Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa
vernimmt man in den letzten Tagen einen "antifaschistischen" Aufschrei
des Linksliberalismus gegen die Haiderei, der sich bis in das christlich-
konservative Lager zieht. Selbst Hillary Clinton hat sich bemüßigt gefühlt,
gegen Haider Stellung zu nehmen. Diese "humanistischen" Krokodilstränen
der herrschenden imperialistischen Bourgeoisie werden von der Linken gehorsam
sekundiert. Nun hat die EU- Kommission dem allen die Krone aufgesetzt, in dem
sie hochoffiziell die Isolierung Österreichs im Falle einer
Regierungsbeteiligung der FPÖ angekündigt hat.
Es ist ein furchtbarer Fehler, den Hauptgegner
nicht zu erkennen
1. Von einem internationalen Gesichtspunkt aus gesehen, ist die herrschende
Gruppe des Imperiums der Neuen Weltordnung der Linksliberalismus. Er ist es, der
die neoliberale Globalisierung, die ungebremste Ausbeutung nicht nur der Dritten
Welt sondern selbst die Verarmung bedeutender Teile der westlichen Bevölkerung
und den humanitären Interventionismus, die weltweite imperialistische
Aggression unter dem Denkmantel der Menschenrechte, vorantreibt. Wenn heute eine
Analogie mit dem Faschismus hergestellt werden kann, so ist am ehesten mit jene
politischen Strömung, die in Clinton-Blair ihren reinsten Ausdruck gefunden
hat.
Was ist denn der Unterschied zwischen dem inszenierten Überfall Polens auf
Deutschland und dem Massaker von Racak, die beide als Rechtfertigung für
Angriffskriege dienten? Vielleicht nur, daß die Amerikaner in ihrer
Allmachtsfantasie die Inszenierung so schlecht durchführten, daß
Ungereimtheiten im Gegensatz zum historischen Vorbild schon vor ihrer endgültigen
Niederlage ans Tageslicht kamen. Sind die Völkermorde der USA in Vietnam, in
Kurdistan, in Palästina, im Irak und in Jugoslawien, sowie ihr schmutziger
Krieg gegen die Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, Afrika und Asien weniger
schlimm als jene der Nazis zur Eroberung des "Lebensraum Ost", nur
weil sie unter dem Banner der Menschenrechte begangen wurden und werden?
Der Völkermord ist seit mehr als 100 Jahren eine Konstante des
imperialistischen Kapitalismus! Der wichtigste Unterschied zwischen dem modernen
"Menschenrechts"-Imperialismus und dem Faschismus, ist ein Regime in
seinem Inneren, in den Metropolen, das nicht auf gewaltsame, bürgerkriegsmäßige
Unterdrückung der antagonistischen werktätigen Klassen aufgebaut ist, sondern
auf ihre soziale, politische und kulturelle Integration als Sozius der
imperialistischen Aggression. Und das macht ihn noch gefährlicher, weil er
durchdringender ist!
So ist es nicht verwunderlich, daß der ideologischen Kitt der neoliberalen
Globalisierung ursprünglich von der Linken kommt. Die Konzeption der
"Zivilgesellschaft" transformiert in Abwesenheit einer
antagonistischen Arbeiterbewegung Versatzstücke der von jener vorgesehenen
umfassenden menschlichen Emanzipation in ein mit dem Kapitalismus nicht nur
kompatibles, sondern es stabilisierendes System. Die Geschichte sei zu Ende,
jedes kollektive gesellschaftliche Handeln nicht nur zwecklos, sondern auch
undemokratisch und totalitär. Einzig das Individuum zähle, das sich in seine
unmittelbaren Umgebung organisieren und in diese eingreifen müsse (in Form von
Nichtregierungsorganisationen). Freiheit und Emanzipation sei nur durch
individuelle und isolierte Eigeninitiative erreichbar. Die Individuen
kommunizieren nur mehr über den Markt miteinander, der scheinbar objektive, über
den einzelnen Menschen stehende Sachzwänge ausübe und im übrigen mit
Demokratie gleichzusetzen sei. Der autoritäre Staat, der im Faschismus seinen höchsten
Ausdruck fand, müsse zurückgedrängt werden. Der kapitalistische Staat bleibt
aber als solcher unangetastet. Der Kommunitarismus, der
"zivilistische" Neoliberalismus, ein spätes Zerfallsprodukt der
gescheiterten und integrierten 68er-Bewegung, verleiht dem krisengeschüttelten
Kapitalismus, indem er jeden kollektiven Widerstand unterbindet, neue Stabilität
-- zumindest vorübergehend.
2. Haider als Faschist zu bezeichnen, zeugt von einem völligen Unverständnis
vom historischen Phänomen des Faschismus als (präventives) Bürgerkriegsregime
gegen die soziale Revolution. Haider stammt zwar aus dieser Tradition, doch
seinen Aufstieg verdankt er vor allem dem Bruch damit. Der Rechtspopulismus verfügt
im krassen Gegensatz zum Faschismus über keinen nennenswerten Parteiapparat
(bis heute hat die Partei, oder besser die Polit-PR-Maschine, Schwierigkeiten,
Kader für die im Überfluß vorhandenen Mandate vor allem auf den unteren
Vertretungsebenen zu finden), geschweige denn einen politischen
Massenaktivismus. Seinen Aufstieg verdankt er der virtuosen Medieninszenierung
im amerikanischen Stil.
Der Populismus hat weder ein einheitliches politisches Programm noch eine um
dieses gescharte feste soziale Basis. Alle ökonomistischen Analysen der FPÖ
als Ausdruck der "Modernisierungsverlierer", wie es die neoliberale
Fernsehsoziologie auszudrücken pflegt, greifen entschieden zu kurz. Die
Haiderei ist vielmehr eine Sammelbewegung des Protestes nicht nur gegen die
sozialen sondern vor allem auch gegen die politischen und kulturellen
Zerfallserscheinungen des Neoliberalismus.
Aufgrund des Parasitismus der westlichen Mittelschichten (diese schließen auch
die Arbeiteraristokratie mit ein), die ihre Privilegien gegenüber der
angsteinflößenden und bedrohlichen Armut der Dritten Welt und auch die neue
Armut im Westen mit Zähnen und Klauen eben gegen diese Milliardenmassen
verteidigen wollen und des Zusammenbruch des Kommunismus als weltumspannende
Befreiungsbewegung, wird dieser Protest ausschließlich nach rechts kanalisiert.
Der Protest gegen den Neoliberalismus dient so zu seiner Beschleunigung und
Vertiefung.
Tatsächlich ist die Haiderei ein Destillat, ein Zerfallsprodukt der
historischen Sozialdemokratie, genauso wie der Blairismus. Haider und Blair
bilden eine Antinomie, sind gegensätzliche Zwillinge der gleichen Mutter. Der
Rechtspopulismus und der Linksliberalismus bilden auch die Pole der Alternanz,
des neuen neoliberalen Regimes nach amerikanischem Vorbild. Es handelt sich bei
der aktuellen Regierungsbildung in der Tat um einen Regimewechsel. Doch dieser
Übergang von der Zweiten zur Dritten Republik besteht nicht allein in der
schrittweisen Zurückdrängung der Sozialpartnerschaft, der
institutionalisierten Klassenzusammenarbeit, und in der Integration der FPÖ,
sondern vielmehr auch in der weiteren Aushöhlung der repräsentativen
Demokratie und in der Installierung des amerikanischen Demokratiespektakels des
Alternanzregimes, in dem sowohl die SPÖ als auch die FPÖ einen festen Platz
haben, aber der Wegbereiter dessen, die ÖVP, um ihren fürchten muss.
3. In der Opposition ist Haider für uns die größere Gefahr als in der
Regierung, in der die Widersprüche seines antineoliberalen Neoliberalismus früher
oder später ans Tageslicht kommen müssen. (Daher will Haider selbst noch nicht
an die Regierung, sondern schickt Hampelmänner vor, die er jederzeit
desavouieren kann.) Um Haider überwinden zu können, müssen die Massen ganz
offensichtlich Erfahrungen mit ihm machen. Es führt wohl kein Weg daran vorbei.
Wenn es stimmt, daß der Klassenkampf der Motor der Geschichte ist – und davon
gehen wir nach wie vor aus – , dann ist der potentielle Konflikt, der Hauch
von Instabilität, den eine rechte Koalition mit sich bringen kann, das kleinere
Übel gegenüber der erstickenden sozialen Ruhe, die Friedhofsruhe jeglicher
SP-Koalition. In diesem Sinn eine rechte Regierung ein leichterer Gegner als
eine Linke. Sie kann uns vielleicht zu dem verhelfen, was Österreich am
dringendsten braucht – den sozialen Konflikt. Jedenfalls besteht die Hoffnung,
daß Schüssel in seinen Fieberträumen der Macht und verleitet von unfähigen
Haider- Adepten, die gleichen Fehler begeht wie Berlusconi oder Juppé.
Der Hauptfeind bleibt der "demokratische" Totalitarismus
Jeder der uns des Appeacements bezichtigt, weil wir den "antifaschistischen
Kampf" nicht in den Vordergrund stellen, macht sich selbst des Appeacements
gegenüber dem humanitären Imperialismus schuldig, der in aller Welt
"antifaschistische" und "humanitäre" Kriege zum Erhalt
seines Imperiums führt und jene Opposition mit Hilfe des "politisch
korrekten" Einheitsdenken totalitär zum Schweigen bringt. Zweifellos muß
der Kampf gegen eine neoliberale Regierung unter Einschluß der FPÖ mit dem
gleichen Einsatz geführt werden, wie der Kampf gegen die neoliberale
SP-Koalition. (Im übrigen ist das von der VP-FP ausgehandelte Programm von dem
der geplatzten SP-VP-Koalition kaum zu unterscheiden, selbst hinsichtlich der
Ausländerfrage nicht!) Wer allerdings Haider als Faschisten apostrophiert, ihn
so zum Hauptfeind macht und damit den Linksliberalismus, der sich im Diktat der
EU-Kommission manifestiert, entlastet oder vielmehr als Alternative suggeriert,
der wird objektiv zur Stütze des neoliberalen Imperiums, das das Phänomen
Haider erst hervorgebracht hat.
Wien, am 31. Jänner 2000
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