Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Die französische Zeitungslandschaft, drei Wochen nach dem Attentat auf ,Charlie Hebdo’

02-2015

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An die Tage und Wochen nach dem Attentat auf Charlie Hebdo vom 07. Januar 15 wird sich die französische Medienwelt noch lange erinnern. Nicht nur, weil die « Ausgabe der Überlebenden » der attackierten Wochenzeitung – die am 14. Januar d.J. erschien und noch immer in den Kiosken erhältlich ist, eine Folgenummer wird erst in mehreren Wochen erwartet – bereits jetzt zur auflagenstärksten Zeitung aller Zeiten in Frankreich geworden ist. Erst sollte eine Million, dann sollten drei, dann fünf Millionen Exemplare von ihr gedruckt werden. Jetzt steht fest: Über sieben Millionen der von vielen als historisch betrachteten Ausgabe werden aus dem Druck kommen und über die Kioske verteilt werden.

In den ersten Tagen bildeten sich ab halb sechs Uhr früh dort oft lange Schlangen. Manche Verkäufer ließen sich auf das Spiel von Vorbestellungen und vorab reservierten Kontingenten ein ; andere lehnten dies mit dem Argument ab, sie wollten nicht verrückt werden. Am ersten Tag wurden Charlie-Exemplare auf dem Schwarzmarkt in Montpellier für 35 Euro das Stückpreis verkauft, statt drei Euro ab Kiosk. Inzwischen ist der Preis, aufgrund der beinahe als Schwemme zu bezeichnenden Druckauflage, jedoch immens gesunken. Was hingegen für mitunter mehrere Tausend Euro bei e-Bay angeboten wird, sind nicht Exemplare der noch im Handel erhältlichen « Überlebenden-Ausgabe », sondern von der Nummer davor, die an jenem Tag erschien, als die djihadistische Attacke sich ereignete.

Der Run und das Ausverkaufsphänomen erstreckten sich jedoch wochenlang nicht nur auf Charlie Hebdo. Ebenso schnell schwer erhältlich war in der zweiten Januarwoche auch die auf Investigation und Satire spezialisierte Wochenzeitung Le Canard enchaîné.Auf diese griffen dann viele enttäuschte Käufer/innen zurück, die auf die Schnelle nicht ihren Charlie erhielten. Es kam zur Identifikation per Übersprung vom einen auf das andere Blatt. Auch der Canard hatte eine Drohung erhalten, bis er nach dem Charlie-Attentat wieder an die Kioske kam, und beide Zeitungen haben denselben Erscheinungsrythmus, mitunter auch Zeichnungen in ähnlichem Stil. Wie die konservative Tageszeitung Le Figaro vergangene Woche schrieb, kam das Phänomen jedoch letztlich der gesamten Presse zugute : Alle Tageszeitungen verkauften im Durchschnitt nach dem 08. Januar 15 gut eine Million Exemplare täglich, statt zuvor 600.000. Das Internet, das vor lauter Verschwörungstheorien über die Attentate rauscht, und die flache Gratispresse scheinen den Menschen in diesen Tagen nicht zu genügen.

National und international hat Charlie Hebdo aber auch dadurch die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass die Zeitung erneut eine Karikatur des Propheten Mohammed auf ihren Titel hievte, nachdem die Attentäter ausgerufen hatten, sie wollten « den Propheten rächen ». Diese Entscheidung ist umstritten: 41 Prozent der befragten Französinnen und Franzosen erklärten sich in einer Meinungserhebung dagegen, unter anderem aus Furcht vor noch stärkeren internationalen Verwicklungen. In den letzten drei Wochen kam es zu wiederholten, teilweise militanten Protesten in Pakistan, Afghanistan, in Algerien – dort waren militante Salafisten die Organisatoren – im Sudan, in Niger oder Mali. In der nigerischen Stadt verbrannten dabei vier Menschen bei einer Attacke auf das französische Kulturzentrum in der Stadt Zinder. Man müsste jedoch blind sein, vermutete man allein die Karikaturen als Auslöser hinter den Demonstrationen: Sie sind nur ein Kristallisationspunkt, ein Katalysator, während Frankreich in Niger wegen seiner neokolonialen Politik gehasst wird.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.