Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

François Hollande, der Genosse der Bosse

02-2014

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Es kann absolut nichts Gutes verheißen: In Deutschland überbieten sich CDU- wie auch SPD-Politiker gegenseitig vor Begeisterung über die neue Ausrichtung der Politik von Frankreichs Präsident François Hollande.

Das, was der französische Präsident gestern vorgelegt hat, ist mutig. Ich bin froh über die Ankündigungen aus Frankreich“, erklärte etwa Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch, den 15. Januar 14 in Berlin. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz sprach von „wichtigen Aussagen“. Und der Vorsitzende des Ausschusses für EU-Angelegenheiten im Bundestag, der CDU-Politiker Gunter Krichbaum, kommentierte gegenüber Le Monde: „Besser spät als nie.“ Allerdings sei er „neugierig“, ob Präsident Hollande das, was er wie andere deutsche Politiker für positiv halten mag, auch „gegenüber den Gewerkschaften durchsetzen“ könne.

Pressekonferenz Hollandes

Anlass für die extrem positive Neubewertung der Politik Hollandes sind dessen Ankündigungen zur Wirtschaftspolitik, bei einer Pressekonferenz am Dienstag, den 14. Januar d.J.. Diese radikalisieren die schon zuvor unternehmensfreundliche Ausrichtung der französischen Regierungspolitik, und gehen ganz in Richtung der in der gesamten EU angesagten „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit“ – im Blick auf den Kampf gegen Konkurrenten von anderen Kontinenten.

Manche Beobachter/innen sprechen bezüglich schon vom „Angebotssozialismus“ - im Sinne einer „angebotsorientierten“ Wirtschaftspolitik. Also einer Strategie, die auf der Ideologie beruht, gehe es den Unternehmen gut, dann würden diese den Rest der Gesellschaft schon in Richtung Fortschritt mitziehen. Eine vulgäre wirtschaftsliberale Vorstellung, zu der die französischen Regierungssozialisten jedoch mehrheitlich übergetreten sind.

Schröder-Blair-Hollande?

Die sozialliberale Pariser Abendzeitung Le Monde ihrerseits titelte am Ende der zweiten Januarwoche 2014, Hollande schwenke auf die - bei Erscheinen des so genannten Schröder-Blair-Papiers 1999 bei französischen Sozialisten noch verpönte - ideologische Linie Tony Blairs ein. Acht Tage später korrigierte die Zeitung ihre Einschätzung: Hollande sei in vieler Hinsicht wirtschaftsliberal wie Blair geworden, aber es bleibe ein wichtiger Unterschied, da er nicht – wie unter Blair mit workfare – die Arbeitslosen unter Druck setze, jegliche Lohnarbeit anzunehmen. Allerdings hängen die Leistungen für Arbeitslose in Frankreich auch nicht direkt von der Regierung ab, sondern von einer paritätisch durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften verwalteten Kasse. Die Verbände verhandeln just derzeit um eine Reform der Arbeitslosenleistungen, da die Kasse Defizite aufweist, und haben drei Monate Zeit dafür. Erst wenn die Verhandlungen scheitern, greift die Regierung selbst ein. Auch an dieser Front ist in naher Zukunft mit Rückschritte zu rechnen.

Noch in der Regierungszeit von Premierminister Lionel Jospin, der zwischen 1997 und 2002 und damit zeitgleich zu Blair und zu Gerhard Schröder amtierte, versuchte Frankreich es mit einer etwas stärker „regulierenden“ Wirtschaftspolitik. Diese wollte den entfesselten Marktkräften etwas weniger Spielraum überlassen als etwa Schröders Politik und enthielt noch einige keynesianische Versatzstücke. Der Versuch des damaligen deutschen Finanz- und Wirtschaftsministers Oskar Lafontaine in den ersten Monaten der Schröder-Regierung, vor diesem Hintergrund die Politik beider Länder zu koordinieren und abzustimmen, scheiterte jedoch schnell. Mit erheblichen Widerständen aus Industrie und Banken konfrontiert, nahm Lafontaine schon Anfang 1999 den Hut.

Jospin selbst blieb aber auch nicht konsequent bei dem Versuch, eine Wirtschaftspolitik mit etwas stärkerer „eigener sozialdemokratischer Handschrift“ durchzuführen. Er blamierte sich unter anderem mit seinem Eingeständnis gegenüber Massenentlassungen erst bei Michelin und dann bei Danone – während die Konjunktur damals noch nicht krisenbedingt abgeflaut war -, als Regierungschef machtlos zu sein. Ein Auftritt Jospins vor Danone-Beschäftigten Anfang 2002 in Evry war derart peinlich, dass er zur Wahlniederlage des sozialistischen Premiers beigetragen haben dürfte. Jospin fiel unsanft auf, als er im April desselben Jahres nicht einmal in die Stichwahl um die französische Präsidentschaft kam.

Deutsche Dampfwalze rollt

In den letzten Jahren war die in Frankreich, wie andernorts in der EU, als „alternativlos“ präsentierte und durchgezogene Sparpolitik mitunter mit scharfen Tönen gegen die deutsche Europolitik kommentiert worden. Die politische und mediale Begleitmusik der Kritik an der deutschen Exportdampfwalze und „Euro-Rettungspolitik“ fällt derzeit in Frankreich aber ungleich verhaltener aus als noch 2011 und 2012. Damals war das Auftreten der deutschen Wirtschaft und Bundesregierung noch regelmäßig in den Kontext der deutschen Vergangenheit gerückt worden. Die Satiresendung Les Guignols de l’info lie Kanzlerin Merkel noch vor Jahresfrist regelmäig zu französischen Politikern im Kommandoton reden. Oft erteilte sie die Befehle von Pulten aus, die etwa Symbole des Vichy-Regimes, der Ära von Besatzung und Kollaboration trugen. Diese Töne sind heute in den wichtigsten französischen Medien weitgehend verstummt.

Dazu trugen mindestens zwei Faktoren bei. Der eine liegt im Regierungseintritt der deutschen SPD im Dezember 2013, der die Kritikneigung ihrer französischen Schwesterpartei und ihres Umfelds – und zu ihm zählen Zeitungen wie Le Monde und Libération - drastisch verringerte. Der französische Parlamentspräsident Claude Bartolone hatte am 24. April 2013 und nochmals am 11. Juni 2013 seinen Parteifreund François Hollande dazu aufgefordert, auf EU-Ebene „die politische Konfrontation mit Deutschland“ zu organisieren. Am 18. Dezember 13 erklärte er nun jedoch in einem Zeitungsinterview, die Zusammenarbeit Angela Merkels mit François Hollande und mit der SPD biete nunmehr „eine Chance, dass Europa der Austeritätspolitik entkommt.“

Zwischen dem Zeitpunkt seiner lauten Kritik und seiner Erklärung, nunmehr „Chancen“ zu sehen, liegt nicht nur der Regierungseintritt der deutschen Sozialdemokraten. Sondern auch der Verzicht der französischen „Sozialistischen“ Partei auf jegliche auch nur halbwegs keynesianische, so genannt „nachfrageorientierte“ Politik.

Verantwortungspakt“

Diese wirtschaftsliberale Ausrichtung der französischen Regierungspolitik kam zunächst im Anfang November 2012 beschlossenen „Steuerkredit“ für Unternehmen (CICE) zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Subvention von jährlich 20 Milliarden Euro ohne überprüfbare Gegenleistung.

In seiner Neujahrsansprache am Abend des 31. Dezember 13 ging Hollande noch einen Schritt auf die Unternehmen zu und bot ihnen einen „Pakt der Verantwortung“ an. Ihnen will er noch weitere Nachlässe bei Steuern und Abgaben gewähren, erhofft sich davon jedoch laut eigenen Worten Zugeständnisse der Unternehmen bei Einstellung von Arbeitskräften und Ausbildung.

Bei seiner Pressekonferenz vom 14. Januar im Elysée-Palast ging Hollande abermals einen Schritt weiter. Er kündigte eine weitere drastische Abgabensenkung für die Unternehmen bis 2017 an. Konkret wird bis dahin der dritte Zweig des französischen Sozialversicherungssystems - neben Kranken- und Rentenversicherung- komplett umgestellt. Dieser dritte Zweig ist besonders für „Familienleistungen“, also Kindergeld, aber auch für die Auszahlung von Wohngeld an Geringverdienende zuständig.

Bis 2017 sollen die Unternehmensbeiträge für diesen Zweig der Sozialversicherungskassen komplett abgeschafft werden. Die abgeschafften Beiträge belaufen sich auf insgesamt 35 Milliarden Euro jährlich, davon entfällt ein Teil auf die Beiträge von Selbstständigen und rund die Hälfte auf Unternehmensbeiträge.

Erneut ist keinerlei nachprüfbare, einforderbare Gegenleistung seitens der Unternehmen vorgesehen. Premierminister Jean-Marie Ayrault kündigte allerdings im Radiointerview am Donnerstag, den 16. Januar 14 an, die Regierung werde eine „Beobachtungsstelle“ (Observatoire) für die Praktiken der Wirtschaft einrichten.

So lange Frankreich auf dieser Linie bleibt, wird man es auch in Berlin gerne als „zuverlässigen Partner“ betrachten. Die französischen Gewerkschaften sind unterdessen desorientiert und gelähmt. Vier von acht Richtungs-Gewerkschaftsverbänden einigten sich jüngst mühsam auf ein Papier, das den „Pakt der Verantwortung“ nicht grundsätzlich verdammt, aber „Gegenleistungen der Wirtschaft“ verlangt. Gunter Krichbaum braucht sich jedenfalls vorläufig keine Sorgen zu machen.

LETZTE MELDUNG: Am frühen Morgen des 28. Januar 14 verlautbarte kurzzeitig, der frühere Berater von Kanzler Gerhard Schröder, Peter Hartz, werde in naher Zukunft „die französische Regierung über Reformen am Arbeitsmarkt beraten“. Dies weckte sogleich Erinnerungen an die berüchtigten „Hartz-Reformen“, mit denen die Schröder-Fischer-Regierung zu Anfang der 2000er Jahre das deutsche Kapital verstärkt „wettbewerbsfähig“ zu machen trachtete. Im Laufe des Vormittags des 28.01.14 wurde die Nachricht dann jedoch dementiert: Dieser angekündigt Giftmüllexport aus Deutschland unterbleibt (vorerst?).

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.