Vor düsterem Hintergrund sieht man eine
Kolonne von Kämpfern heraufziehen. Dazu sagt eine Stimme aus dem
Off: „Sie sagen zu Euch: ,Opfert Euch an unserer Seite für
eine gerechte Sache’. Aber Du wirst die Hölle auf Erden
entdecken und allein sterben, fern von Deiner Heimat.’“
Dies ist ein Auszug aus einem Video zur Bekämpfung
jihadistischer Neigungen, das derzeit vom französischen
Innenministerium verbreitet wird. Es bezieht sich vor allem auf
Aspiranten für den vorgeblichen Glaubenskrieg in Syrien und im
Irak. Man sieht Bilder von Kombattanten, die Leichen in eine
Grube werfen oder hinter einem LKW herziehen.
Den einen oder anderen Jugendlichen, der sich
bislang eher vom vermeintlichen Abenteuer angelockt fühlte, wird
es vielleicht doch zum Nachdenken bringen. Aber alles in allem
leidet es an derselben Bemühtheit wie andere vergleichbare
staatliche Versuche, junge Menschen vom falschen Weg
abzubringen, wie etwa Comics vom nordhein-westfälischen
Verfassungsschutz und andere Erfahrungen der Vergangenheit.
Oberschülerinnen und Oberschüler, die am Montag, den 02. Februar
15 in Le Monde zu Wort kommen, monieren etwa, den
harten Kern der vom Jihad Verlockten werde man wohl kaum
erreichen. Denn diese müssten ja erst einmal akzeptieren, ein
von der Regierung gemachtes Video anzusehen.
Es mangelt nach
den Morden dreier in Frankreich sozialisierter Jihadisten vom
07. und 09. Januar d.J. nicht an Versuchen, der
Nachwuchsrekrutierung für oft sektenartige salafistische Gruppen
entgegen zu wirken. Einige sind pädagogischer, andere
repressiver Natur, wieder andere – wie der Vorschlag von rechts
zur Wiedereinführung anachronistischer Schuluniformen – gehen
gründlich am Thema vorbei. Einige erscheinen kreativ, andere
hingegen eher einfallslose. Wie dies auch allgemein auf die
politischen Reaktionen auf die Attentate vom Januar zutrifft. In
Umfragen zeigen sich drei Viertel der Französinnen und Franzosen
unter Bedingungen zur Einschränkung von Grundrechten bereit.
Zu den einfallslosesten, und übelsten,
Reaktionen zählt sicherlich die des iranischen Regimes. Auf die
Veröffentlichung der bisher letzten Nummer von Charlie
Hebdo, der „Ausgabe der Überlebenden“ vom 14. Januar 15
– zum nächsten Mal wird die attackierte Wochenzeitung erst
wieder am 25. Februar 15 erscheinen – reagierte die iranischen
Diktatur mit der Ausschreibung eines Karikaturenwettbewerbs zum
Holocaust. Holocaust- versus Mohammed-Karikaturen: Das Ganze ist
auch nur eine Wiederholung dessen, was in Teheran bereits 2006
nach den ersten Mohammed-Karikaturen in der dänischen,
französischen und sonstigen internationalen Presse veranstaltet
wurde. Dieses Mal richtet die Propagandaverstaltung sich gegen
die Zeichnung auf der jüngsten Ausgabe von Charlie Hebdo
mit einem weinenden Propheten, der bekundet: „Ich bin
Charlie.“
Das französische
Bildungsministerium legte am 22. Januar 15 einen Plan auf,
welcher die Rolle des staatlichen Erziehungswesen in der
Verbreitung laizistischer, säkularistischer Werte stärken soll.
So sollen 1.000 Laizismus-Referenten, also speziell ausgebildete
Konferenziers, durch die Lande und die Schulen geschickt werden.
Bei der Bewertung der Fachkomptenz von Lehrkräften soll künftig
ihre Verbundenheit mit „den Werten der Republik“ gestestet und
benotet werden. Und alljährlich am 09. Dezember, dem Jahrestag
der Verabschiedung des Gesetzes von 1905 zur Trennung von
Kirche(n) und Staat, soll ein Gedenktag an den Lehranstalten
absolviert werden.
Dies ist
sicherlich alles gut gemeint, droht aber bei manchen wohl eher
den Eindruck zu erwecken, der Laizismus sei weniger ein
Grundwert – der das Zusammenleben in der Gesellschaft jenseits
konfessionneller und „kultureller“ Unterschiede garantiert –
sondern eine von oben staatlich verordnete Ideologie. Eine
solche Rolle spielte der Laizismus tatsächlich auch zumindest
unter der Dritten Republik zwischen 1870 und 1940, unter der er
erstmals eingeführte wurde. Damals wurde er auch stark mit
Patriotismus und einer paramilitärischen geistigen Vorbereitung
darauf, „der Repulik zu dienen“, verknüpft. Und der damalige
Bildungsminister Luc Ferry machte den staatlichen Laizismus
ferner zum Vehikel für die französische Kolonialpolitik, mittels
des Auftrags, „den niederen Rassen die Zivilisation zu bringen“.
Wesentlich repressiver fallen andere
Vorschläge aus. Am 12. Januar 15 hatte die Leiterin der
Politikredaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders
France 2, Nathalie Saint-Cricq, die Parole aus, man
müsse „diejenigen aufspüren, die nicht ,Charlie’ sind“. Damit
rief sie durchaus zu einer Form der vermeintlichen
Sympathisantenhatz auf.
Inzwischen diskutiert die öffentliche Meinung
auch viel über die Exzesse rund um signalisierte „Vorfälle“ vom
08. Januar d.J., also am Tag nach den Morden bei Charlie
Hebdo. So spricht das Erziehungsministerium von
landesweit rund 200 „Vorfällen“ rund um die Schweigeminuten für
die Opfer bei Charlie Hebdo, die am 8. Januar unter
anderem in allen Schulen und Behörden eingehalten wurde.
Darunter befinden sich aber extrem unterschiedlich zu bewertende
Phänomene. Das reicht von üblen Sprüchen, die minderjährige
Schüler bei Familienmitgliedern, Gleichaltrigen oder im Internet
aufgeschnappt haben mögen, bis zu bloßen
Fragen oder einer Infragestellung der anordnenden Autorität.
Loïc, Lehrer in Marseille und Mitglied des
Bildungsgewerkschaftsverbands FSU, erklärte etwa gegenüber dem
Verf. dieser Zeilen: „Bei mir fragten etwa Schüler: Warum
machen wir jetzt für diese Opfer eine Schweigeminute – und keine
für 2.000 Menschen in Nigeria, die am selben Tag in Nigeria
durch Boko Haram abgeschlachtet wurden?“ Eine Haltung,
die jedenfalls nicht auf jihadistische Sympathien schließen
lässt. Negativer zu bewerten ist es da sicherlich, wenn die
Absetzhaltung von Lehrkräften kommt und mit eindeutigen,
propagandistischen Aussagen verknüpft wird. In Bobigny wurde
eine Lehrerin, Ende zwanzig, vom Dienst suspendiert, weil sie
ihre Berufsschulklasse agitiert hatte. Sie mokierte sich
darüber, sie habe „die Leichen der Journalisten nicht gesehen“,
und sprach von einem „angeblich toten Bullen“, um eine
Verschwörung zu suggieren. Umgekehrt provozierte ein Lehrer in
Mulhouse, der Charlie Hebdo zu unterstützen
vorgibt, seine heranwachenden Schüler mit Sprüchen. Er zwang die
zum Teil widerwilligen Teenager, sexuell deutliche Karikaturen
zu betrachten, rief aus: „Ich bin hier der Chef!“ und „Holt
ruhig Eure Kalaschnikow raus!“
Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem packte jedoch all
diese sehr unterschiedlich zu bewertenden „Vorfälle“ in einen
Topf und tabuisierte noch dazu eventuelle Fragen und
Unsicherheiten, indem sie es pauschal als „unerträglich“
bezeichnete, dass Schüler in diesem Zusammenhang Fragen
aufwarfen. In Nizza wurde ein achtjähriger Schüler, der die
Teilnahme an der Schweigeminute verweigert hatte, auf der
Polizeiwache verhört, und dem zuckerkranken Kind wurde seine
Insulinspritze verweigert. Seit ihrem öffentlichen
Bekanntwerden, Ende Januar dieses Jahres, rief diese Affäre
einen Skandal hervor.
Mindestens vierzig Strafverfahren wegen „Terrorismus-Apologie“ –
ein Strafbestand, welcher just zwei Monate vor den Attentaten im
November 14 frisch eingeführt worden war – sind eingeleitet, es
drohen Haftstrafen z.T. ohne Bewährung. Es trifft in der Regel
alkoholisierte Personen, psychisch gestörte Individuen und
auffällige Jugendliche. Die wahren Kader pro-„terroristischer“
politisch-ideologischer Bewegungen wird es mit Sicherheit nicht
treffen, denn wer in dieser Richtung etwas vor hat, wird nicht
dumm genug sein, es hinaus zu posaunen. Der derzeit aus anderen
Gründen (versuchte Gefangenenbefreiung) in Haft sitzende
Jihadisten-Kader Jamel Beghal spielte möglicherweise eine
wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Terroranschläge vom
Januar 2015, er war 2010 mit allen wesentlichen Protagnosten
(Chérif Kouachi, Amedy Coulibaly, Hayat Boumedienne...)
zusammengetroffen. Ihm dürfte jedoch in dieser Hinsicht, wie
sich andeutet, überhaupt nichts nachzuweisen sein, er ging
zweifellos geschickt genug vor. Und der frühere „Guru“ der
Kouachi-Brüder (der beiden Mörder in der ,Charlie’-Redaktion),
Farid Benyettou, gibt sich heute als Aussteiger und trifft
Zeitungsredaktionen mit einem „Ich bin Charlie“-Button am
Revers...
Apartheid in Frankreich
Noch ein anderes Herangehen schlug
Premierminister Manuel Valls ein, als er am 20. Januar 15
kritisch anmerkte, manche Spaltungslinien der französischen
Gesellschaft erklärten sich auch so: „Ja, es gibt eine
Form der sozialen, ethnischen, territorialen Apartheid in diesem
Land.“ Eine Anspielung, die in Anbetracht der massiven
räumlichen Segregation zwischen sozialen Gruppen – die oft, aber
nicht immer auch an eine ethnisierte Zusammensetzung der
Einwohnerschaft gekoppelt ist – nachvollziehbar ist. Dafür wurde
er vom konservativen Oppositionsführer Nicolas Sarkozy heftig
und massiv angegriffen, doch in Umfragen gaben 54 Prozent Valls
gegen Sarkozy Recht. Nur, Konsequenzen dürften dies
voraussichtlich keine haben. Ähnliche Erkenntnisse trug auch der
damalige Präsident Jaques Chirac im Winter 2005/06 nach den
damaligen Unruhen in den Trabantenstädten vor. Es blieb beim
verbalen Schockbekenntnis.
Editorische
Hinweise
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den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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