An die Tage und
Wochen nach dem Attentat auf Charlie Hebdo vom 07.
Januar 15 wird sich die französische Medienwelt noch lange
erinnern. Nicht nur, weil die « Ausgabe der Überlebenden » der
attackierten Wochenzeitung – die am 14. Januar d.J. erschien und
noch immer in den Kiosken erhältlich ist, eine Folgenummer wird
erst in mehreren Wochen erwartet – bereits jetzt zur
auflagenstärksten Zeitung aller Zeiten in Frankreich geworden
ist. Erst sollte eine Million, dann sollten drei, dann fünf
Millionen Exemplare von ihr gedruckt werden. Jetzt steht fest:
Über sieben Millionen der von vielen als historisch betrachteten
Ausgabe werden aus dem Druck kommen und über die Kioske verteilt
werden.
In den ersten
Tagen bildeten sich ab halb sechs Uhr früh dort oft lange
Schlangen. Manche Verkäufer ließen
sich auf das Spiel von Vorbestellungen und vorab reservierten
Kontingenten ein ; andere lehnten dies mit dem Argument ab, sie
wollten nicht verrückt werden. Am ersten Tag wurden
Charlie-Exemplare auf dem Schwarzmarkt in Montpellier
für 35 Euro das Stückpreis verkauft, statt drei Euro ab Kiosk.
Inzwischen ist der Preis, aufgrund der beinahe als Schwemme zu
bezeichnenden Druckauflage, jedoch immens gesunken. Was hingegen
für mitunter mehrere Tausend Euro bei e-Bay angeboten wird, sind
nicht Exemplare der noch im Handel erhältlichen
« Überlebenden-Ausgabe », sondern von der Nummer davor, die an
jenem Tag erschien, als die djihadistische Attacke sich
ereignete.
Der Run und das Ausverkaufsphänomen erstreckten sich jedoch
wochenlang nicht nur auf Charlie Hebdo. Ebenso
schnell schwer erhältlich war in der zweiten Januarwoche auch
die auf Investigation und Satire spezialisierte Wochenzeitung
Le Canard enchaîné.Auf diese griffen dann viele
enttäuschte Käufer/innen zurück, die auf die Schnelle nicht
ihren Charlie erhielten. Es kam zur Identifikation
per Übersprung vom einen auf das andere Blatt. Auch der
Canard hatte eine Drohung erhalten, bis er nach dem
Charlie-Attentat wieder an die Kioske kam, und beide
Zeitungen haben denselben Erscheinungsrythmus, mitunter auch
Zeichnungen in ähnlichem Stil. Wie die konservative Tageszeitung
Le Figaro vergangene Woche schrieb, kam das
Phänomen jedoch letztlich der gesamten Presse zugute : Alle
Tageszeitungen verkauften im Durchschnitt nach dem 08. Januar 15
gut eine Million Exemplare täglich, statt zuvor 600.000. Das
Internet, das vor lauter Verschwörungstheorien über die
Attentate rauscht, und die flache Gratispresse scheinen den
Menschen in diesen Tagen nicht zu genügen.
National und
international hat Charlie Hebdo aber auch dadurch
die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass die Zeitung erneut
eine Karikatur des Propheten Mohammed auf ihren Titel hievte,
nachdem die Attentäter ausgerufen hatten, sie wollten « den
Propheten rächen ». Diese Entscheidung ist umstritten: 41
Prozent der befragten Französinnen und Franzosen erklärten sich
in einer Meinungserhebung dagegen, unter anderem aus Furcht vor
noch stärkeren internationalen Verwicklungen. In den letzten
drei Wochen kam es zu wiederholten, teilweise militanten
Protesten in Pakistan, Afghanistan, in Algerien – dort waren
militante Salafisten die Organisatoren – im Sudan, in Niger oder
Mali. In der nigerischen Stadt verbrannten dabei vier Menschen
bei einer Attacke auf das französische Kulturzentrum in der
Stadt Zinder. Man müsste jedoch blind sein, vermutete man allein
die Karikaturen als Auslöser hinter den Demonstrationen: Sie
sind nur ein Kristallisationspunkt, ein Katalysator, während
Frankreich in Niger wegen seiner neokolonialen Politik gehasst
wird.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten
den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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