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Nr. 03-04
Notausgabe
5. März 2004

9. Jahrgang online

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Die Würde des Lateinamerikanischen Machtblocks
Welche Perspektive hat Kolumbien in Südamerika?


Von Heinz Dieterich

George Bush hat sich auf dem Außerordentlichen Gipfeltreffen Amerikanischer Staaten in Monterrey gegen die Mauer der Würde des Lateinamerikanischen Machtblocks (BPL) ausgesprochen. Er erlitt die gleiche Niederlage, die sein Land auf dem Gipfeltreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Cancún hinnehmen musste, ohne dass diesmal die Großmächte China und Indien an der Seite der Lateinamerikaner gestanden hätten.  

Erstmals seit der politischen Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Nationen hat sich „diese kleine Menschengattung“ – wie der Libertator Simón Bolivar die Völker des Großen Vaterlandes bezeichnete, deutlich vereint dem großen Raubtier im Norden entgegengestellt und es bezwungen mit, so wie der argentinische Präsident Nestor Kirchner vorhergesagt hatte, „Technischem K.O.“  

Historisch gesehen waren die Völker des Großen Vaterlandes immer Würdeträger gewesen, Verfechter der Identität und des lateinamerikanischen Patriotismus. Sie verteidigten die Souveränität unserer Länder mit großem Heldentum und unter Zahlung eines hohen Blutzolls für ihre Bestimmung und ihren Willen, frei zu sein. Deshalb ist es nicht übertrieben, von diesen Ländern als „heldenhaftem Subkontinent“ zu sprechen. Das ist ein Begriff, der die Entwicklung seit der europäischen Invasion im Jahre 1492 umfasst.  

Vor unseren Augen vollzieht sich der ewige Kampf des Commandante Marulanda der FARC-EP und des Ejército de Liberación Nacional (ELN), die seit 40 Jahren in den Bergen kämpfen, die anwachsen und einer der finstersten und blutigsten Diktaturen der schwarzen Analen der lateinamerikanischen Oligarchie widerstehen.  

Man kann das kleine Land El Salvador nicht betreten, ohne auf unzählige anonyme Helden des letzten Befreiungskrieges zu stoßen, die die militärische Intervention der Gringos und die Unterdrückung durch die Oligarchie auf dem Schlachtfeld zum Scheitern brachten. Da ist der Chirurg, der „unmögliche“ chirurgische Eingriffe im armseligen Kriegslazarett in Cerro de Guazapa vornahm. Dies geschah, nachdem er Teil der Spezialkräfte geworden war, die von den Vietnamesen ausgebildet worden waren . Deren Generale hatten ihnen mit Originalplänen des Krieges gegen die Franzosen und Amerikaner beigebracht, wie der andauernde Volkskrieg auszusehen hatte, der eine westliche Besatzerarmee zerschlagen sollte.  

Hier marschieren die Helden der Spezialkräfte, die in einer einzigen Nacht 27 Maschinengewehrposten zerstörten, die den Hauptsitz einer Heeresbrigade sichern sollten, ohne dass ein einziger Schuss fiel und ohne dass die Brigade bemerkte, dass sie soeben erstürmt worden war. Und hier ist das lebendige Gedächtnis der Kader, die mit Sprengstoff ausgerüstet ins Zentrum der Garnision eindrangen, sie in die Luft sprengten, wobei sie wussten, dass die Druckwelle, um erfolgreich zu sein, ihren eigenen Tod forderte.  

Auf diesem Territorium sind diejenigen zu Hause, die – wie der unvergleichliche Alí Primera sie betitelte – „den Himmel als Kopfbedeckung“ haben, wie dieser junge Maschinenbauingenieur, der Anführer die Stadtguerilla von San Salvador ist, der bis zum Dienstgrad eines Obersten in der Militärschule einer revolutionären Insel ausgebildet worden war. Er vervollkommnete mit karibischer Spitzfindigkeit eine hervorragende Kriegswaffe aus sowjetischer Technologie: Den Raketenwerfer RPG-7.  

Der RPG-7 ist gegenwärtig der Alptraum der US-Amerikanischen Truppen im Irak und der Zerstörer des Typs Caterpillar D-9 der terroristischen israelischen Armee in Palästina. Ein Ingenieur verwandelte ihn in eine außerordentlich effektive und versierte Waffe, indem er ihre Reichweite mittels Veränderung der Antriebslast erhöhte.  

Nach handwerklichen Experimenten vor Ort übermittelte der Ingenieur-Partisan seine Neureridee an die Insel Caimán Barbudo, deren Militäringenieure die empirischen Versuche mit dem Projektil vornahmen und wissenschaftlich begründet die Reichweite entsprechend der Antriebslast bestimmten. Letztendlich bestätigten sie, dass der Antrieb ohne Gefahr für den Schützen verdoppelt werden konnte.  

Der Partisan wurde vom Staatsterrorismus festgenommen und widerstand heldenhaft den monatelangen Folterungen, ohne etwas von dem preiszugeben, was er wusste. Nach seiner Freilassung ging er zu einer anderen Kriegsfront über – er bereitete die Kämpfer psychologisch mit seiner Kenntnis davon vor, wie man die Folterungen aushalten kann, wenn man in feindliche Hände gefallen ist.  

Die Erfahrungen El Salvadors finden ihre Wiederholung in Nicaragua. Es ist unmöglich, sich inmitten des nicaraguanischen Volkes zu bewegen, ohne auf Helden zu stoßen, die Washington drei Niederlagen bereitet haben: erstmals der Söldnerbande, die als Nationalgarde Somozas bekannt war; das zweite Mal, als sie bereits den Namen geändert hatte und als „Contras“ von Ronald Reagan auftrat und das dritte Mal, als sie das Imperium direkt besiegten, da der Kriegsverbrecher Ronald Reagan sich nicht traute, seine Marines zur Invasion im Land zu schicken.  

Daniel Ortega hatte eine der unzähligen Erpresserkommissionen, die Reagan nach Managua aussandte, davor gewarnt. Arrogant hatte der Gringo ihm fast befohlen „Unterlasst den Kauf von Kampfflugzeugen“ . „Wir werden sie kaufen, denn wir benötigen sie zu unserer Verteidigung“, widersprach der Sandinistenführer. Der Gringo lachte zynisch und erwiderte: „Wozu braucht ihr sie ? Wenn sie hier ankommen, werden wir sie zerstören.“  

„Gut, hier werden wir sie erwarten“, entgegnete Daniel und verabschiedete die Gesandten Reagans. Die Marines kamen niemals an. Sie wussten, dass die Sandinisten logistisch den langen Volkskrieg vorbereitet hatten, der von Kolumbien und Panama bis Guatemala führen sollte. Washington würde aus dieser Invasion geschlagen hervorgehen, genauso wie mit Sandino ein halbes Jahrhundert zuvor.  

Die Länder des Südens sind voller Helden. Der Kinodirektor Chiles, der Dutzende von Tonnen an Waffen entgegennahm als Geschenk mit dem chilenischen Widerstand sympathisierender Länder. Sie gelangten eines Nachts an den Strand und wurden in illegalen Operationen im gesamten Land verteilt und versetzten die Sicherheitsterroristen Pinochets in absolute Hysterie. Das war berechtigt, wie die militärische Operation der Patriotischen Front Manuel Rodriguez gegen den verräterischen General bewies, der sich wie durch Wunder retten konnte. Aber dies war das politische Ende seiner Diktatur, denn Washington verstand sehr gut, dass der Verbleib des Mörders an der Macht den Volksaufstand unaufhaltbar machen würde.  

Festgenommen und unter Foltern gab der Kinodirektor nichts preis. Und, in einer Nacht mit wolkenbruchartigem Regen, als die Gefängniswärter ihren Lieblingsfilm sahen, öffnete sich das Fenster der Gelegenheiten für eine Stunde. So wie im Film lief ein Fluchtplan ab, der langfristig bis ins Detail geplant worden war. Er kam mit anderen Genossen der Front zurück in die Freiheit, nachdem eine sechs Meter hohe Mauer überwunden worden war.  

Beim Überqueren der Cordilleren stößt er auf einige Überlebende des Justizkommandos, das in Asunción den blutigen Tyrannen Anastasio Somoza hinrichtete. Er hatte mit dollargefüllten Koffern Zuflucht in Miami genommen und hatte die zum Untergang verurteilte Stroessner-Diktatur in Paraguay auserwählt, um mit subversiven Mitteln die sandinistische Volksmacht zu zerschlagen.  

Die Notwendigkeit, die subversiven Aktionen von „Tacho“ Somoza in Asunción aufzuhalten, war ein Ziel, welches das sandinistische Volk, die sandinistische Regierung und eine wichtige Volksregierung des Großen Vaterlandes einte. Auf diese Weise wurden Kräfte vereint und die notwendige Logistik für die Operation entwickelt.  

Als Zeitungsverkäufer in Straßenkiosks und als Agenten eines bekannten spanischen Popsägers verkleidet, mit dem angeblich ein Film in Asunción aufgenommen werden sollte, konnten die Operateure in Ruhe Somozas Routine ausspähen.  

Als die finale Operation sich überstürzte, schien der gepanzerte Mercedes Benz von Somoza ihm das Leben zu retten, so wie es Pinochet geschah. Trotzdem gelang es einer effizienten M-16 aus US-Produktion, die aus kurzer Distanz abgefeuert worden war, den „guten Stern“ der deutschen Autobahnen zu besiegen und das Schicksal des Tyrannen zu besiegeln. Einige der Kader versuchten sich zu retten, indem sie schwimmend den Fluss Paraná überquerten. Andere bezahlten den Ruf des nikaraguanischen Volkes nach Gerechtigkeit mit ihrem Leben.  

Zum Leidwesen der Menschheit konnte Augusto Pinochet der chilenischen Volksjustiz entkommen. Genauso gelang es seinem karibischen Pendant, Fulgencio Batista, sich der revolutionären kubanischen Justiz zu entziehen. Er verließ Kuba mit dollargefüllten Koffern und suchte Unterschlupf bei seinem Freund Rafael Leónidas Trujillo in der Dominikanischen Republik. Als der Diktator ihn zu erpressen begann, flüchtete Batista auf Madeira, von wo aus er in einer Luxusyacht in die touristische Welt Spaniens und Portugals aufbrach.  

Auf einem dieser Ausflüge erreichte ihn der Arm der revolutionären Justiz, um ihn vor das Strafgericht der Insel zu stellen, wo er für seine unzähligen Verbrechen gegenüber dem kubanischen Volk bezahlen sollte. Dennoch wurde er nach kurzer Zeit, da er in einer Seeoperation festgenommen worden war, auf natürlichem Wege der irdischen Justiz entzogen. Somoza teilte dieses Schicksal glücklicherweise nicht: Er beendete sein miserables Unterdrückerleben mit der Strafe des Volkes.  

Hier ist auch der unscheinbare, ganz einfache Buchhalter, der die Listen jener Fabrikarbeiter einsah, die verschwinden sollten und die er benachrichtigen konnte. So konnten einige Leben gerettet werden. Oder jener Guerrillero, der nach Jahren des Gefängnisses und der Folter ins Exil ging und im Auftrag der Organisation und mit gefälschtem Pass auf den Flughafen von Ezeiza ankam. Dort fiel ihm bei der Kontrolle durch die Einwanderungspolizei das schlecht geklebte Foto aus dem Pass. Er rettete sich vor dem sicheren Tod mittels wer weiß welcher göttlichen Intervention.  

Der heldenhafte Subkontinent ist somit keine literarische Figur, sondern eine Tatsache, die aus einem halben Jahrtausend voller Volkskämpfe erwachsen ist. Nichts dergleichen lässt sich zu den Eliten und ihren Staaten sagen, die stets um den größten Herrschaftsanteil kämpften und das Haupthindernis darstellten für das Wohlergehen und das Glück der „kleinen Menschengattung“.  

Monterrey hat diese unseelige Kette lateinamerikanischer Vasallenstaaten aufgebrochen, indem sich der Regionale Machtblock mit seinen Regierungsvertretern den Machenschaften der neofaschistischen Regierungsfunktionäre von Bush entgegenstellte. Hugo Chávez, Nestor Kirchner, Inacio „Lula“ da Silva und der nicht teilnehmende, aber immer anwesende Fidel Castro, erteilten einem Bush, der sich sichtlich unwohl und verunsichert fühlte, inmitten seiner Vasallen und Fürsprecher eine Niederlage.  

Die Militärstrategie der Schlacht war beachtlich. Bush, Powell, Noriega und Rize hatten versucht, vor dem Gipfeltreffen die kreolischen Generale mit einem verbalen Blitzkrieg einzuschüchtern, so dass sie in Monterrey keine Schlacht liefern sollten.  

Die Antwort war ein kräftezehrender 4-Fronten-Krieg. Feine Florettstiche aus Sao Paulo; genau platzierte Stiche des Gaucho-Messers aus der Feuchten Pampa; harte Angriffe der Bewohner des venezolanischen Flachlandes und der Einsatz des riesigen Kiefers des bärtigen Caimans bereiteten dem mit Sternen und Streifen geschmückten Papiertiger das Ende.  

Die US-Generale zogen sich vom Schlachtfeld zurück, als „Ignoranten“, „Analphabeten“, „Schamlose“, „Zyniker und Dummköpfe“ verschrien. Ein ungewöhnliches Ereignis, jedoch die vereinten Armeen des Südens trugen den Sieg davon. Und zwar in einem solchen Maße, dass Brasilien die „Sicherheits“maßnahmen Bushs mit gleichen Mittel heimzahlte und einen Piloten der American Airlines mit einer Strafe von 12.500 $ belegte, weil er einem Polizisten der brasilianischen Flughafenpolizei den Stinkefinger gezeigt hatte. Außerdem wurde die Besatzung festgenommen, weil sie die Beleidigung beklatscht hatte, und in ihr schönes Land zurückgesandt.  

Zwei Tage nach dieser mutigen Aktion zwang die Regierung ein Militärflugzeug vom Typ Herkules C-130 der US-amerikanischen Kriegsmarine zur Landung in Porto Velho, weil es Anstalten machte, auf dem Weg nach Paraguay unerlaubterweise nationales Territorium zu überfliegen.  

Zweifellos sind die Festen des Aggressors Bush erschüttert. Die Kritik, die der Ex-Staatssekretär Paul O´Neill am Präsidenten und seiner Regierung übte, sprach davon, dass Bush im Kabinett agierte wie „ein Blinder unter tauben Menschen.“ Er warf ihm vor, die Invasion im Irak bereits 7 Monate vor dem Attentat vom 11. September 2001 geplant zu haben. Die vorhersehbare Niederlage im Irak, die Veröffentlichung eines neuen Operationsplans der neofaschistisch-zionistischen Clique von Perle und Frum und die offene Kriegserklärung der Reaganschen Rechten gegen diese Clique haben unter den Strategen des Bush-Kabinetts Konfusion erzeugt. Zweifelsohne verhält es sich wie bei dem politischen Sprichwort: Die Opposition hat die Wahlen nicht gewonnen, sondern die Regierung hat sie verloren.  

200 Jahre nach der Unabhängigkeit haben die bedeutendsten südamerikanischen Länder wieder am Begriff der Würde angesetzt, wobei sie sich des Regionalen Machtblocks bedienen. Wenn sie weiter vereint voranschreiten, wird die Niederlage des Imperialismus keine Ausnahme bleiben, sondern eine deutliche Regel unserer Existenz werden.  

Die Wiedergeburt des lateinamerikanischen Subjekts ist bereits eine unbestrittene Tatsache. Und wenn „die kleine Menschengattung“ des heldenhaften Subkontinents das Bündnis mit einem regionalen Staat in Würde herstellt, wird das schon ein Indiz für die zweite Befreiung des Großen Vaterlandes sein.

 


Editorische Anmerkungen


Der Artikel erschien auf Deutsch in "Rebellión" am 23.2.204.

Er wurde uns Ende Februar zugeschickt zur Veröffentlichung von
VOZ de la Nueva Colombia Alternative Infogruppe.
voz@nuevacolombia.de
VOZNC /FDCL
Gneisenaustr 2a
10961 Berlin
 

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