch ausgesprochen fraglich. Doch auf jeden Fall
gilt in diesem Punkt: Wehe, falls das jetzige Regierungslager je
wiedergewählt werden sollte…
Editorische Hinweise
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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