Mindestens 600
Aktivist/inn/en und Funktionsträger/innen von
französischen Gewerkschaften nahmen am Mittwoch, den
29. Januar 14 an einer ganztätigen Veranstaltung im
Pariser Gewerkschaftshaus „gegen die extreme Rechte,
ihre Ideen und ihre Praktiken“ teil. Am Abend folgte
darauf eine Publikumsveranstaltung am Sitz des
Gewerkschaftsdachverbands CGT in der Pariser Vorstadt
Montreuil, zu der auch weitere Personen – die tagsüber
abwesend blieben – hinzukamen, während manche der
Teilnehmer/innen der Ganztagesveranstaltung
zwischenzeitlich wieder abgereist waren.
Erstmals haben
mehrere französische Gewerkschaftsverbände und –zusammenschlüsse
damit auf den Einflusszuwachs des Front National und anderer
Kräfte der extremen Rechten, einschließlich in den Betrieben und
Arbeiterstadtteilen, reagiert. Im Zusammenhang mit dem
Heranrücken der französischen Kommunalwahlen vom 23. und 30.
März 14, sowie (besonders) der Europaparlamentswahl vom 25. Mai
14 – im Vorgriff auf Letztere wird der FN bei den
Umfrageinstituten nach wie vor als voraussichtlich stärkste
Partei gehandelt – droht der politische Einfluss des FN sich
erneut verstärkt zu manifestieren. Zugleich wirbt die extreme
Rechte mancherorts mit für ihre „Sache“ gewonnenen
Gewerkschafter/inne/n für sich.
Im lothringischen
Nilvange tritt beispielsweise als Spitzenkandidat für den FN zur
Rathauswahl der Ex-Gewerkschafter Fabien Engelmann an. Er war im
März 2011 aus der CGT ausgeschlossen worden, nachdem seine
Kandidatur für den FN zur damaligen Bezirksparlamentswahl publik
geworden war – die betroffene Ortsgruppe der CGT hatte ihr
Mitglied damals jedoch unterstützt, und war deswegen durch die
Leitung des Dachverbands aufgelöst worden. Nummer Zwei auf der
jetzigen Liste des FN zur Rathauswahl ist nunmehr eine
Gewerkschafterin, die Mitglied beim Dachverband FO (Force
Ouvrière,
ungefähr „Arbeiterkraft“, der Name wird ohne Artikel benutzt)
ist – dem drittstärksten Gewerkschaftsdachverband in Frankreich,
vorgeblich „unpolitisch“ und gleichzeitig gefährlich politisch
schillernd. Es handelt sich um die 51jährige Marie Da Silva,
Mitarbeiterin („Redaktionsassistentin“) bei der Regionalzeitung
Républicain lorrain.
Im Unterschied zur
CGT und mehreren anderen Gewerkschaftsverbänden in Frankreich
praktiziert FO gegenüber den Rechtsextremen in ihren Reihen
nicht den Ausschluss. Die Leitung von FO fordert von den
FN-Kandidat/inn/en in ihren Reihen lediglich, während ihrer
politischen Kandidatur jegliche gewerkschaftlichen Funktionen
niederzulegen und nicht explizit mit ihrer
Gewerkschaftsmitgliedschaft Wahlwerbung zu betreiben (aber den
Wähler/inne/n vor Ort ist diese Mitgliedschaft natürlich zum
Teil bekannt), um den vordergründig „unpolitischen“ Charakter
des Verbands zu wahren. Ansonsten hat es bislang
Gewerkschaftsausschlüsse gegenüber Rechtsextremen bei der CGT,
bei der Union Syndicale Solidaires, bei der FSU (Zusammenschluss
von Bildungsgewerkschaften) und auch bei der sozialdemokratisch
geführten CFDT sowie der „unpolitisch“-sozialdemokratischen UNSA
gegeben – aber grundsätzlich nicht bei FO, und nicht oder selten
beim christlichen Gewerkschaftsdachverband CFTC.
Die Tagung vom 29. Januar 14, die
eine Gegenoffensive gegen die extreme Rechte einläuten und
gleichzeitig zur „Immunisierung“ der eigenen Mitgliedschaft
gegen rassistische und rechtsextreme Ideen beitragen soll, wurde
durch die CGT (stärkster Dachverband), die Union syndicale
Solidaires (Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften) und die
FSU (Lehrer/innen- und Ausbildungssektor-Gewerkschaften)
zusammen organisiert.
Am Vormittag und
am frühen Nachmittag arbeiteten die Teilnehmen in vier
parallelen Workshops zu inhaltlichen Themen. Zahlenmäßig mit
Abstand am stärksten fiel dabei der Workshop zu den kommunalen
Praktiken der extremen Rechten (inklusive in den von ihr
regierten Städten; der FN verwaltete in den Jahren 1995 bis 2001
insgesamt vier Rathäuser, im Augenblick wird davon nur noch
Orange rechtsextrem regiert) aus, ihm war der größte Saal
zugeteilt worden. Parallel dazu fanden aber auch Arbeitsgruppen
zu den Themen „Rechte von Frauen und Homosexuellen“, „Rassismus
und Diskriminierung“ sowie „Europa“ statt. Im Laufe des
Nachmittags gab es dann eine Zusammenfassung aus den
verschiedenen Workshops für das gesamte Publikum, und es wurde
per Akklamation eine Entschließung zur notwendigen Bekämpfung
der extremen Rechten durch die Gewerkschaften angenommen.
Bei den
Workshops erfuhr mensch dabei viel Konkretes aus den
unterschiedlichen Orten, aus denen die Teilnehmer/innen
angereist waren. Im lothringischen Forbach etwa befindet sich
eine der Kommunen, deren Rathaus der Front National eventuell ab
Ende März dieses Jahres übernehmen könnte. Örtlicher
Spitzenkandidat ist Florian Philippot, der junge (Anfang dreißig)
und überdiplomierte Vizepräsident der Partei. Bei den
Parlamentswahlen im Juni 2012 hatte er dort 46 % der Stimmen
erreicht. CGT-Gewerkschafter von den örtlichen Busbetrieben
berichteten, wie die rechtsextreme Partei vordergründig eine
geschmeidige Kampagne als „demokratische Formation“ führt,
während hinterrücks konkret einzelne Gewerkschafter bedroht
werden – „wir kennen Dich und Deinen gewerkschaftlichen
Werdegang, wenn wir einmal im Rathaus sind, werden wir uns um
Dich kümmern“ – und nächtlich die Scheiben am Ort einer
Gewerkschafterkonferenz eingeworfen wurden. Aus Lyon wurde
berichtet, wie die Stadt in vielerlei Hinsicht als „Labor“ für
unterschiedliche (auch militante) rechtsextreme Gruppen dient.
Die außerparlamentarisch tätigen „Identitären“ gründen
Stadtteilzentren zu vorgeblich „kulturellen“ Zwecken, in denen
alsbald Sportveranstaltungen (bevorzugt Kampfsport…) und
politische Vorträge stattfinden, während alle Kebabläden in der
Umgebung in der darauffolgenden Zeit unerbetenen „Besuch“
bekommen. Die rechtsextreme „Graswurzel“strategie verzeichnet
einige Erfolge, und bei der Kommunalwahl in Lyon tritt nun einer
der „Identitären“ als Spitzenkandidat für den FN zu einem
Bezirksrathaus an.
Andere
Teilnehmer erinnerten auch an die bisweilen fließenden Übergange
zwischen der bürgerlichen Rechten und der extremen Rechten. Ein
langjähriger Gewerkschafter bei den Pariser
Rathausmitarbeiter/inne/n erinnerte daran, dass in der Amtszeit
des Bürgerlich-Konservativen Jacques Chirac als Pariser
Oberbürgermeister (1977 bis 1995) u.a. der Vorsitzende des
rechtsintellektuellen Think-Tank ,Club de L’Horloge’, Henri de
Lesquen, als Sekretär für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt
worden ist. Dies war zwar nicht die einzige Ursache für den
höchst selektiven Zugang zu Sozialwohnungen innerhalb der
Pariser Stadtgrenzen – passte aber absolut zu einer Politik, die
darauf hinauslief, 85 % der Anspruchsberechtigten ohne
französische Staatsbürgerschaft systematisch außerhalb dieser
Stadtgrenzen, also in den Vor-/Trabantenstädten oder
banlieues, statt auf Pariser Stadtgebiet unterzubringen.
Obwohl Chirac später auf frankreichweiter Ebene an einer Politik
der strikten Abgrenzung des bürgerlichen Lagers vom Front
National festhalten würde, hatte er also Segmente der extremen
Rechten in die eigene Politik im Pariser Rathaus eingebunden.
Am Abend des 29. Januar 14
sprachen zur Veranstaltung am Sitz der CGT die Vorsitzenden der
Studierendengewerkschaft UNEF (William Martinet), der FSU
(Bernadette Groison), der Union Syndicale Solidaires (Annick
Coupé) und der CGt (Thierry Lepaon). Alle bezeichneten die
extreme Rechte als gefährliche Bedrohung für die Lohnabhängigen
und ihre Gewerkschaften, forderten, wieder in die Offensive zu
kommen – für demokratische Rechte, öffentliche Dienste und/oder
Klasseninteressen – und die Einflussnahme rechter Ideen auch
unter Gewerkschaftsmitgliedern und –smpathisanten offensiv zu
bekämpfen.
Editorische Hinweise
Wir
bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
|