Senegal: Es wäre Zeit zu gehen, Old Wade

von
Bernard Schmid

02/12

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Im Alter von fast 86 Jahren möchte Präsident Abdoulaye Wade sich noch einmal „wiederwählen“ lassen. Dies gefällt nicht allen. Auch die „Schutzmächte“ Frankreich und USA rücken allmählich ab….

Zwei plus eins sind - nicht doch, nicht etwa drei, sondern zwei. Das ist die politische Mathematik des alternden senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade, die bei zahlreichen Menschen in dem westafrikanischen Staat derzeit heftigen Widerspruch hervorruft und in den vergangenen Tagen bereits zu Demonstrationen und Riots führte.

Der Mann, der im Mai dieses Jahres 86 wird, möchte bis dahin noch ein weiteres Mal zum Präsidenten des Landes gewählt werden, ein Amt, das er seit nunmehr zwölf Jahren ausübt. Grundsätzlich verbietet die Verfassung jedoch ein drittes Mandat: Seit einer Reform im Jahr 2001 legt sie die Höchstzahl der aufeinander folgenden Amtszeiten des Staatsoberhaupts auf zwei fest. Doch Abdoulaye Wade rechnet anders. Ihm zufolge zählt sein erstes Mandat, das er am 1. April 2000 antrat, gar nicht. Denn schließlich habe es noch vor der von ihm initiierten Verfassungsänderung begonnen. Also stehe ihm das, rechtlich zulässige, zweite Mandat erst noch bevor. Am vorletzten Freitag zeigten sich die fünf Richter am Verfassungsgericht, die alle durch Aboulaye Wade ernannt worden sind und deren Gehalt in jüngster Zeit steil anstieg, dazu bereit, der Analyse des Präsidenten zu folgen. Sie erklärten seine Kandidatur für gültig.

Bei der Präsidentschaftswahl, deren erster Wahlgang am 26. Februar dieses Jahres stattfindet, möchte Wade es darum noch einmal probieren. Zwar garantiert ihm nichts einen Wahlerfolg. Nichts garantiert jedoch auch, dass Abdoulaye Wade sich mit einer Niederlage abfinden und diese zugeben würde - sein früherer gabunischer Amtskollege Omar Bongo, Präsident von 1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 ohne Unterbrechung, hatte einmal das Bonmot geprägt: „In Afrika organisiert man nicht Wahlen, um sie zu verlieren.“

Dabei protestierte Wade in früheren Zeiten selbst energisch gegen solcherlei Praktiken des Machterhalts. Jahrelang trat er selbst vergeblich zu Präsidentschaftswahlgängen an, die er gegen den langjährigen senegalesischen Präsidenten Abdou Diouf - Staatschef von 1981 bis 2000 - verlor. Und dies immer wieder: 1978, 1983, 1988 und 1993. Regelmäßig ließ er daraufhin jugendliche Demonstranten gegen den angeblichen oder tatsächlichen „Wahlbetrug“ protestieren.

Erst die Wahl im Februar und März 2000 brachte ihm die Wende. Und auch dies erst, nachdem die senegalesische Zivilgesellschaft die Dinge in die Hand genommen hatte. Durch den Einsatz von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere Mobiltelefonen, umgingen die Menschen in den Dörfern und Städten die staatlichen Kommunikationskanäle - und tauschten untereinander über lokale Grenzen hinweg die jeweiligen örtlichen Wahlergebnisse aus. Die damalige Opposition zählte die Resultate ihrerseits zusammen und widersprach auf diese Weise sofort den amtlichen Ergebnissen. Nach einigen Tagen räumte die „Sozialistische Partei“ Senegals unter Diouf, welche das Land seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 ohne Unterbrechung regiert hatte, dann doch noch ihre Niederlage ein.

Zur damaligen Opposition zählte nicht nur die „Senegalesische demokratische Partei“, welche Wade im Jahr 1974 gegründet hatte, nachdem er zuvor einen Funktionärsposten bei der bisherigen Staatspartei bekleidet hatte. Vielmehr stützten die Gegner des an seinem Sessel klebenden Präsidenten Diouf sich auf ein breites Bündnis, das von der radikalen Linke bis zu wirtschaftsliberalen Kräften reichte. Konservativ-wirtschaftsliberale Rechte aus Frankreich, wie der frühere Minister Alain Madelin, traten im Herbst 1999 in seinem Wahlkampf auf. Aber mehrere Vertreter aus der radikalen Linken, trotzkistischer und maoistischer Herkunft, traten nach dem Machtwechsel in Wades „Übergangsregierung“ ein - und hafteten alsbald an ihren frisch gewonnen Privilegien, worüber das vormalige linke Bündnis And Jef-„Revolutionäre Bewegung für eine neue Demokratie“ denn auch zerbrach.

In den Stunden nach der Ankündigung, dass Abdoulaye Wades Bewerbung zur Wahl durch die Verfassungsrichter durchgewunken worden war, brachen in mehreren senegalesischen Städten am vorletzten Wochenende Unruhen aus. Fünf Menschen starben am Rande von Protestmärschen und Kundgebungen, die mitunter durch Sachbeschädigungen begleitet wurden, in der Hauptstadt Dakar sowie in der Stadt Podor im Nordwesten des Landes. In der Großstadt Saint-Louis wurden Polizisten durch protestierende Oberschüler verletzt, und auf dem Campus der Universität von Dakar kam es zu Unruhen. Eine neuerliche Demonstration am Dienstag vergangener Woche konnte in der Hauptstadt rund 1.000 Menschen versammeln, bevor sie durch die Polizei zerstreut wurde.

Hingegen konnte eine als „Méga-Meeting“ angekündigte Oppositionskundgebung am vergangenen Wochenende auf dem Obeliskenplatz in Dakar stattfinden, doch dieses Mal blieben laut vielen Augenzeugen die Anhänger der etablierten Oppositionskräfte eher unter sich. Acht Kandidaten der Opposition - von insgesamt dreizehn Bewerbern, die neben Wade antreten - verpflichteten sich dabei vor rund 5.000 Menschen, „geeint“ zu bleiben und ihre Kräfte nicht aufspalten zu lassen. Symbolisch unterzeichneten sie einen gemeinsamen „Vertrag“ für den Abgang des amtierenden Präsidenten. Doch auch diese Präsidentschaftskandidaten dürften nur bedingt das Vertrauen breiter Bevölkerungskreise genießen. So waren Macky Sall, Idrissa Seck und Moustapha Niasse alle drei Premierminister unter Abdoulade Waye, die allerdings nun davon träumen, ihren vormaligen Übervater abzulösen.

Während Niasse in der Übergangsperiode in den Jahren 2000/01 als Regierungschef amtierte - was ihn nicht gar so unpopulär hat werden lassen, auch wenn er Jahre zuvor hohe Funktionärspasten in der regierenden und damals reichlich diskredierten „Sozialistischen Partei“ bekleidete -, bekleideten die beiden anderen dieses Amt nach 2002. Also zu Zeiten, als die Macht Abdoulaye Wades sich konsolidiert hatten und die anfängliche Aufbruchseuphorie im Zeichen des „demokratischen Wandels“ bereits Korruption und Klientelpolitik Platz gemacht hatte. Sie dürften bei vielen nur geringes Vertrauen erwecken. Niasse dagegen wird durch das Bündnis mehreren Oppositionsparteien unter dem Namen Bennoo unterstützt. Der vierte Kandidat von Gewicht, Ousmane Tanor Dieng, tritt für die „Sozialistische Partei“ an. Nach einer Oppositionspause strebt die frühere, Staatspartei, die vor dem Jahrtausendwechsel vierzig Jahre hindurch regiert hatte, heute zurück an die Macht. Ob sie dies mit Erfolg tut, wird sich noch erweisen müssen. Die übrigen Bewerber, die auf dem Obeliskenplatz sprachen, haben oft nur ein regionales Gewicht. Ibrahima Fall wiederum arbeitete zuvor in internationalen Institutionen, ist im Land jedoch relativ unbekannt.

Organisiert hatte die Oppositionskundgebung das „Bündnis des 23. Juni“. Es ist so benannt nach dem Tag im Jahr 2011, an dem Wade innerhalb von wenigen Stunden seine ins Parlament eingebrachte Verfassungsänderung zurückziehen musste. Letztere hätte es ihm erlauben sollen, mit einer relativen Mehrheit von nur 25 Prozent im ersten Durchgang als Wahlsieger proklamiert zu werden - er hätte auf die Zersplitterung der Stimmen für seine Gegenkandidaten gesetzt - und zudem auf einem „Ticket“ mit seinem Sohn Karim Wade anzutreten. Der als inkompetent und korrupt geltende Junior ist im Senegal besonders verhasst.

Das „Ticket“ hätte es Wade senior erlauben sollen, ohne neue Einberufung der Wähler die Macht während der Amtszeit an seinen „Vize“ zu übergeben. Doch daraus wurde nichts, heftige Unruhen direkt vor den Toren des Parlaments verhinderten damals die Operation. Dass die Abneigung gegen Wade - Vater und Sohn - starke Energien mobilisieren kann, darf also als erwiesen gelten. Ob die etablierten Oppositionsparteien mit ihren Kandidaten dies ebenfalls schaffen, bleibt hingegen abzuwarten.

Abdoulaye Wade hat noch nicht alle Karten ausgespielt. In den letzten Tagen haben sowohl die französische Regierung als auch die US-Administration den senegalesischen Behörden klar signalisiert, dass sie auf Distanz zu Abdoulaye Wades Manövern gingen. Frankreich hatte schon kurz vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Kandidatenzulassung öffentlich gefordert, dass „Garantien“ für politischen Pluralismus und Transparenz der Wahlen abgegeben werden müssten. Außenminister Alain Juppé forderte Ende vergangener Woche in Paris gar einen „Generationenwechsel“ im Senegal. Das Vertrauen in den früheren engen Verbündeten Frankreichs, Wades, bezüglich seiner „Fähigkeit zur Wahrung politischer Stabilität“ ist inzwischen dahin.

Der im Senegal ebenso wie in Frankreich prominente Sänger Youssou N’dour, dessen Kandidatur vom Verfassungsgericht abgeschmettert worden war - angeblich waren ein Drittel seiner 12.000 Unterstützungsunterschriften „nicht überprüfbar“, was ihn unter die Schwelle der erforderlichen 10.000 Unterstützungserklärungen rutschen ließ - appellierte vergangene Woche seinerseits an den Westen und die „internationale Gemeinschaft“. Diese sollten Druck auf Präsident Wade ausüben und die Opposition unterstützte. Am Montag dieser Woche reagierte Abdoulaye Wade darauf geschickt, indem er sich quasi als Opfer der Großmächte hinstellte. Er erklärte, für ihn sei nicht „das Interesse des Westens“ Ausschlag gebend bei seiner Kandidatur.

Der alte Mann versucht, durch diesen Schachzug noch einmal Anhänger zu mobilisieren, von denen ihm durchaus ein aktivierbares Potenzial verblieben ist. Dabei war seine Amtsführung in den letzten Jahren durch viele Senegalesen und Beobachterinnen als „desaströs“ betrachtet wurde - symbolisiert durch die von ihm 2010 eingeweihte „Statue der afrikanischen Wiedergeburt“. Die berüchtigte Statue, welche an Monster des „sozialistischen Realismus“ erinnert und durch eine nordkoreanische Firma mit Geschäftssitz in Paris errichtet wurde, kostete über 20 Millionen Euro und bringt Wade persönlich ein Drittel der Besuchereinnahmen als „Erlös für Urheberrechte“ ein. Ein Symbol für Großkotzigkeit und Korruption. Ob Wade seine eigene politische „Wiedergeburt“ schafft, werden die nächsten Wochen erweisen müssen.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.