Nach
der Spaltung der extremen Rechten – Les
Républicains gerieten ins Hintertreffen, die
Stammpartei FN setzt sich durch (doch steckt selbst
in der Krise).
Stand: 31.1.2018
Eine Lehre aus der Geschichte der französischen
extremen Rechten in den letzten vierzig Jahren
bestätigt sich in diesen Tagen erneut. Es erweist
sich einmal mehr, dass Abspaltungen von ihrer
dominierenden Partei – dem Front National (FN) – es
schwer haben. Und dies selbst dann, wenn bislang
führende Köpfe der Partei, Spitzenfunktionäre oder
Chefstrategen derselben den Rücken kehren und ihr
mit Neugründungen Konkurrenz zu bereiten
versuchten. Auf diese Weise scheiterten etwa Bruno
Mégret, der 1998 geschasste
„Generalbevollmächtigte“ und Gründer des noch als
Mikropartei fortbestehenden Mouvement
national républicain (MNR), sowie Carl Lang
mit seiner 2009 gegründeten Zwergpartei Parti
de la France (PdF). Zu sehr hängt das
politische Kapital, das die extreme Rechte in den
letzten Jahren anhäufen konnte, am Parteinamen des
FN als eingeführtem „Markenzeichen“ und nicht an
einzelnen Personen. Selbst dann, wenn sie bislang
führend dabei waren, die politisch-ideologischen
Inhalte zu formulieren.
Auch der Intellektuelle Florian Philippot, bis zum
21. September 2017 Vizevorsitzender des Front
National, seit seinem Austritt Anführer der nunmehr
vom Verein zur Partei umgewandelten Formation „Les
Patriotes“, muss nunmehr diese Erfahrung machen. Am
Sonntag, den 28. Januar 18 fanden die ersten
Teilwahlen – also Nachwahlen für einzelne, durch
erfolgreiche Wahlanfechtungen oder Rücktritte
freigewordene Parlamentssitze – zur französischen
Nationalversammlung statt, an der beide
rechtsextremen Parteien teilnahmen. „Les Patriotes“
setzten gewisse Hoffnungen vor allem auf die
Nachwahl im ostfranzösischen Belfort. Dort trat als
ihre Bewerberin Sophie Montel an, die u.a. dem
Europäischen Parlament und dem Regionalparlament
Bourgogne-Franche-Comté (Burgund und Jura)
angehört. Bei den französischen Regionalwahlen im
Dezember trat sie dort als Spitzenkandidatin an.
Trotz ihres lokalen Bekanntheitsgrads erhielt
Montel jedoch nur 2 Prozent der Stimmen. Ihr
gegenüber erzielte der FN-Kandidat Jean-Raphaël
Sandri 7,5 Prozent, was allerdings einen deutlichen
Einbruch darstellt, denn bei der (gerichtlich
annullierten) vorausgehenden Parlamentswahl im Juni
2017 holte seine Partei im selben Wahlkreis noch
17,5 Prozent. In Pontoise, gut fünfundzwanzig
Kilometer nördlich von Paris, erhielt der FN am
selben Sonntag 10,1 Prozent der Stimmen (im Juni
waren es 15,3 Prozent). Hingegen erhielten „Les
Patriotes“ dort nur 1,6 Prozent.
Ihr Chef Florian Philippot war bis zum Ausgang der,
für den FN im Endeffekt negativ verlaufenen
Präsidentschaftswahlen im April und Mai 2017
faktisch eine Art Sonderberater von Marine Le Pen
gewesen. Er war maßgeblich verantwortlich dafür,
die damalige politisch-ideologische Linie der
rechtsextremen Partei zu definieren. Im Zentrum
standen dabei soziale Demagogie – in Parolen klingt
Philippot oft vermeintlich antikapitalistisch,
obwohl sein Ansatz in Wahrheit auf einem
nationalstaatlichen Keynesianismus beruht, welcher
wirtschaftlichen Aufschwung durch Protektionismus
sowie Lohnerhöhungen verspricht – und die Forderung
nach einem EU-Austritt. Letzterer sei unabdingbar,
um das wirtschafts- und sozialpolitische Projekt
durchsetzen zu können, aber auch, um „wieder
Herr über unsere Grenzsicherung zu werden“.
Nach dem Scheitern der Präsidentschaftskandidatur
Marine Le Pens, und ihrer bis heute in der
Öffentlichkeit nachwirkenden Blamage beim TV-Duell
mit ihrem damaligen Gegenkandidaten Emmanuel Macron
vom 03. Mai 2017, ist diese Linie unter Druck
geraten. Seitdem kommt es innerparteilich beim FN
zu ziemlich starken Verschiebungen. Im Januar
dieses Jahres wurde überdies bekannt, dass Le Pen
bei der mittlerweile berüchtigten Fernsehdebatte –
in allen Berichten über enttäuschte FN-Anhänger
wird die Blamage Marine Le Pens aus diesem Anlass
als Grund für Frustrationen benannt – einem
Strategiepapier folgte, das ihr damaliger Berater
Damien Philippot verfasst hatte. Er ist niemand
anders als der um vier Jahre ältere Bruder Florian
Philippots, dem er bei seinem Parteieintritt
gefolgt war, bevor er ihm ebenfalls zu „Les
Patriotes“ folgte. Bei der TV-Debatte war Marine Le
Pen ebenso aggressiv wie inkompetent erschienen. In
dem Strategiepapier hatte Damien ihr geraten, sich
nicht um wirtschaftspolitische Kompetenz zu
bemühen, da es ohnehin unmöglich sei, dem
Ex-Wirtschaftsminister Macron auf diesem Gebiet den
Rang abzulaufen, sondern ihn jederzeit zu
attackieren.
Die Idee vom EU- und Euro-Austritt wird zunehmend
als unverantwortliche Parole, die einer
konservativen und mittelständischen Wählerschaft
Furcht einflöße, betrachtet. Aber auch die soziale
Demagogie, die das Auftreten des FN seit den 1990er
Jahren prägte - weil die Partei damals davon
ausging, nach dem Ende des sowjetischen Blocks
verschwänden Marxismus und Klassenkampf und
überließen die „soziale Frage“ der
nationalistischen Rechten -, wird immer stärker in
Frage gestellt. Die Parteilinie sei „linkslastig“,
blockiere und verhindere die Annäherung an
konservative Rechte als „natürliche“ Verbündete und
halte Wirtschaftskreise dauerhaft auf Abstand.
Hinzu kommt, dass zwar die Wählerschaft des FN sich
zum Teil aus Angehörigen der sozialen Unterklassen
zusammen, aus Lohnabhängigen und Erwerbslosen,
jedoch die Mitgliedschaft sich umgekehrt wesentlich
stärker aus den Mittelklassen und den so genannten
Eliten rekrutiert. An diesen Bruchstellen sind
nicht erst seit den jüngsten Wahlen, sondern
bereits seit dem ebenfalls als Niederlage
betrachteten Abschneiden des FN bei den
Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 die
Widersprüche innerparteilich voll aufgebrochen.
Am
sichtbarsten ist die Veränderung beim Thema
Europapolitik. So sprach Marine Le Pen erstmals in
einer Rede am 1. Oktober 2017 in Poitiers explizit
davon, Ziel ihrer Partei sei nunmehr nicht länger
der EU-Austritt, sondern, „die EU von innen
heraus zu reformieren“. Anlässlich eines
Fernsehauftritts am 19. Oktober 2017, bei dem sie
erstmals nur geringen Publikumserfolg hatte – die
Zuschauerzahl lag unter zwei Millionen -, zeigte
die FN-Chefin sich dann mehr als vage zum Thema
Haltung zur EU. Diese nicht ganz unwichtige Frage
wischte sie damals mit der Bemerkung „Man
wird sehen!“ zur Seite. Allerdings bleibt
es augenscheinlich bis heute bei einem ziellosen
Eiertanz, den Marine Le Pen bei dieser Frage
vollführt. In ihrem ausführlichen Interview, das
die Pariser Abendzeitung Le Monde in
ihrer Ausgabe vom 27. Januar 18 publizierte,
tänzelt Marine Le Pen bei dem Thema herum.
Einerseits erklärt sie, das Thema Euro-Austritt
habe „keine Priorität“ mehr, da es
offensichtlich in der französischen Bevölkerung
keine ausreichende Unterstützung finde,
andererseits erklärt sie, Frankreich brauche
„seine eigene nationale Währung“. Darauf
hingewiesen, ihre Positionierung sei
widersprüchlich und auf diese Weise nachteilhaft,
antwortet Le Pen: „Sie haben Recht. Aber
diese ganze gefängnishafte Europa ist ein
Nachteil.“ Inhaltliche Klarheit sieht
anders aus…
Philippot an der Spitze seiner neuen Partei nutzt
dies aus, um dem FN lautstark in der Öffentlichkeit
Verrat und „das Aufgeben sämtlicher
Leitideen“ vorzuwerfen. Zwar versucht der
Chef von Les Patriotes, selbst Absolvent der
Elitehochschule ENA, ansonsten auch als sachlich
argumentierende, konstruktive Alternative zu einem
polternden, konzeptlosen und primitiven FN zu
erscheinen. Gleichzeitig klagt er ihn jedoch auch
an, sich vor allem in Sachen EU-Politik einem
„antinationalen Mittelblock“
anzuschließen. An der Regierungsbeteiligung der FPÖ
in Wien kann Philippot ebenfalls nichts Gutes
finden, er erklärte dazu Mitte Dezember bei einem
TV-Auftritt, diese werde „nichts ändern“.
Denn die FPÖ habe die Akzeptanz der EU geschluckt
und sich dadurch politisch unnötig gemacht.
Seine frühere Partei, der Front National, bleibt
dagegen der österreichischen Formation unter
Heinz-Christian Strache verbunden. Allerdings
mutmaßt etwa Le Monde am 15. Dezember
17, die FPÖ könnte die gemeinsame
Europaparlamentsfraktion „Europa der Nationen und
der Freiheiten“ im neuen Jahr verlassen, was ein
notwendiges Zugeständnis an bürgerliche Kräfte im
Namen ihrer Regierungsfähigkeit darstelle.
Philippot und die beiden anderen früheren
FN-Europaparlamentarier, die wie er seiner neuen
Partei angehören, sitzen hingegen heute in einer
gemeinsamen Fraktion mit dem britischen
EU-Skeptiker Nigel Farage (UKIP).
Die neue Konkurrenz unter Philippot, mit welcher
sich auch die vormals betonte „sozialpatriotische“
Ausrichtung der Partei zum Teil abgespalten hat,
ist allerdings nicht das einzige Problem der Partei
Marine Le Pens. Ende November 2017 kündigte ihre
bisherige Hausbank, die Société Générale, der
rechtsextremen Partei alle Konten. Inzwischen hat
die französische Zentralbank der Geschäftsbank
recht gegeben, dass sie nicht diskriminierend
gehandelt habe, wie der FN ihr vorwirft. Die
Hintergründe sind der Öffentlichkeit nicht
vollständig bekannt, doch es dürfte um Vorwürfe der
Geldwäsche im Zusammenhang mit einer
untransparenten Finanzierung des FN aus russischen
Quellen gehen.
Ihre Probleme bei Orientierungs- und
Strategiefragen soll in den Augen der FN-Führung
nun der bevorstehende Parteitag, welcher am 10. und
11. März 18 im nordfranzösischen Lille stattfinden
wird, lösen. Oder jedenfalls überbrücken, denn eine
inhaltliche Klärung wird auch dort nicht zu
erwarten sein. Marine Le Pen tritt als einzige
Kandidatin für ihre Nachfolge als Parteichefin an.
Ihr örtlicher Widersacher Eric Dillies, selbst in
Lille ansässig, wollte als Gegenbewerber zu ihr
antreten, musste sein Vorhaben jedoch aufgeben, da
er nicht hinreichend Unterstützungsunterschriften
von Bezirksvorsitzenden dafür sammeln konnte.
Dillies forderte eine Kurskorrektur im eher
wirtschaftsliberalen Sinne und eine stärkere
Betonung „traditioneller Werte“ ein – er ist
Rechtskatholik, Marine Le Pen eher relativ
antiklerikal. Gesichert scheint jedoch, dass die
Partei auf dem Kongress in Lille ihre Statuten
überarbeiten wird, vor allem, um die bislang durch
Jean-Marie Le Pen auf Lebenszeit eingenommene
„Ehrenpräsidentschaft“ ersatzlos abzuschaffen und
so den lästig gewordenen Gründer endlich los zu
werden. Die heikle Frage einer Umbenennung der
Partei – zu welcher Marine Le Pen sich in den
Medien seit dem 07. Januar 2018 erstmals deutlich
bekannte – wurde jedoch auf die Zeit nach dem
Kongress vertagt. Dazu soll dann eine
Mitgliederabstimmung stattfinden. Die
Presseinformation, wonach der künftige Name
Le nouveau Front („Die neue Front“) lauten
könnte, hat Le Pen in ihrem Le Monde-Interview
jedoch verworfen. Dort argumentiert sie, dieser
Name vereinige „so ziemlich alle möglichen
denkbaren Nachteile“.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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