Soziale Bewegung in Afrika gegen Kriegsherren und Militarisierung des Zusammenlebens
03/02
 
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Ich möchte hier von einer sozialen Bewegung berichten, die es in den Jahren 1989 bis 1992 in Mozambique gegeben hat, und die sich gegen die Kriegsherren der RENAMO und die Herrschaft des Terrors und der Angst erhoben hat.

Die Naprama-Bewegung

Sie entstand 1989 im Kontext eines neuen weltweiten Kampfzykluses, und war im Norden Mozambiques, v.a. in den Provinzen Zambezia, Manica, Chimoio und Nampula verbreitet. Sie bildete sich aus der Notlage der Bauern heraus, die den Terror der RENAMO nicht mehr aushalten konnten. Wie viele wissen, übte die RENAMO/ MNR in den Jahren 1977-92 unsäglichen Terror auf das ganze Land aus. Was als Destabilisierungskrieg gegen den Sozialismus begann, gegründet 1977 vom Geheimdienst des damaligen Nordrhodesien, dem weißen Siedlerregime Ian Smiths, verwandelte sich bald in eine Organisation von Einheimischen, die ihre Bevölkerung terrorisierte und dabei - finanziert von einer antikommunistischen Lobby in den USA (Kirchen), der CDU und Südafrika - einen Gewaltkult verbreitete.

Gewaltkult, ein mehrdeutiger Begriff: das heißt Kult der Gewalt, spirituell aufgeladene und gerechtfertigte Gewalt, der Kult der mit übernatürlichen Energien ausgestatteten Kriegsherren mit ihren unverwundbaren Kämpfern. Eine Gewalt, die sich in die Körper einschreibt, eine Folter im öffentlichen Raum, ein Terror, der überall seine Spuren hinterläßt und sich durch die ganze Region schleicht. Sexualisierte Gewalt, die die Tabus noch vergrößert und ganze Gemeinschaften entwurzelt. Formen der Demütigung und Erniedrigung, die sich als Erfahrung völliger Machtlosigkeit und Würdelosigkeit im Leben der betroffenen Communities eingraben. Die RENAMO hinterließ eine Topographie des Terrors: verwüstete Landschaften, sie rekrutierte vor allem Kindersoldaten, steckte abgehackte Köpfe auf Pfosten am Ortseingang, die Luft angefüllt mit Angst und Schrecken.

Lange Zeit hielt sich die Wahrnehmung, dass Renamo-KämpferInnen unverwundbar seien und ihre Kriegsherren übernatürliche Kräfte besaßen. Diese für die 90er Jahre so tiefgreifende Erfahrung für viele Teile des Weltproletariats, der Subsistenz noch auf dem Weg zur Klasse, begann in Mozambique bereits in den 80er Jahren.

Die RENAMO begann mit einem antisozialistischen und antistaatlichen Sabotagekrieg und ging zeitgleich mit den staatlichen Kollektivierungsplänen der Frelimo dazu über die Warlordisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Sie war berüchtigt für ihre Unberechenbarkeit. Der Krieg forderte 1977-92 eine Million Tote und ungezählte Verstümmelte.

Die Naparama-Bewegung bezog sich — wie die anderen Widerständigen der kleinen Gemeinden von Zeugen Jehovas — vor allem auf ihre spirituellen Refugien und eine christliche Ethik. Ken Wilson berichtet von Manuel Antonio, einem Mann Ende 20 mit etwas Schulbildung, der von den Toten kam und erklärte, er habe die Mission, die Nation vom Krieg zu befreien. Mosambikanische Regierungsvertreter, Intellektuelle und Manuel Antonio selbst lokalisierten die Macht hinter dieser neuen Bewegung in der Einsicht der Pauperisierten, dass nur sie selbst ihr Leiden unter dem Terror der RENAMO beenden könnten und, dass sie die Mittel, um dies zu erreichen, aus ihren eigenen kulturellen Quellen schöpfen könnten (Wilson 1992, S. 561 Interviews; K Maier ‚Renamo flee at Sight of Rag-Tag Army‘ The Independent, 27. Juli 1990, S. 12 nach Wilson). Drei Jahre lang gelang es dieser neuen Massenbewegung dem Terror die Stirn zu bieten. Das gelang ihnen in erster Linie in der Art und Weise, wie sich der Anspruch auf Würde aus der Notwendigkeit des Überlebens in der ganzen Region Nordmozambiques ausbreitete. Es gelang ihr sogar die Renamo in einer ihrer Hochburgen erheblich zu schwächen. Diese Schwächung der Renamo kann als wichtiger Schritt auf dem Weg zum Friedensabkommen von Rom im November 1992 zwischen Frelimo und Renamo gewertet werden. NAPRAMA trotzte nicht nur der RENAMO, sie kritisierte auch bald die IWF-Programme und den Weltmarkt als Existenzbedingung. Im Kampf gegen die Renamo gingen sie zeitweise Bündnisse mit der Frelimo ein, die sie zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren suchte, um die nördliche Hälfte des langen Landes über die sabotierten Brücken und Verkehrswege hinweg kontrollieren zu können. Doch ohne Erfolg. NAPRAMA beharrte auf Autonomie. Ihre Stärke war, denke ich, das Ansinnen auf eine Würde, eine Antizipation des anderen Lebens, aus einem Raum kollektiver Antizipation, den es immer gibt, auch wenn die Welt von Terror beherrscht ist.

Gegengewaltkult und Anti-Gewalt-Kult

Das große Problem war in dieser Region die um sich greifenden Überfälle, Plünderungen, grundlosen Gewalttaten und ihre breite Imitation, die dafür sorgten, dass sich lange Zeit kaum jemand traute, sich frei von Siedlung zu Siedlung zu bewegen. Regelmäßig wurden Hilfstransporte überfallen, LehrerInnen, Journalisten und Priester ermordet. Naprama stand für einen Selbstorganisationsprozess von Bauernfamilien, die in Versammlungen und Beratungen von Dorf zu Dorf strenge Verhaltensregeln aufstellten und sie für alle verbindlich machten. Manuel Antonio und andere spirituell inspirierte Sprecher erklärten schlicht die Renamo für verwundbar und organisierten Vereinbarungen nach denen die neuen Verhaltensregeln von allen betroffenen Regionen einzuhalten seien. Offenbar war die Renamo auf der Ebene eben jenes spirituell vermittelten Gewaltkultes sehr angreifbar. Es formierten sich auch Einheiten zu Selbstverteidigungsgruppen, vor allem um die vielen verschleppten Frauen, Mädchen und Kinder zu befreien. Bei den sehr riskanten Überfällen auf die Lager von RENAMO-Einheiten entliefen den Lagern immer wieder Heerscharen von zwangsrekrutierten Jugendlichen — sie nutzten die Gelegenheit zur Flucht und verstanden das Signal der Unverwundbarkeit der Anderen — gleichbedeutend mit der Verwundbarkeit der RENAMO und ihrer Chefs. Diese geflohenen und desertierten Kindersoldaten und vereinzelt auch Renamo-Kader wurden in Dörfern aufgenommen, wo die Naprama stark war. Die Leute versuchten, sie zu integrieren. RENAMO reagierte natürlich mit brutalen Gegenangriffen und Grausamkeiten, doch konnten sich mehrere gewaltfreie Zonen über die drei Jahre halten (K. Wilson 1992, S. 554f).

Wie Wilson berichtet, gab es die ersten Friedenszonen bereits 1982. Die am längsten bestehende hieß Mungoi, initiiert von einer Frau, die als Spiritmedium auftrat. Andere Zonen und Friedensdörfer, initiiert von ganz alten oder auch jungen Chiefs, boten im Lauf des Kriegs Orte der Zuflucht für alle. Dort konnten auch geplünderte Güter wieder zurückgegeben werden. Golombi brachte es zu einer spürbaren Erholung der Landwirtschaft und viele entlaufene Renamo-Soldaten fanden bei der dortigen Chief Arbeit gegen Lebensmittel. Wer Golombi bewaffnet betrat wurde von einer Schlange gebissen oder von einem Löwen getötet. Dabei gab es zugleich viele interne Konflikte: Teile der NAPRAMA begannen mit der Zeit selbst zu plündern und Grausamkeiten zu verüben — so sehr war der Norden Mozambiques im Terror vergesellschaftet. Auch wenn ihr Sprecher Manuel Antonio im Sept. 1991 der RENAMO zum Opfer fiel, ist sie letztlich eine Seite eines langanhaltenden sozialen Patts, das seit der Unterzeichnung und freihandelskapitalistischen Umsetzung des Friedensabkommens 1992 zwischen den neureichen Kriegsgewinnlern und den Mittellosen, Vertriebenen und Bauern herrscht. Unmittelbar nach dem Mord an Manuel Antonio kam es zu großen Demonstrationen und Aktionen gegen die RENAMO. Doch auch die Gesellschaftlichkeit des Banditentums flammte wieder auf.

Seit 1992 liegt jedoch trotz sporadischer Gewaltausbrüche und Drohgebärden von Seiten der ehemaligen Warlords die Chance nun in der Hand der Basisbewegungen. Um Naprama ist es nach außen hin still geworden, doch gibt es zahlreiche neue Oppositionsgruppen. Vor allem Frauengruppen im Süden des Landes, die sich von der offiziellen Frauenorganisation getrennt hatten, machen seit Jahren erfolgreich Druck auf die Regierung, Soforthilfe für die innerhalb des Landes Vertriebenen bereitzustellen und die Regionen wiederaufzubauen. Vielleicht bringen sie nun das zur Anwendung, was der vormals sozialistische Staat ihnen in den "Dynamisierungsgruppen" beigebracht hatte. Die Naprama-Bewegung entstand, wie Ken Wilson sehr anschaulich berichtet, ohne Impulse von außen, sie setzte sich im wesentlichen aus Bäuerinnen und Bauern und anderen Teilen der Landbevölkerung zusammen, die auch das Land nicht verlassen konnten oder nicht wollten. Sicher, einige konnten wie Manuel Antonio lesen und schreiben, aber die meisten konnten und können es bis heute nicht.

Die Erfahrung der Naprama lässt nicht resignieren — denn sie vermittelt, dass es auch unter den schwierigsten Bedingungen eine Bewegung gegen den Raub der Würde und des Lebensrechts geben kann. Vielleicht ist die Tatsache, dass sie im Kontext der weltweiten Welle von Kämpfen 1989-92 stand (in Afrika wurden in dieser Zeit 16 Diktatoren gestürzt; Runde Tische sollten stattdessen die Zersetzung von Industrie und Agrarexport aufhalten), kein Zufall, sondern ein Ausdruck einer transnationalen Subjektivität. Die neuen Bewegungen in Kenya und in Kamerun, einmal die Demokratiebewegung, zum andern die Landbesetzungen und die Opération Ville Morte (Operation Tote Stadt/ das hieß Boykottiert Yaoundé und Douala, um Biya zu stürzen!) begannen 1990 und 1991 jeweils um einen Tag versetzt mit offenen Auseinandersetzungen.

Vielleicht gibt es so etwas wie eine Globalität, eine sozialrevolutionäre Verbundenheit über die Grenzen hinweg. Damit erscheinen andere Begriffe und andere Gestalten im Raum, die anders als "Zivilisation" und "Humanismus" nicht von europäischer Philosophie geprägt sind, sondern aus der Dialektik der Kämpfe auf eine Reproduktionsfähigkeit der Communities, auf ihr "Erinnerungsvermögen" verweisen.

Ganz wie aus Afghanistan von einem Sufi-Revivial berichtet wurde, das 1992 einige Zeit nach dem Abzug der Sowjets wieder auflebte — eine Vorstellung von einer inneren Unzerstörbarkeit, eine Undurchdringlichkeit des eigenen Körpers — religiös in mystischer Verbundenheit mit Allah oder anders... (Ahmed Rashid im Far Eastern Economic Review 1992, "Sufi-Revival in Afghanistan", und in seinem Buch Taliban. Islam. Oil and the New Great Game in Central Asia, S. 184). Währenddessen lassen sich "Zivilisation" und "Humanismus" — beides geschichtslose "Ontologisierungen" — leicht instrumentalisieren, um in ihrem Namen alle erdenklichen Verbrechen zu begehen.

Heute sind die dichtbesiedelten Nordprovinzen Zambezia, Manica Nampula und Chimoio Schauplätze des Investment, wie man im Internet erkennen kann. Mozambiques Frelimo hat unter Regie der Friedrich-Ebert-Stiftung spätestens ab 1992 den Umbruch zum Freihandelskapitalismus eingeleitet. Constan Viljoen (ehemals South African Defence Force, der Polizeiführung des Apartheidregimes) und der Milliardär "Blanchard Ulysses III." aus Texas wollen sich die Regionen einverleiben. Großen Grundbesitz wollen sie durchsetzen und die vielen tausend Vertriebenen als Landarbeiter mit "Subsistenzparzelle" zur "Lohnergänzung" an den Rändern ihrer Agrobusiness-Parks ansiedeln, Tourismus mit Edelhotels und verarbeitenden Industrien an der Küste (z.B. Konserven) (Michel Chossudovsky, Exporting Apartheid, 1998).

Ich denke, die Erfahrung der Naprama ist so jung, dass es auch denkbar ist, dass sich der neuen Polizeigewalt, die das Kapital dann ja braucht, neue Anti-Polizeigewalt-Gruppen entgegenstellen werden.

Literatur:

Ken B. Wilson, Cults of Violence and Counter-Violence in Mozambique, in Journal of Southern African Studies 9, 1992, 5: S. 527-582.
 


Editoriale Anmerkungen:

Der Artikel wurde veröffentlicht als Arbeitspapier der "Materialien für einen neuen Antiimperialismus", Berlin, Okt.2001. Er wurde gespiegelt von
http://www.materialien.org/africa/naprama.html