Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Der Front National im französischen Präsidentschaftswahlkampf
Gegen „Ausländer“ und Finanzkapital, für schlechte Namenswitze

02/2017

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Schlechte Namenswitze sind bei Rechten gerne en vogue. So auch am vergangenen Samstag, den 04 Februar im Lyoner Kongresszentrum, wo der Front National (FN) am selben Tag seinen zweitägigen „Präsidentschaftskonvent“ eröffnete. Die Großveranstaltung zog insgesamt rund 5.000 Menschen an, jedoch weniger Publikum als der Wirtschaftsliberale Emmanuel Macron sowie der Linkssozialist und Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon. Beide Präsidentschaftsbewerber hatten am selben Wochenende ebenfalls nach Lyon geladen und holten mehr Zuschauer und Unterstützerinnen in die Säle, stehen jedoch in den Umfragen jeweils deutlich hinter der FN-Chefin Le Pen, was die Stimmabsichten betrifft.

Die 27 Jahre junge Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen, die den FN zusammen mit Gilbert Collard in der Nationalversammlung vertritt, griff die Namen dieser Wahlkonkurrenten in ihrer Ansprache in hämischer Form auf. Die Juristin machte sich über die Familiennamen mehrerer Präsidentschaftskandidaten lustig – Macron, Mélenchon, Hamon, Fillon – und versuchte sich in einem Wortspiel mit dem Begriff con, welcher ungefähr so viel wie „Idiot“ oder „Vollpfosten“ bedeutet. Zugleich suggerierten ihre Ausführungen über die „Serie der on“ aber auch, Frankreich werde von anonymen Mächten regiert. Wird das unpersönliche Pronomen on, das ungefähr dem deutschen Partikel „man“ entspricht, doch auch in unzähligen Satzkonstruktionen benutzt, in denen man darum bemüht ist, das Subjekt nicht zu benennen. (Bei dem Nazijournalisten, pardon: braun-rötlich- braunen Querfront„intellektuellen“ Jürgen Elsässer wurde dieser Auftritt übrigens euphorisch gefeiert und die Rede Marion Maréchal-Le Pens wurde – holprig und unbeholfen – übersetzt; den Witz hat die Übersetzerin jedoch, treudoof, leider überhaupt nicht verstanden.1)

Konkreter wurde Parteichefin Marine Le Pen am Sonntag, als es darum ging, zu benennen, wer hinter den aktuellen Übeln in Frankreich stecke. Diese finden ihr zufolge einen gemeinsamen, einheitlichen Ursprung: die „mondialistische Ideologie“, wobei das vom FN vor gut zwanzig Jahren kreierte Kunstwort mondialisme – von monde, die Welt – ungefähr so viel wie „Globalismus“, „Eine-Welt-Ideologie“, aber auch Universalismus und „Menschenrechtsideologie“ bedeutet. Heute, führte Marine Le Pen dazu aus, weise diese Ideologie, die am Ausgang allen Übels stehe, zwei totalitäre Erscheinungsformen auf: „den ökonomischen und den islamistischen Totalitarismus“. Ferner nehme sie Frankreich und andere Nationalstaaten durch eine doppelte Bewegung in die Zange, „von unten her durch die Einwanderung und von oben her durch den Finanzkapitalismus“.

Am Sonntag verkündete Marine Le Pen dann im Kongresszentrum ihre 144 Programmpunkte zur Präsidentschaftswahl. Diese waren zwar formal bei mehreren „Runden Tischen“ im Laufe des Wochenendes erarbeitet worden, unterscheiden sich aber inhaltlich in Wirklichkeit kaum vom bereits 2012 verwendeten Wahlprogramm. An den Grundlinien hat sich nichts geändert – den erwarteten „wirtschaftlichen Aufschwung“ unter einer rechtsnationalen Regierung sollen das Ausland und die Ausländer bezahlen: durch Ausschluss von Arbeitsmigranten aus den Sozialkassen, „Inländerbevorzugung“ bei Sozialleistungen und Arbeitsleistungen und einen Rückzug aus den EU-Verpflichtungen, welcher angeblich Frankreich sanieren würde.

In Sachen Behandlung von Eingewanderten hat sich der Tenor der Vorschläge sogar noch verschärft. Nicht-französische Staatsbürger sollen beim Eheschluss mit einem oder einer Staatsangehörigen kein einklagbares Recht auf Einbürgerung mehr haben, „illegale Ausländer“ sollen auf keinerlei gesetzlichen Grundlage mehr „legalisiert“ werden können und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sein. Allerdings hat sich der Tonfall leicht geändert: Marine Le Pen betonte in ihrer Rede, sie wolle „10.000 Aufenthaltstitel im Jahr“ erteilen – statt derzeit jährlich rund 200.000 -, und der früher vertretene Slogan „Null Zuwanderung“ wird formal abgemildert.

Erheblich ist eher, was nicht mehr im Programm enthalten ist. So ist erstmals seit Gründung des FN nicht mehr von der Rückkehr zur 1981 in Frankreich abgeschafften Todesstrafe die Rede, deren Wiedereinführung allerdings in Umfragen in den letzten Jahren anders als früher auch keine Mehrheit mehr findet. Der FN nutzt diese Positionierung, um seine relative „Mäßigung“ zu unterstreichen, im Hinblick auf den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl, bei dem er Wählerinnen und Wähler aus anderen politischen Lagern herüberziehen möchte. Allerdings hält die Partei sich eine Hintertür offen, denn über eine „Volksinitiative für ein Referendum“ – nach Vorbild von schweizerischen Abstimmungen - soll eine Wiedereinführung dennoch möglich sein.

Heruntergeschraubt wurde unterdessen auch der Aspekt der sozialen Demagogie. Denn der vormalige, ihn stark betonende Sozial- und Wirtschaftsdiskurs der Partei hatte ihr Angriffe eingetragen: Die Konservativen griffen den FN seit 2015 massiv wegen seines angeblich „linksradikalen“, für eine Rechtspartei „unveranwortlichen“ Wirtschaftsdiskurses an. Auch intern gab es Streit, weil die Interessen der Walkämpfer des FN in Nordostfrankreich – wo die rechtsextreme Partei vor allem in die Arbeiterwählerschaft eindringen konnte – sich von denen einer stärker durch Kleinunternehmer und wohlhabende Rentner in Süd- und Südostfrankreich geprägten Basis unterscheiden.

2012 hatte der FN noch eine Erhöhung aller tiefen Löhne um je 200 Euro versprochen, was allerdings vor allem durch den Abbau von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-„Sozialabgaben“ und also ein Austrocknen der Sozialkassen finanziert werden sollte. Nichts dergleichen findet sich mehr im Wahlprogramm. Dort bleibt allein eine Sondersteuer in Höhe von drei Prozent auf alle Importprodukte bestehen. Diese soll angeblich dazu führen, dass eine „Kaufkraftprämie“ von achtzig Euro monatlich an gering verdienende Lohnabhängige ausbezahlt werden kann.

Gleichzeitig hat der FN sein programmatisches Repertoire um wirtschaftsliberale Vorschläge erweitert. So sollen wohlhabende Personen – die etwa bei der Übertragung einer im Familienbesitz befindlichen Firma Erbschaftssteuern sparen möchten - alle fünf Jahre bis zu 100.000 Euro an Schenkungen an ihre Familienmitglieder gänzlich steuerfrei durchführen können. Derzeit ist dies nur alle fünfzehn Jahre möglich, selbst der rabiat wirtschaftsliberal auftretende bürgerliche Kandidat François Fillon will diese Zeitraum „nur“ auf zehn Jahre senken.

An Lohnabhängige gerichtet wird der Vorschlag unterbreitet, ihnen ein monatliches Mehreinkommen ganz ohne Lohnerhöhungen zu ermöglichen, indem sie Überstunden ableisten. Letztere sollen zu diesem Zweck steuerbefreit werden. Dies ist kein wahnsinnig origineller Vorschlag: Der damals frisch gewählte Präsident Nicolas Sarkozy hat genau diese Idee 2007 gesetzlich festschreiben lassen. In den darauffolgenden Jahren hatte sie jedoch kaum Auswirkungen, da in den Jahren der auf die Subprime-Krise folgenden wirtschaftlichen Rezession und Depression die Arbeitgeber kaum Überstunden abfragten. Die sozialdemokratische Regierung schaffte die Regelung 2012 wieder ab, sie wollte eher Personaleinstellungen als häufige Überstunden bevorzugen. In den letzten Monaten schrieben sowohl der konservative Präsidentschaftsbewerber Fillon als auch der – im Januar gescheiterte – rechtssozialdemokratische Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur Manuel Valls diese Maßnahme in ihre jeweiligen Programme. Nun also auch der Front National.

Nach derzeitigem Stand der Dinge würde Marine Le Pen im ersten Durchgang der Wahl im April rund 25 Prozent der Stimmen erhalten und auf dem ersten Platz landen, Macron oder der – aufgrund von Selbstbedienungsaffären bei Staatsgeldern in Turbulenzen geratene – konservative Kandidat François Fillon auf dem zweiten. Allerdings muss es als ausgesprochen unwahrscheinlich gelten, dass Marine Le Pen im zweiten Durchgang die Stichwahl gewinnen könnte, wofür eine absolute Mehrheit der Stimmen erforderlich wäre. Im Augenblick werden ihr weniger als vierzig Prozent der Stimmen für die zweite Runde vorhergesagt. Allerdings könnte die Krise der Konservativen, aufgrund der Fillon-Affäre(n), dem FN noch neue Wähler oder Anhängerinnen zutreiben. Bereits seit den 1990er Jahren setzt der FN strategisch darauf, die Krise der Konservativen und ihrer Strukturen zu vertiefen, um sich perspektivisch aus deren Erbmasse zu bedienen.

Endnoten

1 Vgl. https://juergenelsaesser.wordpress.com/2017/02/08/marine-le-pen-wird-praesident-alle-macht-dem-volke/ - Im Original rief Marion Maréchal-Le Pen aus: « Un on, ça ose tout, et c’est d’ailleurs à ça qu’on le reconnaît. >> (Vgl. das Video, und verkürzt wiedergegeben unter: https://mobile.twitter.com/Marion_M_Le_Pen/status/828995758430908416 ) Dies war eine offenkundige Anspielung auf den berühmt-berüchtigten Ausspruch des verstorbenen französischen Humoristen, Schauspielers und Polit-Clowns „Coluche“: « Un con, ça ose tout, et c’est même à ça qu’on les reconnaît! >> Dies bedeutet so viel wie: „Ein Idiot, das traut sich alles, und daran erkennt man sie sogar!“ Maréchal-Le Pen münzte dies also auf „Ein on...“ um. In der Holper-Stolper-Übersetzung von Elsässers schweizerischer Zuträgerin wird daraus jedoch: „Wirklich, ein „on“ sagt alles, das muss man anerkennen.“ Hihihi... Nun ja, in der Quintessenz - ein Jürgen E. traut sich wirklich Alles, und daran erkennt man ihn vielleicht.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.

Überarbeitete Langfassung eines Artikels, dessen Kurzfassung als Hintergrundtext auf der Antifa-Seite der in Berlin ansässigen Wochenzeitung Jungle World vom 09. Februar 17 erschienen ist.