JedeR kennt die Langeweile
beim Ansehen deutscher Fernsehdokumentationen, wenn es
wieder einmal ums „3. Reich“ und Hitler, den Holocaust
oder den 2. Weltkrieg geht. Dabei sind doch sehr viele
Menschen an diesen Themen interessiert. Und Kenntnisse
über den Nationalsozialismus sollte jedeR haben. Aber
diese Art Sendungen tragen so gut wie nichts zur
Aufklärung bei! Woran liegt das?
Das Hamburger Abendblatt
(9.1.13) vermutet einen Überdruss beim Zuschauer: „Wer um
Himmels willen möchte so viel Hitler sehen? Und warum werden
immer dieselben Geschichten mit denselben Bildern erzählt?“ Es
würden die falschen Fragen gestellt, Fragen, die einer
Erklärung des Geschehenen nicht näher kämen. Stattdessen wäre
zu fragen: „Wie konnte es sein, dass jemand 1940 am Klavier
Chopin spielte und zwei Jahre später in Ostpolen Menschen mit
dem Spaten den Schädel einschlug?“ Eigentlich sollten
Fernsehdokumentationen dazu anregen, sich selbst zu fragen:
„Wie hat die eigene Familie gehandelt und warum? Wären wir
selbst Täter geworden? Oder Widerständler?“
Ich möchte einige Aspekte
hinzufügen:
- Ein Bildmedium wie das
Fernsehen, das mit den immer gleichen Bildern arbeitet,
überholt sich selbst. Die Bilder nähren den Eindruck, alles
bereits gesehen zu haben - so wird auch optisch Überdruss
produziert.
- Statt an ernsthaften
Erklärungen zu arbeiten, die mehr als nur Teilaspekte
reflektieren, wirken die Sendungen häufig schnell und ohne
große Überlegung zusammen gestellt.
- Die zahlreichen
detailverliebten Einzeldarstellungen tragen mehr zur
Verwirrung als zum Entstehen eines Gesamtbildes des
Nationalsozialismus bei, weil sie kaum in die politischen
und gesellschaftlichen Entwicklungen eingebettet werden.
- Das „Wieso, Weshalb, Warum?“
verschwindet hinter einem ständigen Moralisieren.
- Das häufige Psychologisieren
bleibt oberflächlich und verführt dazu, den Faschismus als
pathologisches Problem brutalisierter Einzelner miss zu
verstehen.
- Hitler wird immer als
alles überragender und allein entscheidender Führer
dargestellt – Fragen nach den Motiven der glühenden Nazis,
aber auch der durchschnittlichen MitläuferInnen treten dem
gegenüber genauso in den Hintergrund wie die nach den
seinerzeit virulenten Weltanschauungen.
- Durch die aus deutscher Sicht
produzierten Reportagen wird ein national verengter
Blickwinkel gefördert. Dadurch gerät aus dem Blick, dass die
brutalsten Konsequenzen des „3. Reichs“ andernorts erduldet
worden sind.
Für diese Methodik steht der Name
Guido Knopp – über ihn schrieben die
Antifaschistischen Nachrichten (Nr. 8/02): „Für Knopp und
seine jeweiligen Co-Autoren scheint es unvorstellbar, dass
deutsche Offiziere der nationalsozialistischen Ideologie
anhingen oder gar Antisemiten waren. … Da ist die Rede von
brennendem Ehrgeiz und einem falsch verstandenen
Pflichtbewusstsein. Die Offiziere seien Hitlers quasi
dämonischer Ausstrahlung erlegen, wozu ihre politische
Unbedarftheit, ja Naivität beigetragen habe.“
Nur leicht übertreibend könnte man
sagen, dass hier eine Gesellschaft gezeichnet wird, die
Menschheitsverbrechen beging, weil ein verrückter, aber
dämonischer Führer oder wahlweise ein kleine Clique Besessener
das so wollte. Die meisten Deutschen hätten das mitgetragen,
weil sie der Ausstrahlung der Parteiführer erlagen und aus
schlichter Dummheit.
Ökonomische Fragen werden kaum
einmal gestellt. Interessen aufgrund der wirtschaftlichen
Situation werden allenfalls Erwerbslosen zugeschrieben (die
Hitler gewählt hätten, um Arbeit zu bekommen) - nicht aber
der herrschenden Klasse, bei der die FernsehmacherInnen
niemals von den Konsequenzen ihres bedingungslosen Willens,
die eigene ökonomische Machtstellung aufrechtzuerhalten,
sprechen. „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte
auch vom Faschismus schweigen.“ (Max Horkheimer)
Nur selten ist von materiellen
Motiven die Rede: In wessen Interesse lag es, Hitler an
die Macht zu bringen? Wie konnte der Nationalsozialismus so
reibungslos seine Macht festigen? Welche gesellschaftlichen
Kräfte traten ihm dabei zur Seite und weshalb? Warum haben so
viele Menschen den Faschismus begeistert mitgetragen, warum
standen so viele dem Morden gleichgültig gegenüber? Bei
unterschiedlichen politischen Herrschaftsformen waren es doch
stets die gleichen Klassen und Schichten, die die Gesellschaft
vom Kaiserreich bis zur Bonner Demokratie prägten und
dominierten. Einzig der Einfluss des Adels schwand nach 1945.
Der Nationalsozialismus wird nicht
in sein historisches Umfeld eingebettet, sondern außerhalb
jeder chronologischen Kausalität betrachtet. Er erscheint
dadurch als eine hermetisch abgeschlossene
Gesellschaftsformation, als eine Episode von 12 Jahren, die
kaum etwas mit den Jahren davor zu tun gehabt hat. So wird der
Faschismus entpolitisiert und in ein von der realen
Gesellschaft losgelöstes „tragisches Ereignis“ umdefiniert,
das sich Erklärungsversuchen entzieht. Der darin liegende
Freispruch für alle, die nicht der NSDAP-Spitze angehörten,
ist offenkundig. Es ist wie in der Karikatur, in der der
Großvater seinem Enkel erklärt, 1933 seien Marsmenschen in
Deutschland gelandet.
Für die politische Bildung ist
dieser Befund katastrophal. Gehaltvolle Darstellungen über die
Hintergründe des Nationalsozialismus könnten dagegen
immunisieren, eine auch nur annähernd ähnliche politische
Bewegung zu unterstützen. Dass diese Art des
Fernsehjournalismus, der von seichter Unterhaltung immer
weniger zu unterscheiden ist, mit Guido Knopps
Verrentung der Geschichte angehört, ist leider
unwahrscheinlich.
Mit der in Mode gekommenen
Kombination aus einem 08/15-Spielfilm mit einer thematisch
zugeordneten Dokumentation geht die Trivialisierung
historischer Ereignisse in die nächste Runde. Im Februar wird
die ARD den Film „Nacht über Berlin“ ausstrahlen, in dem es um
den Reichstagsbrand und eine Liebe in dieser Zeit gehen wird.
Für den nachfolgenden Sendeplatz wurde schnell noch die
Dokumentation „Nacht über Deutschland“ zusammengeschustert,
„um das Profil als Qualitätssender zu schärfen“.
Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text vom
Autor für diese Ausgabe.