Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Emmanuel Macron: „Fuck you, fake news!“
Gesetzesvorhaben angekündigt – gegen russophile Rechtspropaganda; oder zur Internetzensur?

02/2018

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Irgendwas mit Medien: Darum ging es in der jüngsten, eine Polemik erzeugenden Ankündigungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

In seinen Neujahrswünschen an die Presse – diese stellen bei französischen Staatsoberhäuptern eine alljährliche Tradition dar – am 03. Januar dieses Jahres stellte der junge Staatschef eine neue Gesetzesinitiative im Medienrecht in Aussicht. Ein entsprechender Text solle bis März dem Kabinett vorgelegt werden. Seine Kulturministerin François Nyssen verriet kurz darauf allerdings, in ihrem Hause werde bereits „seit Oktober“ vorigen Jahres an einem Entwurf dazu gearbeitet.

Macrons Ankündigung hat im Grunde einen doppelten Gegenstand. Einerseits verkündete er, besonders „in Wahlperioden“ solle der Bekämpfung der Verbreitung falscher Nachrichten, Emmanuel Macron benutzte dafür den in den USA in Mode gekommenen Ausdruck fake news, eine bessere gesetzliche Grundlage verliehen werden. Gerichte sollen, gerade in Vorwahlzeiten, leichter Unterlassungsverfügungen gegen bestimmte Nachrichten verhängen oder auch Webseiten sperren können.

Emmanuel Macron handelt dabei sicherlich auch als „gebranntes Kind“, da er selbst betroffen war. Wenige Tage vor der französischen Präsidentschaftswahl tauchten an vielen Stellen im Internet Informationen über angebliche „Macron Leaks“ auf, in denen behauptet wurde, er verfüge über ein illegales Auslandskonto. Gerüchte über angebliche Verwicklung in Waffen- und Drogenhandel machten kurzzeitig die Rede. Dabei handelte es sich um Falschinformationen, die nach ähnlichem Strickmuster gestreut worden waren wie jene fake News gegen Hillary Clinton, welche in den USA Donald Trump begünstigten. Im französischen Falle beeinflussten sie die Wahl jedoch offenbar nicht.

Auf der anderen Seite ging es Macron auch um die Befugnisse des Aufsichtsgremiums CSA (Conseil supérieur de l’audiovisuel), das vor allem für die Überwachung der Einhaltung von Gesetzen sowie des Medienpluralismus in Fernsehen und Rundfunk zuständig ist. Ein umgebildeter CSA soll demnach auch ausländische TV-Sender etwa verwarnen oder ihnen die Sendelizenz entziehen können, wenn eine Auswertung ihrer Aktivitäten „einschließlich derer im Internet“ ergibt, dass sie gegen ethische und/oder rechtliche Grundsätze verstoßen.

Letzterer Vorstoß zielte, so wurde es in nahezu allen Reaktionen einheitlich betrachtet, auf die umstrittener russischen TV- bzw. Radiosender RT (Russia Today) sowie Sputnik ab. Der französische RT-Ableger ging am 18. Dezember 2017 auf Sendung, zuvor verbreitete der Stammsender französischsprachige Informationen über das Internet. Beim Staatsbesuch Wladimir Putins im Mai vorigen Jahres, als Emmanuel Macron ihn wenige Tage nach seinem eigenen Amtsantritt im Schloss von Versailles empfing, nahm der neue französische Präsident zu diesem Thema kein Blatt vor den Mund. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz sagte er in Anwesenheit seines russischen Amtskollegen, RT und Sputnik führten sich in Frankreich nicht wie Medien auf, sondern wie staatliche Propagandaanstalten, und würden deswegen auch weiterhin nicht zu offiziellen Pressekonferenzen eingeladen. Putin kommentierte die Aussagen übrigens mit keinem Wort. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf, der damals nur kurze Zeit zurückliegt, hatten beide Sender eifrig Marine Le Pen unterstützt. In der Folgezeit malten sie weiterhin mitunter Horrorszenarien über die angebliche Realität in Frankreich, vor allem Zuwanderung betreffend. Auch wird vermutet, dass diese und andere russische Medien mit den Falschbehauptungen über Macron im Wahlkampf im Zusammenhang stehen könnten.

Vor allem rechtsextreme sowie die, ebenfalls zahlreichen, pro-russischen Webseiten in Frankreich ereiferten sich in den letzten Tagen in Frankreich auf hitzige Weise über Emmanuel Macrons Ankündigungen. Den Vogel schoss vielleicht Olivier Renault ab, der unter anderem für die rechtsextreme, anti-muslimische Webseite Riposte Laïque schreibt und sich in diesem Falle auf der Seite Novorussia Today in französischer Sprache äußerte – rot-braune Querfrontmedien mit pro-russischer Tendenz übernahmen seinen Beitrag. Renault behauptete, Macron ereifere den, freilich von ihm erfundenen, „Goebbels-Gesetzen zur Presse“ nach, denn „auch im Dritten Reich waren russische, das heißt sowjetische Medien die Hauptzielscheibe“. Umgekehrt bezeichnet die klassisch rechtsextreme und antikommunistische Webseite NDF.fr, die aber auch des Öfteren an Wladimir Putin Gefallen findet, Macrons Vorhaben als kritikwürdiges „Prawda-Gesetz“, das eine staatsoffizielle Wahrheit etablieren wolle. Seinerseits sprach der rechtsextreme Politiker und (einstweilen erfolglose, vgl. nebenstehenden Artikel) Parteigründer Florian Philippot in einem TV-Interview Anfang Januar 18 von der Gefahr der Einrichtung eines „Wahrheitsministeriums“ (miniver, für ministère de la Vérité, unter Anspielung an das Buch 1984 von George Orwell.

Wesentlich fundiertere, und nicht rein hetzerische, Kritik wird aber auch von sonstiger Seite an Macrons Gesetzesvorhaben zur Bekämpfung von fake News geübt. Auch in etablierten Medien wird zunächst daran erinnert, dass es heute bereits gesetzliche Handhaben gegen Falschinformationen gibt. Diese sind im „Gesetz zur Pressefreiheit“, das von 1881 stammt und seitdem regelmäßig reformiert wurde und wird, enthalten. Es erlaubt unter anderem der Staatsanwaltschaft nach Artikel 27, gegen die Urheber erwiesener Falschinformationen Strafverfolgungen einzuleiten, wenn „diese den öffentlichen Frieden stören oder dazu geeignet sind“. Diese Bestimmung kommt jedoch selten zur Anwendung. Ferner erlaubt es Artikel 29 bei diffamation (übler Nachrede) den individuellen Opfern, in ihrem eigenen Namen Strafanzeige zu erstatten. Allerdings gibt es bislang keine gesetzliche Handhabe gegen die Verbreitung von Informationen, die einfach nur falsch sind, ohne einzelne Betroffene individuell zu beeinträchtigen oder aus Sicht der Staatsanwalt „den öffentlichen Frieden zu stören“. Das Wahlgesetz erlaubt ferner – jedenfalls theoretisch - die Anfechtung von Wahlen, falls diese durch falsche Nachrichten beträchtlich beeinflusst wurden.

Allgemeine gesetzliche Instrumente gegen Falschbehauptungen als solche gibt es nicht. Allerdings wäre es auch ausgesprochen heikel, an diesem Punkt gesetzgeberisch aktiv werden zu wollen. Der Hochschullehrer und Medienexperte Pascal Froissart von der Universität Paris-8, der in diesen Tagen in vielen Interviews zu Wort kommt, spricht etwa von einem „Risiko, über ,richtig’ und ,falsch’ durch den Staat urteilen zu lassen“. Historische und politische Wahrheiten seien jedoch oft nicht einfach festzustellen, bis heute wisse man etwa nicht mit Gewissheit, ob Napoléon I. nun vergiftet wurde oder nicht. In dasselbe Horn stößt etwa auch der konservative Spitzenpolitiker Bruno Retailleau, der am 04. Januar schrieb: „In einer Demokratie ist eine falsche Information besser als eine verstaatliche Information.“ Es ist ungewiss, ob er die präsidiale Initiative genau so sähe, wären seine Parteifreunde derzeit an der Regierung und nicht jene Emmanuel Macrons. Umgekehrt unterstützt der zum moderaten Flügel der Konservativen zählende Ex-Premierminister Alain Juppé den Vorschlag des amtierenden Staatschefs.

Die Pressefreiheit kam in jüngerer Zeit allerdings noch von anderer Seite her unter Druck. Der Linksnationalist und frühere Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon ist für polternde Ausfälle gegen Journalisten, die ihn verärgern, seit längerem bekannt. Nach einem Auftritt in der politischen Talkshow L’Emission politique vom 30. November verschärfte er jedoch seine Kritik. Mélenchon war damals im Laufe der über zweistündigen Sendung mit reichlich Gegnerinnen und Gegnern konfrontiert worden – etwa mit Landwirten, die anders als er gegen das Verbot des Pestizids Glyphosat eintreten, mit Unternehmerinnen und vorgeblich unparteilichen Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich als ziemlich parteiisch herausstellten. Was allerdings dem Prinzip der Debattensendung entspricht. In Rage brachte ihn unter anderem eine Zusammenstoß mit der jungen Schriftstellerin Laurence Debray. Die Tochter des früheren französischen Linken und Che Guevara-Fans Régis Debray – er ist selbst längst konservativ gewendet – und einer früheren venezolanischen Kommunistin ist eine glühende Liberale und hasst das Regime in Venezuela wie die Pest. Mélenchon seinerseits gilt seit Jahren als eher unkritisch gegenüber dem Regime unter Hugo Chavez respektive seinem Nachfolger Nicolas Maduro. 

Nachdem Mélenchon schon während der Sendung gegenüber den Fernsehjournalisten lospolterte, was die Auswahl seiner Gesprächspartnerinnen betrifft, ereiferte sich kurz darauf im Internet noch erheblich mehr. Daraufhin forderte er in einer ersten Reaktion ein Tribunal professionnel, ein Berufsgericht, das über ethische Verstöße von Journalisten urteilen solle – „die Lügner, die Schwindler, die Gaukler“, wie Mélenchon hinzufügte. Dabei meinte er durchaus die Sendeleitung.

Inzwischen hat Mélenchon präzisierte, er meine kein Gericht, sondern vielmehr einen „journalistischen Ethikrat“, der sich aus Mitgliedern der Berufsgruppe der Journalisten sowie sonstiger gesellschaftlicher Gruppen zusammen setzen solle. Im Zuge der Debatte um Macrons jüngste Vorstöße, welche Mélenchon wiederum als Bedrohung der Pressefreiheit darstellte, brachte der Linkspolitiker nun erneut seinen Vorschlag auf den Tisch. Er bezeichnete ihn als vernünftige Alternative zu Emmanuel Macrons Idee, da das von ihm vorgeschlagene Gremium nicht den Staat repräsentiere und eine staatsoffizielle Wahrheitspolitik vermeide.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Es ist die ausführliche Fassung eines Artikels, von welchem eine gekürzte Version am 18. Januar 18 in der Berliner Wochenzeitung Jungle World erschienen ist.