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Zwischen Hakenkreuz und Davidstern 
Deutschsprachige in Mexiko

von Fritz Pohle

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Alteingesessene und jüdische Emigranten nach 1933

Im Mexiko der 30er und 40er Jahre trafen drei europäische Minderheiten aufeinander, denen die deutschsprachige Herkunft und eine geringe Bereitschaft zur Assimilation gemeinsam waren, die aber darüberhinaus aufgrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Prägungen und politischen Orientierungen in Gegensätzen zueinander verharrten, die nur selten überbrückbar waren.

Anders als Argentinien oder Brasilien war Mexiko traditionell kein Land deutscher Masseneinwanderung, abgesehen von einer landwirtschaftlichen Siedlung deutschsprachiger Mennoniten aus den USA, die sich in Nordmexiko niedergelassen hatten, gab es keine geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete. Die rund 6.000 Auslandsdeutschen, die in den 30er Jahren - als naturalisierte Mexikaner oder deutsche Staatsangehörige - in Mexiko lebten, waren seit dem letzten Jahrhundert in kleinen Gruppen zugezogene Auswanderer und deutsche Firmenvertreter. Sie bildeten eine größtenteils in der Hauptstadt ansässige, gegenüber der mexikanischen Bevölkerung weitgehend abgeschlossene Minderheit. Kleinere Gruppen gab es auch in anderen Handels- und Wirtschaftszentren. Aufgrund ihrer geringen Zahl und nicht zuletzt aufgrund der gesellschaftspolitischen Entwicklungen im Mexiko des frühen 20. Jahrhunderts spielten die Mexiko-Deutschen in der Wirtschaft des Landes nur eine untergeordnete Rolle. Über marktbeherrschende Positionen verfügten sie lediglich im Handel mit Drogerieartikeln, im Eisenwarenhandel und in den Kaffeeanbaugebieten des südmexikanischen Bundesstaates Chiapas. Hier wurden noch Ende der 30er Jahre, trotz vorangegangener Enteignungen und der Landreform, 60-70 Prozent der Kaffee-Produktion von deutschen Händlern und Plantagenbesitzern kontrolliert.

Auslandsdeutsche und Nationalsozialismus

Obwohl unter den frühen Mexiko-Einwanderern Liberale waren, die Deutschland nach 1848 verlassen hatten, und ihnen später auch einzelne Sozialisten gefolgt waren, war die deutsche Kolonie in Mexiko bereits um die Jahrhundertwende in ihrer Mehrheit monarchistisch und extrem nationalistisch eingestellt. Der konservative auslandsdeutsche Nationalismus, an sich schon stabilisierende ideologische Schutzreaktion einer Minderheit gegen den Assimilationsdruck der fremdsprachigen Umgebung, wurde durch den verlorenen Ersten Weltkrieg und die deutsche Nachkriegsentwicklung gefördert, wie auch durch die für privilegierte Schichten bedrohlichen jahrzehntelangen Wirren der Mexikanischen Revolution bestärkt. Von Ausnahmen abgesehen, darunter einer kleinen Gruppe deutscher Demokraten, die in den 20er Jahren die Vereinigung Deutscher Republikaner in Mexiko bildeten, fanden die Auslandsdeutschen politisch nie Zugang zur Weimarer Republik. Als die bereits 1932 gebildete Landesgruppe Mexiko der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) im Verein mit der Gesandtschaft des NS-Staates Kurs auf die politische Übernahme der auslandsdeutschen Einrichtungen nahm, war die Mehrheit gern bereit, das kaiserliche Schwarz-Weiß-Rot gegen die Hakenkreuzfahne einzutauschen.

Zentrum des auslandsdeutschen Gemeinschaftslebens war seit 1848 das Deutsche Haus, ein klubähnlicher Zusammenschluß, aus dem verschiedene Sport-, Hilfs- und Interessenvereine hervorgegangen waren. Daneben bestanden die in den 30er Jahren drei Mal wöchentlich in 2000 Exemplaren erscheinende Deutsche Zeitung von Mexiko und als wichtigste Institution eine von Berlin subventionierte deutsche Privatschule, an der zu dieser Zeit etwa 1500 deutsche und mexikanische Schüler unterrichtet wurden. Trotz anfänglicher Widerstände der Honoratioren, die sich ungeachtet ihrer politischen Sympathien nicht aus den angestammten Positionen verdrängen lassen wollten, gelang es der Gesandtschaft und den örtlichen Führern der AO, in wenigen Jahren die auslandsdeutschen Vereinigungen unter ihre Kontrolle zu bringen. Als effektives Instrumentarium erwies sich dabei eine Anfang 1935 gebildete Deutsche Volksgemeinschaft in Mexiko, die als Dachverband sämtliche Institutionen erfaßte. Die Landesgruppe selbst erweiterte die Zahl ihrer Mitglieder von zunächst 45 auf 376 im Jahr 1939 und besetzte die Führungsposten vieler Einrichtungen, darunter auch der deutschen Schule. Obwohl das mexikanische Erziehungsministerium, dessen Oberaufsicht auch Privatschulen unterstanden, keine Rassendiskriminierung zuließ, war jüdischen Kindern ein Verbleib auf der Schule, in der zunehmend HJ- und BDM-Verbände das Bild bestimmten, in der Praxis nicht möglich. Selbst eine renommierte wissenschaftliche Vereinigung mit internationaler Mitgliedschaft wie die Deutsch-Mexikanistische Vereinigung blieb nicht frei von der allgegenwärtigen nationalsozialistischen Einflußnahme. Zusätzlich zu der NS-kontrollierten Deutschen Zeitung von Mexiko erschienen ein monatlicher N.S.-Herold als Organ der Landesgruppe (Auflage 1.100) sowie ab 1935 in vergleichsweise hoher Auflage (4.000) die Mitteilungen der Deutschen Volksgemeinschaft als zusätzliches Medium der NS-Propaganda. Wenn auch die Gleichschaltung der deutschen Kolonie nicht ohne Druckmittel vonstatten ging - hierzu gehörten ökonomische Pressionen gegen die meist am deutsch-mexikanischen Handel beteiligten auslandsdeutschen Geschäftsleute -, erfolgte sie im wesentlichen doch freiwillig. Unter den Bedingungen der mexikanischen Legalität und der mexikanischen Politik, in einem Land nämlich, das als einziges der westlichen Welt die spanische Republik gegen Franco und die Intervention unterstützte und sich in scharfer ideologischer Frontstellung gegenüber Hitlerdeutschland befand, wäre es ohne weiteres möglich gewesen, sich dem nationalsozialistischen Druck offen entgegenzustellen. Diese Möglichkeit wurde jedoch nur in Einzelfällen genutzt. Bei der Mehrheit der Auslandsdeutschen setzten sich - gefördert von einer geschickt argumentierenden Propaganda - die Triebkräfte des auslandsdeutschen Nationalismus und der auslandsdeutschen Gruppensolidarität gegen alle Vorbehalte durch:

"Es ist häufig die Behauptung ausgesprochen worden, daß die Auslandsdeutschen die besseren Deutschen sind. Besser, inwiefern? Nun, es kann sich eigentlich nur handeln um das deutscheste am Deutschen, den Idealismus. In seiner idealen Grundeinstellung ist der auslandsdeutsche reiner und deutscher als seine Brüder in der Heimat. [...] Wie sagte doch der Führer in seiner Ansprache an die Auslandsdeutschen auf dem Parteitag im vergangenen Jahr? Wir Auslandsdeutschen hätten den großen Vorzug, je mehr wir uns von den Reichsgrenzen entfernen, das große deutsche Ringen sich mehr und mehr zu einer großen harmonischen Einheit verschmelzen zu sehen. Es verschwinde jeglicher Streit, sei es um die Partei, um Politik oder um die Konfession, es bleibe nur ein einheitliches, ungetrübtes, gigantisches Bild übrig, das allein die Vorstellung des Auslandsdeutschen im Auslande beherrsche. Diese Meinung des Führers deckt sich vollkommen mit dem, was der oben angeführte Satz vom 'besseren' Auslandsdeutschen agt." (Merkblatt des Deutschen Turnvereins México, Mai 1936).

Bei der Winterhilfswerk-Sammlung 1940/41 brachten die Mexiko-Deutschen den Betrag von 100.000 Reichsmark auf und erreichten damit - wie der Gesandte Rüdt von Collenberg stolz vermerkte (Tagebuch, 16.10.1941) - ein Pro-Kopf-Spendenergebnis, das doppelt so hoch wie das der Bevölkerung in Deutschland war. Die nationalsozialistische Ausrichtung der Mexiko-Deutschen diente ihrer Instrumentalisierung für die Zwecke der deutschen Außenpolitik in Mexiko, die in den 30er Jahren auf den Ausbau von Wirtschaftspositionen und die propagandistische Beeinflussung der traditionell deutschfreundlichen mexikanischen Öffentlichkeit zielte. Entgegen zeitgenössischen Befürchtungen und der mit Kriegsbeginn einsetzenden Fünfte-Kolonne-Hysterie konnte Hitlerdeutschland aber in Mexiko keinen politischen Bodengewinn verbuchen. Vielmehr verstand es die Regierung Cárdenas (1934-1940) - an deren Haltung ihr Spanienengagement oder auch der weltweit einsame Protest gegen die Annexion Österreichs keinen Zweifel lassen konnten -, die Gegensätze zwischen den Großmächten im nationalen Interesse zu nutzen: So wurde zum Beispiel mexikanisches Öl - 1938 verstaatlicht und in der Folge von angloamerikanischer Seite boykottiert - bis ins Kriegsjahr 1940 nach Deutschland geliefert, ohne daß dem eine politische Annäherung entsprochen hätte.

In den ersten Kriegsjahren verengten sich die für ein Lavieren zwischen den Großmächten nutzbaren Handlungsspielräume zusehends. Die USA nahmen Kurs auf die Sicherung ihrer südlichen Flanke, und für die gleichgeschaltete auslandsdeutsche Kolonie in Mexiko begann eine Phase der Absicherung und Abschirmung. In exponierten öffentlichen Funktionen machten Reichsdeutsche sogenannten 'Volksdeutschen' mexikanischer Nationalität Platz. Die Landesgruppe der AO verkündete im April 1941 ihre freiwillige Selbstauflösung, und die für den dritten Kriegswinter geplante Winterhilfswerk-Sammlung wurde kurzerhand als Soziales Hilfswerk für Mexico bezeichnet. Als im Juli 1941 in den USA schwarze Listen am deutsch-mexikanischen Handel beteiligter Firmen publiziert wurden, begannen nüchtern kalkulierende auslandsdeutsche Geschäftsleute, Vorkehrungen für die Zukunft zu treffen. Dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen Mexikos zu den Achsenmächten nach Japans Angriff auf Pearl Harbor folgte im Januar 1942 die Abreise der 42 offiziellen Gesandtschaftsmitarbeiter und damit eine wesentliche Schwächung der AO. Bald darauf setzten die Behörden ihrer Tätigkeit ein Ende. Noch vor Mexikos Kriegseintritt im Mai 1942 (den die Versenkung eines mexikanischen Tankers durch deutsche U-Boote provozierte) wurden deutsche Spionageringe ausgehoben und führende NSDAP-Mitglieder verhaftet, interniert bzw. in einigen Fällen auch in die USA deportiert. Für die Gesamtheit der Deutschen und Deutschstämmigen hatte Mexikos Kriegseintritt eine Reihe von Restriktionen im Rahmen einer 'Feindliche Ausländer'-Politik zur Folge. Soziale und kulturelle Einrichtungen wurden aufgelöst oder - wie etwa die deutsche Schule - unter mexikanischer Leitung weitergeführt. Vermögenswerte und Firmen wurden beschlagnahmt bzw. unter mexikanische Verwaltung gestellt, die Auslandsdeutschen unterlagen Reisebeschränkungen und mußten zum Teil in die Hauptstadt übersiedeln.
Alles in allem war Mexikos 'Feindliche Ausländer'-Politik aber liberal. Interniert wurden nur die wichtigsten Funktionäre und Aktivisten der AO, und im Internierungslager Perote herrschte eine Art offener Vollzug. Manche deutsche Seeleute, die in mexikanischen Häfen vom Kriegseintritt überrascht und nach Perote überstellt wurden, haben dort Familien gegründet und eine neue Heimat gefunden.

Deutschsprachige Juden

Anfang der 30er Jahre lebten in Mexiko etwa 20.000 Juden vorwiegend osteuropäischer bzw. levantinischer Provenienz. Der Anteil der Deutschsprachigen unter ihnen war mit weniger als 100 verschwindend gering. Im April 1933 meldeten sich einige von ihnen als Verband Deutscher Israeliten in Mexiko zu Wort. In einem Schreiben an den "sehr geehrten Herrn Reichskanzler" brachten sie ihr Interesse an der Wahrung ihrer "ungeschmälerten Rechte als deutsche Reichsangehörige" zum Ausdruck (Schreiben vom 28.4.1933). Spätestens die um 1936 eintreffenden ersten Gruppen deutsch-jüdischer Emigranten dürften ihnen deutlich gemacht haben, wie wenig Verständnis man in Deutschland ihren Bestrebungen entgegenbrachte. Bis Mitte 1940 war die Zahl der deutschsprachigen Juden in Mexiko auf rund 800 angestiegen, bis Ende 1942 dürfte sie mehr als das Doppelte betragen haben. Gemessen an den Aufnahmeziffern anderer lateinamerikanischer Staaten wie Argentinien, Brasilien oder auch Chile, die fünfstellige Zahlen aufweisen, war Mexikos Bereitschaft zur Aufnahme jüdischer Flüchtlinge also ausgesprochen gering. Eine strenge Quotenregelung, die überdies auch in den prekärsten Jahren der Massenemigration aus Europa nicht ausgeschöpft werden konnte, benachteiligte mitteleuropäische Einwanderer zugunsten der Südeuropäer. Über 15.000 spanisch-republikanische Flüchtlinge fanden ab 1939 in Mexiko Aufnahme, während es im gleichen Zeitraum im Hafen von Veracruz immer wieder zu spektakulären Einreiseverweigerungen für unzureichend dokumentierte jüdische Passagiere der überfüllten Flüchtlingsschiffe kam. Die restriktive Haltung der mexikanischen Behörden gegenüber den jüdischen Flüchtlingen beruhte dabei weniger auf dem - wie andernorts in Lateinamerika, so auch in Mexiko allgegenwärtigen, katholisch inspirierten Antisemitismus, als vielmehr auf ideologischen Konzepten einer mexikanischen Identitätssuche, die in Folge der bewegten Revolutionsjahre entwickelt worden waren. Als Kernstück der zu findenden Mexikanität definierten führende Intellektuelle seit den 20er Jahren den 'mestizaje', die Verschmelzung der europäischen und indianischen Rassen. Die Quotenregelung, die sich so sehr zum Nachteil der jüdischen Flüchtlinge auswirkte, folgte unmittelbar einer hiervon inspirierten, 1936 in Kraft getretenen demographischen Gesetzgebung, die explizit iberischen und lateinamerikanischen Einwanderern aufgrund der historisch-kulturell begründeten Assimilationsbereitschaft dieser Nationalitäten den Vorzug gab.

Wichtigste Sammelpunkte der deutschsprachigen Juden in Mexiko wurden nicht die zahlreich bestehenden Einrichtungen der jüdischen Minderheit, sondern die 1938 von deutschen Juden gegründete Menorah - Vereinigung Deutschsprechender Juden. Diese Absonderung, relativiert nur durch die Zugehörigkeit zum Dachverband jüdischer Organisationen, war zum einen Ausdruck einer innerjüdischen kulturellen Differenz: Die in Deutschland und Österreich weitgehend assimilierten Juden, die sich in Mexiko zusammenfanden, standen dem von ostjüdischen und sephardischen Traditionen bestimmten Leben der mexikanischen Juden eher fern. Zum anderen war sie Ausdruck der besonderen kulturellen Prägung dieser Flüchtlinge. Nur eine Minderheit wandte sich in Mexiko radikal von 'allem Deutschen' ab. Ebenfalls nur eine Minderheit wandte sich mit durchgängiger Konsequenz Palästina und der zionistischen Idee zu. Die Mehrheit blieb bei jeweils unterschiedlich nuancierten jüdischem Selbstverständnis zumindest der deutschen Sprache, darüberhinaus deutschen und österreichen Traditionen im weitesten Sinne verbunden. Die Organisierung eines entsprechenden kulturellen Lebens gehörte zu den erklärten Zielen der Menorah; und welches Gewicht letzterem zukam, deutet ein rückblickend verfaßter Vereinsbericht an:

"Wenn einerseits zu beklagen war, daß unter all den Immigranten kein einziger Rabbiner [...] war, so hatten wir andererseits das Glück, zahlreiche Intellektuelle unter uns zu haben, die in der Lage waren, Vorträge über vielfältigfe kulturelle Themen zu halten. Infolgedessen übte unsere Vereinigung bis Mitte der 50er Jahre eine rege kulturelle Tätigkeit aus, die das jüdische Leben und allgemeine Themen gleichermaßen umfaßte." (Informe de la Hatikwah-Menorah, 14.11.1973).

Zu den Aktivitäten der Menorah gehörten natur- und geisteswissenschaftliche Vorträge, Lesungen, Konzerte und Theaterabende, darunter auch eine Aufführung von Goethes Scherz, List und Rache im Mai 1942 - ein Ereignis, das den Charakter der kulturellen Bindungen der Menorah exemplarisch belegt. Die große Zahl von Akademikern und vornehmlich österreichischen Musikern und Schauspielern unter den Mitgliedern war der Garant für die Aufrechterhaltung dieser Bindungen, die andererseits im Publikumsinteresse eine solide Basis hatten. Prominentester Vortragsredner war der Kunstkritiker Paul Westheim, einst wichtigster Kritiker-Apologet des Expressionismus in Deutschland, der jetzt vor den Mitgliedern der Menorah die ersten Ansätze seiner Ästhetik der altmexikanischen Kunst entwickelte.

Wie Westheim waren auch andere, 'eigentlich' politische Emigranten in der Menorah tätig. Eine Mitgliederliste aus dem Jahr 1943 belegt die Mitgliedschaft politischer Exilanten verschiedener Lager, insbesondere kommunistischer Exilanten jüdischer Abstammung. Jedoch gelang es dem Vorstand, die Vereinigung entgegen allen Versuchen politischer Instrumentalisierung oder Unterwanderung als überparteiliche, allgemeine Interessensvertretung und Kulturvereinigung der deutschsprachigen Juden in Mexiko zu erhalten. Das galt auch hinsichtlich zionistischer Avancen, die schließlich zur Bildung einer weiteren Gruppierung deutschsprachiger Juden führten. Die 1943 entstandene Hatikwah fusionierte bezeichnenderweise erst 1948, im Jahr der Staatsgründung Israels, mit der Menorah zu einer gemeinsamen Vereinigung.

Die 'Revolutionäre' treffen ein
Politische Exilanten nach 1933

Neben den Auslandsdeutschen und den jüdischen Emigranten (siehe Matices No. 17), die ihre Gegensätze nicht überbrücken konnten, fand sich mit den politischen Exilanten aus Deutschland und Österreich eine dritte, überaus aktive Gruppe in Mexiko ein. So restriktiv sich das Land gegenüber der jüdischen Massenflucht aus Europa verhielt, so großzügig gewährten seine Behörden exponierten politischen Gegnern des Faschismus Asyl, zumal solchen, die sich für die von Mexiko offiziell unterstützte spanische Republik eingesetzt hatten.

Im Januar 1939 gab Präsident Cárdenas öffentlich bekannt, man habe vor, 1.500 Kämpfer der in Katalonien demobi-lisierten Internationalen Brigaden, denen die Rückkehr aus Spanien in ihre Herkunftsländer versperrt sei, in Mexiko aufzunehmen. Dieses Asylangebot an zumeist kommunistisch bzw. sozialistisch organisierte Exilanten konnte, nicht zuletzt aufgrund innenpolitischer Proteste, nicht realisiert werden, es signalisierte aber eine asylpolitische Orientierung, die das Land nach Kriegsbeginn zum begehrten Fluchtpunkt vor allem für jene Exilanten werden ließ, denen in französischer Internierung die Auslieferung an Hitlerdeutschland drohte. Bis Mitte 1942 hatte sich mit den Schriftstellern Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse und anderen, mit Paul Merker, Otto Katz, Alexander Abusch und zahlreichen weiteren Parteifunktionären das wichtigste Zentrum der KPD-Emigration im westlichen Exil der Kriegsjahre gebildet. Mexiko gewährte aber auch Exkommunisten wie dem Schriftsteller Gustav Regler, Anarchosyndikalisten wie Augustin Souchy und Linkssozialisten wie dem Sekretär der SAP Max Diamant Asyl. Das Land wurde nach Kriegsbeginn zum Zufluchtsort der linksstehenden Exilanten aller Schattierungen, denen aufgrund ihrer politischen Orientierungen der Weg in die USA und andere überseeische Asylländer versperrt geblieben war.

Vereinzelt kamen politische Exilanten schon in den 30er Jahren ins Land. Otto Rühle, Veteran der Novemberrevolution, rätekommunistischer Theoretiker und pädagogischer Schriftsteller, traf Ende 1935 auf Einladung der Regierung ein, um als wissenschaftlicher Berater des Erziehungsministeriums an der Verwirklichung der 'educación socialista' mitzuarbeiten. Das laizistische Experiment einer sozialistischen Volkserziehung scheiterte schon in den Anfängen, Rühle schied nach zweijähriger Tätigkeit aus dem Ministerium aus und starb 1943 in Mexiko. Politisch ist er noch als kritischer Weggefährte Leo Trotzkis in Erscheinung getreten. Als Mitglied der Untersuchungskommission im Trotzki-Gegenprozeß von 1937 sprach er den Mitexilanten von der stalinistischen Anklage der Moskauer Staatsanwälte frei.

Sammelbecken der Exilierten

Zu den frühen Mexiko-Exilanten gehörte auch Heinrich Gutmann, ein junger Berliner Journalist, der in Mexiko als Funktionär der Liga de Escritores y Artistas Revolucionarios eine bemerkenswerte Karriere machte und politische Verbindungen aufbaute, die bis zum Büro des Präsidenten reichten. Im Frühjahr 1938 gründete er zusammen mit wenigen Gleichgesinnten die Liga Pro-Cultura Alemana, eine erste deutsche Exilorganisation in Mexiko. Die Bedeutung dieser Vereinigung beruhte weniger auf dem Potential des zunächst nur kleinen Mitgliederkreises als vielmehr auf der umfassenden mexikanischen Unterstützung, die ihr zuteil wurde. Gutmanns Verbindungen kamen der Organisierung ausgedehnter Vortragszyklen in den Jahren 1938/39 zugute, bei denen mexikanische Intellektuelle, Politiker und Ministerialbeamte zu Wort kamen: der Vorsitzende der Gewerkschaftsverbandes CTM Vicente Lombardo Toledano etwa mit einem Vortrag über Goethe oder der Präsident der Regierungspartei PRM, Luis I. Rodriguez, mit einem Vortrag zur Geschichte der NSDAP, um nur zwei Bespiele zu nennen. Die Veranstaltungen fanden an vornehmstem Ort in Mexiko-Stadt statt, im großen Saal des marmornen Prunkbaus Palacio de Bellas Artes, und die Rundfunkstation der Regierung sendete die spanischsprachigen Vorträge in direkter Übertragung. Nicht ohne Grund äußerte Hitlers Gesandter Freiherr Rüdt von Collenberg in einer Protestnote drohend die Befürchtung, daß die Referenten der Liga als "Mittler für die Ansichten amtlicher mexikanischer Stellen" angesehen werden könnten und hierin eine Gefährdung "wertvoller Handelsbeziehungen" begründet sei. (Note Rüdt an Außenminister Eduardo Hay, 19.11.1938) Tatsächlich diente die Liga in der komplizierten politischen Situation nach der Ölverstaatlichung vom März 1938 maßgeblichen Kräften der mexikanischen Politik als offiziöse Tribüne der Anti-Hitler-Propaganda: Den im Zuge der ausgeweiteten deutsch-mexikanischen Handelsbeziehungen intensivierten Bemühungen nationalsozialistischer Einflußnahme konnte innenpolitisch kaum wirksamer begegnet werden als durch die politische Aufklärungsarbeit einer deutschen Exilorganisation.

In den ersten Kriegsjahren wurde die Liga zum Sammelbecken der nun zahlreicher eintreffenden Exilierten. Zu einer Fortsetzung der spektakulären Öffentlichkeitsarbeit der Vorkriegsjahre kam es jedoch nicht. Wichtigster Grund war der wie überall in der Emigration anläßlich der deutsch-sowjetischen Abkommen vom August und September 1939 ausgebrochene Konflikt zwischen Kommunisten und Nichtkommunisten. Während Gutmann und andere für verstärkte Anti-Hitler-Aktivitäten plädierten, richteten sich im Mai 1940, kurz vor Dünkirchen und der französischen Kapitulation, die Schriftsteller Ludwig Renn und Bodo Uhse als Sprecher der kommunistischen Fraktion mit einem Manifest gegen die Westmächte.

Bewegung Freies Deutschland

Die im Juni 1941 mit Hitlers Angriff gegen die Sowjetunion eingeleitete Wende der weltpolitischen Situation führte zu einer allgemeinen Intensivierung der exilpolitischen Aktivitäten. Im November 1941 meldete sich die durch Egon Erwin Kisch, Anna Seghers, den österreichischen Journalisten Bruno Frei und zahlreiche andere Neuankömmlinge verstärkte kommunistische Exilgruppe mit der ersten Ausgabe der Zeitschrift Freies Deutschland zu Wort. Die brilliant redigierte politisch-kulturelle Monatszeitschrift erschien bei internationaler Verbreitung in einer Auflage von bis zu 4.000 Exemplaren kontinuierlich bis Mitte 1946, zuletzt unter dem Namen Neues Deutschland. Sie gehört zu den bedeutendsten Periodika des deutschen Exils und nahm während des Krieges eine einzigartige Stellung ein. Abgesehen von Santiago de Chile, wo ab 1943 die konservativ orientierten Deutschen Blätter erschienen, konnte sich sonst nirgends in der westlichen Hemisphäre ein Exilperiodikum vergleichbaren journalistischen Profils etablieren. Zu den Mitarbeitern gehörten neben den Mitgliedern der Herausgebergruppe und einzelnen namhaften Exilanten vor Ort - unter ihnen der Kunstkritiker Paul Westheim - vor allem Vertreter der Exilprominenz in den USA; Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Ferdinand Bruckner, Ernst Bloch und andere haben Beiträge nach Mexiko geschickt.

Der Herausgabe der Zeitschrift folgte Anfang 1942 die Gründung der Bewegung Freies Deutschland. Der Bildung des Moskauer Nationalkomitees gleichen Namens ist diese Gründung um anderthalb Jahre vorausgeeilt, aber nicht nur dies markiert den Unterschied zu den Aktivitäten des KPD-Exils in der Sowjetunion. Während dort, eingebunden in staatspolitische Zusammenhänge des kriegführenden Gastlands, zumindest potentiell auf die innerdeutsche Entwicklung Einfluß genommen werden konnte und sich die reale Möglichkeit eröffnete, in den Kriegsgefangenenlagern Bündnisse mit deutschen Militärs zu schließen, war all dies vom entlegenen Mexiko aus nicht möglich. Hier eröffneten sich aber andere exilpolitische Tätigkeitsfelder. Unter den Bedingungen der westlichen Öffentlichkeit konnten mit Aufrufen zur überparteilichen Einheit aller deutschen Hitlergegner Zielgruppen angesprochen werden, die von Moskau aus kaum erreichbar waren: die nichtkommunistische literarische und politische Emigration, die jüdische Massenemigration und die auslandsdeutschen Minderheiten in den westlichen Aufnahmestaaten. Herstellbar waren somit Emigrationsbündnisse als Grundlage eines exilpolitischen Repräsentanzanspruchs für Deutschland.

Unter der Leitung von Paul Merker, dem einzigen Politbüromitglied der KPD im westlichen Kriegsexil, gelang der Freies Deutschland-Bewegung eine Ausdehnung im lateinamerikanischen Raum. Anfang 1943 konstituierte sich in Mexiko mit dem Anspruch, die deutschen Hitlergegner auf dem Subkontinent zu vertreten, das Lateinamerikanische Komitee der Freien Deutschen. Das Amt eines Ehrenpräsidenten wurde mit der symbolträchtigen Figur des Schriftstellers Heinrich Mann besetzt. Der Realität hielt der Anspruch dieses Komitees freilich nicht stand. Hinter der überparteilichen Selbstdarstellung und vehementen Einheitsrhetorik der kommunistischen Exilanten verbargen sich handfeste parteipolitische Führungsinteressen, die gegebenenfalls mit den Methoden stalinistischer Machtpolitik durchgesetzt wurden. Vor Ort wurden mißliebige Mitexilanten wie Heinrich Gutmann oder Gustav Regler kurzerhand als Naziagenten denunziert, und die Bildung des Lateinamerikanischen Komitees erfolgte in einem ebenso langwierigen wie intrigenreichen Abgrenzungskampf mit sozialdemokratischen und linkssozialistischen Emigranten in Südamerika, die sich nicht an der Initiative aus Mexiko, sondern an einem konkurrierenden Zentrum um den früheren SAP-Reichstagsabgeordneten August Siemsen in Buenos Aires orientierten.

Sehr enge Grenzen waren auch den Versuchen gesetzt, die in Lateinamerika fast durchweg nationalistisch orientierten auslandsdeutschen Minderheiten zur Einheit gegen Hitler und zur Unterstützung der Alliierten zu bewegen. Dabei verfügte die kommunistische Exilgruppe hinsichtlich der Mexiko-Deutschen mit einem seit August 1943 zweiwöchentlich herausgegebenen Lokalblatt, der Demokratischen Post, über durchaus günstige Ausgangsbedingungen. Das Periodikum hatte nach dem Verbot der Deutschen Zeitung von Mexiko eine unangefochtene Monopolstellung, die es mit einer für alle deutschsprachigen Leserschichten attraktiven Berichterstattung erfolgreich nutzte. Auch in mexikodeutschen Kreisen wurde die Demokratische Post gelesen, ohne allerdings nennenswerte Umdenkprozesse in Gang setzen zu können. Mit seiner Apostrophierung des Blatts als Demokratische Pest brachte der auslandsdeutsche Volksmund das symbolträchtig zum Ausdruck. Größere Erfolgsaussichten hatten demgegenüber die Bemühungen um die jüdische Emigration. Zwar gelang es nicht, relevante Teile dieser zahlenmäßig bedeutenden Flüchtlingsgruppe zu einem deutschlandpolitischen Engagement zu bewegen, aber immerhin eröffneten die bündnispolitischen Avancen der Kommunisten Perspektiven eines ernsthaften deutsch-jüdischen Dialogs. Im Herbst 1942, lange bevor irgendein deutscher Politiker Vergleichbares in Betracht ziehen sollte, und zu einem Zeitpunkt, als die Alliierten das Schicksal des jüdischen Volkes mit weitgehendem Desinteresse bedachten, stellte der kommunistische Exilpolitiker Paul Merker Reparationsleistungen an das jüdische Volk durch eine künftige deutsche Regierung in Aussicht und erklärte die zionistischen Bestrebungen für eine jüdische Nationalstaatslösung in Palästina für legitim. Merkers Rhetorik stellte klar, daß man zumindest in Mexiko die ersten Nachrichten über die Vernichtungslager im besetzten Polen ernst nahm:

"Wenn alle deutschen Flüsse Tinte und alle deutschen Wälder Federstiele wären, so würden sie nicht ausreichen, um die unzähligen Verbrechen zu beschreiben, die der Hitlerfaschismus gegen die jüdische Bevölkerung begangen hat. [...] Hitlerdeutschland wird dafür in der Geschichte als das Land des im gigantischsten Ausmaße staatlich konzessionierten und konzentrierten feigen Mördertums eingemeißelt bleiben." (Freies Deutschland, Oktober 1942)

Daß Merker sein mexikanisches Exilengagement im spätstalinistischen Ostberlin als 'zionistische Agententätigkeit' ausgelegt wurde und seinem Mitarbeiter Otto Katz im Prager Slansky-Prozeß von 1952 mit gleicher Beschuldigung buchstäblich der Strick daraus gedreht wurde, sei hier nur angemerkt. Die Bewegung Freies Deutschland hat in Mexiko, bei etwa 100 kommunistischen Anhängern, einen Stand von insgesamt 400 Mitgliedern, überwiegend deutsch-jüdischen Emigranten, erreicht - ein durchaus beachtlicher Erfolg, der ohne Zweifel auch auf die behutsame Auseinandersetzung mit der jüdischen Interessenlage zurückzuführen ist. Darüber hinaus spielten aber auch Besonderheiten der mexikanischen Exilsituation eine Rolle. Bei den Behörden des konservativen Cárdenas-Nachfolgers Manuel Avila Camacho (1940-1946) genoß die kommunistisch geleitete Exilorganisation einen Status offiziöser Anerkennung, der den Mitgliedern mancherlei Vorteile brachte und nur auf den ersten Blick paradox ist. Mexikos Kriegseintritt im Mai 1942 war schon aus Gründen kriegswirtschaftlicher Zusammenhänge ein Weg an die Seite der Vereinigten Staaten; nach den Jahren der Autarkiebestrebungen unter dem populistischen Cárdenas-Regime war dieser Weg aber nicht unumstritten, und so bestand zwischen kommunistischen Exilanten, die aus Gründen bündnispolitisch-taktischer Orientierung großes Gewicht auf die Akklamation und Unterstützung der westlichen Verbündeten Stalins legten, und der offiziellen Politik des Landes durchaus eine Parallelität der Interessen.

Literatur im Exil

Größere Bedeutung für die bündnispolitischen Erfolge der kommunistischen Exilgruppe kam aber dem Umstand zu, das sie ihrer in politischen Fragen abwartenden, der deutschsprachigen Herkunft und Kultur aber eng verbundenen Zielgruppe ein attraktives Angebot unterbreiten konnte. Nicht politische Erklärungen des früheren Abgeordneten Paul Merker oder Hilfestellungen beim Umgang mit der Bürokratie des Gastlands waren die Garanten des Erfolgs, sondern vielmehr der direkte Kontakt der kommunistischen Schriftsteller und Intellektuellen mit ihrem Publikum. Dem im November 1941 gegründete Heinrich Heine-Klub, präsidiert von Anna Seghers, hatten andere Kulturorganisationen der Emigration, seien es österreichische Vereine, die im Vorkrieg so aktive Liga Pro-Cultura Alemana oder auch die Menorah nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Der Heine-Klub wurde zum anerkannten, multinationalen kulturellen Zentrum einer kleinen, personell überschaubaren Gemeinde deutschsprachiger Exilierter und Emigranten, in dem Angehörigen künstlerischer und akademischer Berufe auch ein Betätigungsfeld geboten wurde. Bis zum Frühjahr 1946 veranstaltete der Klub regelmäßig literarische Abende, Theateraufführungen, Filmveranstaltungen, Konzerte und wissenschaftliche Vorträge. Ohne ganz auf Unterhaltungsangebote zu verzichten, die andernorts in Lateinamerika das Kulturleben der Emigration stark dominiert haben, zeichnete sich das Veranstaltungsangebot durch ein ausgesprochen hohes Niveau aus. Zu den Höhepunkten gehörten Lesungen mit Anna Seghers und Egon Erwin Kisch, kunstgeschichtliche Vorträge von Paul Westheim, eine mexikanische Erstaufführung der Dreigroschenoper, eine Inszenierung von Büchners Wozzek, ein Kompositionsabend mit dem deutsch-spanischen Komponisten Rodolfo Halffter und eine Schönberg-Erstaufführung für Mexiko im Rahmen eines Orchesterkonzerts verbotener Musik.

Zu den besonderen Leistungen der kommunistischen Exilanten in Mexiko gehört schließlich der Exilverlag El Libro Libre, neben dem erst 1945 in New York gegründeten Aurora-Verlag die bedeutendste Neugründung der Kriegsjahre. Zum Jahrestag der nationalsozialistischen Bücherverbrennungen im Mai 1942 stellte sich der Verlag als Selbsthilfeunternehmen der in Mexiko exilierten Schriftsteller vor. Anfang 1943 erschien bei El Libro Libre Anna Seghers' berühmter Roman Das siebte Kreuz. Von mehr als nur zeitgeschichtlichem Wert sind ferner die Veröffentlichungen von Egon Erwin Kisch, Marktplatz der Sensationen (1942) und die Entdeckungen in Mexiko (1945). Aus den Vereinigten Staaten schickten Lion Feuchtwanger seinen Erlebnisbericht aus der Emigration, Unholdes Frankreich (1942), und Heinrich Mann seine Lidice-Satire (1943). Aus Moskau kam in Nachkrieg das Manuskript von Theodor Plieviers Roman Stalingrad (1946). Der neben dem Siebten Kreuz bedeutendste Roman der literarischen Mexiko-Emigration erschien jedoch nicht in dem deutschen Exilverlag, sondern unter dem Titel Visado de tránsito in mexikanischer Ausgabe bei Nuevo Mundo (1944): Anna Seghers' Roman Transit fand erst 1948 in Konstanz einen deutschen Verleger.

Während die Seghers eine literarische Auseinandersetzung mit dem Gastland erst im Rückblick auf das Exil aufgenommen hat, wurde Mexiko für andere Autoren schon in den Exiljahren zur literarischen Herausforderung. Kisch, der das Land in ironischer Selbststilisierung für sich und die Mitemigranten 'entdeckte', publizierte seine 1945 als Buch zusammengefaßten Mexiko-Reportagen in Freies Deutschland. Zunächst in der Exilpresse veröffentlichte auch Bodo Uhse literarische Bearbeitungen mexikanischer Stoffe, die später als Sammelband Mexikanische Erzählungen (1957) herausgegeben wurden. Die Tradition deutscher Mexikoliteratur wurde schließlich durch Gustav Reglers Vulkanisches Land (1947 [1987]) bereichert.

Für nicht wenige Flüchtlinge, die keineswegs als Immigranten nach Mexiko gekommen waren, wurde das Land zu einer dauerhaften Bleibe. Oftmals waren es gerade spezifische Eigentümlichkeiten seiner Kultur, die die Betreffenden an die neue Heimat banden und die einer Remigration entgegenstanden. Franz Feuchtwanger, vor 1933 Mitarbeiter des illegalen Militärapparates der KPD, im Prager Exil Mitglied der linkssozialistischen Gruppe Neu Beginnen und in Mexiko der Liga Pro-Cultura Alemana, befaßte sich mit präcortesianischer Archäologie. Gertrude Düby, Mitbegründerin der SAP und engagierte KPD-Funktionärin der 30er Jahre, referierte schon im Heine-Klub über den Stamm der Lakandonen im Regenwald von Chiapas und leitete in späteren Jahren das ethnographische Forschungszentrum Na Bolom in San Cristóbal de las Casas. Der in diesem Zusammenhang bedeutendste Name ist bereits genannt worden: Paul Westheim ist als Begründer einer Ästhetik der präcortesianischen Sakralkunst das herausragendes Beispiel eines gelungenen Kulturtransfers durch die Emigration. Nachdem die deutschsprachigen Leser und Hörer in Mexiko seit 1942 seine Vorarbeiten hatten mitverfolgen können, erschien 1950 seine Studie Arte Antiguo de México (Die Kunst Alt-Mexikos, 1966). Sie wurde zum Klassiker, zahlreiche weitere Bücher folgten. Nach Paul Westheim, der 1963 während eines Berlinbesuchs starb, ist ein Saal des Palacio de Bellas Artes benannt. Octavio Paz schrieb zu diesen Büchern: "Dank für diese Bücher!"

Literaturhinweise:
Oeste de Bopp, Maruanne. Die Deutschen in Mexiko, in: Hartmut Fröschle (Hrsg.). Die Deutschen in Lateinamerika, Tübingen 1979, S. 475 - 564.
Pohle, Fritz. Das mexikanische Exil, Stuttgart 1986.
Lateinamerika Nachrichten. No. 251 und 252/53, 1995, Flucht und Migration I + II.