Erster Eingangsartikel, weitere Texte zum Thema
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Polizeiliche Schikanen und von Uniformträgern
ausgehende Gewalt zählen für viele, vor allem
jüngere, Bewohner der Pariser und Lyoner
banlieues oder Trabantenstädte fast zum
Alltag. Überwiegend der Drangsalierung dienende
Kontrollen, gerne auch mehrfach am Tag, gehören
aus Sicht der Polizei dazu. Dies gilt vor allem
wie die in „soziale Brennpunkten“ eingesetzten
Sondereinheiten wie die BAC oder Brigades
anti-criminalité. Diese wurde 1995 unter
dem damaligen Polizeipräsidenten und späteren
konservativen Innenminister Claude Guéant
aufgestellt – einem echten Ehrenmann, der von
wenigen Tagen wegen aktiver Korruption im
Innenministerium zu einer Haftstrafe ohne
Bewährung verurteilt wurde, eine Seltenheit bei
Berufspolitikern. Aus der Sicht der Mitglieder
solcher Sondereinheiten stellen die, historisch
als „Aufbewahrungsort“ für Angehörige der
sozialen Unterklassen und andere
gesellschaftliche Problemgruppen konzipierten
Hochhausviertel der banlieues ein
feindliches Umland dar. In ihm gilt es, sich
männlich-kriegerisch zu bewähren, um sich nach
fünf Jahren Polizeilaufbahn tunlichst anders
wohin versetzen zu lassen.
Die Dinge wurden
für die Bewohner/innen, nicht dadurch leichter,
die seit fünf Jahren amtierenden
sozialdemokratischen Regierungen das
Wahlversprechen François Hollandes in die Tonne
traten, demzufolge alle von polizeilichen
Routinekontrollen Betroffenen eine Art Quittung
ausgehändigt bekommen sollten, um die Häufung
solcher Vorkommnisse mehrmals am Tag zu
vermeiden. Unter dem Druck der sehr aktiven
Polizeigewerkschaften wurde das Vorhaben
zurückgezogen.
Vorige Woche jedoch schlugen die Beamten einmal
gar zu sehr über die Strenge, so dass es auch dem
politischen Spitzenpersonal dann doch zu viel
wurde. Eine Kontrolle am vorigen Donnerstag
Vormittag (02. Februar 17) in einer, nach der
Zahl der Wohnungen als Cité des 3.000
bezeichneten Hochhaussiedlung in Aulnay-sous-Bois
– rund zehn Kilometer nördlich von Paris –
„artete aus“ (dégénérait), wie die
bürgerliche Presse sich auszudrücken pflegt. Der
Tonfall wurde rauer, Jugendliche verweigerten
sich dem Ansinnen, sich einer besonders aggressiv
vorgetragenen Personalienkontrolle zu
unterziehen. Der 22jährige schwarze Franzose Théo
stellte sich den Polizisten entgegen, als sie
einen Teenager ohrfeigen wollten. Dies wurde ihm
heimgezahlt: Auf dem Weg zur Wache wurde er im
Polizeiwagen misshandelt, Tränengas wurde ihm
schon auf dem Weg dorthin direkt ins Gesicht
gesprüht. Beamte bezeichneten ihn als
bamboula, ein französisches Schimpfwort
für Schwarze. Schließlich wurde ihm ein
Polizeiknüppel in den After geschoben. Dies
verursachte eine fünf bis sechs Zentimeter lange
Platzwunde, die genäht werden musste; das Opfer
erhielt eine ärztliche Krankschreibung für die
Dauer von sechzig Tagen.
Die Festnahme war jedoch von Umstehenden gefilmt
worden. Mehrere Nächte lang kam es in der
Hochhaussiedlung und deren Nachbarschaft zu
nächtlichen Konfrontationen mit den
Einsatzkräften, einzelnen Autos brannten dabei
aus. Auch die Staatsanwaltschaft sah sich in
Anbetracht der Bilder sowie des ärztlichen
Attests dazu gezwungen, Ermittlungen aufzunehmen.
Aber auch ein Trauermarsch, der am Montag (06.
Februar) tagsüber stattfand, wurde organisiert.
Die zuständige Staatsanwaltschaft in der
Bezirkshauptstadt Bobigny ließ jedoch bereits am
Sonntag (05. Februar) den Tatvorwurf der
Vergewaltigung zunächst fallen: Es habe, den
Erklärungen der vier beteiligten Polizisten
zufolge, die ihrerseits vernommen wurde, bei den
Urhebern der Gewalttaten keine sexuelle Absicht
vorgelegen. Festgehalten wurde nur der, weniger
schwere, Vorwurf der Körperverletzung.
Dies empörte sogar
den amtierenden Bürgermeister von Aulnay, den
früheren Polizeifunktionär und Parteigänger
Nicolas Sarkozys, Bruno Beschizza. Auch aus
Regierungskreisen kam erste Kritik; am Dienstag
Nachmittag (07. Februar) besuchte dann sogar
Staatspräsident François Hollande das Opfer –
Théo – am Krankenbett. Hollande lobte dessen
besonnene Haltung, da der 22jährige die Jugend
seiner Stadt dazu aufrief, „keinen Krieg“ mit der
Polizei anzuzetteln. Unter erheblichem
öffentlichem Druck stehend, leitete die
Staatsanwaltschaft nun doch ein
Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung gegen
einen der vier Polizisten wegen Vergewaltigung
ein, bei den übrigen dreien bleibt es beim
Verletzungsvorwurf. Bei einer linken
Demonstration von mehreren Hundert Menschen am
Dienstag Abend in Paris, wo ebenfalls Proteste
einsetzten, wurden unterdessen sechs Menschen
durch eine offensiv vorgehende Polizei
festgenommen.
Editorischer Hinweis
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
Er erschien
am
Donnerstag, den 09. Februar 2017 in gekürzter und
gestraffter Form in der Tageszeitung ,Neues
Deutschland’ unter dem Titel „Polizei misshandelt
schwarzen Franzosen schwer“. Ein ausführlicherer
neuer Artikel vom Autor zum Thema (zu den jüngsten
Entwicklungen) erscheint am Donnerstag, den 16.
Februar in der Wochenzeitung ,Jungle World’.
Fortsetzung folgt, auch an dieser Stelle.
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