Kalter Sch(w)eiß am Äquator
Das Regime der Erdölrepublik Gabun ist über die Schutzmacht Frankreich verärgert

von Bernard Schmid

02/2016

trend
onlinezeitung

Frankreichs Premierminister Manuel Valls ist ein kalt kalkulierender Machtpolitiker. Nur zum Spaß abgegebene Äußerungen kommen bei ihm nicht vor, Versprecher nur selten. Umso schwerer wog es in den Augen der befreundeten Diktatur, als der französische Regierungschef sich vor kurzem in einer Livesendung des Fernsehens auf eine öffentliche Diskussion einließ, in deren Verlauf er eine unliebsame Wahrheit ausplauderte. Und das zu Beginn eines Jahres, in dem bei der besagten befreundeten Diktatur eine wichtige Wahl ins Haus steht.

Die Szene spielte sich in der Nacht vom 16. zum 17. Januar 16 in der Talkshow On n’est pas couchés beim öffentlich-rechtlichen Sender France 2 ab. Wie immer hatte die Sendung von Laurent Ruquier prominente Gäste, darunter dieses Mal auch den amtierenden Premier. Im Laufe des Abends stellte der Kabarettist)Jérémy Ferrari einige unliebsame Fragen und griff ihn zu aktuellen Themen an. Und so kam die Sprache auch auf die große, durch die Regierung aufgerufene Demonstration, die ein Jahr zuvor – am 11. Januar 2015 – in Reaktion auf das Attentat gegen die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo stattgefunden hatte. „Wie erklären Sie es“, fragte Ferrari, „dass ein Ali Bongo sich an der Spitze einer Demonstration für die Meinungsfreiheit befand?“

Das war eine gute Frage. Ali Bongo, 56, ist der amtierende Staatschef der vom Äquator durchzogenen afrikanischen Erdöl-Republik Gabun. Ein Land, in dem es derart demokratisch zugeht, dass seit einem halben Jahrhundert dort nur eine Familie regiert. Sein Vater – die Opposition munkelt: in Wirklichkeit Adoptivvater – Omar Bongo übernahm faktisch 1964 die Macht, nachdem die Armee gegen den damaligen Präsidenten Léon Mba gemeutert hatte. Die Ex-Kolonialmacht Frankreich rettete sein Regime durch eine rasch stattfindende Militärintervention, hievte jedoch Omar Bongo in entscheidende Machtpositionen, um den ehemaligen Leutnant der Kolonialarmee und Mitarbeiter des französischen Geheimdiensts zum Nachfolger abzubauen. Ab 1965 vereinigte er die Posten des Präsidialamts-, des Verteidigungs- und des Außenministers in seiner Hand. Als Léon Mba 1967 dann in einem Pariser Krankenhaus starb, war alles geregelt, und Bongo ließ sich auf den Präsidentensessel wählen.

Dort blieb er bis zu seinem Tod im Juni 2009 haften. Er brachte es also auf einen Amtszeitrekord von 42 Jahren. Eine Langlebigkeit an der Macht, die er auf dem afrikanischen Kontinent in dem Ausmaß sonst nur mit dem toten Muammar Al-Qadhafi (eingedeutscht Gaddafi) teilt. Und nach seinem Ableben lief sich sein Lieblingssohn Ali Bongo, der damals bereits seit zehn Jahren als Verteidigungsminister amtierte, warm. Nach einer selbstverständlich ganz demokratisch verlaufenden Wahl am 30. August 2009 ließ er sich seinerseits auf dem Präsidentenstuhl nieder. Unruhen, vor allem in der Hafenstadt Port-Gentil, und ihre Niederschlagung kosteten in den ersten Tagen mehrere Menschen das Leben; fünfzehn laut der Opposition, die Regierung wollte zwei Getötete anerkennen. Doch das Verfassungsgericht, unter dem Vorsitz einer Geliebten des Verblichenen Omar Bongo – die Mutter zweier seiner insgesamt über 70 Kinder -, aber auch die frühere Kolonialmacht Frankreich erkannten daraufhin das Wahlergebnis an. Und sorgten dafür, in der internationalen Öffentlichkeit die Wogen zu glätten.

Ali Bongo war nicht der einzige Auto-, pardon, perfekte Demokrat, der im Januar 2015 an der Spitze der Pariser Demonstration mitlaufen durfte. Auch Ungarns Präsident Viktor Orban, bekanntlich ein eingefleischter Freund der Pressefreiheit, oder Tschads Präsident Idriss Déby, ein notorischer Schlächter, und sogar ein Repräsentant des Königshauses Saudi-Arabien waren durch Frankreichs Regierung zum Mitlaufen eingeladen worden. Doch die Frage des Künstlers Ferrari an Manuel Valls zielte auf Ali Bongo.

Der Angesprochene reagierte mit einer Gegenfrage: Warum der Mann denn immer nur an schlechte Beispiele denke? Er, Valls, erinnere daran, dass „auch ein anderer afrikanischer Staatschef vorne mitlief, Ibrahim Boubacar Keita aus Mali. Und er, er ist gewählt.“ Eine Replik, die natürlich unmittelbar eine weitere Frage nach sich zog: Ah, das bedeutet ja, dass Ali Bongo gar nicht gewählt ist? Oder jedenfalls nicht so richtig? Worauf Valls erwiderte: „Nicht, wie wir es verstehen.“

Diese Antwort erzürnte in Gabuns Hauptstadt Libreville einige Protagonisten sehr. Am folgenden Tag erklärte der dortige Innenminister Pacôme Moubelet Boubeya im örtlichen Fernsehen, er könne Valls „nicht verstehen“, wo doch „die bilaterale Zusammenarbeit“ mit Frankreich so gut sei. Der Botschafter des Landes in Paris, Germain Ngoyo Moussavou, überreichte im Hotel Matignon – am Amtssitz des französischen Premierministers – einen Protestbrief, in dem „Erklärungen“ eingefordert wurden. Daraufhin wurde er für voraussichtlich mehrere Wochen „zu Beratungen“ in Libreville abgezogen. Die Opposition vor Ort dagegen war über die Steilvorlage höchst erfreut.

Oppositionskräfte aus Gabun, aber auch aus anderen Staaten der Region demonstrierten am darauffolgenden Samstag, den 23. Januar 16 in Paris vor der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt La Maison de la Radio, „für demokratische Machtwechsel in Afrika“. Der Moment ist gut gewählt, denn in den kommenden Monaten, spätestens bis zum 30. August dieses Jahres, muss eine neue Präsidentschaftswahl in Gabun stattfanden. Und die machtfernen Parteien möchten die internationale Aufmerksamkeit dafür gewinnen, dass die Wahl unter anderen Bedingungen stattfindet als 2009, wo Ali Bongo sich einfach zum Sieger erklären konnte. In einer gemeinsamen Erklärung wandten sich unter anderem das Bündnis „Ca suffit comme ça“, das gegen endlose Amtszeitverlängerungen afrikanischer Präsidenten kämpft, und die für den Schutz des Regenwalds eintretende NGO Brainforest und andere Gruppen am 27. Januar 16 an die Öffentlichkeit. Sie „beglückwünschten“ Valls zu seiner Feststellung. Wahrscheinlich, ohne ihm allzu viel Vertrauensvorschuss zu gewähren.

Denn Frankreich behält nach wie vor mächtige Interessen in Gabun, wo es eine Militärbasis mit 1.000 ständig stationierten Soldaten – die mit Abstand größte auf der Westflanke Afrikas – unterhält. In dem afrikanischen Land werden aber auch Erdöl, Mangan- und Eisenerz sowie andere Rohstoffe gefordert. Die örtliche Bevölkerung, obwohl es nur rund eine Million Menschen sind, hat wenig von diesem natürlichen Reichtum, Krankenhäuser und Bildungssystem sind in einem schlimmen Zustand.

Aber die Einnahmen werden ordentlich verteilt. Unter dem alten Präsidenten Ali Bongo gab es ein durchorganisiertes System, das durch den „ELF-Skandal“ – ELF Aquitaine war damals der größte französische Erdölkonzern, dessen heutiger Nachfolger TOTAL ist – zu Anfang der 2000er Jahre aufgedeckt wurde. Er führte 2003 in Paris zur Verurteilung einiger Prominenter aus Politik und Wirtschaft wegen Korruptionsaspekten, wobei jedoch die neokolonialen Aspekte der französischen Afrikapolitik im Prozessverlauf unter den Teppich gekehrt wurden.

Eine Zentralfigur der spektakulären Justizaffäre war der inzwischen verstorbene Chef der Filiale „ELF Gabun“, André Tarallo. Der Ölkonzern rechnete damals systematisch geringere Mengen Rohöls ab, als real gefördert wurden. Das Geld entging der Staatskasse Gabuns, doch aus den dadurch realisierten Extraprofiten ließ die Firmen Millionen und Abermillionen an die Präsidentenfamilie Bongo und deren Vertraute fließen. Diese wiederum zeigten sich erkenntlich und gaben Geld zurück nach Frankreich, etwa an Politiker, die ELF aus juristischen Gründen nicht direkt und sichtbar finanzieren konnte oder wollte. Alle französischen Parteien mit Ausnahme der Grünen, den rechtsextremen Front National eingeschlossen, erhielten bis zu dieser Zeit Geld aus Gabun. Umgekehrt hatte Omar Bongo Material in der Hand, mit dessen Hilfe er notfalls französische Politiker auch erpressen konnte, da er immens viel wusste. Im Winter 2000/01 erklärte er in Interviews in Frankreich, er habe genügend Informationen vorrätig, „um die Fünfte Republik zehn mal hoch gehen zu lassen“. Das war seine Drohung für den Fall, dass der damals beginnende ELF-Skandal zu weite Kreise ziehen und ihm gefährlich werden sollte. Wahrzumachen brauchte er sie jedoch nicht.

Heute sind Konzerne und Politiker etwas vorsichtiger geworden. TOTAL ist nach wie vor sehr präsent in Gabun. Die Demonstrant/inn/en gegen die Wahlfarce von 2009 griffen deswegen auch den Konzernsitz in der Hafenstadt Port-Gentil gezielt an. Allerdings geht die Fördermenge an Rohöl in Gabun seit 1997 zurück, da das Land seine Vorräte allmählich auszuschöpfen beginnt, und die Präsenz des französischen Konzern TOTAL wird inzwischen knapp durch die von Shell übertroffen. Der anhaltende Preisverfall beim Rohöl sorgt derzeit dafür, dass der gabunische Staat erstmals in finanzielle Schwierigkeiten hineinschlittert. Aber das Bündnis mit Teilen der Elite in Frankreich ist ungebrochen.

Im Wahlkampf vor der letzten französischen Präsidentschaftswahl vom Mai 2012 lief der jetzige Außenminister Laurent Fabius sich für höhere Funktionen warm. Einen seiner wichtigsten Auftritte, bei denen er seine internationale Statur zu beweisen suchte, hatte Fabius am 13. Februar 2012 in Gabuns Hauptstadt Libreville. Aus Anlass eines Wirtschaftsforums trat er dort auf, kreierte einen neuen Begriff – diplomatie économique – und erklärte, Außenpolitik sei notwendig auch immer Wirtschaftsförderung für die Unternehmer im eigenen Land. Das Bündnis mit Autokraten und Familienherrschern gehört anscheinend dazu.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.