Editorial
Hauptzweck Theoriearbeit

von Kevin M. Schmitt
03/02
 
trend
onlinezeitung
Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
„Was sag ich meinem Kollegen morgen im Betrieb?“ war früher schlechthin die Frage mit der Polit-Praktiker in die Diskussion eingriffen, um solche theoretische Einsichten zu delegitimieren, die Grundsatzfragen linker&radikaler Politik berührten. Seitdem sich die linksradikalen Kräfte in ihre selbst geschaffenen Nischen verkrochen haben, steht radikale Theorie wieder höher im Kurs. Jedoch ist das alte Kosten/Nutzen-Denken damit nicht verschwunden. Ganz im Gegenteil, der praktische Zweck linksradikaler Theoriearbeit soll allein auf die Wiedererlangung sozialer Bewegungsfähigkeit abgestellt sein und daran gemessen werden. So bieten z.B. die sogenannten GlobalisierungsgegnerInnen und ihre Diskurse ein anschauliches Bild davon, wie die Theorie als „Magd der Praxis“ (Lenin) zugerichtet wird.

Die Nachtgespräche im Partisan.net - es gab bisher vier gut besuchte Abende mit wildwüchsiger Streitkultur - verstehen sich als das ganze Gegenteil von solch einem mechanistischen Theorie/Praxisverhältnis. Dort geht es nicht nur um den Widerstreit von Meinungen, gewichtet nach ihren Unterhaltungswert, sondern vor allem um das In-die-Welt-Setzen von theoretischen Einsichten verbunden mit der Gefahr, sich mit einem Gegenargument auseinandersetzen zu müssen.

Für die Nachtgespräche im März sind die Leute von B.O.N.E. eingeladen. Sie werden versuchen, einen Demokratiebegriff zu formulieren, der sich auf die Bedingungen einer befreiten Gesellschaft bezieht. Wir sind erwartungsvoll auf ihre Thesen gespannt, lehnen wir doch ebenso wie B.O.N.E. auf Über- und Unterordnung basierende Machtstrukturen ab und können von daher an einer rot-roten Landesregierung absolut nichts Fortschrittliches entdecken, außer dass der gewöhnliche Geschäftsgang des Kapitalismus nun von einem Personal betreut wird, dem der Geruch anhängt, sie seien irgendwie sozial drauf.

Wir wollen auch nicht verhehlen, dass wir „Antideutsches“ bisher deswegen im trend verbreitet haben, weil ihre Protagonisten in der Theoriearbeit den Hauptzweck sahen. Jedoch sind jene, die sich um die Bahamas scharen, derzeit dabei, diesen Hauptzweck über Bord zu schmeißen. Nachdem man seit dem 11.9.2001 politische Praxis auf der Straße als Kriegspromotion betreibt, folgt nun offensichtlich in diesem Monat die Gründung einer bundesweiten politischen Organisation.

Nicht damit zu verwechseln die antideutschen ISFler, deren Kongress Antideutsche Wertarbeit wir gerne ankündigen. Aber auch hier neigen wir dazu, unsere Sympathie dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass wir die dazu passende Kritik von Seiten der Wildcats
»Neue Deutsche Wertkritik« gleich mitliefern.

Dass theoretische Erkenntnisse, die nicht unmittelbar an einer spezifischen Praxis ausgerichtet sind und von daher kein zeitnahes Verfallsdatum kennen, dennoch keine Allgemeinplätzchen enthalten müssen, zeigt der Aufsatz "... Gehen Sie nicht über los, ziehen Sie nicht 4000 Mark ein ..." von Robert Hamm.

Wir wünschen uns, das uns weiterhin noch viele solcher Artikel zugesandt werden.

Viel Spaß beim Lesen der Nr. 3-02.