Ganz offensichtlich ist die FPÖ mittlerweile die
klar stärkste Partei im Land. Das zeigten nicht nur
die Präsidentschaftswahlen, sondern auch die
Stimmung in der arbeitenden Bevölkerung. Verändert
hat sich in den letzten Jahren aber nicht nur der
Zuspruch für die FPÖ, sondern auch etliche
politische Positionen.
Laut Umfragen liegt die FPÖ mit etwa 35 Prozent
seit Monaten deutlich in Führung. Der FPÖ-Kandidat
Norbert Hofer erzielte bei der ersten Runde der
Präsidentschaftswahlen 72 Prozent der
Arbeiter/innen/stimmen, bei den Arbeiter/innen mit
österreichischem oder (süd-) osteuropäischem
Hintergrund wohl über 80 Prozent. Das sind
beachtliche Zahlen für eine Partei, die
jahrzehntelang nicht über 5-7 Prozent hinaus kam.
Grundlagen der deutschnationalen Bewegung
Gegründet wurde FPÖ 1955/56, die Geschichte des
(neben Sozialdemokratie und
Christlich-Sozialen/ÖVP) "dritten Lagers" reicht
aber viel weiter zurück. Die Anfänge dieser
politischen Strömung liegen in der
deutschnational-republikanischen Bewegung im
Deutschen Bund (zu dem Österreich, Preußen und
diverse kleinere deutsche Staaten gehörten) des 19.
Jahrhunderts. Diese Bewegung bezog Stellung gegen
die Diktatur von Kaiser, Königen und Adeligen und
die Macht der Kirche und sie kämpfte für Meinungs-
und Pressefreiheit in einer großdeutschen
demokratischen Republik. Eintreten für
Freiheitsideen und Nationalismus waren damals kein
Widerspruch, sondern logische Charakteristika von
bürgerlich-demokratischen Nationalbewegungen in
sämtlichen Ländern.
Es
wäre ein Anachronismus, die
deutschnational-republikanische Bewegung des 19.
Jahrhunderts ausschließlich durch die Brille der
späteren Erfahrungen des Nazi-Regimes zu sehen. Der
Kampf der deutschnationalen Republikaner/innen
gegen die Herrschaft von Adel und Kirche war
fortschrittlich und viele deutschnationale
Studenten in Österreich, Preußen, Sachsen, Bayern
und Baden standen in der Revolution von 1848
Schulter an Schultern mit den Arbeiter/innen gegen
das Militär der Fürsten. Nicht zufällig waren so
manche spätere Anführer der sozialdemokratischen
Arbeiter/innen/bewegung ursprünglich
deutschnationale Burschenschaftler, in Österreich
etwa Viktor Adler oder Engelbert Pernerstorfer.
Anders als in Frankreich 60 Jahre zuvor war die
bürgerlich-demokratische Revolution im Deutschen
Bund nicht erfolgreich; zu groß war bereits die
Angst des Bürgertums vor der aufkommenden
Arbeiter/innen/bewegung, als dass sie konsequent
agiert hätte. Nach der Niederlage von 1848 und der
kleindeutschen Reichgründung unter preußischer
Führung 1871 machten viele deutschnationale
Republikaner ihren Frieden mit dem neuen Staat
unter Fürst von Bismarck. Da die Deutschsprachigen
des Habsburgerstaates von der deutschen
Reichsgründung ausgeschlossen waren, behielten die
Deutschnationalen hier in der Regel ihre
antihabsburgische, republikanische und
antiklerikale Haltung bei. Oberösterreich war eine
ihrer Hochburgen, sie stellten etwa die
Bürgermeister in Linz, Wels und Steyr.
Die französische Nationalbewegung konnte kleinere
Völker und Grenzregionen integrieren. Aufgrund
ihrer späteren Entwicklung gelang das der deutschen
Nationalbewegung nicht. Grenzregionen wie
Luxemburg, das Elsass, die Deutschschweiz und die
gesamten deutschsprachigen Gebiete von Österreich
und Böhmen und Mähren blieben außerhalb des neuen
Nationalstaates. Die von deutschen Gebieten
umschlossenen Tschech/inn/en und die mit unscharfen
ethnischen Scheidelinien im Süden angrenzenden
Slowen/inn/en hatten ebenfalls bereits begonnen,
nationale Bewegungen zu entwickeln. Daraus
entstehende Konflikte (auch mit Serbien und Polen)
führten Ende des 19. Jahrhunderts zu einer immer
stärkeren antislawischen Schlagseite im
Deutschnationalismus.
Und waren in der Revolution von 1848 und danach
noch viele Juden in der deutschen Nationalbewegung
aktiv, wurden Ende des 19.
Jahrhunderts antisemitische Tendenzen im
Deutschnationalismus immer massiver. Der
Antisemitismus war dabei freilich keine
deutsch(national)e Besonderheit, sondern auch in
den USA, Frankreich, Polen und Russland weit
verbreitet. In der Habsburgermonarchie waren
besonders die Christlich-Sozialen unter Lueger
stark antisemitisch und auch in der
österreichischen Sozialdemokratie gab es Elemente
davon (wobei der in der Sozialdemokratie als
deutschnational geltende Pernerstorfer gegenüber
der jüdischen Arbeiter/innen/bewegung deutlich
freundlicher eingestellt war als der
jüdischstämmige "Assimilant" Adler).
Anschluss und NS-Regime
Nach dem Zerfall des habsburgischen "Völkerkerkers"
in seine nationale Bestandteile und der Gründung
Ungarns, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei war
es für viele eine logische Selbstverständlichkeit,
dass die etwa 10 Millionen Deutschsprachigen sich
der neuen deutschen Republik anschließen würden (so
wie die italienischsprachigen Gebiete des
Habsburgerreiches an Italien und die
rumänischsprachigen an Rumänien). Die
überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des
heutigen Österreich und der Sudetengebiete verstand
sich damals als Deutsche. Dementsprechend gingen im
Frühjahr 1921 Volksabstimmungen in Tirol und
Salzburg mit einer Zustimmung von 98,8
beziehungsweise 93,3 Prozent für den Anschluss an
Deutschland aus. Mit Ausnahme der winzigen
Minderheit von Monarchist/inn/en waren alle
politischen Kräfte für den Anschluss.
Das Eintreten für den Anschluss hatte nichts
Rechtsextremes an sich und wurde auch von der
Sozialdemokratie und (mit gewissen Schwankungen)
auch von der kleinen KPÖ unterstützt. Die
Arbeiter/innen/parteien erhofften sich in einer
gesamtdeutschen Republik bessere Bedingungen für
eine sozialistische Politik als im relativ
rückständigen Österreich und sie anerkannten auch
einfach das Selbstbestimmungsrecht der Nationen.
Davon wollten freilich die Kriegssieger des Ersten
Weltkrieges (besonders die französische herrschende
Klasse) nichts wissen, hatte man Deutschland doch
gerade erfolgreich Gebiete abgetrennt und wollte es
jetzt nicht wieder um Millionen Menschen (und das
Eisen des Erzberges und die Industrien
Nordböhmens...) verstärkt sehen. Und so wurden
Volksabstimmungen in weiteren Bundesländern
verboten.
Das deutschnationale oder großdeutsche politische
Spektrum in Österreich hatte in der
Zwischenkriegszeit besonders stark den Anschluss
auf seine Fahnen geschrieben - zumal es eben in
dieser Frage die große Mehrheit der Bevölkerung auf
seiner Seite wusste. Die Deutschnationalen waren
zwischen 1918 und 1938 keine einheitliche Partei,
sondern eher eine politische Strömung aus
verschiedenen Organisationen: Die liberale
Großdeutsche Volkspartei (GDVP) wurde von leitenden
Beamten, Lehrern, Freiberuflern und
Kleinunternehmern getragen, war eine Wahlpartei und
hatte nur wenige Mitglieder. Der Landbund
organisierte Teile der Bauernschaft in Kärnten,
Oberösterreich und der Steiermark, die nicht
katholisch-klerikal waren. Darüber hinaus war auch
eine Minderheit der Arbeiterschaft deutschnational
orientiert; zwischen ihren Interessen und denen des
Kleinbürgertums in der Führung der GDVP entstand
ein Spannungsfeld. Das deutschnationale Spektrum
erreichte in der Zwischenkriegszeit bei Wahlen in
unterschiedlichen Kombinationen zwischen 12 und 21
Prozent der Stimmen.
Mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929, dem Aufstieg
der NSDAP in Deutschland und dem
klerikalfaschistischen "Ständestaat" unter Dollfuß
wandten sich in Österreich immer mehr
Deutschnationale den Nazis zu. Angeblich haben sich
70 Prozent der Mitglieder der GDVP den Nazis
angeschlossen. Da die GDVP wie erwähnt nur wenig
Leute organisiert hatte, kam die Mehrheit der fast
700.000 NSDAP-Mitglieder in Österreich anderswo
her: aus der Wähler/innen/schaft der GDVP und des
Landbundes ebenso wie von enttäuschten
Parteigängern des schwächlichen Dollfuß-Regimes,
von bislang politisch Ungebundenen ebenso wie von
einer Minderheit von Sozialdemokrat/inn/en (von
denen manchen gemeinsam mit den ebenfalls illegalen
Nazis in den Gefängnissen des Ständestaates
gesessen sind). Während der Nazi-Herrschaft war in
Österreich ein höherer Prozentsatz der Bevölkerung
Mitglied der NSDAP als im "Altreich". Und
überproportional viele Österreicher waren an der
Vernichtungsmaschinerie des NS-Regimes aktiv
beteiligt, darunter berüchtigte Massenmörder wie
Ernst Kaltenbrunner, Odilo Globocnik, Franz Novak,
August Meyszner, Aribert Heim oder Amon Göth. Die
Hauptopfer der NS-Massenmorde waren die slawische
(russische, polnische, serbische) und jüdische
Bevölkerung in Ost- und Südosteuropa.
Entnazifizierung, Werben um Ex-Nazis und Reset
des Dritten Lagers
Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes beschloss
die österreichische Regierung in Absprache mit den
alliierten Kriegssiegern eine "Entnazifizierung",
also die Registrierung der ehemaligen
Nazi-Mitglieder, ihren zeitweiligen Ausschluss von
bestimmten Berufen und den Verlust der
staatsbürgerlichen Rechte wie des Wahlrechtes. Etwa
540.000 ehemalige NSDAP-Mitglieder wurden
tatsächlich registriert, von denen etwa 40.000 als
"Belastete" (= aktive Nazis und Funktionäre des
Regimes) und 500.000 als "Minderbelastete"
kategorisiert wurden. Alle Registrierten mussten
"Straf-Steuern" und "Sühneabgaben" bezahlen.
100.000 Staatsbedienstete (= etwa ein Drittel)
wurden entlassen, 36.000 ehemalige NS-Mitglieder
verloren in der Privatwirtschaft ihren Job.
Die "Minderbelasteten" erhielten 1947 wieder das
aktive Wahlrecht. Im April 1948 beschloss der
Nationalrat die "Minderbelastetenamnestie". Der
Kampf aller Gründungsparteien der zweiten Republik
(= ÖVP, SPÖ und KPÖ) um dieses
Wähler/innen/potential hatte begonnen. Während die
KPÖ damit relativ erfolglos blieb, konnten die
beiden Großparteien jeweils erhebliche Teile der
ehemaligen Nazis für sich gewinnen. Die größte
Anzahl von Ex-Nazis ging wohl zur ÖVP. Da die ÖVP
aber aus dem Cartellverband (CV) und dem
Austrofaschismus (Julius Raab) selbst genug
Führungskader hatte, stiegen in dieser Partei nur
wenige Ex-Nazis in führende Positionen auf, etwa
Eduard Wallnöfer als Landeshauptmann von Tirol, der
als "Schlächter von Vilnius" berüchtigte Franz
Murer als ÖVP-Bauernvertreter oder der
ÖVP-Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim.
Die SPÖ war zwar numerisch bei den "Ehemaligen"
weniger erfolgreich, hatte aber viele ihrer
(jüdischen) Anführer/innen in den NS-Lagern oder
ins Exil verloren (oder sie waren, weil zu links,
nicht mehr erwünscht, wie Friedrich Adler) und
hatte einen Bedarf an akademisch gebildeten Kadern
- und so stiegen in der SPÖ zahlreiche Ex-Nazis in
führende Positionen auf: Otto Rösch als SPÖ-Innen-
und Verteidigungsminister, die
SPÖ-Landwirtschaftsminister Günter Haiden und Oskar
Weihs, Theodor Kery als Landeshauptmann vom
Burgenland, Leopold Wagner als Landeshauptmann von
Kärnten, Ferdinand Obenfeldner als
SPÖ-Vizebürgermeister von Innsbruck, Johann
Biringer als SPÖ-Polizeipräsident von Salzburg,
Herbert Koller als SPÖ-naher Generaldirektor der
VOEST. Besonders der SPÖ-Akademiker/innen/bund BSA
wurde zu einer Auffangstruktur für Nazi-Akademiker:
In der Steiermark waren 70 Prozent der
BSA-Mitglieder ehemalige Nazis, in Oberösterreich
60 Prozent. Ein besonders berüchtigter Fall war der
von Heinrich Gross, der als NS-Psychiater am
Spiegelgrund hunderte angeblich geisteskranke
Kinder töten ließ und nach 1945 über den BSA eine
große Karriere hinlegte, als Primararzt und Träger
des Ehrenkreuzes für Wissenschaft. Und um den
Zulauf von Stimmen ehemaliger Nazis zur ÖVP
abzuschwächen, unterstützte SPÖ-Innenminister Oskar
Helmer die Gründung des VdU 1949.
Die beiden Gründungsväter des Verbandes der
Unabhängigen (VdU) waren keine Nazis: Herbert Kraus
war ein liberaler Publizist und Unternehmer, Viktor
Reimann war ein konservativer Publizist, der von
den Nazis von 1941 bis 1945 inhaftiert war. Der VdU
sah sich als politische Vertretung von
Kriegsheimkehrern, Heimatvertriebenen und
"Ehemaligen", distanzierte sich zwar vom
Nationalsozialismus, forderte aber ein Ende der
Entnazifizierung und wurde zu einem Sammelbecken
für Ex-Nazis. Rudolf Kopf, in der Nazi-Zeit
Landeshauptmann-Stellvertreter in Vorarlberg, war
nun Obmann des VdU Vorarlberg. Bei den
Nationalratswahlen 1949 erreichte der VdU
beachtliche 11,7 Prozent, bei der Nationalratswahl
1953 10,9 Prozent, mit den besten Ergebnissen in
Oberösterreich (28 Prozent in Linz), Kärnten und
Vorarlberg. Vom Großkapital wurde der VdU nicht
unterstützt (das stand hinter der ÖVP), die
VdU-Funktionäre kamen überwiegend aus dem
Kleinbürgertum, unter den VdU-Wähler/inne/n waren
aber auch viele Arbeiter/innen, besonders in
Industrien, die erst vom NS-Regime aus dem Boden
gestampft worden waren und in denen es zuvor keine
Tradition der Arbeiter/innen/bewegung gegeben
hatte: Bei Betriebsratswahlen in der VOEST und in
den Stickstoffwerken kamen VdU-Listen sogar auf 47
beziehungsweise 55 Prozent, im
Aluminiumwerk Ranshofen auf immerhin 35 Prozent.
VdU/FPÖ, die nationale Frage und die Ära Kreisky
In
der nationalen Frage konnte sich der VdU auch auf
etwa der die Hälfte der Bevölkerung stützen, die
weiterhin der Ansicht war, dass Österreich Teil der
deutschen Nation sei. Noch 1956, im Jahr nach dem
Staatsvertrag, sagten 46 Prozent der
Österreicher/innen, dass sie Teil des deutschen
Volkes seien, nur 49 Prozent sahen Österreich als
"eigenes Volk". Das war insofern beachtlich, da
KPÖ, ÖVP und SPÖ seit Jahren für eine
österreichische Nation getrommelt hatten - die KPÖ
tat das auf "Empfehlung" aus Moskau, das
Deutschland schwächen und einen neutralen Puffer
schaffen wollte, die ÖVP mit konservativen Bezügen
auf Katholizismus und Habsburger, die SPÖ am
zögerlichsten und erst als Reaktion auf die von den
Alliierten seit der Moskauer Deklaration
geschaffenen Fakten; am längsten Widerstand
leisteten die "Linken" in der SPÖ (Friedrich Adler,
Karl Czernetz, Julius Braunthal, Josef Buttinger),
die auf Klassenkampf setzen und sich nicht einer
klassenübergreifenden patriotischen "Volksfront"
unterordnen wollten. Aber schließlich setzte sich
in der SPÖ der rechte Flügel durch (im
Oktoberstreik 1950 auch in offener Repression gegen
kämpferische Arbeiter/innen) und die Vorgaben der
Alliierten waren ohnehin eindeutig. Und vor allem
schuf die Kreation einer eigenen Nation für die
österreichische herrschende Kapitalist/innen/klasse
die bequeme Chance, sich vom Desaster des
Nationalsozialismus und der Verantwortung dafür
loszusagen und Österreich als "erstes Opfer" der
Nazi-Expansion hinzustellen.
Dieses nationale Konzept wurde der Bevölkerung seit
1945 verklickert, mit langsamer und stetiger
Wirkung. Dennoch brauchte es noch das
Wirtschaftswunder und dann vor allem die Ära des
SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky und seine sozialen
Reformen, die dazu führten, dass sich die Mehrheit
mit dem Staat des österreichischen Großkapitals
identifizierte. Mitte der 1960er Jahre sahen 47
Prozent der Bevölkerung Österreich als eigene
Nation (15 Prozent als Teil der deutschen Nation),
Mitte der 1970er Jahren waren es schon 62 Prozent
(11 Prozent als Deutsche), Mitte der 1980er Jahre
75 Prozent (5 Prozent), Mitte der 90er Jahre 80
Prozent (6 Prozent). Diese Entwicklung hatte
natürlich für das deutschnationale Lager in
Österreich erhebliche Konsequenzen.
Nach etlichen internen Konflikten um die
Ausrichtung des VdU kam es Mitte der 1950er Jahre
zu einer Neuformierung. In einer konstituierenden
Sitzung wurde im November 1955 die Freiheitliche
Partei Österreichs (FPÖ) gegründet. Im April 1956
fand der Gründungsparteitag statt, auf dem als
Parteiobmann Anton Reinthaller gewählt
wurde, ehemaliger Landwirtschaftsminister im
kurzzeitigen Anschlusskabinett 1938 und
SS-Brigadeführer, der von 1950 bis 1953 als
Schwerstbelasteter inhaftiert war. Die nun von
einem Ex-Nazi geführte Partei sackte im Wahlerfolg
gegenüber dem VdU deutlich ab: 6,5 Prozent 1956,
7,7 Prozent 1959, 7,0 Prozent 1962, 5,4 Prozent
1966. Die FPÖ war in dieser Zeit auf ihre
kleinbürgerlichen Kerngruppen zusammengeschrumpft
und hatte ihre Arbeiter/innen/basis weitgehend an
die SPÖ verloren.
Nach Reinthallers Tod 1958 wurde sein politischer
Ziehsohn Friedrich Peter neuer Bundesparteiobmann.
Peter, Sohn eines sozialdemokratischen
Lokführers, ehemaliger Waffen-SS-Obersturmführer
und nunmehriger Landesschulinspektor in
Oberösterreich, emanzipierte sich von
Reinthallers Kurs und versuchte die Partei stärker
liberal auszurichten. Schon 1962/63 bemühte sich
Peter um eine Annäherung an die SPÖ und eine
Kooperation mit ihr - so etwa in der gemeinsamen
Ablehnung der von der ÖVP betriebenen Einreise des
Kaisersohnes Otto Habsburg 1963 (was natürlich auch
in der antimonarchistischen Tradition des "dritten
Lagers" lag). Diese Linie von Peter wurde von
rechtsextrem-neonazistischen Kreisen in der Partei
abgelehnt, was 1966 zur Abspaltung der NDP führte.
Die nun relativ liberale FPÖ wurde sowohl von ÖVP
als auch von SPÖ als mögliches "Zünglein an der
Waage" hofiert. Und tatsächlich unterstützte die
FPÖ 1970 eine SPÖ-Minderheitsregierung. Bei der
Nationalratswahl 1971 schaffte die SPÖ die absolute
Mehrheit, aber als Gegenleistung für die vorherige
Unterstützung setzte die SPÖ ein neues Wahlrecht,
das kleinere Parteien weniger benachteiligte. Nach
der Nationalratswahl 1975 (FPÖ 5,4 Prozent)
veröffentliche Simon Wiesenthal, der Leiter des
Jüdischen Dokumentationszentrums, einen Bericht
über die Verstrickung von Peters Waffen-SS-Einheit
in Massenmorde. Peter wurde von Kreisky, selbst ein
Verfolgter des NS-Regimes, nachdrücklich
verteidigt. Dennoch war Peter beschädigt,
kandidierte 1978 nicht mehr als Parteiobmann, zog
aber im Hintergrund weiter die Fäden in der FPÖ.
Am
FPÖ-Parteitag 1980 setzte sich - als Ausdruck der
gesellschaftlichen Stimmung der 1970er Jahre - in
einer Kampfabstimmung der liberale Flügel durch.
Nach den Nationalratswahlen 1983 (FPÖ mit 5,0
Prozent als schlechtestes Ergebnis ihrer
Geschichte) trat die FPÖ mit dem neuen Obmann
Norbert Steger (dem Vater der Basketballspielerin,
heutigen FPÖ-Nationalratsabgeordneten und
FPÖ-TV-Moderatorin Petra Steger) als Vizekanzler in
eine Koalition mit der SPÖ ein. Steger bemühte sich
um ein liberales Profil, FPÖ-Justizminister Harald
Ofner repräsentierte den deutschnationalen Flügel
und FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm
Frischenschlager (später Liberales Forum) begrüßte
den freigelassenen NS-Kriegsverbrecher Walter Reder
bei dessen Rückkehr mit Handschlag. In all diesen
Jahren war die FPÖ eine nationalliberale
Kleinpartei, die ein gewisses kleinbürgerliches,
burschenschaftliches Milieu vertrat und keinerlei
Einfluss in der Arbeiter/innen/klasse hatte. Das
änderte sich ab 1986.
Aufstieg unter Jörg Haider
Die Stagnation der Partei auf niedrigem Niveau und
die Unzufriedenheit des nationalen Flügels führten
am Parteitag 1986 zu einer Kampfabstimmung, in der
sich Jörg Haider, Landesparteiobmann von Kärnten,
gegen Steger durchsetzte. Der aus einer
Nazi-Familie stammende Haider war vom
deutschnationalen Flügel in die Führung gehievt
worden. Die Folgen waren weitreichend: Erstens
kündigte die SPÖ unter Franz Vranitzky die
Koalition mit der FPÖ auf, zweitens begann unter
Haider ein rascher Aufstieg der FPÖ in der Gunst
der Wähler/innen. Bei der Nationalratswahl 1986
erreichte die FPÖ bereits 9,7 Prozent, also fast
eine Verdoppelung, 1990 dann 16,6 Prozent. Bei der
Landtagswahl in Kärnten 1989 erzielte die FPÖ 29
Prozent (ein Plus von 13 Prozent) und Haider wurde
mit Hilfe der ÖVP Landeshauptmann.
Bei den Bundespräsidentschaftswahlen 1992 kam die
FPÖ-Kandidatin Heide Schmid (FPÖ-Mitglied seit
1973) auf 16,4 Prozent. Im selben Jahr noch
lancierte die FPÖ ihr Volksbegehren "Österreich
zuerst", das dann Anfang 1993 zur Unterzeichnung
auflag und in dem unter anderem ein
Einwanderungsstopp zur Senkung der
Arbeitslosigkeit, eine stärkere Kontrolle
ausländischer Schwarzarbeiter, die Begrenzung
fremdsprachiger Schüler/innen in Schulklasse mit 30
Prozent, eine restriktivere Vergabe der
Staatsbürgerschaft und die sofortige Ausweisung
ausländischer Straftäter gefordert wurde. Es gab
große Gegenmobilisierungen von liberalen und linken
Kräften und die politischen und medialen
Gegner/innen kategorisierten die 416.531
Unterschriften als Misserfolg; angesichts des
öffentlichen Drucks waren das nicht so wenige
Menschen, die bereit waren, mit Name und
Unterschrift am Gemeindeamt die FPÖ zu
unterstützen. Als Protest gegen das Volksbegehren
traten Schmid, Frischenschlager und einige andere
FPÖ-Politiker/innen im Februar 1993 aus der Partei
aus und gründeten das Liberale Forum. Diese kleine
liberale Abspaltung aus der Führung konnte den
Aufstieg der FPÖ aber nicht stoppen. Bei den
Nationalratswahlen 1994 erreichte sie sogar 22,5
Prozent.
Hintergrund des Aufstieges unter Haider waren neben
seinem rhetorischen Geschick vor allem seine Kritik
am ÖVP-SPÖ-Proporzsystem im Land, an Korruption und
Freunderlwirtschaft, die Aufnahme von sozialen
Themen durch die FPÖ sowie die Ablehnung der
Zuwanderung von Ausländer/inne/n nach Österreich.
Die Grundlage dafür, dass das so gut klappte, waren
freilich die wirtschaftlichen und sozialen
Entwicklungen. Die Spielräume für Sozialpolitik
waren geringer geworden, die Krise der
Weltwirtschaft hatte auch Österreich erfasst und
die neoliberale Offensive der internationalen
Kapitalist/inn/enklasse wurde in Österreich von der
SPÖ-ÖVP-Regierung umgesetzt. Das bedeutete nicht
nur Sparprogramme auf Kosten der Lohnabhängigen,
sondern in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre
weitreichende Angriffe auf die Verstaatlichte
Industrie und ihre Beschäftigten, die von der SPÖ
selbst gegen ihre eigene Basis durchgeführt wurde.
Die Haider-FPÖ schaffte es, angesichts des Fehlens
von klassenkämpferischen Kräfte in der
Arbeiter/innen/klasse, sich zunehmend als die
Opposition gegen diese Entwicklungen in Szene zu
setzen. Waren anfänglich vor allem
ÖVP-Anhänger/innen zur FPÖ gewechselt, waren es nun
auch immer enttäuschte SPÖ-Wähler/innen - die
Haider mit positiven Bezügen auf Kreisky auch
gezielt bediente.
Gleichzeitig bediente Haider aber auch das
deutschnationale und rechtsextreme Lager. 1988
bezeichnete er in einem Interview die
österreichische Nation als "ideologische
Missgeburt", was die kalkulierte Empörung in der
Öffentlichkeit des staatstragenden medialen und
politischen Establishments auslöste. 1991 sprach er
von "ordentlicher Beschäftigungspolitik" der Nazis,
was ihm in Kärnten die Unterstützung der ÖVP und
damit den Posten als Landeshauptmanns kostete. 1995
hielt er eine Rede vor Veteranen der Waffen-SS, die
er als "anständige Menschen" mit Charakter
bezeichnete und dafür lobte, dass sie "ihrer
Überzeugung bis heute treu geblieben sind". Bei
Haider fanden sich auch die traditionelle
antislawische Frontstellung (gegen Slowen/inn/en
oder Serbien) sowie zahlreiche antisemitische Töne.
Letztere waren auch mit einer ausgeprägten
pro-arabischen Linie verbunden: Er bereiste den
Irak und Libyen, Ägypten, Kuwait und Syrien. Mit
einem Gaddafi-Sohn verband ihn eine
freundschaftliche Beziehung. Im Jahr 2007
unterstützte Haider als Kulturreferent den
„Türkisch Islamischen Verein für kulturelle und
soziale Zusammenarbeit in Villach“ mit 10.000 Euro.
Und er war ein prominenter Befürworter eines
EU-Beitritts der Türkei.
Regierungsbeteiligung und Zusammenbruch
Die Nationalratswahlen 1999 bedeuteten für die FPÖ
und die 2. Republik einen Einschnitt. Die FPÖ
erreichte mit sozialer Demagogie und
mit Unterstützung guter Teile der Lohnabhängigen
26,9 Prozent und damit genauso viele Stimmen wie
die ÖVP und bildete mit ihr eine Rechtsregierung.
Kanzler wurde Wolfgang Schüssel von der ÖVP, Haider
musste sich im Hintergrund halten, um "das Ausland"
(also das politische und mediale Establishment der
EU) nicht zu verschrecken. Gestartet wurde ein
rabiater Angriff auf die Arbeiter/innen/klasse: Die
Privatisierungen der VOEST, der VA-Tech und von
Böhler-Uddeholm (an Konzerne mit besten
Regierungsverbindungen wie Raiffeisen und Siemens)
wurden über die Bühne gebracht. Neben diversen
anderen "Einsparungen" im Sozialbereich gab es
massive Verschlechterungen im Bereich der Pensionen
und gleichzeitig eine weitere Steuerentlastung für
das Großkapital; die berüchtigte Gruppenbesteuerung
bedeutet, dass Konzerne (angebliche) Verluste im
Ausland von Gewinnen in Österreich abziehen können
und so oft kaum Steuern zahlen. Obwohl die
Gewerkschaften diesen Angriffen keinen konsequenten
Widerstand entgegen setzten, wurde doch vielen
Arbeiter/inne/n, die FPÖ gewählt hatten, klar, dass
diese Partei Politik gegen ihre Interessen macht.
Dramatisch sinkende Umfragewerte brachten die
FPÖ-Führung in eine Zwickmühle: Wollte sie in
der Regierung bleiben, müsste sie die Angriffe auf
die Bevölkerung weiter mittragen und weiter an
Sympathie verlieren. Würde sie auf eine andere
Linie drängen, würde das an der ÖVP scheitern
und viele lukrative Posten kosten. Das wollten
naturgemäß besonders die FPÖ-Regierungsmitglieder
nicht - und ebenso die gesamte "Buberlpartie". Als
Buberlpartie wurden die jungen, halbpolitischen
Glücksritter im Umfeld Haiders bezeichnet, die über
den Aufstieg der FPÖ Karriere machen wollten und
von denen die meisten später wegen diversen
Korruptionsskandalen vor Gericht standen
(insbesondere Karl-Heinz Grasser, Peter
Westenthaler, Gernot Rumpold und Walter
Maischberger, aber auch Gerald Mikscha, Franz
Koloini und Stefan Petzner).
Haider versuchte in dieser Situation die Quadratur
des Kreises, indem er ultimativ eine Steuersenkung
für die arbeitende Bevölkerung einforderte. Der von
ihm in diesem Zusammenhang 2002 initiierte
außerordentliche Parteitag in Knittelfeld führte
zum Rücktritt von FPÖ-Vizekanzlerin Susanne
Riess-Passer, von Finanzminister Grasser und
Klubobmann Westenthaler, also genau den Figuren,
die in der Regierung besonders mit der ÖVP
zusammengewachsen waren. In den darauf folgenden
Neuwahlen erlitt die FPÖ eine dramatische
Niederlage und kam nur noch auf 10,0 Prozent; in
die neuerliche Regierung mit der ÖVP ging sie
massiv geschwächt. Grasser blieb als ÖVP-naher
Finanzminister erhalten.
Als die FPÖ 2004 bei den EU-Wahlen 17,1 Prozent
verlor und bei mageren 6,3 Prozent landete, war in
der Partei endgültig Feuer am Dach. Es entwickelte
sich ein Richtungskampf: Auf der einen Seite
standen Regierungsmitgliedern (darunter Haiders
Schwester Ursula Haubner), Parlamentsklub und
Buberlpartie, denen es vor allem um Posten und
Einfluss ging und die in der Folge zu jeder
Kapitulation vor der ÖVP bereit waren. Auf der
anderen Seite standen die politischeren
Traditionalist/inn/en der FPÖ, denen es mehr um die
Partei, den Erhalt oder Wiederaufbau der
Anhänger/innen/schaft und ihre politischen
Grundsätze ging; zu ihnen gehörten insbesondere der
deutschnationale Publizist und Parteitheoretiker
Andreas Mölzer und der junge Obmann der
Landespartei Wien Heinz-Christian Strache.
Haider spielte lange eine schwankende Rolle,
entschied sich aber schließlich für Seite der
Regierungsmitglieder und des Parlamentsklubs. Als
2005 ein geplanter Ausschluss des Kritikers Mölzer
scheiterte und sich abzeichnete, dass Strache mit
guten Chancen gegen Haubner um die Parteiführung
antreten würde, ergriff Haider die Flucht nach
vorne und gründete das Bündnis Zukunft Österreich
(BZÖ). Unterstützt wurde er von sämtlichen
FPÖ-Regierungsmitgliedern, dem geschlossenen
Parlamentsklub und fast der gesamten Kärntner
Landespartei. Das BZÖ erhielt bei den
Nationalratswahlen 2006 4,1 Prozent der Stimmen,
2008 immerhin 10,7 Prozent, nach Haiders Tod 2008
versank das BZÖ in der Bedeutungslosigkeit. Für die
FPÖ begann 2005 eine Phase der Neuformierung und
des Wiederaufstieges.
Neuformierung und Wiederaufstieg
Außer Kärnten, Haiders Hausmacht, ging keine
FPÖ-Landesorganisation den Weg zum BZÖ mit. Acht
Landesorganisationen erklärten, mehr oder weniger
geschockt von der Spaltung, ihre Loyalität zur
bisherigen Partei beziehungsweise zum
traditionalistischen Flügel. Nach dem Abgang der
Parlamentarier/innen und der
Haider-Karrierist/inn/en stand die FPÖ mit einer
ziemlich geschwächten Führung da. Spielten
anfänglich noch altgediente Kader wie Mölzer oder
Hilmar Kabas eine wichtige Rolle, so übernahm bald
eine neue Generation die Führung. Neben Strache
sind da vor allem Herbert Kickl (der parteiintern
lange als "Sozialist" galt), Harald Vilimsky und
Norbert Hofer zu nennen, allesamt aus einfachen
Verhältnissen, allesamt keine Akademiker, allesamt
ideologisch gefestigte Funktionäre, die damals erst
Mitte/Ende 30 waren. Strache diente als
Gallionsfigur, Kickl als Wahlkampforganisator und
Stratege, Vilimsky als Tagespolitiker und Hofer
(gemeinsam mit Mölzer) als Mann von Programm und
politischer Ausrichtung.
Diese Rest-FPÖ bemühte sich - im Kampf um die
Wiedergewinnung der verlorenen Wähler/innen - um
eine Abgrenzung von der FPÖ-Regierungspolitik, von
den Sparmaßnahmen, von der gierigen Buberl-Partie
und von Haiders teilweise beliebigem Populismus und
seinem Glamour-Faktor. Strache wurde von den Medien
lange als schlechte Haider-Kopie verspottet,
weniger charismatisch, weniger intellektuell,
weniger rhetorisch brillant. Strache mag
tatsächlich weniger geschickt im medialen Auftritt
sein, er ist definitiv der bessere Parteiführer. Im
Gegensatz zu Chaos, Karrierist/inn/en und
wechselnden Buberln setzten Strache und Co. auf
eine stabile Personalpolitik in der Führung. Im
Gegensatz zu Haiders oftmaligen Schwenks
präsentierte sich die politisch zusammengeschweißte
Vierergruppe Strache, Kickl, Vilimsky und Hofer als
prinzipientreu und gleichgültig gegenüber dem
medialen Establishment. Und sie betreiben seit
vielen Jahre konsequente Themensetzung: nämlich vor
allem die sich durch Zuwanderung ändernde ethnische
Zusammensetzung der Bevölkerung und damit in
Zusammenhang gesetzte soziale Fragen. Der
Kernbegriff der FPÖ ist, wie Kickl zu Recht
betont, seit 2005 "soziale Heimatpartei". Gezielt
und systematisch wurde unter der
Arbeiter/innen/schaft geworben, Strache bezeichnete
die FPÖ als "die Erben von Kreisky" und Hofer
richtete der unzufriedenen SPÖ-Basis aus, dass in
der FPÖ "Freundschaft noch ein Wert" sei.
Auf dieser Grundlage gelang der FPÖ unter der
Obmannschaft Straches ein koninuierlicher Aufstieg.
Bei den ersten Nationalratswahlen 2006 konnten die
vorherige Talfahrt zumindest umgedreht und 11,0
Prozent der Stimmen erreicht werden. 2008 waren es
schon 17,5 und 2013 dann 20,5 Prozent. Bei den
Landtagswahlen im Jahr 2015 erzielte die FPÖ in der
Steiermark 26,8, in Oberösterreich 30,4 und in Wien
30,8 Prozent. Bei der Bundespräsidentschaftswahl
2016 kam Norbert Hofer im ersten Wahlgang auf 35,1
Prozent, von den Arbeiter/innen hat die deutliche
Mehrheit (angeblich 72 Prozent) für ihn gestimmt.
In der (wegen Unregelmäßigkeiten ungültigen)
Stichwahl schaffte er sogar 49,7 Prozent; ein
unglaubliches Ergebnis für den Kandidaten einer
ehemaligen Kleinpartei. Das gilt auch für die
schließlich gültige Stichwahl, bei der Hofer gegen
massiven politischen, ökonomischen und medialen
Druck des in- und ausländischen Establishments 46,2
Prozent der Stimmen erhielt.
FPÖ,
Arbeiter/innen/klasse und Großkapital
Unter den Arbeiter/innen, die nicht türkischer,
sondern südosteuropäischer oder österreichischer
Herkunft sind, haben wohl zwischen 80 und 90
Prozent für Hofer gestimmt. Auch von den
Angestellten stimmte ein großer Teil für Hofer. Für
etliche war bei ihm sicher auch ansprechend, dass
er am deutlichsten gegen die Freihandelsabkommen
CETA und TTIP auftritt und mehr direkte Demokratie
in Form von Volksabstimmungen fordert. Vor allem
aber sahen viele Lohnabhängige in der Wahl Hofers
die einzige Möglichkeit, gegen die Asylpolitik der
letzten Monate und ihre Auswirkungen ein Zeichen zu
setzen. Nur in zwei relevanten Gruppen der
Arbeiter/innen/klasse ist die FPÖ heute nicht in
der Mehrheit; das sind die türkisch-stämmigen
Arbeiter/innen und das sind die
Öffentlich-Bediensteten.
Noch ist die Unterstützung für die FPÖ in der
Arbeiter/innen/klasse überwiegend eine auf
Wahlebene. Aber unter den zehntausenden neuen
Mitgliedern der FPÖ sind auch viele Arbeiter/innen.
Auf der Ebene der betrieblichen und
gewerkschaftlichen Vertretung ist die FPÖ zur Zeit
noch relativ schwach; nennenswerte Strukturen
existieren da nur in wenigen Bereichen, etwa bei
der Polizei, aber auch im Gesundheitswesen (wo sich
FPÖ-nahe Personalvertreter/innen teilweise stark
auf Beschäftigte aus Ex-Jugoslawien stützen). Das
kann sich aber durchaus ändern; erinnert sei an die
industrielle Verankerung des VdU.
Mit der Abspaltung des BZÖ hat die FPÖ die direkte
Unterstützung von Großkapitalist/inn/en weitgehend
verloren, etwa den Politiker und Großindustriellen
Thomas Prinzhorn, aber auch die guten Kontakte des
Großgrundbesitzers Haider in dieses Milieu und zur
Wörthersee-Schickeria, und vorher schon die
Seilschaften von Finanzminister Grasser mit
Swarowski & Co. Die große Mehrheit des Großkapitals
unterstützt heute die ÖVP, eine relevante
Minderheit hat gute Beziehungen zur SPÖ (Androsch,
Siemens-Management, etliche Bankiers, die
Gemeinde-Wien-nahen Konzerne...). Die FPÖ gilt dem
(wirtschaftlichen) Establishment als unfein und
primitiv. Die Großkapitalist/inn/en stören sich an
der sozialen Rhetorik der FPÖ und wollen die
"EU-Partner" nicht verschrecken; deshalb
mobilisieren Leute wie der Großkapitalist
Hans-Peter Haselsteiner (ehemals Liberales Forum),
der EU-Bonze Ottmar Karas (ÖVP) oder Brigitte
Ederer (SPÖ), Ex-Generaldirektorin von Siemens
Österreich und heute im Aufsichtsrat von ÖBB,
Boehringer Ingelheim, Infineon, Schoeller-Bleckmann
und Wien-Holding, so massiv gegen die FPÖ.
Die FPÖ, die in den letzten Jahren nur die
Unterstützung von Kleinunternehmer/inne/n hatte,
versucht dem entgegenzuwirken, besonders in
Oberösterreich, wo sie gewisse Kontakte zu Joachim
Haindl-Grutsch von der Industriellenvereinigung
herstellen konnte. Und Hofer bemüht sich über den
konservativen Unternehmer, ÖVPler und Adeligen
Norbert van Handel um Kontakte zur herrschenden
Klasse. Denn der FPÖ ist klar, dass sie, wenn sie
in absehbarer Zeit regieren will, auch ein
Wohlwollen des Kapitals braucht. Umgekehrt ist den
Großindustriellen und Banken auch klar, dass sie
über kurz oder lang an der Partei, die die stärkste
Unterstützung in der Bevölkerung hat, nicht vorbei
kommen. Diese starke Unterstützung macht die FPÖ
auch zunehmend interessant für die
Kapitalist/inn/en, könnten sie doch Bedarf an einem
neuerlich verschärften Angriff auf die
Lohnabhängigen haben (wie schon unter Schüssel ab
dem Jahr 2000). Die Frage ist nur, ob die jetzige,
politisch gefestigtere Führung der FPÖ so dumm ist,
sich so vorführen zu lassen wie Haider und seine
Buberln vor 15 Jahren. Gut möglich, dass Leute wie
Mölzer, Strache, Hofer und Kickl von damals gelernt
haben - und viel mehr Gegenleistungen zur Sicherung
der Partei verlangen. Andererseits werden sich die
Großkapitalist/inn/en die Angelegenheit einiges
kosten lassen und die Verlockungen von Macht und
Geld werden auch für die heutige FPÖ-Führungen groß
sein.
Antislawische und antisemitische Linie entsorgt
Schon seit den 1960er Jahren gab es in der so
genannten "Neuen Rechten" theoretische
Neuentwicklungen, die sich teilweise auch auf den
Marxisten Antonio Gramsci und sein Konzept der
"kulturellen Hegemonie" bezogen. So propagierte
etwa die Zeitschrift "Junge Kritik" um Henning
Eichberg in Abgrenzung zum Nazi-Rassismus ein
Konzept des "Ethnopluralismus"; alle Nationen und
Völker seien gleichwertig, sollten aber ihre
Eigenarten behalten und sich nicht übermäßig
vermischen. Solche Theoriezirkel wie die um
Eichberg entwickelten eine Kritik am Nazi-Mythos
von der „nordischen Rasse“, der zu einer Spaltung
der „europiden Rasse“ und zu einem verhängnisvollen
Kampf mit den Slaw/inn/en geführt hätte.
Stattdessen begann man sich an US-amerikanischen
rassistischen Konzepten auszurichten, denen es um
eine „weiße Rasse“ geht. Und Eichberg & Co. wiesen
den Antisemitismus als fatalen Ausschluss der
jüdischen Deutschen aus der Nation zurück. Diese
Konzepte waren jahrzehntelang unter europäischen
"Patrioten" randständig, gewannen aber seit der
Jahrtausendwende an Einfluss, auch in Österreich,
sowohl bei den "Identitären" als auch bei der FPÖ.
Bei der FPÖ war es der langjährige
Parteitheoretiker Mölzer, der in diesen Fragen eine
Neuausrichtung einleitete, indem er etwa ausführte,
dass die Differenzen zwischen Serbien und
Österreich/Deutschland historische Details gewesen
und längst überwunden seien und es heute um eine
gemeinsame Verteidigung der europäischen Kultur
gegen Islamisierung gehe. Strache trägt seit Jahren
die Brojanica, ein serbisches Armband. Dass es
dabei nur um serbische Wähler/innen/stimmen geht,
greift sicherlich zu kurz; was hier
stattfand/findet, ist eine strategische
Neuausrichtung. Das zeigt auch der - in einer
NS-Tradition undenkbare - positive Bezug der FPÖ
auf Russland, der besonders vom Johann Gudenus
forciert, aber von Strache, Kickl und Hofer
unterstützt wird. Und das zeigen die Besuche von
Hofer in Tschechien, Kroatien und Serbien. Gegen
Globalisierung, Amerikanisierung, außereuropäische
Zuwanderung und Multikulturalismus, gegen Obama,
Clinton, Juncker und Merkel werden die slawischen
Länder und insbesondere Russland als Verbündete bei
der Verteidigung der europäischen nationalen
Identitäten und der europäischen Kultur gesehen.
Im
selben Zusammenhang ist die von der Strache-FPÖ (im
Gegensatz zur alten Haider-Linie) demonstrative
Zurückweisung von Antisemitismus zu sehen. In
diesem neu-rechten Konzept werden die
Juden/Jüdinnen als wichtiger Teil der europäischen
Kulturtradition und der Aufklärung gesehen (und
Israel von manchen als Vorposten der europäischen
Zivilisation im Orient). Gegen das Vordringen von
Islam, Islamismus und anderen "rückständigen"
außereuropäischen Kulturen sind die Juden/Jüdinnen
und Israel dann natürliche Verbündete. In diesem
Sinne sind die Verurteilung von Antisemitismus und
die Hinwendung zu Israel seitens der FPÖ keineswegs
irgendein Bluff, sondern ebenfalls eine
strategische und ernst gemeinte Linie. In diesem
Zusammenhang sind die Besuche von Strache und Hofer
in Israel zu sehen - und erst recht die gemeinsame
November-Pogrom-Gedenkveranstaltung mit dem
israelischen Geheimdienstler Rafael Eitan, der 1960
führend an der Festnahme von Adolf Eichmann in
Argentinien beteiligt war. Eine solche
Gedenkveranstaltung zu Ehren der jüdischen
Nazi-Opfer wäre unter Haider undenkbar gewesen.
Aussöhnung mit Kirche und Adel?
Die Entsorgung von antislawischen und antijüdischen
Ressentiments aus dem Arsenal des "dritten Lagers"
ist eine substantielle und „fortschrittliche“
Veränderung. Im Gegensatz dazu gab es bei der FPÖ
in anderen Fragen aber auch einige Schritte in eine
reaktionäre Richtung: nämlich eine massive
Aufweichung der traditionellen deutschnationalen
Ablehnung gegenüber Kirche und Monarchie. Strache
trat schon vor Jahren zur Verteidigung des
Abendlandes mit dem Kreuz in der Hand in einem
Wahlkampf auf. Hofer präsentierte sich in den
letzten Monaten als christlicher Kandidat mit dem
Slogan "so wahr mir Gott helfe". Hofers
Kooperationspartner van Handel ist ein
ausgesprochener Monarchist und auch die
aktionistischen "Identitären", die bei Wahlen die
FPÖ unterstützen, beziehen sich positiv auf die
Babenberger, auf Maria Theresia und Kaiser
Franz-Josef, den Schlächter der deutschen
Volksrevolution von 1848.
Diese rückschrittlichen Dinge stehen natürlich auch
in Zusammenhang mit der Generallinie der
FPÖ-Verteidigung der europäischen Kultur und
Tradition, bei der man dann bei Kirche und Adel
landet. Logisch zwingend ist das keineswegs, denn
die FPÖ könnte sich bei dieser Verteidigung auch
auf die Bauernkriege und die Revolution von 1848
beziehen, auf Aufklärung, Sozialstaat und Freiheit,
auf die Errungenschaft der Trennung von Kirche und
Staat. Das Gegenmodell zum Totalitarismus des
politischen Islam und zu islamistischen Diktaturen
a la IS, Türkei oder Saudi-Arabien muss nicht
Christentum und Habsburger, sondern könnte auch
Demokratie und Säkularisierung sein. Diese Dinge
sagt die FPÖ sicherlich auch, aber sie hat in den
letzten Jahren doch verstärkt auch diese
konservativen Botschaften ausgesandt. Ob es dabei
nur um ÖVP-Wähler/innen/stimmen und um Kontakte zu
konservativen Unternehmer/innen geht oder ob es
sich dabei um eine ernsthafte Neuausrichtung des
"dritten Lagers" handelt, ist noch offen.
Ist die FPÖ faschistisch?
Tausende FPÖ-Plakate wurden und werden landauf
landab mit Hitler-Bärtchen auf den Kandidaten oder
Aufschriften wie "Nazi" verziert. SPÖ- und
Grüne-Politiker/innen und diverse "Prominente"
bringen die FPÖ mit Andeutungen oder offen mit der
NSDAP in Verbindung. Sind solche Dinge richtig und
sinnvoll? Offensichtlich nicht, denn diese Dinge
haben seit Jahren nicht den Aufstieg der FPÖ
aufgehalten und sie tragen zur Vernebelung des
politischen Verständnisses bei. Aber war nicht
Strache als Jugendlicher offenbar mal bei einer
Wehrsportübung dabei? Das ist kein brauchbares
Argument zur Charakterisierung einer Partei oder
einer Politik - in dieser Logik müsste man die
pro-NATO-Politik des ehemaligen grünen
Außenministers Joschka Fischer (inklusive Angriff
auf Jugoslawien) als anarchistisch kategorisieren,
weil Fischer als Jugendlicher in Frankfurt
anarchistischer Steinewerfer war; in dieser Logik
müsste man die neoliberale Politik des
französischen Regierungschefs Lionel Jospin als
trotzkistisch bezeichnen, weil er als junger Mann
bei einer Organisation mit trotzkistischem Anspruch
war. Das ist offensichtlich Unsinn.
Der politische Charakter einer Partei oder
Organisation bestimmt sich über ihre Programmatik
(solange sie nicht völlig von der tatsächlichen
Politik losgelöst ist, wie das bei der SPÖ lange
der Fall war) und vor allem über ihre politische
Praxis. In der Programmatik distanziert sich die
FPÖ ganz eindeutig und immer wieder vom NS-Regime.
Aber ist das nur Fassade? Was ist mit der Praxis
der FPÖ? An dieser Stelle ist es notwendig zu
definieren, was eine faschistische Partei ausmacht:
Im Unterschied zu einer normalen rechten Partei
greift eine faschistische Strömung die
bürgerlich-demokratische Ordnung ganz offen an. Und
vor allem setzen faschistische Partei nicht in
erster Linie auf Wahlen, sondern auch und besonders
auf paramilitärische Verbände zur Terrorisierung
von politischen Gegner und vor allem der
Arbeiter/innen/bewegung. Es handelt sich um
kleinbürgerliche Massenbewegungen, die im Interesse
des Großkapitals gegen eine kämpferische
Arbeiter/innen/klasse eingesetzt werden. Historisch
waren das Mussolinis Schwarzhemden, Hitlers SA und
NSDAP oder die Heimwehren in Österreich. Aktuell
sind das die NPD in Deutschland, Jobbik in Ungarn
oder Chrysi Avgi in Griechenland. Die politische
Praxis der FPÖ ist eine andere, sie orientiert sich
auf Wahlerfolge innerhalb des politischen Systems.
Aber könnte nicht einmal aus der FPÖ eine
faschistische Partei werden? Grundsätzlich ja, denn
so ziemlich jede bürgerliche Partei hat dieses
Potential; man denke etwa an die Christlichsozialen
in Österreich, aus denen der Austrofaschismus
entstanden ist. Aber aus einer solchen diffusen
Möglichkeit eine politische Einschätzung der
Gegenwart abzuleiten, taugt einfach nichts. Wenn
man die FPÖ als faschistisch bezeichnet, müsste man
ja die Konsequenz ziehen, dass in Kärnten unter
Haider (dessen Verhältnis zum Nationalsozialismus
deutlich widersprüchlicher war als das der heutigen
FPÖ-Führung) der Faschismus an der Macht war oder
dass das heute in Oberösterreich und im Burgenland
teilweise der Fall sei. Die Kategorisierung der FPÖ
als faschistisch, eine solch inflationäre
Verwendung des Nazi-Begriffs bedeutet auch nichts
anderes als eine Verharmlosung von wirklichem
Faschismus und des NS-Regimes. Wenn Manuel Barroso
den FPÖ-Vorschlag von Auffanglagern für Flüchtlinge
an den EU-Außengrenzen nach dem australischen
Modell mit den mörderischen
Nazi-Konzentrationslagern gleichsetzt, dann ist das
ein demagogischer und geschmackloser politischer
Missbrauch. Und schließlich sind Leute, die mit der
FPÖ eine faschistische Gefahr vor der Tür sehen,
nicht zu einer treffenden Einschätzung der
politischen Situation in der Lage. Das Großkapital
hat heute in Österreich oder Deutschland überhaupt
keinen Bedarf an einem faschistischen Regime, weil
es ohnehin keine kämpferische
Arbeiter/innen/bewegung gibt, die seine Macht und
seinen Reichtum bedroht. Aktuell kommt die
herrschende Klasse zur Not locker mit der
Verhängung eines Ausnahmezustandes (wie von
Francois Hollande in Frankreich) aus.
Sonstige falsche Kritik an der FPÖ
Wenn die FPÖ nicht faschistisch ist, ist dann nicht
zumindest rechtsextrem? "Rechtsextrem" ist ein sehr
diffuser Begriff, der viel oder nichts bedeuten
kann. In der Frage der Zuwanderung nach Österreich
ist die FPÖ sicherlich die restriktivste von den
österreichischen Parlamentsparteien und die FPÖ
betont stärker als andere Parteien solche Konzepte
wie Nation und Kulturtradition, aber es wäre
fragwürdig, eine politische Zuordnung nur nach
diesen Fragen vorzunehmen. Bezüglich TTIP und CETA
und generell in der Willfährigkeit gegenüber Banken
und Großkonzernen sind ÖVP und NEOS zweifellos
"rechter" als die FPÖ. Bezüglich Monarchie, Kirche
und auch in Geschlechterfragen war die FPÖ
jahrzehntelang liberaler als die ÖVP; das hat sich
erst zuletzt graduell verändert.
Vertritt nicht die FPÖ einen
völkisch-biologistischen Rassismus? Das stimmt für
die FPÖ als Partei seit langem nicht mehr und
findet sich in keiner relevanten FPÖ-Publikation.
Von der Führung Strache, Hofer, Kickl und Vilimsky
wird man in den letzten Jahren keine solche Aussage
finden, es wird aber sicherlich den einen oder
anderen Funktionär oder Anhänger geben, der in
"Rassen" denkt und "Neger" "primitiv" oder "dumm"
findet. Und selbst Mölzer ist bei einer
Podiumsdiskussion im Frühjahr 2014 bei einer seiner
launigen Formulierungen der Ausrutscher passiert,
dass er die EU als "Negerkonglomerat" bezeichnet
hat. Das bedeutete selbst für den langjährigen
Oberideologen der Partei das politisches Ende - in
Absprache mit Strache und Kickl legte er all seine
Parteifunktionen zurück (anders als beim Konflikt
mit Haider 2005 wohl freiwillig, aus Einsicht, dass
er "seinem" politischen Projekt der "FPÖ neu" unter
Strache schaden würde). Die FPÖ argumentiert nicht
mit "Rasse" und "Biologie", sondern mit
europäischer Kultur und Tradition, die es zu
verteidigen gelte.
Der
größte Fehler vieler so genannter "Linken" ist
aber, dass sie sich, infiziert von der eigenen
moralisierenden Panikmache bezüglich der FPÖ, in
ein Boot setzen mit Großkapitalisten und
EU-Lobbyisten, mit Regierungspolitiker/inne/n und
Medienestablishment. Der Großteil der
entscheidenden Gruppen, die sich zuletzt hinter
Alexander van der Bellen versammelt haben, sind
genau diejenigen, die seit Jahren und Jahrzehnten
die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen immer
weiter verschlechtern und bedrohen. Das gilt für
Großkapitalisten wie Haselsteiner, der von der
Teilprivatisierung der Bahn profitiert. Das gilt
für Managerinnen wie Ederer, die als
Generaldirektorin von Siemens Österreich dafür
verantwortlich war, dass in den Siemens-Werken
immer mehr Beschäftigte als Leiharbeiter/innen
schuften müssen. Das gilt für den ÖVP-Vizekanzler
Reinhold Mitterlehner, der der Gewährsmann für
Banken und Großkonzerne in der Regierung ist. Das
gilt für die "linke" SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely,
die im Gesundheitswesen Wien die Arbeitsbedingungen
für die Beschäftigten immer katastrophaler gemacht
hat. Das gilt für die EU-Politiker Jean-Claude
Juncker und Martin Schulz, die die
arbeiterfeindliche Politik der EU seit Jahren
anführen und jetzt van der Bellen unterstützen. Und
das gilt für die breite Front aus sehr
anti-FPÖ-parteiischen Journalist/inn/en und
Künstler/innen, die es sich mit Subventionen etc.
im herrschenden System bequem eingerichtet haben
und jetzt die Bevölkerung vor Hofer gewarnt haben.
Eine "Linke", die an dieser Front auch nur
anstreift oder sich sogar in diese Front einreiht,
verhält sich wie ein Anhängsel des Establishments
und wird von der arbeitenden Bevölkerung zu Recht
auch so wahrgenommen. Eine solche "Linke" verspielt
ihren Anspruch auf Politik im Interesse der
Ausgebeuteten und Unterdrückten und sie ist zu
Recht unter den Lohnabhängigen hoffnungslos
verloren.
Hinter dieser Ausrichtung steht letztlich die
Arroganz der akademischen Mittelschichten und den
mit ihr verbundenen Szene-Linken, die auf die
FPÖ-wählenden "Proleten" hinabblicken, weil sie
"dumpf", "primitiv", politisch unkorrekt und
ungebildet seien (und laut einer "linken"
Profil-Journalistin auch "hässlich"). Die
Arbeiter/innen werden geringschätzig als
"Modernisierungsverlierer" kategorisiert (die eben
nicht so cool sind wie studierte und "kreative"
Jobs Wissenschaft und Kunst). In einer
städtisch-akademischen Borniertheit werden die
Einwohner/innen ländlicher Regionen oftmals als
Hinterwäldler hingestellt, die nicht so
flüchtlingsfreundlich seien, weil sie eben keine
Flüchtlinge kennen würden und "Angst vor dem
Fremden" hätten. Mit ihren medialen und anderen
Ausdrucksmöglichkeiten dozieren und urteilen die
akademischen Linken über den "Pöbel" und wundern
sich dann, wenn der dann nichts mehr von ihnen
wissen will und sich andere Ausdrucksformen sucht.
Angetrieben sind die liberalen und "linken"
Mittelschichten wohl von einem unbewussten
Klassenhass: Sie zelebrieren ihren Lifestyle mit
Bioprodukten, Gender Mainstreaming und Refugee
Welcome, sie nehmen sich Zeit für Rucksackreisen,
auf denen sie absolute Armut besichtigen, verachten
aber die Menschen, die in Österreich in relativer
Armut leben – und empören sich zum Teil sogar über
deren Einkäufe beim Discounter. Wenn die linken
Akademiker/innen sich ihre Privilegien bewusst
machen, dann nur im Vergleich mit Minderheiten oder
Menschen aus den schlimmsten Elendsgebieten dieser
Welt. Wer in Österreich "nur" aufgrund seiner
sozialen Herkunft benachteiligt ist, ist für sie
offenbar selbst schuld an seiner Lage.
Richtige Kritik an der FPÖ
Das erste, was klassenkämpferische Aktivist/inn/en,
die nicht zum Anhängsel des herrschenden
Establishments werden wollen, tun müssen, ist eine
unaufgeregte Einschätzung der Lage und der FPÖ. Sie
müssen aufhören, aus politischer Hilflosigkeit
hysterisch mit der Nazi-Keule herumzufuchteln, und
zur Kenntnis nehmen, dass das falsch, unglaubwürdig
und unwirksam ist. Sie müssen damit Schluss machen,
die gesamte Politik ausschließlich über die Fragen
von Rassismus und plakativem "Antifaschismus" zu
betrachten. Sie müssen bereit sein, auch
anzuerkennen, wenn sich FPÖ-Positionen positiv
verändern (z.B. Abkehr von antisemitischen und
antislawischen Haltungen), und kritisieren, wenn
die FPÖ konservative Positionen (wie zur Kirche)
einnimmt, und nicht darüber hinwegsehen, weil man
die Kirche heute als Bündnispartner in der großen
anti-FPÖ-Front des Establishments ansieht.
Das vielleicht Wichtigste ist zu verstehen, warum
sich die große Mehrheit der Arbeiter/innen zuletzt
der FPÖ zugewandt hat. Der Hauptgrund ist, dass die
österreichische Linke seit Jahrzehnten dabei
versagt hat, eine Politik in der und für die
Arbeiter/innen/klasse zu entwickeln, dass diese
Linke akademisch und subkulturell abgehoben und mit
dem Establishment verwoben ist, dass sie mit dem
sozialen und kulturellen Leben einfacher
Lohnabhängiger (in den Städten und noch mehr in den
ländlichen Industrieregionen) nichts zu tun hat,
dass sie ihre eigene subkulturell und
politisch-korrekt codierte Sprache spricht und dass
die FPÖ offensichtlich in der Wahrnehmung der
Arbeitenden viel näher dran ist an ihrer Kultur und
an ihren Sorgen. Statt die Arbeiter/innen arrogant
und moralisierend zu schulmeistern, müsste eine
Linke, die Politik für die Unterdrückten ernst
meint, endlich beginnen den Lohnabhängigen
zuzuhören.
Die deutliche Mehrheit der Arbeiter/innen hat bei
den Bundespräsidentschaftswahlen für den
FPÖ-Kandidaten gestimmt – aus politischer Notwehr
gegen ein Globalisierungsestablishment, das in den
letzten 17 Jahren die Reallöhne der Arbeiter/innen
um 13 Prozent gesenkt hat, während das
Bruttoinlandsproduktion im selben Zeitraum um 50
Prozent gestiegen ist und der Wert der in Wien
börsennotierten Konzerne um 90 Prozent. Die
Arbeiter/innen wenden sich der FPÖ zu, weil diese
als die einzige Kraft erscheint, die sich mit dem
Establishment anlegt, die vom Establishment dafür
gehasst wird und mit deren Wahl man sichtbar eine
Ablehnung gegenüber der herrschenden Politik, die
die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen immer
weiter verschlechtert, artikulieren kann. Daran
müssen klassenkämpferische Aktivist/inn/en ansetzen
und mit den Arbeitenden darüber sprechen, was sie
von der Wahl der FPÖ konkret erwarten, welche
Änderungen der Arbeits- und Lebenssituation
notwendig ist und ob die FPÖ tatsächlich eine
solche Politik machen wird. Die Lohnabhängigen
müssen spüren, dass die Aktivist/inn/en auf ihrer
Seite sind und nicht auf der Seite des
Establishments.
Auch wenn die meisten Arbeiter/innen FPÖ wählen und
auch wenn in den letzten Jahren immer mehr einfache
Lohnabhängige Mitglieder bei der FPÖ geworden sind,
so bleibt die FPÖ dennoch eine bürgerliche Partei.
Sie baut kaum betriebliche oder gewerkschaftliche
Interessensvertretungen der Beschäftigten auf, um
ihre Position im Kampf mit den Managements zu
verbessern, sie organisiert die Arbeiter/innen
nicht als Arbeiter/innen um ihre Interessen,
sondern als Staatsbürger/innen um Interessen von
Staat und Nation. Sie ist eine Partei, die für den
Kapitalismus eintritt, lediglich in einer weniger
globalisierten und mehr nationalstaatlich
regulierten Art und Weise. Forderungen für mehr
Personal im Gesundheitswesen, für höhere
Mindestlöhne, für eine Abschaffung von Leiharbeit,
für eine Senkung des Arbeitsdrucks in den Fabriken
oder für eine höhere Besteuerung der Großkonzerne
finden sich entweder nicht im FPÖ-Programm oder sie
spielen in der Politik der Partei keine Rolle. Im
Gegenteil forderte die FPÖ immer wieder eine
Senkung der Besteuerung "der Unternehmen", wodurch
die Konzerne noch weniger zahlen und womöglich noch
massivere Einsparungen im Gesundheits- und
Sozialbereich "notwendig" werden. Und die FPÖ
bemüht sich um eine Verbesserung ihrer Beziehungen
zur Industriellenvereinigung und pflegt Kontakte zu
konservativen Unternehmer/inne/n wie van Handel.
Und deshalb wird die FPÖ auch nicht zu einer
konsequenten Kritik an der neoliberalen
Globalisierung und an der Politik der Großkonzerne
in der Lage sein, weil sie den Rahmen des
kapitalistischen Systems nicht verlassen will und
so auf ein Auskommen mit diesen Konzernen und
Banken angewiesen ist. Das sind die richtigen
Kritikpunkte an der FPÖ, die klassenkämpferische
Aktivist/inn/en in der Arbeiter/innen/klasse
ansprechen sollten.
Und weil die FPÖ in erster Linie in der Logik von
Staat und Nation denkt und nicht an die
Klasseninteressen der lohnabhängigen Bevölkerung
ist sie auch bezüglich der ethnischen
Fragmentierung der Lohnabhängigen zu keiner
richtigen Politik in der Lage, zumindest nicht
gegenüber dem türkischen Teil der
Arbeiter/innen/klasse in Österreich. Ja, die mit
der FPÖ sympathisierenden Lohnabhängigen haben
Recht, dass die Mehrheit der Türkischstämmigen
islamisch-konservativ denkt, und ja, es ist
beschämend, dass die SPÖ in ihrer Gier nach
Machterhalt und Wähler/innen/stimmen mit den
konservativen pro-Erdogan-Vereinen in Österreich
zusammenpackelt. Aber die FPÖ ist auch nicht
bereit, gegenüber der anti-islamistischen und
säkularen Minderheit unter den Türk/inn/en eine
positive Politik zu entwickeln und so einer
nationalen Spaltung der Arbeiter/innen/klasse
entgegenzuwirken. Das ist sie deshalb nicht, weil
für sie nicht die Lohnabhängigen im Vordergrund
stehen, sondern die Nation.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel von
Julia Masetovic
für diese Ausgabe.
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