Frankreichs Premierminister Manuel
Valls ist ein kalt kalkulierender Machtpolitiker. Nur zum
Spaß
abgegebene Äußerungen
kommen bei ihm nicht vor, Versprecher nur selten. Umso
schwerer wog es in den Augen der befreundeten Diktatur,
als der französische Regierungschef sich vor kurzem in
einer Livesendung des Fernsehens auf eine öffentliche
Diskussion einließ,
in deren Verlauf er eine unliebsame Wahrheit
ausplauderte. Und das zu Beginn eines Jahres, in dem bei
der besagten befreundeten Diktatur eine wichtige Wahl ins
Haus steht.
Die Szene spielte sich in der Nacht
vom 16. zum 17. Januar 16 in der Talkshow On n’est
pas couchés beim öffentlich-rechtlichen Sender
France 2 ab. Wie immer hatte die Sendung von
Laurent Ruquier prominente Gäste, darunter dieses Mal
auch den amtierenden Premier. Im Laufe des Abends stellte
der Kabarettist)Jérémy Ferrari einige unliebsame Fragen
und griff ihn zu aktuellen Themen an. Und so kam die
Sprache auch auf die große,
durch die Regierung aufgerufene Demonstration, die ein
Jahr zuvor – am 11. Januar 2015 – in Reaktion auf das
Attentat gegen die Redaktion der Satirezeitung
Charlie Hebdo stattgefunden hatte. „Wie
erklären Sie es“, fragte Ferrari, „dass ein
Ali Bongo sich an der Spitze einer Demonstration für die
Meinungsfreiheit befand?“
Das war eine gute Frage. Ali Bongo,
56, ist der amtierende Staatschef der vom Äquator
durchzogenen afrikanischen Erdöl-Republik Gabun. Ein
Land, in dem es derart demokratisch zugeht, dass seit
einem halben Jahrhundert dort nur eine Familie regiert.
Sein Vater – die Opposition munkelt: in Wirklichkeit
Adoptivvater – Omar Bongo übernahm faktisch 1964 die
Macht, nachdem die Armee gegen den damaligen Präsidenten
Léon Mba gemeutert hatte. Die Ex-Kolonialmacht Frankreich
rettete sein Regime durch eine rasch stattfindende
Militärintervention, hievte jedoch Omar Bongo in
entscheidende Machtpositionen, um den ehemaligen Leutnant
der Kolonialarmee und Mitarbeiter des französischen
Geheimdiensts zum Nachfolger abzubauen. Ab 1965
vereinigte er die Posten des Präsidialamts-, des
Verteidigungs- und des Außenministers
in seiner Hand. Als Léon Mba 1967 dann in einem Pariser
Krankenhaus starb, war alles geregelt, und Bongo ließ
sich auf den Präsidentensessel wählen.
Dort blieb er bis zu seinem Tod im
Juni 2009 haften. Er brachte es also auf einen
Amtszeitrekord von 42 Jahren. Eine Langlebigkeit an der
Macht, die er auf dem afrikanischen Kontinent in dem
Ausmaß
sonst nur mit dem toten Muammar Al-Qadhafi (eingedeutscht
Gaddafi) teilt. Und nach seinem Ableben lief sich sein
Lieblingssohn Ali Bongo, der damals bereits seit zehn
Jahren als Verteidigungsminister amtierte, warm. Nach
einer selbstverständlich ganz demokratisch verlaufenden
Wahl am 30. August 2009 ließ
er sich seinerseits auf dem Präsidentenstuhl nieder.
Unruhen, vor allem in der Hafenstadt Port-Gentil, und
ihre Niederschlagung kosteten in den ersten Tagen mehrere
Menschen das Leben; fünfzehn laut der Opposition, die
Regierung wollte zwei Getötete anerkennen. Doch das
Verfassungsgericht, unter dem Vorsitz einer Geliebten des
Verblichenen Omar Bongo – die Mutter zweier seiner
insgesamt über 70 Kinder -, aber auch die frühere
Kolonialmacht Frankreich erkannten daraufhin das
Wahlergebnis an. Und sorgten dafür, in der
internationalen Öffentlichkeit die Wogen zu glätten.
Ali Bongo war nicht der einzige Auto-,
pardon, perfekte Demokrat, der im Januar 2015 an der
Spitze der Pariser Demonstration mitlaufen durfte. Auch
Ungarns Präsident Viktor Orban, bekanntlich ein
eingefleischter Freund der Pressefreiheit, oder Tschads
Präsident Idriss Déby, ein notorischer Schlächter, und
sogar ein Repräsentant des Königshauses Saudi-Arabien
waren durch Frankreichs Regierung zum Mitlaufen
eingeladen worden. Doch die Frage des Künstlers Ferrari
an Manuel Valls zielte auf Ali Bongo.
Der Angesprochene reagierte mit einer
Gegenfrage: Warum der Mann denn immer nur an schlechte
Beispiele denke? Er, Valls, erinnere daran, dass
„auch ein anderer afrikanischer Staatschef vorne mitlief,
Ibrahim Boubacar Keita aus Mali. Und er, er ist gewählt.“
Eine Replik, die natürlich unmittelbar eine weitere Frage
nach sich zog: Ah, das bedeutet ja, dass Ali Bongo gar
nicht gewählt ist? Oder jedenfalls nicht so richtig?
Worauf Valls erwiderte: „Nicht, wie wir es
verstehen.“
Diese Antwort erzürnte in Gabuns
Hauptstadt Libreville einige Protagonisten sehr. Am
folgenden Tag erklärte der dortige Innenminister Pacôme
Moubelet Boubeya im örtlichen Fernsehen, er könne Valls
„nicht verstehen“, wo doch „die
bilaterale Zusammenarbeit“ mit Frankreich so gut
sei. Der Botschafter des Landes in Paris, Germain Ngoyo
Moussavou, überreichte im Hotel Matignon – am Amtssitz
des französischen Premierministers – einen Protestbrief,
in dem „Erklärungen“ eingefordert wurden.
Daraufhin wurde er für voraussichtlich mehrere Wochen
„zu Beratungen“ in Libreville abgezogen. Die
Opposition vor Ort dagegen war über die Steilvorlage
höchst erfreut.
Oppositionskräfte aus Gabun, aber auch
aus anderen Staaten der Region demonstrierten am
darauffolgenden Samstag, den 23. Januar 16 in Paris vor
der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt La Maison de la
Radio, „für demokratische Machtwechsel in Afrika“.
Der Moment ist gut gewählt, denn in den kommenden
Monaten, spätestens bis zum 30. August dieses Jahres,
muss eine neue Präsidentschaftswahl in Gabun stattfanden.
Und die machtfernen Parteien möchten die internationale
Aufmerksamkeit dafür gewinnen, dass die Wahl unter
anderen Bedingungen stattfindet als 2009, wo Ali Bongo
sich einfach zum Sieger erklären konnte. In einer
gemeinsamen Erklärung wandten sich unter anderem das
Bündnis „Ca suffit comme ça“, das gegen endlose
Amtszeitverlängerungen afrikanischer Präsidenten kämpft,
und die für den Schutz des Regenwalds eintretende NGO
Brainforest und andere Gruppen am 27. Januar 16 an die
Öffentlichkeit. Sie „beglückwünschten“ Valls zu seiner
Feststellung. Wahrscheinlich, ohne ihm allzu viel
Vertrauensvorschuss zu gewähren.
Denn Frankreich behält nach wie vor
mächtige Interessen in Gabun, wo es eine Militärbasis mit
1.000 ständig stationierten Soldaten – die mit Abstand
größte
auf der Westflanke Afrikas – unterhält. In dem
afrikanischen Land werden aber auch Erdöl, Mangan- und
Eisenerz sowie andere Rohstoffe gefordert. Die örtliche
Bevölkerung, obwohl es nur rund eine Million Menschen
sind, hat wenig von diesem natürlichen Reichtum,
Krankenhäuser und Bildungssystem sind in einem schlimmen
Zustand.
Aber die Einnahmen werden ordentlich
verteilt. Unter dem alten Präsidenten Ali Bongo gab es
ein durchorganisiertes System, das durch den
„ELF-Skandal“ – ELF Aquitaine war damals der größte
französische Erdölkonzern, dessen heutiger Nachfolger
TOTAL ist – zu Anfang der 2000er Jahre aufgedeckt wurde.
Er führte 2003 in Paris zur Verurteilung einiger
Prominenter aus Politik und Wirtschaft wegen
Korruptionsaspekten, wobei jedoch die neokolonialen
Aspekte der französischen Afrikapolitik im Prozessverlauf
unter den Teppich gekehrt wurden.
Eine Zentralfigur der spektakulären
Justizaffäre war der inzwischen verstorbene Chef der
Filiale „ELF Gabun“, André Tarallo. Der Ölkonzern
rechnete damals systematisch geringere Mengen Rohöls ab,
als real gefördert wurden. Das Geld entging der
Staatskasse Gabuns, doch aus den dadurch realisierten
Extraprofiten ließ
die Firmen Millionen und Abermillionen an die
Präsidentenfamilie Bongo und deren Vertraute fließen.
Diese wiederum zeigten sich erkenntlich und gaben Geld
zurück nach Frankreich, etwa an Politiker, die ELF aus
juristischen Gründen nicht direkt und sichtbar
finanzieren konnte oder wollte. Alle französischen
Parteien mit Ausnahme der Grünen, den rechtsextremen
Front National eingeschlossen, erhielten bis zu dieser
Zeit Geld aus Gabun. Umgekehrt hatte Omar Bongo Material
in der Hand, mit dessen Hilfe er notfalls französische
Politiker auch erpressen konnte, da er immens viel
wusste. Im Winter 2000/01 erklärte er in Interviews in
Frankreich, er habe genügend Informationen vorrätig,
„um die Fünfte Republik zehn mal hoch gehen zu
lassen“. Das war seine Drohung für den Fall, dass
der damals beginnende ELF-Skandal zu weite Kreise ziehen
und ihm gefährlich werden sollte. Wahrzumachen brauchte
er sie jedoch nicht.
Heute sind Konzerne und Politiker
etwas vorsichtiger geworden. TOTAL ist nach wie vor sehr
präsent in Gabun. Die Demonstrant/inn/en gegen die
Wahlfarce von 2009 griffen deswegen auch den Konzernsitz
in der Hafenstadt Port-Gentil gezielt an. Allerdings geht
die Fördermenge an Rohöl in Gabun seit 1997 zurück, da
das Land seine Vorräte allmählich auszuschöpfen beginnt,
und die Präsenz des französischen Konzern TOTAL wird
inzwischen knapp durch die von Shell übertroffen. Der
anhaltende Preisverfall beim Rohöl sorgt derzeit dafür,
dass der gabunische Staat erstmals in finanzielle
Schwierigkeiten hineinschlittert. Aber das Bündnis mit
Teilen der Elite in Frankreich ist ungebrochen.
Im Wahlkampf vor der letzten
französischen Präsidentschaftswahl vom Mai 2012 lief der
jetzige Außenminister
Laurent Fabius sich für höhere Funktionen warm. Einen
seiner wichtigsten Auftritte, bei denen er seine
internationale Statur zu beweisen suchte, hatte Fabius am
13. Februar 2012 in Gabuns Hauptstadt Libreville. Aus
Anlass eines Wirtschaftsforums trat er dort auf, kreierte
einen neuen Begriff – diplomatie économique
– und erklärte, Außenpolitik
sei notwendig auch immer Wirtschaftsförderung für die
Unternehmer im eigenen Land. Das Bündnis mit Autokraten
und Familienherrschern gehört anscheinend dazu.
Editorischer Hinweis
Den Artikel
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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