Kapitalistischer Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Ein Dokument aus dem Häuserkampf der 70er Jahre
STATUT des Hauskollektivs Eppsteiner Straße 47, Frankfurt/Main

02-2013

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onlinezeitung

Vorbemerkung: Im Herbst 1970 besetzten in Frankfurt/Main StudentInnen, Familien aus Obdachlosensiedlungen und ausländische ArbeiterInnen in der Eppsteiner Straße 47 zum ersten Mal - und vermutlich zum ersten Mal in der BRD und Westberlin - ein leerstehendes Haus. Mit diesem Ereignis lösten sie eine regelrechte Kettenreaktion aus. 1973 am Ende der Proteste waren 23 Häuser im Frankfurter Westend von ihren Mietern besetzt. 

Die nachstehende Satzung des Mieterkollektivs der Eppemheimer Str. 47 wurde im Haus kaum diskutiert und letztlich nie beschlossen. Dennoch enthält sie fortschrittliche Elemente, wie etwa die Bestimmung der Miethöhe nach dem Reproduktionsvermögen der einzelnen HausbewohnerInnen. Heute dagegen ist es bei der Festlegung der Miethöhe in sogenannten linken Hausprojekten üblich - wie z.B. bei den Häusern des Freiburger Mietshäusersyndikats - von Wohnraumgröße, der Verzinsung von Eigen- und Fremdkapital plus einer Quadratmeter-Monatsgebühr für das Syndikat auszugehen. Solche Finanzierungsmodelle sind für breite proletarische Schichten keine Alternative. Sie eignen sich stattdessen eher für akademische Mittelschichten, die - selbst wenn das Eigenkapital knapp sein sollte - oft auf ein begütertes soziales und familiäres Umfeld zurückgreifen können.

STATUT
Hauskollektiv Eppsteiner Straße 47, Frankfurt/Main

1. Mitglieder des Hauskollektivs sind alle Bewohner des Hauses Ffm. Eppsteiner Straße 47.

2. Das Hauskollektiv definiert sich als Organ der Bewohner, das alle mit der Hausverwaltung und dem Mietverhältnis der Bewohner zusammenhängenden Fragen kollektiv regelt. Insbesondere hat das Hauskollektiv als Entscheidungsgremium und ausführendes Organ die Aufgabe, die Mieten und Umlagen für alle Parteien festzusetzen, einzukassieren und abzuführen, sowie anfallende Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten durchzuführen, beziehungsweise durchführen zu lassen. Alle über diesen Rahmen hinausführenden Probleme Einzelner versucht das Hauskollektiv in beratender Funktion aufzugreifen, wenn dies von den Betroffenen gewünscht wird.

3. Das Hauskollektiv tagt grundsätzlich einmal in der Woche zu einem festgelegten Termin und kann außerdem von jedem Mitglied innerhalb angemessener Frist einberufen werden. Jedes Hauskollektiv-Mitglied kann Anträge stellen, die ausschließlich alle von der Hauskollektiv-Versammlung diskutiert werden sollen.

4. Das Hauskollektiv ist beschlußfähig, wenn auf der Versammlung mindestens zwei Drittel der stimmberechtigten Mitglieder anwesend sind, oder wenn jeweils ein stimmberechtigter Vertreter von mindestens acht der zehn Wohnparteien anwesend ist.

5. Stimmberechtigt sind alle Mitglieder des Hauskollektivs nach Beendigung des 15. Lebensjahres. Die jüngeren Mitglieder haben beratende Funktion und in allen speziell sie betreffenden Fragen ein Veto-Recht, das durch einfache Mehrheit zustande kommt. Beschlossen ist eine Sache erst dann, wenn mindestens zwei Drittel der an der Hauskollektiv-Versammlung teilnehmenden stimmberechtigten Mitglieder einverstanden sind.

6. Die Hauskollektiv-Versammlung ist das einzige beschlußfassende Gremium.

7. Die Hauskollektiv-Versammlung benennt jeweils Personen (die nicht unbedingt dem Hauskollektiv angehören müssen), die als Bevollmächtigte des Hauskollektivs den jeweils bezeichneten Beschluß ausführen. Die Bevollmächtigten sind dem Hauskollektiv Rechenschaft schuldig. Der ausgeführte oder zur Ausführung weitergeleitete Beschluß wird vom Hauskollektiv verantwortet.

8. Die Beschlüsse der Hauskollektiv-Versammlung sind für alle Mitglieder des Hauskollektivs bindend.

9. Das Hauskollektiv kann niemanden, der in dem Haus Eppsteinerstraße 47 wohnt, ausschließen; es kann ihn lediglich bei groben Verstößen gegen das Statut von seinen Aufgaben als Delegierter etc. suspendieren.

10. Erklärt ein Mitglied des Hauskollektivs seinen Austritt, erlischt damit sein Anrecht auf Schutz durch das Hauskollektiv. Das auf der Basis der Mietvereinbarung beruhende mündliche Mietabkommen zwischen dem Hauskollektiv als Mieterkollektiv und dem einzelnen Bewohner erlischt bei Austritt aus dem Hauskollektiv. Nach Austritt besteht grundsätzlich kein Anspruch auf irgendwelche Leistungen gegenüber dem Hauskollektiv als Hausverwalter.

11. Das Hauskollektiv tritt im Namen aller Mietparteien als Gesamtmieter gegenüber dem Hauseigentümer und Behörden auf. Alle Abmachungen mit dem Hauseigentümer werden ausschließlich vom Hauskollektiv getroffen. Das Hauskollektiv ist insbesondere von den einzelnen Mietparteien ermächtigt, Verhandlungen mit dem Hauseigentümer und Behörden zu führen, sofern sie mit dem Mietverhältnis und der Hausverwaltung zusammenhängen. Endgültige Abmachungen können allein durch die Hauskollektiv-Versammlung ratifiziert werden.

12. Jede Mietpartei entrichtet am 1. jeden Monats einen Mietzins (für den kommenden Monat) in Höhe von ..... DM

10 Prozent des Netto-Lohnes (-Einkommens) an das Hauskollektiv, den dieses als Gesamtmietbetrag für das ganze Haus an den Hauseigentümer abführt. Ein Delegierter des Hauskollektivs kassiert die Umlagen der einzelnen Mietparteien am i. jeden Monats (für den kommenden Monat) ein und verwaltet sie auftragsgemäß. Die Höhe der Umlagen entspricht prozentual dem Anteil jeder Mietpartei an der Gesamtmiete für das Haus. Die Umlagen betreffen die Kosten für: Wasser, Warmwasser, Heizung, Heizer, Kindergarten, Kindergarten-Personal, Büro-Kosten, Müllabfuhr, Kanalisation, Treppenhausbeleuchtung, Instandhaltungsarbeiten und Material.

13. Grundsätzlich gelten für alle Mietparteien die gleichen Bedingungen. Sonderregelungen müssen durch die Hauskollektiv-Versammlung genehmigt werden.

14. Von dem als Geldverwalter eingesetzten Kollektiv-Mitglied kann jedes Kollektiv-Mitglied jederzeit Rechenschaft über Ausgaben und Einnahmen verlangen.

Nicht auf der Basis von Angebot und Nachfrage, sondern von Bedarf und Zahlungsfähigkeit regelt das Hauskollektiv alle mit dem Mietvcrhältnis zusammenhängenden Fragen. Grundsätzlich haben alle Mitglieder des Hauskollektivs ohne Unterschied die gleichen Rechte.

Die Zusammenarbeit gründet sich auf die Solidarität aller, gelesen und akzeptiert
                                                            
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Editorische Hinweise

aus: Kursbuch 27, hrg.von Hans Magnus Enzensberger und Karl Markus Michel, Westberlin 1972, S.94f