Stadtumbau & Stadtteilkämpfe

Offener Brief zur geplanten Sanierung der Gewobag-Wohnhäuser im Ernst-Thälmann-Park

02-2014

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Seit gut einem Jahr kämpft die Anwohner-Initiative gegen den  Umbau des Ernst-Thälmann-Parks und gegen die "Komplettsanierung" ihrer Gewobag-Wohnungen. Auf der an den Park angrenzenden Fläche des Güterbahnhos sollen zukünftig Stadtvillen und Hochhäuser errichtet werden. Auf dem benachbarten Gelände, das dem Bezirksamt gehört, ist ein "Stadtquartier" mit Wohnungen und Gewerbe geplant. Hinzukommen soll der "Prenzlauer Bogen" - eine Appartmentanlage mit Penthouses. Private Investoren hocken also in den Startlöchern zur Errichtung von  hochpreisigem Wohnraum - immerhin soll es um 2.200 Wohnungen gehen. Den MieterInnen der 1.100 Gewobag-Wohnungen drohen, wenn diese Pläne greifen, frappante Mieterhöhungen. Das Bezirksamt versucht seinerseits alles, um keinen Widerstand aufkommen zu lassen und setzt als Mediator "Stattbau"ein, um die MieterInnenschaft zu befrieden.
Der nachstehende offene Brief vom Ende letzten Jahres verdeutlich, wie die Betroffenen  Ihre Lage einschätzen und was sie erwarten.  / khs

Berlin, 13. November 2013

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Prenzlauer Berg hat sich in den letzten 20 Jahren wie kaum ein anderer Stadtteil verändert,
flächendeckende Sanierung hat zu einer weitgehenden Verdrängung der ursprünglichen Anwohner  geführt und ein sehr homogenes Bevölkerungsbild hervorgebracht, das inzwischen klischeehaft als  allgemeines Beispiel für Gentrifizierung herhalten muss. Mittendrin jedoch, im Ernst-Thälmann-Park,  hat sich vor allem dank moderater Mieten eine gesunde Mischung aus Alt und Jung, Ost und West,  geborenen Berlinern und Zugezogenen entwickelt. Hier treffen unterschiedliche Biografien,  Lebensentwürfe, Bildungshintergründe und Einkommenssituationen aufeinander und schaffen einen  kleinen Mikrokosmos, für den sich inzwischen sogar Stadtsoziologen und Kulturhistoriker  interessieren.

Nun ist seit Anfang des Jahres eine umfassende Sanierung der „Plattenbau“- Wohnhäuser im
Thälmann-Park im Gespräch. Dabei haben unklare, teils widersprüchliche oder fehlende
Informationen bei vielen Bewohnern starke Verunsicherung und Ängste vor steigende Mieten und
Verdrängung ausgelöst: so wurde seitens des Bezirksamtes Pankow anfangs von einem
„Sanierungsauftrag“ gesprochen, den die Gewobag erhalten habe, und dass sich ja wohl alle einig  seien, dass die Häuser dringend saniert werden müssten. Auf Nachfrage, wer denn diesen Auftrag  überhaupt erteilt habe, wurde dann relativiert und auf die beginnende laufende „Voruntersuchung  Thälmannpark“ verwiesen, die einen möglichen Sanierungsbedarf feststellen solle. Dann hieß es wieder, ab 2015 würde auf jeden Fall saniert -unabhängig von der Voruntersuchung. Darüber hinaus gab es von verschiedenen Seiten die wildesten Gerüchte über Kernsanierung und vorübergehende Umsiedlung der Bewohner. Die Gewobag selbst hat sich den Mietern gegenüber mit Informationen sehr zurückgehalten und auf Nachfrage stets betont, dass noch nichts entschieden sei und dass man die Mieter rechtzeitig einbeziehen werde. Auch wenn das wahrscheinlich den Tatsachen entsprechen dürfte, so hat auch diese Informationspolitik leider nicht gerade zur Vertrauensbildung beigetragen.

Immerhin wurde von der Gewobag in diesem Sommer die Wahl eines Mieterbeirats durchgeführt,
der in gewisser Weise legitimiert ist, die Interessen der Mieter zu vertreten.  Inzwischen gibt es nun die offizielle Aussage der Gewobag, dass man eine Komplettsanierung nicht  (mehr?) in Betracht ziehe, es aber 2015/16 Sanierungsmaßnahmen geben werde, über die der  Aufsichtsrat mit einem Jahr Vorlauf entschiede. Aus diesem Anlass möchten wir heute unseren Standpunkt zu diesem Thema zur Kenntnis bringen, den wir in unzähligen Gesprächen und mehreren  Versammlungen innerhalb der Bewohner sowie aus eigenen Erfahrungen gebildet haben.

Keine Aufwertung am Immobilienmarkt

Angesichts mehrerer Neubauprojekte im hochpreisigen Segment, die in unmittelbarer Nachbarschaft  kürzlich entstanden sind, aktuell entstehen oder angestrebt werden, befürchten die Bewohner ohnehin, dass durch die massive Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete auch ihre eigene Miete  für sie unbezahlbar wird. Eine Aufwertung der Gewobag-Häuser würde diese im Mietspiegel nicht  mehr wie bisher als „einfache Wohnlage“ sondern wahrscheinlich als „mittlere“ oder sogar „gehobene Wohnlage“ ausweisen, und damit zusätzliche Spielräume für eine Steigerung der Mieten  eröffnen. Eine solche Entwicklung widerspräche allen Mietenbündnissen und politischen  Absichtserklärungen der jüngsten Zeit und kann nicht im Interesse des Senats sein, auf den Berliner  Wohnungsmarkt mäßigend einzuwirken.

Würdigung der architekturhistorischen Bedeutung

Errichtet auf dem Gelände eines ehemaligen Gaswerks und umgeben von herausragenden Beispielen  des Siedlungsbaus vergangener Jahrzehnte (Gründerzeitquartiere, Grüne Stadt, Taut-Siedlung) hat  der Ernst-Thälmann-Park zweifellos seinen eigenen Platz in der Geschichte der Architektur. Als Prestigeprojekt aus der Zeit der dämmernden DDR zeigt es einen Versuch der damaligen Staatsführung, durch Innovationen im Wohnungsbau die Leistungsfähigkeit des Staates zur Schau zu  stellen und damit dem schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung entgegen zu wirken. Daher dürfte  auch der Standort mitten im regierungskritischen Prenzlauer Berg kein Zufall gewesen sein. Die politische Aufladung des gesamten Areals mit einer Monumental-Statur Thälmanns haben allerdings  viele schon zur Fertigstellung in den achtziger Jahren als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Heute  kann man es im Rückblick wohl auch als Zeugnis des vorschreitenden Realitätsverlustes der damaligen Regierung werten.

Wie immer man dazu steht, ist der Thälmannpark in jedem Fall ein bedeutender Teil der Geschichte des Prenzlauer Bergs und auch Deutschlands. Dass er noch weitgehend in unverändertem Zustand  ist, muss als absoluter Glückfall gesehen werden. Wir fordern daher nicht nur die größtmögliche  Erhaltung dieses Zustandes, sondern regen darüber hinaus an, die tatsächlich interessanten  Innovationen im Wohnungsbau im Thälmannpark als Anregung zu nehmen, um die heutigen Probleme in diesem Bereich anzugehen. So sind die speziell für diesen Standort entworfenen Punkthochhäuser bei genauerer Betrachtung ein gutes Beispiel für extrem effizientes Bauen, das ein  Höchstmaß an Wohnqualität, vielfältige Grundrisse und geringe Kosten in sich vereint.

Über die geplanten Sanierungsmaßnahmen hinaus stehen am Ernst-Thälmann-Park-Areal ja noch
weitere tiefgreifende Veränderungen zur Diskussion. Massive Bebauungsvorhaben privater
Investoren könnten das Gebiet radikal verändern, dagegen stehen Ideen von Anwohnern für mehr Grün, Freiräume für Bildung, Soziales und Kultur, die der dicht bebaute Prenzlauer Berg dringend  braucht. Darüber können sie sich auf den unten genannten Internetseiten informieren.
Die Anwohner freuen sich auf einen offenen und konstruktiven Dialog mit allen Beteiligten und
Interessierten und heißen jeden herzlich willkommen, der sich einmal persönlich ein Bild von dem
Areal machen will.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit, mit freundlichen Grüßen

Andreas Hoepfner, Sprecher des Mieterbeirats im Gewobag-Wohnquartier Thälmannpark
Dr. Markus Seng, Anwohner-Initiative Ernst-Thälmann-Park

Editorische Hinweise

Wir übernahmen den Brief von der Website der Initiative.

Weiterführende Infos siehe:
www.gewobag.de/mieterbeirat-thaelmannpark-1219.html 
www.ai-thaelmannpark.de 
www.teddyzweinull.de