Andalusien
Die Zeit der symbolischen Aktionen ist vorbei

Von Nicholas Bell, EBF,27.01.2013

02-2013

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Die Woche, die wir in Somonte, dieser Oase von Menschlichkeit und Solidarität und von vielfältigen landwirtschaftlichen Kulturen, mitten in einem riesigen Gelände von Monokulturen im Becken von Guadalvir bei Palma de Rio, einer kleinen Stadt 50km von Cordoba erlebt haben, war sehr intensiv. Wir sind zu zehnt von Frankreich und der Schweiz gekommen, um die andalusischen Landarbeiter_innen zu unterstützen, die seit dem 4.März dieses Gelände von 400 ha besetzen und einen Teil davon bewirtschaften.(1)

Als Mitglieder der Gewerkschaft SOC-SAT haben sie sich immer gegen das Unrecht in der Landverteilung, die miserablen Arbeitsbedingungen in der industriellen Landwirtschaft und die Ungerechtigkeit in diesen andalusischen Provinzen gewehrt, in denen die Wirtschaft auf der Ausbeutung von Tagelöhnern und Saisonarbeitern durch die Grossgrundbesitzern aufgebaut ist. Seit drei Jahren versinkt die Region immer mehr in der Krise; bereits 30% der Bevölkerung sind arbeitslos und - das ist der Gipfel - die andalusische Regierung hat beschlossen, 20‘000 ha öffentliches Land an die Meistbietenden zu verkaufen – also an Banken und Spekulanten. So hätte die Finca Somonte am 5.März 2012 versteigert werden sollen…

«Wir erleben einen schwierigen Moment und dürfen nicht länger warten. Die Zeit der Protestansprachen, der symbolischen Aktionen und der großen Demonstrationen ist vorbei (…). In unseren Dörfern gibt es weite Gebiete, die sich für soziale Kulturen eignen. Früher wurde hier bereits auf soziale Weise Landwirtschaft betrieben; heute dient dieses Land entweder dem großflächigen Getreideanbau oder es liegt brach mit dem alleinigen Ziel der Besitzer, Subventionen zu kassieren. All diese Flächen, die früher Gemeindeland waren und allen Dorfbewohner_innen gehörten, sind heute im Besitz von drei oder vier Großgrundbesitzern.(…) Wir haben keine andere Möglichkeit, als sie zu besetzen.» (2)

Eine kollektive Form der Landwirtschaft

Seit 9 Monaten, bemühen sich die 25 permanenten Besetzer_innen, eine ganz andere Art der Landwirtschaft zu betreiben, von der möglichst viele Mitstreiter_innen leben können. Dabei greifen ihnen zahlreiche Unterstützungskomitees unter die Arme; vor allem aus Cordoba, einer Stadt mit linker Tradition. Aus ganz Spanien und aus anderen europäischen Ländern kommen viele, die ein paar Tage, Wochen oder Monate mit ihnen verbringen. Auch Wissenschaftler, Agronomen und Ökologen haben sie beraten. Bis jetzt wurde auf drei Hektaren Gemüse für den Eigenbedarf und den lokalen Verkauf angebaut. Vor kurzem haben sie 40 ha Ackerland gepflügt um hier biologischen Weizen zu säen.

Auf längere Sicht wollen sie das ganze Gelände umgestalten, indem sie anstelle der Monokulturen verschiedenste landwirtschaftliche und ökologische Aktivitäten entwickeln. Die Landschaft soll keine traurige baumlose, der Erosion und dem Wind ausgesetzte Fläche bleiben. In einem im Mai veröffentlichten Dokument beschreiben sie ihre Pläne von Aufforstung, Pflanzen von Hecken, Obstgärten und Olivenhainen, von Schaf- und Ziegenzucht, von der Verbesserung des Bewässerungssystems dank neuer Brunnen und eines Wasserbeckens. Sie haben vor, die landwirtschaftlichen Produkte zu verarbeiten und in der Region, innerhalb eines gerechten und solidarischen Verkaufsnetzes zu vertreiben.
Wir sind vor allem nach Somonte gereist, um an der ersten Etappe der kollektiven Baumpflanzaktion, die vom 7. bis 9. Dezember stattfinden sollte, teil zu nehmen. Die berühmte andalusische Sonne kam leider nicht, dafür regnete es in Strömen – so konnten wir erst zwei Tage später mit dem Pflanzen beginnen. Wir waren ungefähr 50 Leute: von Somonte, von den Unterstützungskomitees, von Longo maï, vom Europäischen Bürger_innenforum und einige Mitglieder von Land-Kollektiven. 650 Bäume und Sträucher jeweils mit einem Schutz vor den zahlreichen Feldhasen, haben wir entlang der nördlichen Begrenzung des Geländes gepflanzt, lauter bodenständige Sorten, die von dem Verein «Ökologen in Aktion» aus Cordoba (3) gespendet worden waren. Das war die Hälfte der ersten Pflanzung. Am Wochenende vom 15./16. Dezember werden 60 Personen aus Sevilla kommen um weiter zu pflanzen. Weiters ist geplant, einen Obstgarten von 2,5ha mit Aprikosen-, Quitten-, Kirsch- und anderen Obstbäumen und einen in der gleichen Größe mit Trockenfrüchten anzulegen.

Ein internationales Treffen

Während der vier vorhergehenden Tage fand ein Treffen des spanischen Netzwerks von Land-Kollektiven in einer der drei Lagerhallen auf Somonte statt. Daran nahmen ungefähr 50 Personen von 15 verschiedenen kollektiven Projekten, die Besetzer_innen von Somonte, Mitglieder des Unterstützungskomitees von Cordoba und 15 Personen aus anderen europäischen Ländern teil. In den Diskussionen ging es um die Definition der Identität und um die Ziele des Netzwerkes, um die Beziehungen untereinander, die gegenseitige Hilfe und die bisherigen Schwierigkeiten. Viele der Projekte, vor allem in den Pyrenäen(4) sind besetzte Orte; einige sind von der Räumung bedroht. Französische Mitglieder von «Reclaim the fields» erzählten von ihrem Kampf um das Land von Notre Dame des Landes bei Nantes, das durch ein Flughafenprojekt zerstört wird.

Zu Beginn war dieses Treffen zwischen den Kollektiven und den Besetzer_innen von Somonte nicht einfach. Da stießen zwei Welten mit ganz verschiedenen Prioritäten, Funktionsweisen und Sprachen aufeinander: Aussteiger_innen, die ursprünglich aus der Stadt kommen und gewerkschaftlich organisierte Landarbeiter_innen, die viel von der Arbeiterklasse und vom Kampf um die Arbeit sprachen. Aber so nach und nach kamen sie sich näher, vor allem an den langen Abenden wenn sich die meisten vor den für das Treffen gebauten offenen Kamin setzten, um trotz der Kälte weiter diskutieren zu können.

Eine bewegte Geschichte

Im Zuge dieser langen Gespräche erzählte uns Javier, einer der ersten Besetzer von Somonte, während Stunden in seinem sehr spezifischen andalusischen Dialekt, die Geschichte des Landes in der Ebene von Guadalquivir in der Provinz von Cordoba, von seiner Begeisterung für die Landarbeit und von seinen Träumen für den Ort hier, der so viel Hoffnung in ihm und seinen Kameraden geweckt hat.

Er wurde in eine Familie mit einer langen anarchistischen Tradition geboren. Die andalusischen Landarbeiter_innen haben ja nicht erst heute angefangen Land zu besetzen und eine Agrarreform zu fordern.(5) In den 30er Jahren war die Situation äußerst konfliktuell. Dann kamen die Truppen von Franco und nahmen die Region von Cordoba ein. Die Unterdrückung war grauenvoll. Am 27. August, nahmen die Frankisten Palma de Rio ein. An ihrer Spitze der Latifundist Felix Moreno, der höchstpersönlich befahl, 300 Landarbeiter_innen zu erschiessen. Die Frauen und Männer wurden am selben Nachmittag an die Mauer gestellt und hingerichtet.

Die leidvolle Geschichte dieses Landes hat hier ihre Spuren hinterlassen. Nach wie vor ist die Stimmung angespannt und es herrschen große soziale Differenzen. Javier hat uns auch die Angst vieler Bürger_innen vor den «rojas communistas» beschrieben, die den - ach so heiligen - Privatbesitz nicht respektieren.

Lola, Sprecherin von der Provinzsektion der SOC-SAT und gleichzeitig der Besetzer_innen von Somonte, erzählte uns über den zwölftägigen Streik, den die Gewerkschaft in Palma del Rio organisiert hatte, um gleiche Rechte für einheimische und immigrierte Land-arbeiter_innen zu fordern. Gleichzeitig protestierte die Gewerkschaft gegen die Gemeindeverwaltung, die einige Einwohner_innen aus Sozialwohnungen werfen liess, weil sie ihre Miete nicht bezahlen konnten. Die Gewerkschaft hat Recht bekommen, aber der Konflikt hat auf die lokale Stimmung geschlagen. Gemäss Lola haben die Unternehmer eine schwarze Liste erstellt: Die lokalen Tagelöhner_innen, die sich offen im gewerkschaftlichen Kampf engagieren, würden grösste Mühe haben, Arbeit zu bekommen - eine Tatsache, die viele Landar-beiter_innen abschreckt, sich für die Besetzung Somontes einzusetzen, weil ihre wirtschaftliche Situation sehr prekär ist.

Ein Plan für vielfältige Bewirtschaftung

Jedoch gibt es in der weiteren Region und darüber hinaus eine breite Unterstützung. Während unseres Aufenthalts wurde Lola dazu eingeladen, die Besetzung und ihre Ziele vor 300 Mitgliedern der «Ecologistas en acción» aus der Extremadura in Caceres vorzustellen. Die Besetzer_innen von Somonte verteilen seit Mitte Dezember 2012 einen Appell, mit dem sie versuchen, Menschen und Mittel zu mobilisieren, um Bäume und Hecken pflanzen zu können und um die Bewässerung zu verbessern.

Gleichzeitig müssen sie sich mit dem Problem beschäftigen, einen Plan für eine vielfältige Bewirtschaftung und Beweidung dieses Riesengeländes von 400 ha bebaubarem Land (von dem 40 ha bewässerbar sind) zu erstellen. Sie wollen der andalusischen Regierung zeigen, dass sie willens und fähig sind, das ganze Land zu bewirtschaften. Den Tagelöhner_in-nen, die gewöhnlich auf den Feldern oder in den Olivenbäumen arbeiteten, fehlen jedoch praktische Kenntnisse, vor allem in der Schafs- und Ziegenzucht. Ein Vertreter der landwirtschaftlichen Kollektive, die sich auf Somonte trafen, erklärte, dass es möglich sei, mindestens 300 Mutterschafe zu halten; und auf den 200 Hektaren, wo Getreide nachwächst, könnten die Lämmer zur Mast aufgezogen werden. Die Tiere würden das Gelände gleichzeitig düngen.

Legalisierung der Besetzung?

Was die Perspektiven einer möglichen Legalisierung der Besetzer_in-nen anbetrifft, sucht die andalusische Regierung einen Weg, um «die heisse Kartoffel» loszuwerden. Eine Räumung scheint politisch nicht opportun, aber sie will auch keinen Präzedenzfall der Legalisierung schaffen. In den kommenden Monaten wird sich wohl eine Entscheidung herausschälen. Angesichts dieser Situation ist es dringend, bei der andalusischen Regierung (junta), der das Land gehört, zu intervenieren und zu verlangen, dass sie die Verwaltung des Geländes an die Vereinigung der Besetzer_innen abgibt.

Man muss daran erinnern, dass Somonte eine von vier grossen Ländereien war, die durch das 1983 gegründete (und inzwischen aufgehobene) Landreform-Institut der Regionalregierung aus sozialen Gründen enteignet worden waren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Sogar von der Gründung von Arbeiter_in-nen-Kooperativen war damals die Rede (siehe Kasten). Die 400 ha von Somonte wurden eigentlich seit Jahren nicht mehr bearbeitet. Die Junta begnügte sich damit, Jahr für Jahr die Landwirtschaftssubventionen der Europäischen Union für Kulturen einzustreichen, die vor Jahren angebaut worden waren.

Einer der Gründe, warum die andalusische Regierung ihre Ländereien von insgesamt 20'000 ha an die Meistbietenden verkaufen will, ist wahrscheinlich, dass die EU ihre Regeln geändert hat und die Subventionen nicht mehr automatisch kommen. Die Besetzer_innen von Somonte sind die Ersten, die das Land weiter bearbeiten und ein Zukunftsprojekt verwirklichen wollen, durch das möglichst viele Menschen ernährt werden könnten.
Mitte Dezember sind wir von Somonte zurückgekommen, berührt von dem warmherzigen Empfang und der Entschlossenheit der Besetzer_in-nen. Wir sind überzeugt, dass es nötig ist, ihr Unterfangen nach Kräften weiter zu unterstützen, sonst könnte die Hoffnung zerstört werden, die inzwischen weit über den lokalen Rahmen hinausstrahlt. In dieser tief greifenden Krise, die immer mehr Länder in Europa erfasst, dürfen wir das nicht zulassen.

Schicken Sie Briefe mit der Forderung einer Legalisierung der Landbesetzer_innen auf Somonte an den Präsidenten der andalusischen Regierung:

José Antonio Griñán, Consejería de la Presidencia – Junta de Andalucía, Av. Roma, S/N, 41013, SEVILLA, España. Fax: 0034 955 035 522. Kopie an die Bewohner_innen von Somonte: somontepalpueblo(at)gmail.com;
 

Weitere Informationen: www.somonte.net

1.) Siehe Archipel Nr. 203, 204, 205, 207 u. 209
2.) Auszug aus «Proyecto de la Asamblea de Trabajadores/as de Somonte para trabajar las tierras publicas ocupadas», mai 2012
3.) Dieser Verein führt ein großes Aufforstungsprojekt in ganz Spanien mit der Unterstützung der Regierung durch
4.) In den 60er- u. 70er-Jahren hat das Franco-Regime im Rahmen der Aufforstungs- und Staudammbau-Projekte die Bevölkerung zahlreicher Bergdörfer dazu gezwungen, ihr Dorf definitiv zu verlassen. Diese Dörfer, seit damals Staatseigentum, waren so dem Verfall preisgegeben. Seit Ende der 70er Jahre wurden mehrere von ihnen besetzt. Zum Beispiel in Lakabe, in der Provinz von Navarra, leben heute 50 Personen, ohne jegliche Ausweisungsandrohung
5.) Mehr Informationen über die Geschichte dieser Kämpfe und auch jener in den 70er und 80 Jahren sind nach zu lesen in der Broschüre «Land und Freiheit», herausgegeben 1985 vom Europäischen Komitee zur Verteidigung der Flüchtlinge und Gastarbeiter (CEDRI), www.forumcivique.org

Editorische Hinweise

Den Artikel spiegelten wir von der Website des Europäischen BürgerInnen Forum (EBF)

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