Selbsterhöhung durch Abwertung anderer
Eine (auch bei Linken) beliebte Unsitte - am Beispiel von W. F. Haugs Rundumschlag gegen Louis Althusser

von Werner Blanckenburg

02-2015

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 Eine qualifizierte Stellungnahme zu Althussers Werk, die seinen theoretischen Leistungen – bspw. in „Für Marx“ oder in „Das Kapital lesen“ (erscheint am Ende des Jahres neu und vollständig übersetzt im Verlag „Westfälisches Dampfboot“) – gewachsen ist, kann inhaltlich verschieden ausfallen.

W. F. Haug nun bezeichnet Althusser als „Nietzsche des Marxismus“ oder „sein eigener Herostrat“ (in „Das Argument“ Nr. 304/2013, S. 18 bzw. 17). Der Vortrag „Ist es einfach, im Marxismus Philosoph zu sein“ findet sich auch auf Haugs Internetseite.

Einen Einspruch gegen Haugs Abfertigung von Althusser hat bisher m. W. einzig Christoph Lieber formuliert – in der Ausgabe 7/8 2014 der Hamburger Zeitschrift „Sozialismus“ (VSA-Verlag).

Die beiden erlesen klingenden Paradoxa („Nietzsche des Marxismus“, „Herostrat seiner selbst“) dürften beim Leser den Eindruck erwecken, hier werde über etwas Negatives bzw. Befremdliches gesprochen. Welchen bestimmten Inhalt aber bezeichnen sie?

Bei „Nietzsche des Marxismus“ bleibt der Inhalt unklar. Anders der Effekt: Bei der Erwähnung des Namens „Nietzsche“ assoziieren die meisten Linken aller Erfahrung nach ein ihnen pauschal als in besonderem Maße tadelnswert (weil „präfastischisch“ und „frauenfeindlich“) erscheinendes Denken. Um ein ebenso schweres wie negatives Zeichen handelt es sich auch bei „Herostrat“. So wird gemeinhin jemand bezeichnet, der nichts geringeres anstellt, als aus Geltungssucht Kulturgüter zu zerstören.

Zum Begriff des „Herostraten“ gehört die Trennung zwischen Subjekt (der, der zerstört) und Objekt (dasjenige, das zerstört wird). Haug bezeichnet nun Althusser als „sein eigener Herostrat“. Meint Haug, Althusser sei das Kulturgut, das Althusser zerstört? Faktisch wendet sich Haug gegen eine Stellungnahme von Althusser zu seinem eigenen Werk am Ende seines Schaffens. Ein Herostrat ist aber nicht jemand, der ein Kulturgut bloß kritisiert oder ihm seinen Wert abspricht. Ein Herostrat
z e r s t ö r t das Kulturgut. Inwiefern v e r m a g aber das Selbstverständnis oder Selbstmissverständnis eines Autors zum Zeitpunkt x es überhaupt, seine tatsächlichen Leistungen bzw. sein Werk aus der Zeit y zu zerstören? Beim Ausdruck „sein eigener Herostrat“ handelt es sich um einen Knalleffekt. Er soll Aufmerksamkeit erregen, löst sich aber als undurchdachter Gedanke in Luft auf. Die negative Etikettierung jedoch bleibt.

W. F. Haug findet in Bezug auf Althusser anscheinend keine Grenze. Der Begriff „Psychose“ gehört in den Horizont psychiatrischer Diagnose. Haug verwendet diesen Begriff in Bezug auf Althussers späte Äußerungen zu seinem Werk. Haug spielt damit auf Althussers psychische Problematik an. Sachlich ist selbstverständlich zwischen der Beurteilung der geistigen Leistung einer Person und der Beurteilung ihrer psychischen Verfassung strikt zu unterscheiden. Wir treffen die Vermischung dieser beiden Ebenen für gewöhnlich überall dort an, wo es darum geht, gegen den Betroffenen Stimmung zu machen, durch den Hinweis auf eine vermeintliche oder wirkliche psychische Problematik die von ihm geäußerten Gedanken zu diskreditieren. Eines ist sicher: Haug kennt den Unterschied zwischen Genesis und Geltung. Althussers letztes Buch „am Rande der Psychose“ zu verorten ist schon psychiatrisch Unfug: Im Zustand der Psychose oder „am Rande der Psychose“ schreibt niemand Bücher, die für den Leser verständlich sind.

Wenn W.F. Haug zufolge Althussers Bewertung seines Werks in seiner Autobiographie so massive Kritik verdient, warum konzentriert sich Haug auf d i e s e Äußerungen und nicht auf Althussers früheres Werk? W. F. Haugs Text benutzt Althusser bzw. das von ihm präsentierte (Zerr-)Bild, um in Absetzung davon die Bedeutung seines eigenen Schaffens zu verdeutlichen:

„Er (Althusser – Verf.) kommt vom Leninismus her, den Stalin als Fassade seines Regimes … kodifiziert und kanonisiert hat. Mehr aufs Argument und auf Einsicht bauend, komme ich von dem her, was der schwedisch-deutsche Schriftsteller Peter Weiss die Linie Luxemburg-Gramsci genannt hat … . Er hat der Passion des Denkens Monumente gesetzt, ich habe versucht, künftiger Praxis Wege ins Wirkliche zu bahnen, und werde in den Wegen aufgegangen sein, von denen ich erwarte, dass sie als begehbar erfahren oder vergessen werden“ (S. 18).

„Doch wo er verkündet, erkunde ich. Er möchte überwältigen, ich überzeugen, aber nicht durch Rhetorik, sondern indem ich Argumente und Belege anbiete, aufgrund derer sich meine Adressaten selbst überzeugen können. Daher wirke ich vorbereitend, er im Ton der Endgültigkeit, wirke langsam, wo er schnell und durchdringend wirkt“ (S. 17).

Althusser wird für Haug zum Thema in Bezug auf das Verhältnis zwischen Marxismus und Philosophie. Über Althussers Position erfährt man von Haug wenig. Warum die bei vielen Denkern anzutreffende Tatsache, ihre Position verworfen und neue Positionen entwickelt zu haben, gegen Althusser sprechen soll, bleibt Haugs Geheimnis. Haug hätte sich dann eben mit mehreren Positionen und den Gründen für die inhaltlichen Veränderungen auseinanderzusetzen. Die explizite Veränderung von Inhalten und deren deutliche Unterscheidung von früheren eigenen Positionen durch den Autor selbst ist das gerade Gegenteil zur stalinistischen Kodifizierung des „Leninismus“, in dessen Nähe Haug Althusser zu stellen versucht. Haug bleibt auch die Argumente dafür schuldig, Althussers Vorgehen, Thesen zu formulieren, um sie zur Diskussion zu stellen, mit apodiktischer und autoritativer Verkündung zu identifizieren.

Haugs Vortrag enthält in Bezug auf Althusser zwei Botschaften, die in ihrer Massivität alle sonstigen im Text enthaltenen Feinsinnigkeiten an den Rand drängen(1):

Erstens: Die Akte Althusser kann nach der Hinzufügung von Haugs Gutachten endlich geschlossen werden. Althusser-Rezeption und Althusser-Diskussion bekommen einen KW-Vermerk: Kann wegfallen.

Zweitens: Definitive Klarstellung zur Geistesgeschichte: Althusser kann nicht als Vorstufe zu Haug gelten.

W.F. Haug hat in seinen Arbeiten oft gute Argumentationen vorgelegt. Man konnte von ihm immer mal wieder lernen. Mit seiner Althusser-Eskapade aber tut Haug sich keinen Gefallen. Sein freigiebiges Hantieren mit Negativklischees, Raunen („Nietzsche … !!!“) und Ressentiments („Praxis“ vs. „Theorie“) in seinem o. g. Artikel trägt zu einer Verwahrlosung der Diskussion und zur Senkung von Rationalitätsstandards bei.

WAS LERNEN WIR DARAUS ?

Haugs Althusser-Eskapade ist in dreifacher Hinsicht aufschlussreich. Sie reiht sich erstens ein in das Verhalten in der Konkurrenz. Anbieter übertreiben gern die positive Differenz ihres Angebots zu anderen Offerten. Auch Geistesarbeiter sehen sich dann bemüßigt, „jeden Gedanken nicht zu prägen, was sehr nützlich wäre, sondern ihn überscharf zu profilieren ... , (so) dass der Gedanke von all seinen unendlich vielen Brüdern von vornherein sich mehr abhebt, als es von Haus aus in seinem Wesen steckt“ (Bry 1924).

W.F. Haug setzt zweitens faktisch in seinen Anwürfen gegen Althusser die in der Linken grassierende unselige Tradition der vernichtenden Kritik oder unbestimmt-pauschalen Negation fort. Alliiert ist diese Mentalität mit den Praxen des Zerfledderns und des Verrrisses.(2)

W.F. Haug begegnet drittens der Angst vor der Vergeblichkeit und Folgenlosigkeit des eigenen Tuns in besonders ausgeprägtem Maße mit Selbstaufwertung und Selbstanpreisung. Er traut der Mit- und Nachwelt anscheinend nicht zu, seinen Beitrag gut aufnehmen und fortsetzen zu können.(3) Bei W.F. Haugs Vortrag handelt es sich um einen ideomagischen Versuch der Überredung. Er möchte nicht nur die Hauptrede bei seiner Beerdigung selbst vor-schreiben, sondern auch den Eintrag in die Geistesgeschichte der Menschheit. Alles muss man selbst machen! Aus seinem Umfeld vermochte offenbar niemand mit der Botschaft zu W.F.Haug durchzudringen, WFH sei auch dann gut, wenn er n i c h t „besser“ als Althusser wäre. Bemerkenswert ist die Selbstverständlichkeit bzw. Unbewusstheit, mit der sich W.F. Haug in den Denk- und Subjektivitätsformen des Vergleichs und der Überbietung bewegt.

Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um ein Phänomen von psychologischem Interesse (Eitelkeit als Produktiv- und Destruktivkraft). Die Totalisierung oder das Überziehen der jeweiligen Erkenntnisse geht damit einher, dass ihr anerkennenswerter Impuls „ebenso schnell vergessen wird und die Frucht verloren geht, die er tragen würde, wenn er in seine Grenze eingeschränkt worden wäre. Dadurch würde er in seinem Maße anerkannt und soviel geschätzt und gebraucht, als ihm gehört, dahingegen er auf die andere Weise mit seiner ungebührlichen Aufblähung zugleich ganz zusammenschrumpft“ (Hegel).


ANMERKUNGEN

1) Wer seiner Vorliebe für schwere Zeichen („Nietzsche!“, „Herostrat“, „Psychose“) frönt, wird sie nicht wieder los.

2) Rezensionen missraten zum Schauplatz eines „finsteren, jämmerlichen, schamlosen, beschämenden Geschiebes, Gedränges und Gerempels von Machthaberei, Schlagworten in jedem Sinn, Begrifferücken, Spiegelfechterei, Spitzfindelei. ... Fast täglich nimmt es sich in der Zeitung, welche sich so viel darauf einbildet, der Literatur einen besonderen Raum zu geben, ein junger oder alter Wicht ... heraus, mit ein paar vollkommen vordergründigen, Satz für Satz durchschau- und vorhersehbaren Standardkniffen ein Buch, wie es auch sei, in ein Nicht-Buch zu zerkrümeln, vergleichbar mit einem Kerl, der, ohne zu wissen, was er tut, ein Stück Brot zerkrümelt, bis er nicht mehr Brot ist, und dafür auch noch bezahlt und dafür vielleicht auch noch in seiner Abendkneipe belobigt wird: ‚Den hast du aber prachtvoll fertiggemacht!’ ... Kritiker zu sein könnte ein guter, lehrreicher, Vergnügen bescherender Beruf sein; eine genaue, erzählende, aufschlüsselnde und wiederum verschlüsselnde Besprechung eines Buches, ob mit Liebe oder mit Zorn verfasst, zu lesen, hat mir schon oft Freude gemacht, oft das Hirn zum Glühen gebracht, ja mich sogar gerührt und begeistert. Aber es gibt schon lange kaum Kritiker mehr – nur noch gutbezahlte Angestellte, die sich aufspielen, und immer für sich selber, und immer gegen jemand anderen; und die hellen Streitspiele sind zum bloßen Gegeneinander-Ausspielen verkümmert. … In fast jedem Fall wird da weder ein Buch sichtbar, noch wird eine Besprechung zur Lehre, sondern, Satz um Satz, das Ausspielen, dieses gegen jenen, jenes gegen diesen“ (Peter Handke).

3) Auch hier zeigt sich – wie in der Konkurrenz – eine allgemeine Problematik der bürgerlichen Gesellschaft. Erich Wulff hat zu Recht geltend gemacht, e i n e Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft fokussiere gerade den Mangel für die Individuen, erfahren zu können, dass sie „?das Ihre? und damit genug … getan haben“ (1994). Dass dies nicht bzw. selbst ‚nicht genug? erfahrbar sei, liege an der spezifischen Verfasstheit des gesellschaftlichen ‚Lebensgewinnungsprozess?. In ihm ist es – eben aus den vielfältigen Indifferenzen und Gegensätze – nur sehr bedingt und unsicher möglich, sich über den eigenen begrenzten Anteil an der Daseins­vorsorge und -gestaltung zu beruhigen. Diese Ruhe und Gelassenheit kommt in dem Maße zustande (oder eben nicht), wie es möglich erscheint, anderen dahingehend zu vertrauen, sie würden dem gemeinsamen Werk zuarbeiten und es fortsetzen in einem gemeinsamen Sinn. Dieses Ver­trauen wird umso mehr gefordert, desto unbekannter die anderen sind, denen ich etwas überlasse, ohne genau zu wissen, was sie wann damit machen. „Zur Eröffnung der eigenen Passivität – die die subjekt­bildenden Voraussetzungen für jedes bewusste aktive Handeln überhaupt erst schafft – gehört aber auch, trotz dieser Gefahren, dem anderen gegen­über offen zu sein, auf sein Dasein zu vertrauen, und zwar nicht nur dem Dasein einzelner anderer Individuen, sondern dem weiter nicht mehr iden­tifizierbaren, verfolgbaren Produkt ihrer aller Arbeit, das im gesellschaft­lichen Erbe, das wir übernehmen und an dem wir Anteil haben, in Form von notwendigerweise immer auch randunscharfen Bedeutungen nieder­gelegt ist“ (Ebd.).

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.