Im Alter von fast
86 Jahren möchte Präsident Abdoulaye Wade sich noch einmal „wiederwählen“
lassen. Dies gefällt nicht allen. Auch die „Schutzmächte“
Frankreich und USA rücken allmählich ab….
Zwei
plus
eins
sind
-
nicht
doch,
nicht
etwa
drei,
sondern
zwei.
Das
ist
die
politische
Mathematik
des
alternden
senegalesischen
Präsidenten
Abdoulaye
Wade,
die
bei
zahlreichen
Menschen
in
dem
westafrikanischen
Staat
derzeit
heftigen
Widerspruch
hervorruft
und
in
den
vergangenen
Tagen
bereits
zu
Demonstrationen
und
Riots
führte.
Der Mann, der im Mai dieses Jahres 86 wird,
möchte bis dahin noch ein weiteres Mal zum Präsidenten des
Landes gewählt werden, ein Amt, das er seit nunmehr zwölf Jahren
ausübt. Grundsätzlich verbietet die Verfassung jedoch ein
drittes Mandat: Seit einer Reform im Jahr 2001 legt sie die
Höchstzahl der aufeinander folgenden Amtszeiten des
Staatsoberhaupts auf zwei fest. Doch Abdoulaye Wade rechnet
anders. Ihm zufolge zählt sein erstes Mandat, das er am 1. April
2000 antrat, gar nicht. Denn schließlich habe es noch vor der
von ihm initiierten Verfassungsänderung begonnen. Also stehe ihm
das, rechtlich zulässige, zweite Mandat erst noch bevor. Am
vorletzten Freitag zeigten sich die fünf Richter am
Verfassungsgericht, die alle durch Aboulaye Wade ernannt worden
sind und deren Gehalt in jüngster Zeit steil anstieg, dazu
bereit, der Analyse des Präsidenten zu folgen. Sie erklärten
seine Kandidatur für gültig.
Bei der Präsidentschaftswahl, deren erster
Wahlgang am 26. Februar dieses Jahres stattfindet, möchte Wade
es darum noch einmal probieren. Zwar garantiert ihm nichts einen
Wahlerfolg. Nichts garantiert jedoch auch, dass Abdoulaye Wade
sich mit einer Niederlage abfinden und diese zugeben würde -
sein früherer gabunischer Amtskollege Omar Bongo, Präsident von
1967 bis zu seinem Tod im Juni 2009 ohne Unterbrechung, hatte
einmal das Bonmot geprägt: „In Afrika organisiert man nicht
Wahlen, um sie zu verlieren.“
Dabei protestierte Wade in früheren Zeiten
selbst energisch gegen solcherlei Praktiken des Machterhalts.
Jahrelang trat er selbst vergeblich zu
Präsidentschaftswahlgängen an, die er gegen den langjährigen
senegalesischen Präsidenten Abdou Diouf - Staatschef von 1981
bis 2000 - verlor. Und dies immer wieder: 1978, 1983, 1988 und
1993. Regelmäßig ließ er daraufhin jugendliche Demonstranten
gegen den angeblichen oder tatsächlichen „Wahlbetrug“
protestieren.
Erst die Wahl im Februar und März 2000
brachte ihm die Wende. Und auch dies erst, nachdem die
senegalesische Zivilgesellschaft die Dinge in die Hand genommen
hatte. Durch den Einsatz von modernen Informations- und
Kommunikationstechnologien, insbesondere Mobiltelefonen,
umgingen die Menschen in den Dörfern und Städten die staatlichen
Kommunikationskanäle - und tauschten untereinander über lokale
Grenzen hinweg die jeweiligen örtlichen Wahlergebnisse aus. Die
damalige Opposition zählte die Resultate ihrerseits zusammen und
widersprach auf diese Weise sofort den amtlichen Ergebnissen.
Nach einigen Tagen räumte die „Sozialistische Partei“ Senegals
unter Diouf, welche das Land seit der Unabhängigkeit von
Frankreich im Jahr 1960 ohne Unterbrechung regiert hatte, dann
doch noch ihre Niederlage ein.
Zur damaligen Opposition zählte nicht nur die
„Senegalesische demokratische Partei“, welche Wade im Jahr 1974
gegründet hatte, nachdem er zuvor einen Funktionärsposten bei
der bisherigen Staatspartei bekleidet hatte. Vielmehr stützten
die Gegner des an seinem Sessel klebenden Präsidenten Diouf sich
auf ein breites Bündnis, das von der radikalen Linke bis zu
wirtschaftsliberalen Kräften reichte.
Konservativ-wirtschaftsliberale Rechte aus Frankreich, wie der
frühere Minister Alain Madelin, traten im Herbst 1999 in seinem
Wahlkampf auf. Aber mehrere Vertreter aus der radikalen Linken,
trotzkistischer und maoistischer Herkunft, traten nach dem
Machtwechsel in Wades „Übergangsregierung“ ein - und hafteten
alsbald an ihren frisch gewonnen Privilegien, worüber das
vormalige linke Bündnis And Jef-„Revolutionäre Bewegung für eine
neue Demokratie“ denn auch zerbrach.
In den Stunden nach der Ankündigung, dass
Abdoulaye Wades Bewerbung zur Wahl durch die Verfassungsrichter
durchgewunken worden war, brachen in mehreren senegalesischen
Städten am vorletzten Wochenende Unruhen aus. Fünf Menschen
starben am Rande von Protestmärschen und Kundgebungen, die
mitunter durch Sachbeschädigungen begleitet wurden, in der
Hauptstadt Dakar sowie in der Stadt Podor im Nordwesten des
Landes. In der Großstadt Saint-Louis wurden Polizisten durch
protestierende Oberschüler verletzt, und auf dem Campus der
Universität von Dakar kam es zu Unruhen. Eine neuerliche
Demonstration am Dienstag vergangener Woche konnte in der
Hauptstadt rund 1.000 Menschen versammeln, bevor sie durch die
Polizei zerstreut wurde.
Hingegen konnte eine als „Méga-Meeting“
angekündigte Oppositionskundgebung am vergangenen Wochenende auf
dem Obeliskenplatz in Dakar stattfinden, doch dieses Mal blieben
laut vielen Augenzeugen die Anhänger der etablierten
Oppositionskräfte eher unter sich. Acht Kandidaten der
Opposition - von insgesamt dreizehn Bewerbern, die neben Wade
antreten - verpflichteten sich dabei vor rund 5.000 Menschen,
„geeint“ zu bleiben und ihre Kräfte nicht aufspalten zu lassen.
Symbolisch unterzeichneten sie einen gemeinsamen „Vertrag“ für
den Abgang des amtierenden Präsidenten. Doch auch diese
Präsidentschaftskandidaten dürften nur bedingt das Vertrauen
breiter Bevölkerungskreise genießen. So waren Macky Sall,
Idrissa Seck und Moustapha Niasse alle drei Premierminister
unter Abdoulade Waye, die allerdings nun davon träumen, ihren
vormaligen Übervater abzulösen.
Während Niasse in der Übergangsperiode in den
Jahren 2000/01 als Regierungschef amtierte - was ihn nicht gar
so unpopulär hat werden lassen, auch wenn er Jahre zuvor hohe
Funktionärspasten in der regierenden und damals reichlich
diskredierten „Sozialistischen Partei“ bekleidete -, bekleideten
die beiden anderen dieses Amt nach 2002. Also zu Zeiten, als die
Macht Abdoulaye Wades sich konsolidiert hatten und die
anfängliche Aufbruchseuphorie im Zeichen des „demokratischen
Wandels“ bereits Korruption und Klientelpolitik Platz gemacht
hatte. Sie dürften bei vielen nur geringes Vertrauen erwecken.
Niasse dagegen wird durch das Bündnis mehreren
Oppositionsparteien unter dem Namen Bennoo unterstützt. Der
vierte Kandidat von Gewicht, Ousmane Tanor Dieng, tritt für die
„Sozialistische Partei“ an. Nach einer Oppositionspause strebt
die frühere, Staatspartei, die vor dem Jahrtausendwechsel
vierzig Jahre hindurch regiert hatte, heute zurück an die Macht.
Ob sie dies mit Erfolg tut, wird sich noch erweisen müssen. Die
übrigen Bewerber, die auf dem Obeliskenplatz sprachen, haben oft
nur ein regionales Gewicht. Ibrahima Fall wiederum arbeitete
zuvor in internationalen Institutionen, ist im Land jedoch
relativ unbekannt.
Organisiert hatte die Oppositionskundgebung das „Bündnis des 23.
Juni“. Es ist so benannt nach dem Tag im Jahr 2011, an dem Wade
innerhalb von wenigen Stunden seine ins Parlament eingebrachte
Verfassungsänderung zurückziehen musste. Letztere hätte es ihm
erlauben sollen, mit einer relativen Mehrheit von nur 25 Prozent
im ersten Durchgang als Wahlsieger proklamiert zu werden - er
hätte auf die Zersplitterung der Stimmen für seine
Gegenkandidaten gesetzt - und zudem auf einem „Ticket“ mit
seinem Sohn Karim Wade anzutreten. Der als inkompetent und
korrupt geltende Junior ist im Senegal besonders verhasst.
Das
„Ticket“ hätte es Wade senior erlauben sollen, ohne neue
Einberufung der Wähler die Macht während der Amtszeit an seinen
„Vize“ zu übergeben. Doch daraus wurde nichts, heftige Unruhen
direkt vor den Toren des Parlaments verhinderten damals die
Operation. Dass die Abneigung gegen Wade - Vater und Sohn -
starke Energien mobilisieren kann, darf also als erwiesen
gelten. Ob die etablierten Oppositionsparteien mit ihren
Kandidaten dies ebenfalls schaffen, bleibt hingegen abzuwarten.
Abdoulaye Wade hat noch nicht alle Karten ausgespielt. In den
letzten Tagen haben sowohl die französische Regierung als auch
die US-Administration den senegalesischen Behörden klar
signalisiert, dass sie auf Distanz zu Abdoulaye Wades Manövern
gingen. Frankreich hatte schon kurz vor der Entscheidung des
Verfassungsgerichts über die Kandidatenzulassung öffentlich
gefordert, dass „Garantien“ für politischen Pluralismus und
Transparenz der Wahlen abgegeben werden müssten. Außenminister
Alain Juppé forderte Ende vergangener Woche in Paris gar einen
„Generationenwechsel“ im Senegal. Das Vertrauen in den früheren
engen Verbündeten Frankreichs, Wades, bezüglich seiner
„Fähigkeit zur Wahrung politischer Stabilität“ ist inzwischen
dahin.
Der
im Senegal ebenso wie in Frankreich prominente Sänger Youssou
N’dour, dessen Kandidatur vom Verfassungsgericht abgeschmettert
worden war - angeblich waren ein Drittel seiner 12.000
Unterstützungsunterschriften „nicht überprüfbar“, was ihn unter
die Schwelle der erforderlichen 10.000 Unterstützungserklärungen
rutschen ließ - appellierte vergangene Woche seinerseits an den
Westen und die „internationale Gemeinschaft“. Diese sollten
Druck auf Präsident Wade ausüben und die Opposition
unterstützte. Am Montag dieser Woche reagierte Abdoulaye Wade
darauf geschickt, indem er sich quasi als Opfer der Großmächte
hinstellte. Er erklärte, für ihn sei nicht „das Interesse des
Westens“ Ausschlag gebend bei seiner Kandidatur.
Der
alte Mann versucht, durch diesen Schachzug noch einmal Anhänger
zu mobilisieren, von denen ihm durchaus ein aktivierbares
Potenzial verblieben ist. Dabei war seine Amtsführung in den
letzten Jahren durch viele Senegalesen und Beobachterinnen als „desaströs“
betrachtet wurde - symbolisiert durch die von ihm 2010
eingeweihte „Statue der afrikanischen Wiedergeburt“. Die
berüchtigte Statue, welche an Monster des „sozialistischen
Realismus“ erinnert und durch eine nordkoreanische Firma mit
Geschäftssitz in Paris errichtet wurde, kostete über 20
Millionen Euro und bringt Wade persönlich ein Drittel der
Besuchereinnahmen als „Erlös für Urheberrechte“ ein. Ein Symbol
für Großkotzigkeit und Korruption. Ob Wade seine eigene
politische „Wiedergeburt“ schafft, werden die nächsten Wochen
erweisen müssen.
Editorische Hinweise
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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