Betrieb &  Gewerkschaft

Erfolg im Pflege- und Betreuungsbereich
Ein Beispiel für kreative Lösungen

Ein Bericht der FAU Stuttgart

02/2020

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Der Fachkräftemangel im Pflege- und Betreuungsbereich ist schon längere Zeit kein Geheimnis mehr. Die großen Wohlfahrtsverbände sahen schon vor 10-15 Jahren voraus, dass bis 2020 nicht nur in ländlichen Regionen massiv Fachkräfte aus diesem Bereich fehlen werden – diese Entwicklung betrifft auch bevölkerungsreiche Ballungszentren wie die Region Stuttgart. Immer mehr nicht besetzte Arbeitsstellen bleiben natürlich auch den auf professionelle Unterstützung angewiesenen Menschen in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Betreuungseinrichtungen und deren Angehörigen nicht verborgen – von den direkt betroffenen Pflege- und Betreuungskräften ganz zu schweigen.

Dass die Situation für alle Betroffenen auf die ein oder andere Weise schwierig ist, steht fest:

-Für die auf Unterstützung angewiesenen Menschen ist sie oftmals schlicht und ergreifend gesundheitsgefährdent;

-Für die sich kümmernden Angehörigen ist es belastend, wenn Fragen auftauchen, ob der oder die Angehörige wohl noch gut versorgt ist in der Einrichtung;

-Das Pflege- und Betreuungspersonal erlebt den Personalmangel im Arbeitsalltag als aufreibend, höchst stressig und mit den eigenen ethischen Ansprüchen nicht mehr vereinbar. Die in den letzten Jahren und Jahrzehnten steigende Arbeitsverdichtung im sozialen Bereich wird dadurch noch einmal deutlich verschärft.

-Für immer mehr Menschen, die aktuell (noch) nicht auf die Betreuungs- und Pflegeleistungen angewiesen sind, wächst (sorgenvolle) Ungewissheit: Wie wird die Situation aussehen, wenn ich selbst ins Krankenhaus muss oder pflegebedürftig werde?

-Für die Unternehmensleitungen stellt sich die Lage ambivalent dar: Sie können einerseits Personalstellen aufgrund mangelnder (geeigneter) BewerberInnen nicht besetzen. Damit können sie für diese Zeiträume Personalkosten einsparen (1). Andererseits wird die Situation des Fachkräftemangels für sie zunehmend lästig – wenn das Gewährleisten der Grundversorgung zum Problem wird. Wenn also der Betrieb der Einrichtung gefährdet wird. Oder wenn das angestellte Personal, die auf Unterstützung angewiesenen Menschen oder deren Angehörigen Druck auf die Unternehmensleitung ausüben.

Prekäre Arbeitssituationen aufgrund von Personalmangel müssen dabei nicht nur zu individuellen Kündigungen und damit Vereinzelung der Beschäftigten führen (2). Mittels gemeinsam getragener Absprachen können stattdessen kollektiv Erfolge für das gesamte Personal erreicht werden, wie das Beispiel eines Mitglieds der FAU Stuttgart zeigt:

In einer sozialen Pflege- und Betreuungseinrichtung wurde die Arbeitssituation aufgrund der mehrere Monate andauernden personellen Unterbesetzung immer schwieriger: Permanenter Stress, eine hohe Arbeitsverdichtung und (daraus resultierend) ein hoher Krankenstand unter den KollegInnen waren neben dem Drei-Schicht-System Teil der Ausgangslage. Das es so nicht länger weitergehen konnte, stand fest. Die KollegInnen redeten miteinander über ihre Arbeitsbedingungen und über mögliche Schritte, wie sie handeln könnten. Auch die gewerkschaftliche Beratung und der Erfahrungsschatz der FAU Stuttgart halfen ihnen in dieser Situation weiter. Letztlich entschieden sich die KollegInnen einerseits für eine kollektive Überlastungsanzeige (3) (die von 90% der KollegInnen unterzeichnet war). Andererseits war eine durchdachte und gut vorbereitete Gesprächsstrategie für die anstehenden Treffen mit der Unternehmungsleitung wichtig.

Nach den Gesprächen zwischen Mitarbeitenden und Unternehmensleitung konnten einige Verbesserungen errungen werden: Mehr eingeplante Personalstellen, Ausweiten der Stellensuche und gleichzeitig attraktivere Rahmenbedingungen für potentielle BewerberInnen durch bessere Bezahlung aller und mehr Urlaubstage für Schichtarbeitende. Zusätzlich wurden Möglichkeiten erarbeitet, wie das Personal entlastet werden kann. Außerdem wurde eine weitere Stelle geschaffen im Bereich der Hauswirtschaft/Haustechnik, die für zusätzliche Arbeitsentlastung für das bisherige Personal sorgen soll. Diese neue Stelle konnte auch sofort besetzt werden.

Dass die Forderung nach mehr Arbeitsstellen bei Personalmangel und Arbeitsverdichtung keine einfache Lösung der Probleme darstellt, ist klar. Denn wenn es regional (sowie bundesweit) für die vielen unbesetzten Personalstellen im Pflege- und Betreuungsbereich zu wenig Fachkräfte gibt, können die Unternehmensleitungen auch durch größere und ehrliche Bemühungen nicht so einfach neues Personal finden. Wie das gerade beschriebene Beispiel vor Ort zeigt, braucht es kreative Lösungen – Voraussetzung dafür sind KollegInnen, die zusammen halten, sich absprechen und den Rückhalt einer Gewerkschaft im Rücken haben.

Fußnoten:
1: In vielen Bereichen im Pflege- und Betreuungsbereich stellen die Personalkosten der höchste Kostenfaktor für die Unternehmen dar.
2: Auch wenn viele Beschäftigte dies Option als (kurzfristigen) Ausweg als erstes in Betracht ziehen.
3: Mit einer Überlastungsanzeige kann formlos darauf hingewiesen werden, dass das vorgegebene Arbeitspensum aktuell nicht zu erfüllen ist.