Betrieb & Gewerkschaft
Manroland
„Die IG Metall hat ein falsches Spiel gespielt“

Von Marianne Arens

02/12

trend
onlinezeitung

Für über zweitausend Manroland-Arbeiter war der 31. Januar der letzte Arbeitstag. Erst eine Woche zuvor hatten sie ihre Entlassungspapiere erhalten. In Offenbach wurden 947, in Augsburg 741 und in Plauen 348 Manroland-Beschäftigte entlassen. Viele von ihnen blicken auf eine jahrzehntelange Tätigkeit für Manroland zurück.

Die entlassenen Arbeiter waren nicht nur über den Verlust ihres Arbeitsplatzes empört, sondern auch über die demütigende Art und Weise, wie ihnen die Entlassung mitgeteilt wurde. In Absprache mit der IG Metall ließ Insolvenzverwalter Werner Schneider die Beschäftigten bis zum letzten Tag über ihre Zukunft im Unklaren, um dann jedem Einzelnen in geschlossenem Umschlag die Entscheidung mitzuteilen.

Schneider und die IG Metall nutzten die Verunsicherung und Angst unter den Arbeitern, um bis zur letzten Stunde einen reibungslosen Ablauf der Produktion zu ermöglichen und jeden Widerstand gegen die Entlassungen zu verhindern.

In nur neun Wochen wurde der 167-jährige Traditionsbetrieb und weltweit drittgrößte Druckmaschinenhersteller nach dem Insolvenz-Antrag Ende November in seine Bestandteile zerlegt und die Standorte einzeln verkauft. Das Geschäft mit den Rollendruckmaschinen in Augsburg übernimmt die Possehl-Gruppe in Lübeck. Der Bogendruckmaschinen-Standort Offenbach wird an die britische Langley Holding verkauft. Die Rumpfbelegschaft in Plauen soll bis auf weiteres das Augsburger Werk mit Komponenten für die Herstellung von Rotationsdruckmaschinen beliefern.

Die Insolvenz hat den Konzern von sämtlichen „Altlasten“ befreit, was bedeutet, dass die Arbeiter viele ihrer Rechte verloren haben. Mit der Entlassung verloren die Manroland-Arbeiter nicht nur den Arbeitsplatz, sondern büßten auch alle Ansprüche auf Abfindung ein. Sie werden für ein halbes Jahr in eine so genannte Transfergesellschaft geschoben, danach fallen sie in Arbeitslosigkeit und Hartz IV. Im Plamag-Werk in Plauen verlieren etwa hundert ehemalige Beschäftigte, die sich bereits in Altersteilzeit befinden, ihre Bezüge und werden ans Arbeitsamt geschickt.

Doch auch die Arbeiter, die ihre Stelle behalten, können nicht aufatmen: Einerseits wird ihr Lohn gekürzt, andrerseits sind sie einer weit stärkeren Arbeitsbelastung ausgesetzt als je zuvor, weil die Belegschaft jeder einzelnen Abteilung, von der Vormontage bis zu den Packbändern, praktisch halbiert worden ist. In den Verkaufsräumen (Print Technology Center), wo potentielle Kunden die laufenden Druckmaschinen begutachten, arbeiten noch 28 von bisher 56 Beschäftigten. In der Abteilung Forschung und Entwicklung sind von bisher 350 Beschäftigten jetzt noch 200 übrig. Statt wie bisher zwei Schichten wird es nur noch eine Normalschicht geben; die Spätschicht entfällt, und damit auch die Spätdienst-Zulage, mit der viele Arbeiterfamilien bisher gerechnet haben.

Auf einer Betriebsversammlung am vergangenen Freitag in Offenbach wurde der geschrumpften Belegschaft eröffnet, die IG Metall habe bereits einem „Zukunftstarifvertrag“ zugestimmt, der ab sofort Lohnverzicht von acht Prozent vorsieht. Dabei verzichten die Beschäftigten schon seit Jahren auf einen Großteil des Geldes, das ihnen tarifvertraglich und gesetzlich zusteht. Zudem soll es künftig niedrigere Eingruppierungen geben.

Insolvenzverwalter Schneider lobte, im Offenbacher Werk, welches künftig „Manroland Sheet Fed“ heißen soll, bestehe den Konkurrenten gegenüber ein großer Vorteil, weil es „keine Risiken und keine Pensionsverpflichtungen“ mehr gebe. Auch im Augsburger Werk, das künftig „Manroland Websystems“ heißen soll, hat die IG Metall einem Lohnverzicht zugestimmt.

Abfindung verloren

„Wir wurden regelrecht überrumpelt“, sagte einer der fast tausend Entlassenen, der seinen Namen mit SG angab, der World Socialist Web Site. Der 57-jährige Schichtarbeiter hat über vierzig Jahre bei Manroland in Offenbach gearbeitet. Am 24. Januar hat ihm sein Meister, wie so vielen seiner Kollegen, die Kündigung überreicht.

SG hatte am 31. Januar noch kein Geld auf dem Konto. Von der ominösen Transfergesellschaft hat er noch nichts Konkretes gehört Das einzige, was man bisher weiß, ist, dass diese Beschäftigungsgesellschaft die entlassenen Kollegen für sechs Monate, bis maximal August, übernehmen werde. Anschließend drohen Arbeitslosigkeit und Hartz IV. „Wenn man so lange hier gearbeitet hat und jetzt plötzlich, ohne eigenes Verschulden, ohne Mittel auf der Straße steht, kommt man sich erst einmal vollkommen hilflos vor“, sagt SG.

Viele der über zweitausend Entlassenen blicken wie er auf ein Arbeitsleben von mehreren Jahrzehnten bei Manroland zurück. Bei einem vorzeitigen Ausscheiden müssten sie normalerweise hohe Abfindungen erhalten. Durch das überraschende Insolvenzverfahren, das mit Hilfe der IG Metall reibungslos durchgesetzt wurde, verloren sie jeden Anspruch darauf. „Keiner hatte Zeit, etwa mit einem Rechtsanwalt seine Rechte einzuklagen“, sagt SG. Wer jetzt noch klagen würde, müsste alles auf eigene Kosten durchboxen, wozu den meisten schlicht die Mittel fehlen.

„Die IG Metall hat von Anfang an ein falsches Spiel gespielt“, konstatiert der Arbeiter. „Sie wusste offenbar schon seit Monaten von der Insolvenz. Natürlich wusste es nicht jeder kleine Vertrauensmann im Betrieb – obwohl man sagen muss, dass manche es bewusst nicht wahrhaben wollten. Wir hätten kämpfen können, wenn wir gleich reagiert hätten, sobald die Insolvenz bekannt wurde. Aber die führenden Betriebsräte und die IG Metall-Führung, die haben es verhindert.“

Rolle der IG Metall

Die IG Metall spielte eine Schlüsselrolle beim Arbeitsplatzabbau und der Zerstörung von Arbeiterrechten, die über Jahrzehnte erworben und erkämpft wurden. Schon vor fünf Jahren, bei der Übernahme des Konzerns durch den Investmentfonds Allianz Capital Partners, drängte die Gewerkschaft die Arbeiter, mehrere hundert Stellenstreichungen zu akzeptieren und auf Lohnanteile und Weihnachts- und Urlaubsgeld zu verzichten, angeblich zur „Sicherung des Standorts“.

Vergangenes Jahr bewahrte die IG Metall bis zur offenen Bankrotterklärung am 30. November Stillschweigen über die bevorstehende Insolvenz, obwohl ihre Vertreter in allen Spitzengremien sitzen. Seither hat sie im Gläubigerausschuss allen Entlassungen und den Verkäufen der Werke Augsburg und Offenbach zugestimmt und in enger Absprache mit dem Insolvenzverwalter jeden Arbeitskampf verhindert.

Mitte Januar sagte sie sogar eine geplante gemeinsame Demonstration aller Standorte in München kurzfristig wieder ab, um eine Solidarisierung der Belegschaft zu verhindern und die Verhandlung mit der Possehl-Gruppe nicht zu gefährden. Die Demonstration in Wiesbaden diente dann nur noch dazu, die hessische Landesregierung aufzufordern, Steuergelder bereitzustellen, die nicht der Belegschaft, sondern dem künftigen Investor zur Verfügung gestellt werden. Einen Handzettel zur Information und Solidaritätsaufruf für interessierte Passanten gab es nicht.

Heute, nach vollendeter Zerschlagung, stellt die Gewerkschaft die Übernahme der Standorte durch die neuen Käufer als „beste Lösung“ dar. „IG Metall und Betriebsrat begrüßen die einstimmige Entscheidung des Gläubigerausschusses“, kommentierte die Erste Bevollmächtigte der IG Metall Offenbach, Marita Weber, den Verkauf des geschrumpften Offenbacher Werks an den britischen Investor Langley. Es sei zwar nicht für alle eine Lösung, jedoch „die beste Lösung für Offenbach“, so Weber. Auch Jürgen Bänsch, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Manroland AG, bezeichnete die Entscheidung zugunsten von Langley Holdings als positiv für den Standort Offenbach.

Keine Sicherheit

Auch in der Presse wird Langley überall als „weißer Ritter“, als Retter von Manroland Offenbach gefeiert. „Das Bangen hat ein Ende“, schreibt die Frankfurter Rundschau, und vergleicht Investor Langley aus Nottinghamshire mit Robin Hood.

In Wirklichkeit geht es den neuen Besitzern nicht um die Produktion von Druckmaschinen, und schon gar nicht um die Zukunft der Arbeiter und ihrer Familien. Über den Schnäppchenjäger Tony Langley schreibt die Financial Times Deutschland: „Stets schaut er auf kriselnde Nischenanbieter, die unter der Obhut namhafter Konzerne dahinsiechen.“ So sei Langley mit einem Privatvermögen von 270 Millionen Pfund auf Platz 249 der Liste der reichsten Briten vorgerückt.

Langley weigert sich, eine Garantie für den Manroland-Standort Offenbach oder für die Beschäftigten abzugeben. Über den Kaufpreis wird in Offenbach wie in Augsburg Stillschweigen bewahrt. Realistischerweise muss man davon ausgehen, dass die neuen Eigentümer die günstige Gelegenheit genutzt haben, um sich die besten „Filetstücke“ für wenig Geld anzueignen. Sie sind in erster Linie daran interessiert, Finanzgeschäfte in Millionenhöhe zu tätigen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Langley auf kurzfristige Gewinne bei einem späteren Wiederverkauf der Bogendrucksparte spekuliert, denn auch ein chinesischer Interessent scheint immer noch im Gespräch zu sein: Shanghai Electric, der allerdings vor allem an den Patenten und am Know-How Interesse hätte. Insolvenzverwalter Werner Schneider hatte mehrfach erklärt, in China gebe es einen ernsthaften Interessenten, nur der Zeitmangel habe einen Verkauf an diesen bisher verhindert.

Editorische Hinweise

Den Artikel spiegelten wir von der Website www.wsws.org wo er am 7.2.2012 erschien.