Im Spiegel der Linken: Griechenland nach der Wahl

Syrizas Wahlerfolg und die Pseudolinken

von
Peter Schwarz
 (Internationales Komitee der Vierten Internationale - IKVI)

02-2015

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Der Regierungsübernahme von Alexis Tsipras in Griechenland hat unter den zahlreichen pseudolinken Organisationen, die sich im Umfeld und innerhalb von Syriza und ihrer internationalen Schwesterorganisationen tummeln, einen wahren Begeisterungssturm ausgelöst. Sie schwärmen von einem “Gezeitenwechsel der europäischen Politik” und “neuen Möglichkeiten für revolutionäre Sozialisten”.

In einer Mitteilung der französischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) heißt es: „Der Wahlsieg von Syriza ist eine hervorragende Nachricht. Sie erfüllt alle mit Hoffnung, die in ganz Europa gegen Austeritätspolitik kämpfen.“ Und der Vorstand der deutschen Linkspartei verkündet in einer Presseerklärung: „Die Wahl in Griechenland ist aber nicht nur für Griechenland eine Zäsur, sondern für ganz Europa. Sie eröffnet Chancen für einen demokratischen Aufbruch und einen grundlegenden Richtungswechsel der Europäischen Union.“

Selbst der Umstand, dass Syriza eine Koalition mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen von Panos Kammenos eingegangen ist und ihr Wahlerfolg auch von europäischen Rechtsparteien wie dem französischen Front National, der italienischen Lega Nord und der britischen U.K. Independent Party begrüßt wird, kann diese Begeisterung nicht trüben.

Die der Linkspartei nahestehende Zeitung Junge Welt rechtfertigt das, wie sie selbst schreibt, „befremdlich anmutende“ Bündnis damit, dass die ausländerfeindlichen und chauvinistischen Standpunkte der Unabhängigen Griechen „für die Masse der Menschen, die am Sonntag ihr Kreuz bei der Linkspartei Syriza gemacht haben, zunächst zweitrangig“ sind. „Den Millionen von der Austeritätspolitik Betroffenen geht es vorrangig um eine substantielle Verbesserung ihrer sozialen Situation“, erklärt die Junge Welt. „Und da decken sich die Vorstellungen von Tsipras und Kammenos weitgehend.“

Selbst wenn wir für einen Moment annehmen, der aggressive Chauvinismus der Unabhängigen Griechen sei den Wählern von Syriza tatsächlich gleichgültig – was ein verheerendes Licht auf die Partei und ihre Unterstützer werfen würde –, ist er politisch keineswegs bedeutungslos. Kammenos unterhält enge Beziehungen zu den Stützen der Reaktion im Land – zu den Oligarchen unter den Reedern, zur orthodoxen Kirche und zum Militär. Die Unabhängigen Griechen sind eine „Partei der Rechten, deren besonderes Anliegen es ist, den ‚harten Kern‘ des Staatsapparats zu schützen“, wie Stathis Kouvelakis, ein Vorstandsmitglied von Syriza, schreibt.

Das Bündnis Syrizas mit den Unabhängigen Griechen hat deshalb nicht nur die Aufgabe, Tsipras die nötige Mehrheit im Parlament zu sichern; es dient auch als Verbindung zum „harten Kern des Staatsapparats“, zu den notorisch rechten Kräften in Polizei und Armee. Tsipras würde nicht zögern, sie gegen die Arbeiterklasse einzusetzen, sollte es zu sozialen Protesten und Aufständen gegen seine Regierung kommen.

Gleichzeitig zeigt das Bündnis mit einer ultranationalistischen Partei, auf welcher Klassengrundlage Syrizas Opposition gegen die „Austeritätspolitik“ Berlins und Brüssels beruht.

Syriza vertritt nicht die Interessen der Arbeiterklasse, die nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa einschließlich Deutschlands von der Finanzelite und ihren politischen Vertretern angegriffen wird. Sie spricht für Teile der griechischen und der europäischen Bourgeoisie, die sich von Berlin übervorteilt fühlen und für eine andere kapitalistische Finanzpolitik eintreten, die ihre Interessen stärker berücksichtigt.

Alle Reden Tsipras sind auf diesen Ton gestimmt. Er spricht als Vertreter der Bourgeoisie. Er appelliert nicht an das Klassenbewusstsein der Arbeiter, sondern beschwört die nationale Einheit und die Würde Griechenlands. Er wirbt in Paris und Rom für ein Bündnis gegen Berlin und stört sich nicht daran, dass diese Regierungen die eigene Arbeiterklasse scharf angreifen.

So lobte Tsipras in einem Gespräch mit der italienischen Zeitung Il Messaggero den unter Arbeitern verhassten italienischen Regierungschef Matteo Renzi in den höchsten Tönen. „Ich bin wie Renzi“, sagte er, „ich will Europa verändern. Wir werden uns sehr bald treffen, weil wir viel zu bereden haben. Wir denken in gleicher Weise über die Notwendigkeit des Wachstums und über den Ausstieg aus der deutschen Politik der Härte, die allen Bürgern Europas schadet.“

Während Renzi Tsipras Liebesmühen noch nicht erwidert hat, lud ihn der französische Präsident Hollande in den Elysée-Palast ein. Die französische Sozialistische Partei hat „den Sieg der linken Kräfte in Griechenland“ in einer offiziellen Stellungnahme begrüßt und erklärt, er stärke den eigenen Kurs „gegen die Austerität“. Vom Front National auf der Rechten über die regierenden Sozialisten bis zur Linkspartei und der NPA auf der Linken haben praktisch alle Parteien Frankreichs, das selbst unter dem Druck des wirtschaftlich übermächtigen deutschen Nachbarn steht, Tsipras Wahlsieg willkommen geheißen.

Die Logik dieser Politik ist verheerend. Sie verschärft die nationalen Konflikte, ordnet die Arbeiterklasse den nationalen Interessen der herrschenden Eliten unter und führt letztlich zum Krieg. Sie ist das Gegenteil einer sozialistischen Politik, die die Arbeiterklasse europa- und weltweit im Kampf gegen den Kapitalismus vereint.

Während Tsipras seine rechte Politik immer offener zur Schau trägt, versuchen vor allem pseudolinke Gruppen, sie zu vertuschen. Obwohl sie nicht umhinkommen, einige ihrer rechtesten Auswüchse zu kritisieren, entwickeln sie verzweifelt Argumente, um ihre anhaltende Unterstützung für Tsipras und Syriza zu rechtfertigen und die Arbeiterklasse zu verwirren.

Eines dieser Argumente lautet, man müsse die Regierung Tsipras unter Druck setzen, dann werde sie eine Politik im Interesse der Arbeiter verfolgen.

So schreibt die Sozialistische Alternative (SAV), die innerhalb der Linkspartei aktiv ist und zur Wahl Syrizas aufgerufen hat: „Das Wahlergebnis wird zur Folge haben, dass die ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen Griechenlands neuen Mut schöpfen, auf die Straße zu gehen und zu kämpfen. Das ist zentral, denn Tsipras muss vom ersten Tag seiner Regierungsübernahme an unter Druck gesetzt werden.“

Die SAV impliziert, dass die Regierung Tsipras diesem Druck nachgeben werde. Aber alle internationalen Erfahrungen der letzten 170 Jahre beweisen das Gegenteil. Unter dem Druck der Arbeiterklasse geht die Bourgeoisie – und Syriza ist eine bürgerliche Partei – nicht nach links, sondern nach rechts.

1848 wurden die demokratischen Revolutionen in Europa von ihren bürgerlichen und demokratischen Führern verraten, nachdem die Arbeiterklasse im Pariser Juniaufstand erstmals als eigenständige revolutionäre Kraft in Erscheinung getreten war. Erschreckt durch die neue gesellschaftliche Kraft, die ihre Privilegien bedrohte, zogen es die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führer überall in Europa vor, sich mit der feudalen Reaktion zu versöhnen.

Diese Erfahrung, die von Marx und Engels sorgfältig analysiert wurde, spielte eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Strategie der marxistischen Bewegung, in deren Mittelpunkt die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse steht.

Seither hat sich dieses Muster unzählige Male unter den unterschiedlichsten historischen und sozialen Umständen wiederholt – 1917 in Russland, wo das Kerenski-Regime eng mit der Reaktion im Militär zusammenarbeitete, bevor es von der Oktoberrevolution gestürzt wurde; 1927 in China, wo Chiang Kai-shek ein Massaker an der mit ihm verbündeten Kommunistischen Partei verübte; in den 1930er Jahren in Spanien, wo die Volksfront die Arbeiterklasse lähmte und Francos Sieg ermöglichte; oder 1973 in Chile, wo Allende die Arbeiter gegenüber der Armee entwaffnete.

Ein anderes Argument lautet, man müsse Syriza unterstützen, damit die Arbeiterklasse durch diese Erfahrung gehen und aus ihr lernen könne. Dieses Argument ist an Zynismus nicht zu überbieten. Angesichts der enormen Gefahren, die von einer Syriza-Regierung drohen, besteht die Aufgabe einer marxistischen Partei darin, aufzudecken welche Klasseninteressen Syriza vertritt, die Arbeiterklasse vor den Folgen zu warnen und ihr eine klare sozialistische Orientierung zu geben.

Auf diese Weise beteiligen sich die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee an den „Erfahrungen“ in Griechenland. Die zahlreichen pseudolinken Gruppen klammern sich an Syriza fest, weil sie dieselben Klasseninteressen wie diese Partei vertreten. Sie sprechen für Schichten der Mittelklasse, die eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse fürchten und auf den eigenen sozialen Aufstieg im Rahmen der bürgerlichen Ordnung setzen.

 

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel am 28.1.15 von: http://www.wsws.org/de/articles/2015/01/28/pseu-j28.html