WochenZeitung

Die Zivilisationsseuche

von Susan Boos
03/01
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Von einer gewöhnlichen Epidemie zur Panik: Hochleistungszucht hat das Vieh anfälliger für die Maul- und Klauenseuche gemacht.

Wegen der Maul- und Klauenseuche (MKS) worden in Britannien bereits 300000 Schweine, Schafe und Kühe notgeschlachtet. Weitere Massenschlachtungen sind angekündigt. Europaweit herrscht Panik vor einer Krankheit, mit der die Menschen jahrhundertelang gelassen lebten: «In der Schweiz wurde die Maul- und Klauenseuche noch vielfach gerne als eine ‘in der Regel gutartige’ und als eine ‘der gewöhnlichen Rinderviehepizootien’ [Viehepidemie, sb.] beschrieben», hielt zum Beispiel der Adjunkt des Berner Kantonstierarztes, F. X. Weissenrieder, im Jahr 1924 in einem schmalen Bändchen «Zur Frage des Abschlachtens oder Durchseuchens bei Maul- und Klauenseuche» fest.
Heute sagen die MKS-Experten, die Tiere müssten sofort getötet werden, weil sie sonst unter schlimmsten Qualen litten. Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sah man dies differenzierter: «Wenn die Maul- und Klauenseuche in einer sonst seuchenfreien Gegend nur vereinzelt herrscht, so kann die Tötung der seuchenkranken und verdächtigen Tiere angeordnet werden, sofern anzunehmen ist, dass die Seuche dadurch getilgt werden kann», hiess es zum Beispiel 1909 im deutschen Viehseuchengesetz; dabei galt jedoch die Einschränkung: «Hat die Seuche bereits weiter um sich gegriffen oder ist (...) zu vermuten, dass der Ansteckungsstoff bereits in grösserem Umfang verschleppt worden ist (...), dann muss die Tötung, weil voraussichtlich nutzlos, unterbleiben.» Laut der österreichischen Gesetzgebung durfte der Staat damals nur bei sehr gefährlichen Viehkrankheiten wie Rinderpest, Lungenseuche oder Tollwut die Tötung von Tieren anordnen; bezüglich Maul- und Klauenseuche war nur vom «Schlachten der kranken Tiere zum Zwecke des Fleischgenusses» die Rede, nicht aber von der Abschlachtung als Seuchenbekämpfungsmassnahme.
Man konnte es sich in jener Zeit gar nicht leisten, den Viehbestand so massiv zu reduzieren und so viel Fleisch einfach zu vernichten. Deshalb haben die Bauern ihre kranken Tiere oft durchgeseucht. Nur drei Prozent der erwachsenen Kühe starben. Oft entwickelten ausgewachsene Schafe, Ziegen oder auch Schweine kaum Symptome. Sie litten zwei, drei Tage an Fieber, gingen etwas gestelzt, weil ihre Füsse schmerzten – doch nach wenigen Tagen waren sie physisch wieder gesund und während Jahren immun gegen die Krankheit; sie konnten allerdings den Krankheitserreger noch während Monaten ausscheiden. Was für die heutige Landwirtschaft jedoch stärker zählt: Die Tiere verlieren an Leistungsfähigkeit. Eine durchgeseuchte Kuh gibt etwa einen Drittel weniger Milch – womit sie nicht mehr rentiert.
Interessant ist, dass der Krankheitsverlauf offenbar vom Tierbestand abhängt. Grundsätzlich können alle Paarhufer – Schweine, Ziegen, Rinder, aber auch Hirsche, Rehe oder Gämsen (sowie Elefanten) – an der Maul- und Klauenseuche erkranken. Wissenschaftler haben indes festgestellt, dass Wildtiere selten an MKS leiden. In ihrem umfangreichen Werk «Maul- und Klauenseuche» stellen die beiden Tierseuchenspezialisten Heinz Röhrer und Adolf-Friedrich Olechnowitz fest, dass der Erreger «insbesondere in Beständen mit Hochleistungstieren eine schwere, oft tödliche Erkrankung hervorruft», während derselbe Erreger bei «primitiven Rinderrassen» nur «eine milde, schnell vorübergehende Erkrankung ohne wesentliche Störung des Allgemeinbefindens» auslöst. Ihr Fazit: «Ganz besonders hoch sind die Schäden in Gebieten mit intensiver Tierzucht wie in Europa und Amerika. Die extreme Zucht auf Leistung, namentlich auf Milchleistung, hat ganz offensichtlich die Anfälligkeit für die Maul- und Klauenseuche erhöht.» Es sei, so fahren sie fort, «eine Erfahrungstatsache, dass wohlgenährte Tiere schwerer erkranken als Tiere im reduzierten Ernährungszustand». Womit sich erklären lässt, weshalb die Maul- und Klauenseuche in vielen Trikontländern allgegenwärtig ist. Die Tiere in Afrika oder Indien bekommen die MKS, wie bei uns die Kinder Masern oder Röteln durchleben.hannes Rau lieber gleich die obersten Repräsentanten der politischen Klasse des Landes ins Haus.