Sozialistische Zeitung (Soz) Nr.06 vom 15.03.2001, Seite 2

Gewerkschaftsausschluss geplant
Firma und IG Metall schikanieren Gewerkschafter

von Gerhard Klas
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Josef Lutz muss an zwei Fronten kämpfen. Das langjährige Mitglied der IG Metall und Mitarbeiter der Nürnberger Elektronik Firma Semikron ist seit Ende des vergangenen Jahres mit der außerordentlichen Kündigung des Unternehmens und seit mehreren Wochen mit einem Ausschlussverfahren bei seiner Gewerkschaft konfrontiert.

Das Unternehmen begründet seine Kündigung mit einer Solidaritätsadresse, die Lutz für von der Entlassung bedrohte Kolleginnen und Kollegen beim Bahntechnikhersteller Adtranz ins Internet stellte. Der zweite Vorwurf bezieht sich auf einen von der Vertrauenskörperleitung des Betriebs unterzeichneten Brief an den Bundeskanzler und den Außenminister anlässlich des NATO- Krieges. Als Untergliederung der IG Metall verurteilten sie die Bombardements Jugoslawiens ebenso wie die Verfolgung der albanischen Bevölkerung durch Milosevic. "Wir können auch die Trauer und das Entsetzen unserer jugoslawischen Kollegen, die um ihre Familien zittern, nicht übersehen", schrieben damals die Gewerkschafter. Lutz, so lautet der Vorwurf der Geschäftsleitung, hätte diesen Brief ebenfalls ins Internet gestellt. Damit habe er den Geschäftsinteressen der Firma Semikron geschadet, deren Kunden sich von solchem "Linksradikalismus" womöglich abgeschreckt fühlten.

Nachdem die Geschäftsleitung von Semikron ein Verfahren gegen den Betriebsrat Lutz eingeleitet hat, beantragte ein IG-Metall-Mitglied ein Untersuchungsverfahren der Gewerkschaft wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer politischen Organisation, die mit den Zielen der IG Metall unvereinbar sei. Konkret wirft die IG Metall Lutz vor, Mitglied der maoistischen MLPD zu sein. Doch der Unvereinbarkeitsbeschluss, der aus den 80er Jahren stammt, sei schon 1999 durch den 19.Ordentlichen Gewerkschaftstag per Beschluss in Frage gestellt worden, so Dave Hollis, selbst Mitglied der IG Metall und Redakteur des LabourNet Germany. "Man kann zur MLPD stehen, wie man will", so Hollis weiter, aber abweichende bzw "unangenehme" gewerkschaftliche oder politische Meinungen könnten nicht mit einem Ausschluss aus der Welt geschaffen werden.

Dessen ungeachtet und trotz zahlreicher Proteste aus anderen Betrieben und der Metallgewerkschaft, u.a. des Vertrauenskörpers von Semikron, der Lutz attestierte, beim Einsatz für seine Mitarbeiter "auch persönliche Nachteile in Kauf genommen" und für die IG Metall "eine Reihe neuer Mitglieder" gewonnen zu haben, beschloss der Nürnberger IG-Metall- Ortsvorstand am 18.Dezember mit wenigen Gegenstimmen, das Verfahren gegen Lutz weiterzutreiben.

Der erste Teil des Untersuchungsverfahrens der IG Metall Nürnberg fand am 5.März statt. Die Untersuchungskommission bemühte die "unerlaubten Veröffentlichungen", um Lutz gewerkschaftsschädigendes Verhalten nachzuweisen. Nachdem ein Zeuge auf die Ähnlichkeit der Vorwürfe der IG Metall mit denen der Semikroner Geschäftsleitung hinwies, kam es zum Eklat. Der Vorsitzende der Kommission fand es "ein starkes Stück", dass die beiden Parteien so miteinander in Verbindung gebracht werden könnten.

Das Untersuchungsverfahren der IG Metall wurde ohne Ergebnis auf den 16.März vertagt. Zwei Tage zuvor ist ein neuer Termin vor dem Arbeitsgericht angesetzt. Der erste Verhandlungstag im vergangenen Jahr ging mit einem Unentschieden aus. Der "Gütevorschlag" des Richters, die beabsichtigte Kündigung in eine Abmahnung umzuwandeln, wurde von beiden Parteien abgelehnt. Die Geschäftsleitung beharrte auf der außerordentlichen Kündigung, für den Physiker Josef Lutz war nur die bedingungslose Rücknahme akzeptabel, weil es "um grundlegende Rechte für die Arbeit von Gewerkschaftern und Betriebsräten geht".

Sollte Semikron vor Gericht Recht bekommen, "würde dies einen gefährlichen Präzedenzfall bedeuten", meint Hollis. "Die bloße Erwähnung eines Firmennamens bei gewerkschaftlichen Veröffentlichungen im Internet oder gar der bloße Verdacht, dies veranlasst zu haben, würde dann vollkommen für eine Kündigung ausreichen."

Weitere Infos: www.labournet.de.