Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rechtsextreme und Ökologie
Beispiele aus Frankreich

02/2016

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Auch extreme Rechte und Antidemokraten können Ökologie. Diese Erkenntnis ist nicht neu, denn bereits die historischen Nationalsozialisten hatten ihren Diskurs über Naturschutz - auch wenn überdeutlich war, dass es dabei im Kern weniger um materielle Umweltprobleme als um eine Variante der Blut und Boden-Ideologie ging. Spätere rechtsextreme Vordenker und Intellektuelle haben ihren Diskurs notgedrungen modernisiert und den Problemen sowie Diskussionen der Zeit angepasst. All dies ist nicht erstaunlich. Verwunderlich ist viel eher, dass immer wieder manche progressiven Zeitgenoss/inn/en darüber erstaunt sind, sowie dass partielle Bündnisse oder Überschneidungen zustande kommen.

Nicht immer ist dies der Fall. Im Sommer 2013 versuchte eine Bewegung, die aus dem soeben erstarkten rechten Massenprotest gegen die „Ehe für alle“ – die Öffnung der Heirat für gleichgeschlechtliche Paare – in Frankreich hervorgegangen war, im Camp der Gegner des nach wie vor umstrittenen Flughafenneubaus in Notre-Dame-des-Landes („NDDL“) bei Nantes Aufnahme zu finden. An ihrer Spitze stand der junge, katholisch-fundamentalistisch inspirierte Literaturlehrer Gaultier Bès de Berc; er gehörte unter anderem der Erweckungsbewegung der Veilleurs (Wachenden) an, die in jener Zeit Nachtwanderungen und Platzbesetzungen durchführte, um die Gesellschaft an die Moral zu erinnern und gegen die Homo-Ehe in Stellung zu bringen.

Der Empfang in Notre-Dame-des-Landes fiel jedoch unsanft aus. Die Protestler/innen in dem als ZAD (zone à défendre, „zu verteidigende Zone“) bezeichneten Camp hielten nicht allzu viel von solchen Bündnispartnern. „Ich erhielt einen Schlag, Brillen und Telefone gingen kaputt“, wird Bès de Berc in einem Artikel zitiert, der im vergangenen Oktober im Online-Magazin Streetpress erschien. Angeblich sollen Leute in dem Protestcamp sogar die Polizei dazu aufgefordert haben, ihnen die Rechtskatholiken vom Leibe zu halten. So stellen Letztere es jedenfalls dar. Aus ihrer eigenen Sicht sind sie durchaus legitime Akteure auf dem Feld der Ökologie, haben sie doch ihren eigenen ideologischen Zugang zu dem Thema geschaffen. Bès de Berc ist der Mitgründer einer Zeitschrift unter dem Titel Limite („Grenze“), die versucht, der rechtsreligiösen Betätigung zum Ökologiethema eine spezifische theoretische Grundlage zu verleihen. Diese beruht im Kern auf folgender Idee: Die menschliche Natur, da unvollkommen, weist notwendig Grenzen auf, die ihnen unter anderem vom göttlichen Willen gesetzt werden. Wird gegen diese verstoßen, dann drohen Unheil und Katastrophen. Dies sieht man bei Eingriffen in die gottgewollte Schöpfung, in Form von Umweltzerstörung. Ebenfalls einen Verstoß gegen die Schöpfungsordnung stellt jedoch auch die Homosexuellenehe dar, denn in der Natur – oder was man dafür hält – ist schließlich vorgesehen, dass Mann und Frau sich deswegen dauerhaft zusammenschließen, damit sie Nachwuchs zeugen können.

Zu berufen versuchen die Rechtskatholiken sich dabei auch auf einen politischen Vertreter, der gewiss nicht zu ihren Reihen gehört und auch nicht ihren Kernanliegen sympathisiert, dem früheren Bauerngewerkschafter und jetzigen grünen Europaparlamentarier José Bové. Auch er hatte in der Debatte rund um die Homosexuellenehe eine fragwürdige Parallele zwischen Umweltkatastrophen und der „Vermarktung des Lebendigen“ einerseits, den damaligen – alsbald unter dem Druck der homophoben Proteste zurückgezogenen – Regierungsplänen zur Zulassung künstlicher Befruchtung bei homosexuellen Paaren auf der anderen Seite gezogen. Die in der französischen Kürzel PMA genannte künstliche Zeugung wurde von Bové, wie von anderen Teilnehmern der Debatte, mit der Leihmütterschaft – französisch GPA abgekürzt – vermengt, welch letztere tatsächlich problematisch ist, weil Frauen oft aus finanziellen Gründen ihren Körper zum Austragen eines Fötus längerfristig zur Verfügung stellen. Und beides brachte Bové, ansonsten gewiss kein Rechter und bestimmt kein Fundamentalkatholik, mit Umweltproblemen in Zusammenhang. Kritiker monierten eine Biologisierung in der Debatte um die Ablösung von Zeugungsmöglichkeiten und Sexualität.

Die extreme Rechte war und ist plural zusammengesetzt. Deswegen tauchen in der Debatte auch andere Strömungen auf, die von gegenüber den Rechtskatholiken an manchen Punkten entgegen gesetzten Prämissen ausgehen. Dies trifft auf die intellektuelle so genannte Neue Rechte – dieser Begriff der Nouvelle Droite stammt allerdings aus den 1970er Jahren, das Phänomen ist also so neu längst nicht mehr – zu, die ein Neuheidentum propagiert, weil sie den christlichen und jüdischen Monotheismus als Fremdkörper in der ursprünglich heidnischen „europäischen Zivilisation“ betrachtet. An führender Stelle propagiert hat diese Ideologie, die ursprünglich stark an auch im Nationalsozialismus existierende Konzepte anknüpfte und sich von ihnen später durch den Austausch von „Rasse“ durch einen essentialisierenden „Kultur“begriff vordergründig entfernte, seit Jahrzehnten Alain de Benoist. Zusammen mit anderen gründete er bereits im Januar 1968 einen Think Thank namens GRECE („Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation“), dessen mit Abstand bekanntesten Repräsentanten er heute noch darstellt.

Ob bei Anti-Kriegs-Bewegungen wie beim Kosovokrieg im Jahr 1999, ökologischen Strömungen oder auch unter sich links wähnenden Intellektuellen – diese Unterströmung hat immer wieder ihre starke Andockfähigkeit an außerhalb des rechten politischen Lagers stehende Denkrichtungen bewiesen. Mal geht es darum, Bruchstücke von diesen zu sich herüberzuziehen, und mal hauptsächlich darum, die eigene „Dialogfähigkeit“ und die Wandlungsfähigkeit der eigenen Ideologie zu beweisen, um sich immer wieder als ernst zu nehmenden Diskussionspartner im Gespräch zu halten.

Bei dieser Strömung geht es nicht um eine göttliche, sondern um eine naturgewollte Ordnung. Jede „Kultur“, die von diesen Rechtsintellektuellen als eine festgefügte und monolithische Einheit betrachtet wird, ist ihnen zufolge fest in einem Lebensraum verwurzelt, in Landschaftsprägungen. Die „europäische Zivilisation“ ist ihnen zufolge eine der „Wälder“, während alle monotheistischen Kulturen ihnen zufolge ein Erzeugnis „der Wüste“ sind – ihr unbegrenzter Blickhorizont hat demzufolge das Entstehen von gedanklichen Abstraktionen, wie der Vorstellung einer einzigen Gottheit statt vieler in der Natur anzutreffender Götter, erleichtert. Deswegen trifft man bei dieser Strömung ausgiebige Diskurs über die Notwendigkeit von Landschafts- (und Kultur-)Schutz an, aber auch immer wieder die Chiffre von den Wäldern, die weitaus eher eine ideologische Metapher denn ein Interesse für tatsächliche materielle Schutzproblematiken darstellt.

Laurent Ozon etwa, einer der Vordenker dieser Richtung, war von 1994 bis 2000 Herausgeber einer vorgeblich ökologisch orientierten Zeitschrift namens Recours aux forêts (ungefähr: „Rückzug in die Wälder“ oder „Rückgriff auf die Wälder“). Marine Le Pen, zu Anfang des Jahrs 2011 frisch gekürte Chefin des rechtsextremen Front National, fand dies interessant genug, um Ozon zu einem ihrer Berater zu ernennen: Von einer Öffnung zur Ökologie-Thematik erhoffte sie sich eine Modernisierungsleistung für ihre Partei und deren Programmatik. Im August desselben Jahres wurde Ozon allerdings in Richtung Ausgang gedrängt, er nahm dann formal selbst die Tür(1). Er hatte ein wenig zu lautstark Verständnis für den Massenmord des Rechtsterroristen Anders Behring Breivik vom Juli 2011 geäußert. Wo Europa doch einer migrantischen Invasion ausgesetzt sei.

Alain de Benoist oder sein Umfeld finden jedoch immer wieder auch Bündnis- oder jedenfalls Gesprächspartner bis in die ökologisch interessierte Linke hinein, vor allem im Bereich der als décroissance (Minus- oder Negativwachstum; Wachstumsrücknahme) bezeichneten Strömung der Radikalökologie. Einer ihrer führenden Vertreter ist der 75jährige frühere Ökonomieprofessor Serge Latouche, Mitbegründer der Zeitschrift Entropia und regelmäßiger Autor in der Publikation der Gruppe MAUSS, deren Abkürzung für „Bewegung gegen den Utilitarismus in den Sozialwissenschaften“ steht.

Einer seiner zentralen Ansätze betrifft die Kritik an der „Uniformisierung der Welt“. Unter diesem Begriff fasst er die Tendenzen zur Unterwerfung der Gesellschaft unter Kapitalimperative zusammen, die er jedoch um Aspekte des so genannten Verlusts kultureller Identitäten ergänzt. Dies macht ihn natürlich für Vordenker wie eben Alain de Benoist interessant, die sich seit Jahr und Tag den Kampf für den Erhalt „kultureller Vielfalt“ im Zeichen des Ethnopluralismus auf ihre Fahnen geschrieben haben – vorgestellt als eine Art Artenschutz im Ethno-Zoo.

Auch bei Serge Latouche finden sich Ansätze, die mit einem solchen Denkschema zumindest kompatibel erscheinen. In einem Artikel, den im Herbst 2004 die Monatszeitung Le Monde diplomatique publizierte, schrieb Latouche etwa: „Die Wachstumslogik in den Ländern des Südens beibehalten oder – schlimmer noch – einführen zu wollen, unter dem Vorwand eines Ausgangs (ANMERKUNG: / Ausbruchs?) aus dem Elend, das von diesem Wachstum erst geschaffen wurde, kann diese nur noch stärker verwestlichen. In diesem Vorschlag, der von etwas gut Gemeinten ausgeht - ,Schulen, Gesundheitszentren, Trinkwasserleitungen bauen und sich selbst ernähren zu können’ – steckt ein ordinärer Ethnozentrismus, und zwar genau jener der Wachstumsideologie.“

Diese Ausführungen hat etwa der Bildungsgewerkschafter Yann Kindo bei einem Vortrag im vergangenen Jahr (August 2015)(2) aufgegriffen, um sie mit den Worten zu kritisieren: „Hier stützt sich die Wachstumskritik auf die Mode des Kulturrelativismus. (...) Anders ausgedrückt: Es geht denen ohne Schulen, ohne Gesundheitszentren, ohne Trinkwasser und ohne Ernährungssicherheit zweifellos besser, denn das ihre Kultur. Es lebe die Armut! All das erinnert an die Erklärungen von (Staatspräsident Jacques) Chirac, wonach die Demokratie für Afrika ungeeignet ist, es ist dieselbe Logik.“

Im Sommer 2015 publizierte die damalige Ausgabe Nummer 156 der vierteljährlich erscheinenden GRECE-Zeitschrift Eléments ein ausführliches Interview mit Latouche, in dem Interviewer und Interviewter angeregt über Themen der Ökologie und der Wachstumsbeschränkung plauschen. Zuvor hatte er bereits 2013 in einem Interview mit der auf ökologische Themen spezialisierten Webseite Reporterre (von terre, „die Erde“) de Benoist quasi ein politisches Reinheitszeugnis ausgestellt. Auch wenn Latouche dort auf die Frage, ob Ökologie nun links oder rechts steht, versichert: „Für mich gehört sie zur Linken“, fügte er jedoch schnell hinzu: „Soll ich Alain de Benoist verbieten, sich zur ,décroissance’ zu bekennen, unter dem Vorwand, dass er als rechts eingestuft wird? Ist er dazu verdammt, sein Leben lang in dieser Kategorie eingeschlossen zu werden? Seine Position kann neu bewertet, neu diskutiert werden.“ Bereits in ihrer Nummer 99 hatte Eléments zuvor Schriften, die unter anderem von Latouche verfasst worden waren, wohlwollend diskutiert und sich gefragt: „Wo ist eigentlich die Linke?“

Andere bisherige Diskussionspartner hat Serge Latouche dadurch aber definitiv verprellt,; in Gestalt der sich früher mit dem verstorbenen Robert Kurz zusammenarbeitenden Wertkritiker. Diese hatten sich zwar an Debatten über den, dem Kapitalismus immanenten Wachstumsdrang und –zwang auch mit Latouche interessiert gezeigt. In einem Artikel(3), den sie im Dezember 2015 publizieren, stellen die Wertkritiker Anselm Jappe und Clément Homs jedoch fest, dass das Tischtusch definitiv zerschnitten sei: „Wir müssen heute feststellen, dass die Fortsetzung dieser Debatte heute keinen Sinn mehr hat. Was Latouche betrifft, so hat er, statt sich zu bessern, eine Orientierung aufgenommen, bei der er zumindest einen Mangel an Wachsamkeit gegenüber den Vereinnahmungsversuchen der ,Neuen Rechten’ erkennen lässt. Latouche scheint eine breite Front aufmachen zu wollen, zu der alle Wachstumskritiker stoßen können sollten, unabhängig von ihren sonstigen politischen Positionen – sogar Alain de Benoist (...).“

Anmerkungen

Editorische Hinweise

Wir bekamen den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.