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Nr. 03-04
Notausgabe
5. März 2004

9. Jahrgang online

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Frankreich:
Ein Überblick über die Positionen zur Kopftuch-Verbotsdebatte

Von Links bis Rechts, von Feministinnen bis Rechtsextremen - Und ein paar grundsätzliche Anmerkungen zu einer (auch deutschen) Kontroverse


Von Bernhard Schmid

Im folgenden soll es vor allem darum gehen, die unterschiedlichen Positionen aufzuzeigen, die sich (besonders innerhalb der Linken und im Umfeld der sozialen Bewegungen) rund um das Kopftuch-Verbotsgesetz der französischen Regierung herausgeschält haben.  

Dieses Gesetz ist am Mittwoch dieser Woche, dem 3. März, nunmehr auch vom Senat, also dem Oberhaupt des französischen Parlaments, angenommen werden. Die Abstimmung im "Unterhaus", der Nationalversamlung ­ die im Konfliktfall das letzter Wort hätte ­ fand am 10. Februar dieses Jahres statt. Damit stellt einer baldigen definitiven Annahme der Gesetzesvorlage nichts mehr im Weg. Nunmehr wird abzuwarten bleiben, wie es sich real auf die Gesellschaft auswirken wird. Derzeit lässt sich aber bereits ein (notgedrungen vorläufiges) Resümee aus der allgemeinen Debatte, die der Verabschiedung des Gesetzes voraus ging, ziehen.  

Grundsätzliche Vorbemerkung zu einer Debatte auf vermintem Gelände  

Vorab möchte ich aber eine grundsätzliche Vorbemerkung bezüglich dieser Debatte, und der strukturell ähnlichen Debatte unter deutschen Linken und GewerkschafterInnen um die famose "Kopftuchdebatte", treffen. Denn ich bin der Auffassung, dass man sich auf gewisse argumentative und politische "Mindeststandards" einigen sollte, bei deren Unterschreitung keine Debatte mit dem oder der Betreffenden möglich ist.  

Es dürfte bekannt sein, dass es unterschiedliche Motive gibt, aus denen heraus (deutsche oder europäische) Menschen das Kopftuchtragen ablehnen. Und wo die Einen redliche Motive haben mögen ­ der Gedanke an die Rechte der Frauen -, da geht es Anderen darum, zu beweisen, dass ihre "eigene" Religion die viel bessere sei, was schon einmal nichts mit Antiklerikalismus und Aufklärung zu tun hat. Dritten wiederum ist es ein Anliegen, gegen die "Überflutung" Deutschlands oder Europas durch Einwanderer aus der "barbarischen Dritten Welt" - für welche "der Islam" nur eine Chiffre darstellt - zu agitieren, wie etwa im Fall der berüchtigten Agitationsschrift von Oriana Fallaci. (Letztere, die u.a. wörtlich schrieb "Die Söhne Allahs vermehren sich wie die Ratten" und damit Immigranten auf dem europäischen Kontinent meinte, hat ja auch unter angeblichen ’Linken" oder früheren Linken Nachahmer und Verteidiger gefunden. Die Zeitschrift der ideologischen Terrorsekte "Bahamas" hat immerhin sechs Seiten auf die Verteidigung des schriftstellerischen Deliriums von Oriana Fallaci aufgewendet.)  

Mit denjenigen, die aus dem ersten der genannten Motive heraus handeln, möchte ich gern diskutieren ­ d.h. wenn dabei die Frage im Mittelpunkt steht, wie man am besten die Rechte der zuerst betroffenen Frauen (aus der moslemischen Einwanderungsbevölkerung) durchsetzt. Diese Frage ist allemal einer Diskussion wert, wobei ich selbst nur nicht an eine Form der staatliche Zwangsemanzipation über die Köpfe der Betreffenden hinweg glaube.  

Mit den VertreterInnen der zweiten, vor allem aber der dritten Position dagegen mag ich nichts zu schaffen haben und auch keine Diskussion führen; sie mögen sich bitte anderswo in ihrem rechten Sumpf suhlen. Ähnlich, wie in der politischen Debatte über den Nahostkonflikt, vor allem unter deutschen Linken, bestimmte Argumente zu disqualifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen sind (bspw. jede Gleichsetzung zwischen israelischer Politik und NS-Deutschland; jede Ethnisierung oder auch religiöse Essenzialisierung der Kritik an einer konkreten Staatspolitik, die dort offenkundig wird, wo bspw. das Wörtchen "alttestamentarisch" benutzt wird; usw.)  

Auch beim hier diskutierten Thema haben bestimmte Diskursmechanismen nichts in einer linken Diskussion zu suchen. Ich bin gern dazu bereit, darüber zu diskutieren, ob oder wie eine Zunahme von Kommunitarismus in der moslemischen Einwanderungsbevölkerung oder eine islamisch unterlegte Identitätspolitik gefährlich für die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe, und vor allem die Frauen unter ihnen, sind. Wer mit aber weismachen will, dass "wir" (Deutsche, Franzosen, Europäer) vom Islam bedroht seien, der "uns" zu erobern drohe, der oder die soll bitte ihren Dreck woanders als in linken Debatten abladen.  

Insbesondere denke ich dabei an Beiträge, die jüngst noch bei www.members.partisan.net erschienen waren, bevor diese Webpage, und wenig später das gesamte Partisan.net, abgeschaltet wurde. So etwa in dem ­ zahlreiche Falschbehauptungen und verdrehte Darstellungen enthaltenden - Rundumschlag-Text "Linksradikale - Rechtsextremisten - Islamistenfreunde", der um den Jahreswechsel 2003/04 erschien. Die Autorin, Gudrun Eussner (für deren zahlreiche Falschbehauptungen und- übersetzungen aus den letzten beiden Jahren man ein ganzes Journalistenbüro beschäftigen müsse, wollte man sie auch nur annähernd richtig stellen ­ FUSSNOTE 1), hat den letzten Teil ihres Anklagetextes rund um eine einzige Quelle aufgebaut. Es handelt sich um einen Artikel von zwei anonymen Autoren (ihr dort benutztes Pseudonym taucht nur dieses eine Mal gedient) von der französischsprachigen Website www.islam-danger.com ("Gefahr Islam").  

Nun handelt es sich hierbei um eine eindeutig rassistische Website, wie es (manchmal unter dem Deckmäntelchen der Islam-Kritik, manchmal ohne) bis vor einem Jahr ungefähr 30 gegeben hat. Die meisten sind mitterweile unter gerichtlichem Druck abgeschaltet worden.  

www.islam-danger.com  erweckt zunächst einmal den Anschein einer reinen Informations-Seite, die kritische Informationen zur islamischen Religion und den ihr innewohnenden Gefahren publiziert. Das allein würde ich nicht für problematisch halten. Als Atheist denke ich, dass jeder Religion - dort, wo sie die Ebene der individuellen persönlichen Ethik verlässt und den Anspruch erhebt, der Gesellschaft verbindliche Verhaltensvorschriften aufzuzwingen - gefährliche und autoritäre Potenzen innewohnen. Allerdings dem Islam nicht mehr als jeder anderen Religion. Es gibt im Koran Stellen, die etwa Vorschriften zu Züchtigungsstrafen enthalten, doch daran herrscht auch in der Bibel kein Mangel (in den Büchern Mose' wird wegen relativer Kleinigkeiten, wie "Lästerung des Namens Gottes" oder "Nichtehrung des wöchentlichen Feiertags", eifrig gesteinigt und getötet). D.h. ich würde solche Kritik am Islam vor allem dann für legitim halten, wenn sie mit entsprechender Kritik an der Essenz jeder Religion einhergeht. Das ist hier nicht der Fall: Die zitierte Website wendet sich explizit an Christen und Juden, und versucht, allein den Islam als besonders üble Hervorbringung anzuprangern. Und das auf extrem pauschale Weise, d.h. ohne zwischen "einfachen" Moslems - die Millionen Leute, die einfach kein Schweinefleisch essen u. keinen Alkohol trinken, aber niemandem ein Haar krümmen - und totalitären politisch-religiösen Bewegungen zu unterscheiden. Und war durchaus mit dem Ziel, dass die Leser zu der Überzeugung kommen sollen, ihre "eigene" Religion sei die bessere Religion, bzw. das christliche Abendland (auf das explizit angespielt wird, eine der Strukturen hinter der Webpage heißt Occidentalis und will den christlichen Okzident verteidigen) sei die Zivilisation der besseren Menschen.  

Aufschlussreich sind besonders auch die Links, auf welche die Webpage www.islam-danger.com  verweist. Da finden sich u.a.:  

- Die Homepage einer rechten Bewegung von "wütenden Polizisten", auf der "Endlich die Wahrheit über die Kriminalität in Frankreich" zu erfahren sei. Man erkennt nicht unbedingt den direkten Zusammenhang zwischen Religionskritik und dem Thema Kriminalität. Man versteht es dann besser, wenn man begreift, dass die Einwanderung (also "die Ausländer"), jedenfalls die aus dem Maghreb, für die Leute hinter dieser Webpage das zentrale Problem ist.  

- Die Homepage des belgischen Front National (ein Ableger der französischen Partei von Le Pen), der nach einigem Gezänk mit der französischen Bruderpartei in "Front Nouveau" (Neue Front) umbenannt wurde.  

- Unter dem Titel "Gegen das herrschende Einheitsdenken" wird verlinkt auf www.polemia.com ; es handelt sich um die Webpage der gleichnamigen Stiftung eines der führenden Rechtsextremisten in Frankreich, Jean-Yves Le Gallou. Le Gallou trat 1985 dem Front National bei, war einer von dessen Chefideologen, und später "Nummer Zwei" bei der FN-Abspaltung, dem MNR (Mouvement national républicain) von Bruno Mégret. Da der MNR politisch quasi tot ist, hat Le Gallou sich aus der aktiven Parteipolitik zurückgezogen und diese Stiftung als Think-Tank begründet.  

- Ebenfalls verlinkt wird auf die "Association Voix des français" (Vereinigung Stimme der Franzosen), die auch dem MNR nahesteht. Ihr Material konnte ich jedenfalls in der Vergangenheit auf MNR-Demos einsacken.  

- Ferner wird auf eine "OAS"-Homepage verlinkt. Deren Titel verweist zwar konkret auf eine Musikgruppe namens "Organisation Anti-Sniper" (Sniper ist der Name einer umstrittenen Rapband), ist aber ziemlich bewusst in Anlehnung an die historische OAS entstanden. Diese war eine rassistische Terrororganisation, die am Ende des französischen Kolonialkriegs in Algerien 1961/62 gegen den Rückzug bombte und wahllos ZIvilisten mordete. Die Referenz ist umso deutlicher, als direkt daneben auch auf "die Webpage der Pieds-Noirs" verlinkt wird. Pieds Noirs sind die ehemaligen französischen Siedler in Algerien. Ein Teil von ihnen ist heute noch in einer Art von rechten Vertriebenenverbänden organisiert.  

- Mehrere Websites, auf die verlinkt wird, haben "la racaille" (wörtlich: Das Gesocks) zum Gegenstand, derzeit einer der bei Rassisten beliebtesten Begriffe, um die Immigrantenjugend zu bezeichnen. Mehr Kommentare dazu lassen sich er sparen.  

- Auf einem weiteren Link kann man sich das gesamte Buch des Autors "Die Kolonisierung Europas", gemeint ist jene durch Einwanderer, des rechtsextremen Ideologen Guillaume Faye (GRECE, "Neue Rechte") herunterladen.  

- Ferner gibt es eine Homepage, wo man sich über "frankophobe" (frankreich-feindliche) französische Politiker, also über Vaterlandsverräter, informieren kann. Und eine andere, wo es um "den anti-weißen Rassismus".  

Ohne jegliche Distanz zitiert und übernimmt Gudrun Eussner von dieser Homepage angebliche Informationen, die sich bei näherem Hinsehen als blanke Diffamierung von zwei der profiliertesten Antifa-Recherchejournalisten in Frankreich herausstellen und noch dazu in ihrer Mehrheit falsch sind (FUSSNOTE 2).  

Ferner sollte zumindest erwähnt werden, dass dieselbe Autorin Gudrun Eussner andernorts Texte veröffentlicht, in denen sie offenkundig vor einer "Überflutung Europas durch den Islam" warnt, auch wenn der Überflutungsbegriff als solcher nicht fällt. So wurde am 23. Februar 2004 ein Text von ihr auf der Webpage www.juedische.at  über den Moschee-Neubau im spanischen Granada veröffentlicht. Es geht um jenen Ort, von wo 1492 die Araber und Juden ­ zusammen - im Rahmen der christlichen "Reconquista" zuletzt aus Südeuropa vertrieben wurden. Dort treiben jetzt einige islamische Sekten ihr Werk, die glauben, irgendwie durch Missionierung diese historische Scharte wieder auswetzen zu können. Das ist dämlich, aber nicht mehr. Gudrun Eussner widmet der Sache aber einen langen Artikel, in dem sie u.a. davor warnt, von 80.000 Einwohnern in Granada seien "schon (!) 20.000 Moslime, darunter die Illegalen".  

Wie soll man das anders verstehen denn als Warnung vor (illegaler und anderer) Einwanderung von Moslems? Dabei wirft sie in ihrer Zahlenangaben auch noch alle möglichen Leute als "Moslime" in einen Topf: Marokkanische Subproletarier, die für Landarbeit (unter härtesten Bedingungen) in Südspanien einreisen, ebenso wie Angehörige pseudo-islamischer Sekten, die oft konvertierte Ex-Hippies und andere kuriose Gestalten sind. Warum man den armen Marokkanern das Treiben der verrückten Konvertiten vorwerfen, und alle zusammen unter dem Bedrohungsbild einer ansteigenden islamischen Flut in Europa subsumieren sollte, bleibt mir ein Rätsel. (FUSSNOTE 3)  

Nun aber, endlich, zu Frankreich und der französischen Diskussion! Der Überblick wird verständlich machen, dass das Thema komplex genug ist, um sämtliche politischen Parteien und Strömungen entlang dieser Frage zu spalten.

Kopftuch-Verbotsgesetz von beiden Parlamentskammern verabschiedet  

Nachdem das Thema zwei Monate lang die innenpolitische Debatte dominiert und fast alle anderen Themen völlig überlagert hatte, war es jetzt am 10. Februar soweit. Die französische Nationalversammlung, das "Unterhaus" des Parlaments (das im Streitfall gegenüber dem Senat das letzte Wort hat), verabschiedete in erster Lesung das Gesetz zum "Verbot des Tragens auffälliger religiöser Symbole" in öffentlichen Schulen an. Am 3. März war der Senat, in dem die Konservativen eine strukturelle Mehrheitsfähigkeit aufweisen ­ im Oberhaus sitzen vor allem Vertreter der, größerenteils ländlichen, Kommunen sowie "elder statesmen" wie etwa ausrangierte Präsidenten ­ an der Reihe.  

Die Annahme erfolgte mit überwältigender Mehrheit: In der Nationalversammlung 494 Abgeordnete stimmten dafür, 36 enthielten sich der Stimme, 31 votierten dagegen. In der Senatsabstimmung erfolgte die Annahme mit 276 zu 20 Stimmen. Denn die beiden wichtigsten staatstragenden Parteien ­ die konservative UMP und die Sozialdemokratie ­ hatten sich zuvor in der derzeit wichtigsten innenpolitischen Streitfrage geeinigt.  

Faktisch besteht der Gegenstand des neuen Gesetzes darin, künftig den Unterrichts- oder Schulausschluss von Kopftuch tragenden Schülerinnen moslemischer Konfession auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Zwar bezieht sich der Gesetzestext in der Theorie auf alle "ostensiblen", d.h. "auffällig getragenen" religiösen Symbole, also etwa auch Kreuze und Kippas. Doch Jugendliche aus orthodoxen jüdischen Familien, die eine Kippa tragen, besuchen ohnehin meist konfessionelle Privatschulen. Und für die Sprößlinge aus streng katholischen Familien gibt es die nach wie vor katholisch geprägten Privatschulen. Diese sind in den letzten Jahrzehnten zugleich zu einem Art Elitezweig des gesamten Schulsystems mutiert, die von ungefähr 20 Prozent eines Jahrgangs besucht werden - während sie sogleich immer noch öffentliche Subventionen erhalten. Das gehört zu den Widersprüchen des laizistischen Anspruchs, den die französische Republik erhebt.  

Dass es bei dem Gesetz vor allem, wenn nicht ausschließlich, um eine sichtbare Präsenz des Islam in Form von Mädchen mit verhülltem Haupthaar geht, das hat auch Bildungsminister Luc Ferry deutlich gemacht. Vor der Gesetzeskommission des Parlaments, wo er die Vorlage Mitte Januar dieses Jahres vorstelle, führte er aus: "Ich sage zu den Vertretern des Islam: Wollen Sie, dass unsere Kinder sich in den Schulen schlagen?" Diese Vision von Schulkindern, die sich verprügeln, falls das Gesetz nicht schnell angenommen wird, resultiert auf der Feststellung, dass es zunehmende "kommunitaristische Konflikte" zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gebe. Als Beispiel zieht Ferry die verbalen und teilweise physischen Aggressionen gegen französische Juden heran, die seit dem Herbst 2000 ­ parallel zum Aufflammen des israelisch-palästinensischen Konflikts ­ von Jugendlichen aus einem Teil der "moslemischen" bzw. arabischen Einwanderungsbevölkerung begangen wurden. Die Tendenz zum Rückzug auf ihre (vermeintlichen) Partikularinteressen ist tatsächlich bei vielen Bevölkerungsgruppen real. Sie ist vor dem Hintergrund der sozialen Krise und der brutalen Enttäuschung, die auf die Versprechen bezüglich mehr sozialer Gleichheit unter den vergangenen Linksregierungen jäh erfolgte, zu verstehen.  

Bildungsminister Luc Ferry meint, durch das neue Verbotsgesetz für Kopftücher könne Abhilfe geschaffen werden. Bedeutet das nicht: Das Thermometer zerbrechen, um das Fieber zu senken?  

Gesetzgebungsverfahren und Wahltermine  

Ein anderer Beweggrund für die Eile, welche die neokonservative Mehrheit im Gesetzgebungsverfahren an den Tag legte ­ erst am 17. Dezember 2003 hatte Präsident Jacques Chirac seine große Ansprache zur Neudefinition des staatlichen Laizismus gehalten, mit der das künftige Gesetz angekündigt wurde ­ liegt aber auch in der Nähe zu den kommenden Wahlterminen begründet. Am 21. und 28. März werden sämtliche französischen Regional- und ein Teil der Bezirksparlamente neu gewählt. Es handelt sich, neben den Europawahlen im Juni dieses Jahres, um die letzten landesweiten "Testwahlen", bevor 2007 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt werden. Den Zusammenhang zu den Wahlen allgemein, und dem Abschneiden der extremen Rechten im Besonderen haben zahlreiche konservative Politiker in den letzten Wochen hergestellt ­ die damit drohten, der Front National werde noch besser abschneiden, falls die Gesetzesvorlage nicht schnell verabschiedet werde.  

Dagegen stellt der Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Marie Colombani, diesen Zusammenhang in anderer Weise her. Seiner Ansicht nach, die er in einem Leitartikel vom 9. Januar 2004 kundtat, öffnete die jetzige Gesetzesdebatte eine "wahrhafte Büchse der Pandora". Der Editorialist unterstreicht: "Alle haben gesehen, wie der extremen Rechten (bei der Präsidentschaftswahl 2002) das Ausweiden des Themas <Innere Sicherheit> genutzt hat. Sie wird erneut an Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der <kulturellen Identität> in den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt wird."  

Colombani erblickt darin ein politisches Kalkül: Bleibe die extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das die Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac. Alles in allem ein Spiel mit dem Feuer.  

Man möchte hinzufügen, dass natürlich auch einige islamistisch motivierte Reaktionen auf das Verbotsgesetz, die es gegeben hat, zu dieser Ethnisierung oder Kulturalisierung der gesellschaftlichen Debatte mit beigetragen haben. Dass etwa die transnationale, ebenso gewalttätige wie autoritäre Sekte Al-Qaïda in einem Kommuniqué vom Februar Frankreich wegen des Kopftuch-Gesetzes "rügt", trägt sicherlich nicht zur Verbesserung der Situation bei. Ebenso wenig wie die Sprüche des Altpräsidenten der iranischen Diktatur, Ali Akbar Rafsandschani, der sich zum angeblichen Sprecher von "anderthalb Milliarden Moslems auf der Erde" aufschwang, die durch das französische Gesetz beleidigt worden seien. Solche Reaktionen waren sicherlich zu erwarten. Doch sie vergrößern sie das Problem, das darin besteht, zwischen den "Verteidigern des Abendlands" einerseits und den autoritären Gewalttätern und ­herrschern im Namen "des Islam" in die Zange genommen zu werden. Umso wichtiger ist es, aus ihrem Zangengriff oder -angriff auszubrechen.

Die extreme Rechte  

Was die Positionen der extremen Rechten selbst betrifft, sei kurz ausgeführt: In einer ersten Phase (als die Debatte um das Verbotsgesetz im Spätherbst 2003 begann) nahm die vermutliche künftige Parteichefin und "Modernisiererin" Marine Le Pen eine Position ein, die eher immanent zur Logik des Verbotsgesetzes erschien. (Ja, Marine Le Pen ist die Tochter von...) Sie argumentierte damit, welche Symbole ihrer Auffassung nach als "auffällig" zu gelten hätten und welche nicht, was eher an eine "konstruktive" Position zugunsten des Verbotsgesetzes denken ließ. Alsbald aber "radikalisierte" die rechtsextreme Partei ihre Positionen erheblich, und ging auf Abstand zum Vorhaben der Regierung.  

Dieses löse ohnehin keinerlei Problem, tönte der alternde Noch-Parteichef Jean-Marie Le Pen. Vielmehr erinnere ihn die Debatte darum, was nun zu verbietende "auffällige" Symbole seien und was nicht, daran, "wie im Reich von Byzanz die wichtigsten Würdenträger theologische Haarspalterei betrieben ­ welches Geschlecht haben die Engel? ­ während gleichzeitig die Invasion der Türken in Vorbereitung war". Jean-Marie Le Pen wandte sich in der Folgezeit gegen das Verbotsgesetz zu Kopftüchern an der Schule, das nur dafür sorge, dass man "die Gefahr" (jene der "Überflutung" mit Immigranten) nicht mehr sehe. Man solle ruhig die Differenz sichtbar erkennen, so lautet die Philosophe, die den Argumenten Le Pens zugrunde liegt. Ihm ist nämlich nicht an der, in gewissem Sinne, "kleinen Trennung" (dem Schulausschluss) gelegen, sondern an der Vorbereitung der "großen Trennung", jener zwischen der europäischen Bevölkerung und den Immigranten aus moslemischen Ländern.  

Mit dieser Position konnte der Front National weiterhin als "radikale Anti-System-Opposition" erscheinen, während er zugleich die Hetze gegen die Einwandererbevölkerung verschärfte.

Auch die bürgerliche Rechte ist sich uneins  

Auch innerhalb der regierenden bürgerlichen Rechten kam es im Vorfeld der Abstimmung vom 10. Februar 2004 zu Kontroversen. Für die UMP-Abgeordneten hatte ihr Vorsitzender Jacques Barrot in dieser Fraktion die Fraktionsdisziplin aufgehoben. Deswegen konnten auch einige Konservative und Liberale ihre abweichenden Positionen zum Ausdruck bringen.  

So wollte ein Teil der konservativen Spitzenpolitiker, allen voran der Parlamentspräsident und ehemalige Innenminister Jean-Louis Debré (UMP), die neue Verbotsregel ausweiten. Nicht nur "plakative" oder "auffällige" religiöse Symbole, wie es nunmehr in der definitiven Fassung der Gesetzesvorlage hieß, sondern überhaupt alle "sichtbaren" Symbole ­ religiöser wie übrigens auch politischer Natur ­ wollte etwa Debré untersagt wissen. Auch ein Teil der sozialdemokratischen Abgeordneten, etwa der ehrgeizige Nachwuchspolitiker Malek Boutih, früher Vorsitzender der staatsnahen Antirassismusgruppe SOS Racisme (und ein unerträglicher Karrierist), plädierten in diese Richtung.  

Das war aber innerhalb der großen staatstragenden Parteien nicht durchsetzbar. So fürchteten viele, eine zu rigide Formulierung des Verbots werde in der Praxis wesentlich mehr Konflikte auslösen, als es Probleme löse. Zwar juckte es viele Konservative in den Fingern, insbesondere auch politische Symbole unter Schülern zu verbieten. Doch letztendlich überwog die Angst, der dadurch ausgelöste Widerspruch könne eher zu einem Politisierungsschub unter Jugendlichen führen und somit gegenteilige Wirkung entfachen.  

Einem anderen Teil der Bürgerlichen dagegen ging die Gesetzesvorlage bereits zu weit. Insbesondere Christdemokraten und Wirtschaftsliberale stimmten gegen den Entwurf oder enthielten sich zumindest der Stimme. Bei den Einen herrschte die Befürchtung, ein neues Gesetz zum Laizismus werde auch den Einfluss der christlichen Kirchen auf den sozialen Alltag noch stärker zurückdrängen, als das ohnehin der Fall ist. Das erklärt die Enthaltung in einem Großteil der christdemokratischen UDF-Fraktion in der Nationalversammlung, aber auch die Gegenstimme der ultrakatholischen Abgeordneten Christine Boutin (das ist die, die 1998 die Bibel im Parlament schwenkte, um gegen den PACS ­ eine eingetragene Lebensgemeinschaft für Homosexuelle ­ zu agitieren). Im Senat spaltete sich die UDF-Fraktion in zwei Teile, wobei die eine Hälfte für und die andere gegen die Gesetzesvorlage votierte.  

Wirtschaftsliberale in den Reihen der UMP, wie der ehemalige Präsidentschaftskandidat Alain Madelin, sind ihrerseits misstrauisch gegenüber allen etatistischen Vorstellungen, die in ihren Augen das gesellschaftliche Leben zu sehr regulieren. Ihnen schwebt eher eine Regelung wie in den USA vor, wo alle Religionsgruppen sich weitgehend frei betätigen können, sofern sie die staatliche Ordnung nicht bedrohen. In einem Gastbeitrag für Le Monde übte Madelin Anfang Februar 2004 dezidierte Kritik an dem neuen Gesetz. Auch er stimmte, in der Abstimmung der Nationalversammlung, mit "Nein".  

Die Spaltungslinien innerhalb der Linken  

Aber auch innerhalb der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Linken und im Milieu der sozialen Bewegungen rief die Debatte um Laizismus und Kopftuchdebatte Spaltungen hervor. Die Furcht vor einer Stigmatisierung der Einwanderungsbevölkerung, feministische und antiklerikale Traditionen, antirassistische Essentials (und in manchen Fällen auch eine Art verklärender Dritte-Welt-Romantik) trafen dabei aufeinander.  

Doch überwog bei der KP, bei den Grünen und der trotzkistisch-undogmatischen LCR die Ablehnung der Gesetzesvorlage der Regierung. Dagegen befürwortete die traditionalistisch-klassenkämpferische Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) grundsätzlich Verbotsmaßnahmen für Kopftücher an staatlichen Schulen. Zwar wollte sie nicht auf die konservative Regierungspartei vertrauen, doch erklärte sie, in Wirklichkeit habe der Druck der kämpferischen Basis unter der Lehrerschaft die Regierung dazu getrieben, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Tatsächlich hatten bei jüngeren Streitfällen an öffentlichen Schulen Lehrer, die LO-Mitglieder sind, in den Disziplinarausschüssen für Ausschlüsse und Schulverweise bei Kopftuch tragenden Mädchen gestimmt.  

Die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) dagegen einigte sich, nach heftigen inneren Kontroversen, auf die Mehrheitsposition: "Weder Kopftuch noch Verbotsgesetz". Einigkeit herrscht allein bei der Ablehnung der Gesetzesvorlage der neokonservativen Regierung. Die von 75 Prozent des "Parlaments" der Organisation, der "nationalen Leitung" (des früheren Zentralkomitees) getragene Erklärung schließt hingegen in Einzelfällen Schulausschlüsse durch das Lehrerkollegium nicht aus, wo keine Konfliktlösung im Dialog mit Schülerinnen unter familiärem oder islamistischem Einfluss möglich sei. Doch wendet sie sich gegen ein Gesetz, das als eskalationsfördernd und "stigmatisierend" betrachtet wird.  

Eine Minderheitsposition, hinter der ein Viertel bis ein Drittel der Organisation steht, dagegen lehnt Schulausschlüsse als Mittel grundsätzlich ab. (Dabei existieren innerhalb der Minderheit selbst unterschiedliche Grundsatzpositionen zur Frage des Islam oder des Islamismus, wobei die Spannbreite der Positionen von klarer Ablehnung des Islamismus bis hin zu relativ platten, antiimp-ähnlichen Positionen reicht.) Vor allem die Minderheit drängt auf eine aktiviere Teilnahme an den Protestdemonstrationen gegen das Verbotsgesetz. Die Jugendorganisation, JCR, steht weitgehend auf der Minderheitsposition und ist ­ anders als die "Erwachsenenorganisation", die Partei LCR selbst ­ Unterzeichnerin von Demo-Aufrufen gegen das Gesetz.  

Dabei spaltete die Frage die radikale Linke zeitweise sichtbar. So kam es auf der Kandidatenliste der beiden Parteien LO und LCR für die Regionalparlamentswahlen in Südostfrankreich wegen dieser Kontroverse zu Streit. Zunächst war der in Aix-en-Provence niedergelassene Rechtsanwalt Benoît Hubert, der stark in der Solidaritätsarbeit für Immigranten engagiert ist, auf die gemeinsame Wahlliste von LO und LCR in der Region PACA (Provence, Alpes, Côte d¹Azur) aufgenommen worden. Doch seine Teilnahme an der Marseiller Demonstration gegen das Verbotsgesetz vom 17. Januar sorgte für Streit.  

Zwar war die Demo in Marseille, anders als jene in Paris vom selben Samstag nachmittag, nicht von reaktionären Elementen und Islamisten organisiert worden. (Die Pariser Demo war vom anrüchigen "Parti des musulmans de France", einer weit rechts stehenden, "identitären" Splitterpartei mit Kontakt zu einschlägigen Antisemiten und Geschichtsrevisionisten wie Serge Thion organisiert worden. Zwar hatte die Mehrzahl der moslemischen TeilnehmerInnen sicherlich nichts mit dem PMF zu tun. Aufgrund dessen Präsenz hatte aber die gesamte Linke deutlichen Abstand zu dieser Demo genommen.) Dennoch gab es eine Kontroverse, so dass die Kandidatur von Benoît Hubert auf einem der vorderen Listenplätze zurückgezogen wurde. Dabei standen sich die LCR von Aix-en-Provence, die seine Kandidatur befürwortete, und jene von Marseille ­ die sie skeptisch betrachtete ­ einander gegenüber. Daraufhin meldete sich Anfang Februar 2004 der Hochschullehrer Vincent Geisser polternd zu Wort, der Autor des Büchleins La nouvelle islamophobie (Die neue Islamfeindlichkeit). Dieses Buch muss als problematich gelten muss, weil der Autor auch die eindeutig politisch motivierte Kritik an reaktionären Organisationen wie der UOIF (Union des organisations islamiques de France) unter denselben Begriff der "Islamophobie" packt wie offenkundig rassistische Einstellungen. Nicht sehr differenziert und deswegen nicht hilfreich fiel auch die Kritik von Vincent Geisser an den beiden Parteien der radikalen Linken aus ­ diese befänden sich in einer gemeinsamen islamfeindlichen Front, die von der radikalen Linken bis zur regierenden UMP reiche -, die aber dem Streit auf der Marseiller Liste Publizität bis auf die Seite Eins von Le Monde verschaffte. Es bleibt, wohl nicht nur bei mir, ein Gefühl des Unbehagens über den Streit und seine Gründe zurück.  

Ähnlich verläuft die Debatte auch bei den Grünen und der KP, wobei es in einem Teil des KP-Umfeld ­ vor dem Hintergrund etatistischer Traditionen ­ Sympathien für das Verbotsgesetz der Regierung gibt. Von 22 KP-Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung stimmten letztendlich 7 für das Verbotsgesetz. 14 stimmten dagegen (darunter Parteichefin Marie-George Buffet und der Fraktionsvorsitzende Alain Bocquet). Und der "orthodoxe" kommunistische Abgeordnete Georges Hage verweigerte seine Teilnahme an der Abstimmung; er wandelte zugleich demonstrativ durch die Reihen des Parlaments, in Begleitung einer Kopftuch tragenden jungen Frau aus einem Protestkollektiv in seiner Heimatstadt Lille. Auch im Senat spaltete sich die KP-Fraktion anlässlich der Abstammung vom 3. März zu dieser Frage in zwei Hälften.  

Bei den Grünen, die derzeit nur drei Abgeordnete im französischen Parlament haben, stimmten zwei gegen die Vorlage (der Halblinke Yvec Cochet und der "Realo" Noël Mamère), während eine Parlamentarierin, Martine Billard, sich der Stimme enthielt.  

Argumente der KritikerInnen  

Die KritikerInnen befürworten nicht in allen Fällen das Kopftuchtragen als solches. Im Gegenteil betonen linke Kritiker in der Regel ihre Opposition zum Kopftuch oder zumindest gegen jede Form von Zwang - möge er von den Familien oder, in einem anderen politischen und gesellschaftlichen Kontext, von islamistischen Regimen und Gesetzen ausgehen. Zugleich erklären sie, Maßnahmen wie Schulverweise lösten keinerlei Probleme, sondern könnten die Probleme auch vom Standpunkt der Emanzipation aus nur vergrößern.  

So sei es absurd, Mädchen und Frauen als Opfer geschlechtsspezifischer Unterdrückung im Namen des Islam darzustellen - gleichzeitig aber eine spezifische Ausschlussmaßnahme zu befürworten, die allein Frauen und nicht Männer treffen könne. Ferner sorge ein Schulverweis gerade dafür, dass junge Frauen, sofern man sie als Opfer ihrer Familie betrachte, noch viel stärker auf ihre "natürliche Gruppe" zurückgeworfen würden, da der Kontakt mit der Gruppe der Gleichaltrigen unterbrochen werde.  

Anlässlich der Veranstaltung im Pariser "Trianon" (siehe dazu folgenden Abschnitt) am 5. Februar trat auch eine Lehrerin aus dem normannischen Städtchen Flers auf. Eine dortige Schule hatte 1999 von sich reden gemacht, weil die dortige Lehrerschaft mehrheitlich in den Streik trat, um den Schulausschluss zweier Kopftuch tragender Mädchen zu erzwingen. Die Betreffenden stammten aus einer einem traditionellen Milieu entstammenden, kurdischen Familie. Eine der beiden Töchter war 11 Jahre alt und verstand gar nicht richtig, was mit ihr geschah. Sicherlich kann man in diesem Alter auch nicht von einem "selbst gewählten" Tragen des Kopftuchs sprechen, sondern allein von einer Entscheidung der Eltern. Doch die Frage ist, was mit dem Mädchen bei der ganzen Aufregung geschah. Nach Aussagen der Lehrerin musste sie infolge der Affäre und ihres, mit Getöse vollzogenes Schulverweises ein Jahr lang psychiatrisch behandelt werden. Sollte so die Emanzipation aussehen?  

Tatsächlich bietet sich den betreffenden Schülerinnen als Alternative an, von zu Hause aus Fernunterricht beim "Zentrum für Unterricht auf Distanz" CNED zu belegen ­ was aber bezahlt werden muss ­ oder sich in eine religiöse Privatschule einzuschreiben. Bisher gibt es nur wenige islamische Privatschulen, aber auch katholische Privatschulen akzeptieren Kopftuch tragende Schülerinnen, da auf sie die laizistischen Spielregeln keine Anwendung finden. Ob das wiederum als Sieg der Emanzipation zu betrachten ist, darf bezweifelt werden.  

Dagegen wird von Kritikerinnen betont, Emanzipation könne nur von den Betreffenden selbst kommen, niemals aber ihnen staatlich verordnet werden. So schreibt die anarchosyndikalistische CNT unter anderem: "Misstrauen gegenüber jedem Herrschaftsapparat, der sich zum Verteidiger der individuellen Rechte" ­ gemeint sind hier jene der Frauen ­ "aufschwingt, ist geboten. (...) In Wirklichkeit kann die Befreiung der moslemischen Frauen nur das Werk dieser Frauen selbst sein, oder es wird sie nicht geben. Wo sie dagegen stattfindet, werden wir uns bedingungslos mit dieser Emanzipation solidarisieren." ( http://cnt-ait.info/article.php3?id_article=861 )

Das Kollektiv "Eine Schule für alle" und die Demo vom 14. Februar  

Am 5. Februar 2004 stellte sich bei einer Saalveranstaltung in Paris, an der mehrere hundert Menschen ­ darunter mehrheitlich Einwandererkinder ­ teilnahmen, das Kollektiv "Eine Schule für alle" (Une école pour tous et toutes) einer breiteren Öffentlichkeit vor. Daran nehmen unter anderem die Antirassismusorganisation MRAP, die Pariser Grünen, die LCR-Jugendorganisation JCR und das "feministische Kollektiv für die Gleichheit" (Collectif féministe pour l¹égalité) teil. Ferner saß Hamida Ben Sadia mit auf dem Podium, die der Pariser Sektion der französischen Sozialdemokratie angehört, in dieser Frage allerdings in Opposition zum PS-Mainstream steht. Allerdings gehört sie daneben auch einer algerischen Partei an, der populistischen Berberpartei FFS, die Mitgliedspartei der so genannten "Sozialistischen Internationalisten" ist (und zwar selbst laizistisch ist, aber in den Neunziger Jahre eine kritikwürdige Bündnispolitik mit algerischen Islamisten betrieb).  

Aber auch der kommunistische algerische Buchautor Saïd Bouamama (der Verfasser des bemerkenswerten Buches "Les racines de l¹intégrisme", "Die Wurzeln des Fundamentalismus" ­ Brüssel, EPO-Verlag, 2000), der in Algerien zum klar laizistischen und anti-islamistischen Pol des politischen Spektrums zählt, hielt einen energischen Vortrag auf der Veranstaltung. (Bouamama unterrichtet derzeit Soziologie an der Universität Lille.) Auch er kritisierte die "Stigmatisierung der Einwanderungsbevölkerung" durch das Verbotsgesetz heftig und betonte, in Algerien kämpfe er gegen den Kopftuchzwang ­ was aber in Frankreich auch die Freiheit des Kopftuchtragens ohne Zwang einschließe. Bei Leuten wie Bouamama kann man die Hand dafür in¹s Feuer legen, dass sie keinerlei Sympathien für den Islamismus empfinden.  

Anlässlich der Saalveranstaltung vom 5. Februar meldete die Antirassismusorganisation MRAP (gesprochen in einem Zug: Mmrapp), die 1951 im Umfeld der KP gegründet wurde und die seit den Siebziger Jahren vor allem die maghrebinischen Rassismusopfer vertritt, zugleich ihre Vorbehalte gegenüber religiösen Verhaltensvorschriften an. Ihr Vorsitzender Mouloud Aounit bezeichnet sich öffentlich als Atheist, was auf Islamisten wirkt wie das Weihwasser auf den Teufel. In einer Radiosendung auf der Welle "Radio Beur FM", die sich vor allem an die Immigrantenjugend in Frankreich wendet, sagte Aounit am 1. März: "Ich bin kein Anhänger des Kopftuchs (als solchem), die Frage ist nur, wie man es abnehmen kann".  

Dennoch publizierte der MRAP ein Kommuniqué gegen das Verbotsgesetz, das seine explizite Ablehnung des Kopftuchs nicht schwarz auf weiß enthält. Die Antirassismusorganisation steht eben auch in Erklärungsschwierigkeit gegenüber ihrer mehrheitlich maghrebinischen Basis und "Klientel", der gegenüber sie nicht den Eindruck erwecken kann, dem Druck der Regierenden nachzugeben.  

Die Liga für Menschenrechte LDH, deren Gründung 1898 eine Folge der Dreyfus-Affäre war (genauso wie die Annahme des französischen Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat 1905, nachdem die Sozialisten aus Gegnerschaft zu den Antisemiten in die Regierung eingetreten waren) nahm ebenfalls an der Veranstaltung im Pariser Trianon vom 5. Februar teil. Die LDH unterstützt die Proteste gegen das Verbotsgesetz, nimmt aber nicht selbst am "Kollektiv eine Schule für alle" teil. Am 5. Februar schickte der LDH-Vorsitzende und linke Rechtsanwalt Michel Tubiana seinem Redebeitrag voraus, dass seine Vereinigung auch das Kopftuch (als geschlechtsspezifisches Symbol) "an sich" ablehne. Seinen Worten zufolge hätte die LDH diese Position gern in den verschiedenen Aufruftexten zum Protest und der Demo schärfer formuliert gesehen. Unterrichts- und Schulverweise dagegen lehne man unzweideutig ab, deswegen rufe die LDH zu der Demo am 14. Februar auf.  

Diese Demonstration vom 14. Februar wurde dieses Mal nicht vom reaktionären PMF oder islamistischen Kräften organisiert (wie die voraus gehenden Demos vom 21. Dezember 03 und vom 17. Januar 2004 in Paris), sondern vorwiegend von linken und halblinken Kräften. Allerdings rief neben den laizistischen Organisationen, die mehrheitlich das "Collectif une école pour tous et toutes" bilden, auch das softcore-islamistische "Collectif des musulmans de France" zur Teilnahme auf, das die Sympathisanten des Schweizer Predigers Tariq Ramadan organisiert. Letzterer, der einen "europäischen Islam innerhalb der Republik" propagiert, allerdings die Einwanderungsbevölkerung auf einer spezifisch kommunitaristisch-religiösen Basis zu organisieren sucht, steht seit seiner Teilnahme am Europäischen Sozialforum (ESF) im Mittelpunkt einer heftigen Kontroverse.  

Aufgrund der Befürchtung, in falsche Bündnisse verstrickt zu werden, zogen sich deswegen sowohl der MRAP als auch die LDH (Ligue des droits de l¹homme) noch vor dem Demotermin am 14. Februar zurück. Auch die LCR wollte nicht als solche auftreten, lediglich die an dieser Frage bestehende Minderheitsfraktion war auf der Demo präsent.  

Mit rund 2.500, mehrheitlich moslemischen TeilnehmerInnen blieb diese Demonstration hinter jenen vom Dezember und Januar zurück; vor allem letztere hatte gut 5.000 Personen mobilisieren können. Ein Teil des Publikums war neu und hatte nicht an den vorausgehenden Demos teilgenommen. Dennoch kann man sagen, dass etwa 60 Prozent der Teilnehmenden ­ vor allem Gruppen junger Frauen, die selbst von einem Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen betroffen wären ­ auch an den anderen Demozügen teilgenommen hatten und dem Aufrufer gegenüber insofern indifferent waren.  

Deswegen kann man sagen, dass die Versuche einer Mobilisierung auf fortschrittlicher, nicht-religiöser und nicht "ethnischer" Basis gegen das Verbotsgesetz gescheitert sind. Es gab keine breite Mobilisierung gegen das Gesetz, weder eine islamistisch-reaktionäre ­ es gibt entsprechende Gruppen, aber keine Massenbewegung in diesem Sinne ­ noch eine progressive. Man kann es bedauern, vor allem, wenn es mittel- und längerfristig dazu führen sollte, dass sich ein Teil, ein Segment der Einwandererbevölkerung noch stärker von der übrigen Gesellschaft "aufgegeben" und abgekoppelt fühlen wird. Dass es so kommt, ist nicht sicher, aber falls es dazu kommt, dann könnte dies "identitäre", etwa islamisch definierte, reaktionäre Strömungen längerfristig stärken. Nichts ist derzeit gesichert, aber die Abwesenheit einer breiten Mobilisierung in den letzten Wochen ist eine objektive Feststellung.  

Bei den Lehrergewerkschaften geht es rund  

In der zweiten Februarwoche 2004 entschied sich auch eine Mehrheit auf dem Kongress der größten Lehrergewerkschaft FSU, die verschiedene Strömungen von linksradikal bis in die linke Mitte umfasst, in Perpignan für eine explizite Ablehnung des Verbotsgesetzes. Dem Beschluss gingen allerdings heftige Konflikte voraus, da es an der Basis der Lehrerschaft teilweise laute Rufe nach einem Verbot gibt; die FSU-Gewerkschaft der Oberstufen-Lehrer (der SNES-FSU) etwa war tendenziell eher für eine Befürwortung von Schulverweisen. Dabei werden Erfahrungen angeführt, die ein Anwachsen kommunitaristischer Strömungen bezeugen, vom Geltendmachen von Partikularinteressen bei Kleidung und Kantinenessen bis zur Ablehnung der Darwin¹schen Evolutionslehre im Biologieunterricht oder zum Bestreiten der Shoah im Geschichtsunterricht durch Angehörige anderer Communities. Nach Ansicht der Mehrheit läuft das Kopftuchverbot dabei eher darauf hinaus, ein Thermoter zu zerbrechen, um das Fieber zu senken. Hintergrund dieses Erstarkens von Ideologien, die auf "ethnischen" oder religiösen Besonderheiten der eigenen Minderheit bestehen, seien vor allem die fortgeschrittene soziale Krise im Land. Hinzu kommt Schwäche der fortschrittlichen Kräfte in den maroden und von sozialer Perspektivlosigkeit geprägten Trabantenstädten, nachdem der früher dominierende Einfluss von KP und Gewerkschaften eingebrochen ist.  

An der Basis ist die Lehrergewerkschaft oftmals an dieser Frage des Kopftuchverbots extrem polarisiert. So berichtet der antifaschistische Intellektuelle Thierry Ananou, der zugleich Lehrer in Paris ist: "In meiner Gewerkschaftssektion sind wir 60 Leute bei Versammlungen. Und wenn die Rede auf diese Frage kommt, dann bilden sich zwei gleich große Lager heraus: 30 zu 30."  

Dagegen sind die Bildungsgewerkschaft der sozialliberalen CFDT (der SGEN-CFDT) und die eher etatistisch-autoritäre Lehrergewerkschaft von Force Ouvrière (FO) klar für ein Verbotsgesetz. Die linksradikale Gewerkschaft SUD Education dagegen wurde von heftigen Konflikten über diese Frage erschüttert, da die dort starken "anarcho-nahen" Strömungen eine starke antiklerikale Tradition geltend machen, welche sie auf die Kopftuchfrage übertragen. Letztendlich überwog aber auch hier die Ablehnung der Gesetzesvorlage.

Unterschiedliche Positionen unter Feministinnen und Migrantinnen-Vertretern  

Auch die feministische Bewegung ist an diesem Punkt vollkommen gespalten. Das Spektrum der Positionen reicht auf der einen Seite bis zur Position der Zeitschrift ProChoix um Fiametta Venner und Caroline Fourest. Sie gehen von einer gemeinsamen, koordinierten Offensive von "christlichem, jüdischem und islamischem Fundamentalismus" gegen die Rechte der Frauen in der modernen Gesellschaft aus. Andere dagegen sehen das als eine zu einfache Position an, welche die Widersprüche zwischen den einzelnen Kulturen oder Ideologien mit jeweiligem Hegemonialanspruch unterschätze und einen neuen "Hauptwiderspruch" aufmachen wolle.  

Auf dem Gegenpol finden sich Feministinnen, die davon ausgehen, dass es notwendig unterschiedliche Wege zur Emanzipation gebe. So Christine Delphy, eine einstige Weggefährtin von Simone de Beauvoir, vom Collectif féministe pour l¹égalité. Ihr zufolge sei ein "Feminismus im Islam" am Entstehen, so wie es seit langem jüdische und christliche Feministinnen gebe. Dabei geht Christine Delphy ziemlich weit, da sie auch Kopftuch tragende Frauen als Feministinnen einzustufen bereit ist. Zwischen beiden entgegen gesetzen Polen finden sich eine Reihe von Zwischenpositionen.  

Nicht zuletzt opponieren jene feministischen Gruppen, die vorwiegend Frauen aus der Einwandererbevölkerung vertreten, oft scharf gegen den Gesetzentwurf. Beispielsweise die ­ sehr un-islamistische - Vereinigung Rebelles Voix d¹Elles (Rebellinnen, Weibliche Stimmen) in Saint-Denis. Sie befürchten, dass der von vielen Moslems so erlebte "Stigmatisierungseffekt" durch das Gesetz eher Solidarisierungen auslöse, die den reaktionären Strömungen Rückendeckung durch andere Teile der Immigrantenbevölkerung verschaffen. Ähnliche Stimmen aus der migrantischen Mittelklasse wurden kurz vor Weihnachten in einem Hintergrundbericht in Le Monde zitiert.  

Allerdings äußern nicht organisierte junge Frauen und Mädchen aus der maghrebinischen Community umgekehrt mitunter Sympathien für das geplante Verbotsgesetz, da sie es als eine Art Schutzwall gegenüber eventuellen Ansprüchen ihrer Väter oder Familien betrachten. Mit dieser "Fernwirkung" eines Verbots nicht auf die unmittelbar von Schulverweisen betroffenen Mädchen, aber auf die anderen Schülerinnen rechtfertigen auch viele - linke und andere ­ Befürworter ihre Position zu dem Gesetz. Auch die von algerischen ExilantInnen gegründete, soziale Unterstützung betreibende Vereinigung AFRICA in der Pariser Trabantenstadt La Courneuve ist aus ähnlichen Gründen für ein Verbot. Sie wird von algerischen Ex-Kommunisten geleitet, die oft eine eher etatistische Vorstellung mitbringen.  

Mittels einer Anzeige, die am 16. Februar 04 durch die Tageszeitung "Libération" abgedruckt wurde, wandten sich gut 120 ErstunterzeichnerInnen aus der maghrebinischen Bevölkerungsgruppe an die Öffentlichkeit. Ihr Text ist ein Appel gegen eine reaktionäre Identitätspolitik. Die Unterzeichnenden erklären ihre Gegnerschaft zur islamischen Kopfbedeckung für Mädchen und Frauen, aber ohne explizit zum Verbotsgesetz Stellung zu nahmen - also weder um es zu befürworten noch um es abzulehnen (und implizit andeutend, dass es unterschiedliche Positionen dazu unter den UnterzeichnerInnen gibt). Die Unterzeichnenden erklären, es treffe zu, dass die aktuell sichtbare Zunahme an verschleierten bzw. Kopftücher tragenden Mädchen in Frankreich ein Ergebnis der vielfältigen Diskriminierungen, die Immigranten und ihre NachfahrInnen treffen, sei. Zugleich aber stehe dahinter auch ein politischer Wille, eine aktivistische Ideologie der Islamisten. Die Unterzeichnenden erklären ferner ihre Gegnerschaft zur Homphobie und zum Antisemitismus. Da die UnterzeichnerInnen fast ausnahmslos arabischer oder berberischer, jedenfalls maghrebinischer Herkunft sind, haftet ihrem Text kein Geruch eines "Kampfs der Kulturen zwecks Verteidigung des Abendlands" an. Zu ihnen gehören Mohammed Harbi, "der" algerische Historiker der jüngeren Geschichte (in den 50er und 60er Jahren einer der Köpfe des linken Flügels der Nationalen Befreiungsfront FLN); Idir, "der" moderne berberisch-algerische Sänger in Frankreich, der auch unter Linken sehr bekannt ist; Sanhadja Akrouf, ehemalige Parlamentskandidatin der LCR; die aus dem Iran stammende Schriftstellerin Chahla Chafiq-Beski; der den algerischen Ex-Kommunisten (die staatstragend, aber anti-islamistisch sind) nahe stehenden Journalist Hassan Zerrouky und andere.  

Aus einer anderen Ecke, nämlich von vorwiegend prominenten Frauen der französischen Gesellschaft, wurde noch im Dezember 03 ein "Aufruf an Präsident Jacques Chirac" für das Kopftuchverbot in Schulen veröffentlicht. Der Appel trägt die Unterschrift von zahlreichen Prominenten, wie etwa der Schauspielerinnen Isabelle Adjani, Sandrine Kimberlain, Elodie Bouchez und Isabelle Huppert, der Schriftstellerin Catherine Millet, der sozialistischen Ex-Ministerin Yvette Roudy und der bürgerlichen Ex-Umweltministerin Corinne Lepage oder der Theaterregisseurin Ariana Mnouchkine. Auch die Philosophin Elisabeth Badinter und die aus dem Iran stammende Schriftstellerin Chadortt Djavan, die den Kampf gegen den iranischen brutalen Schleierzwang in Frankreich fortsetzt, dabei aber keinerlei Unterschied zwischen französischen und iranischen Bedingungen macht, gehören zu den Unterzeichnerinnen. Einer der Kernsätze ihres Appels lautet: "Das Kopftuch in der Schule oder in öffentlichen Einrichtungen zu akzeptieren, würde bedeuten, ein sichtbares Symbol der Unterdrückung der Frau zu legitimieren, und das an Orten, wo der Staat der Garant einer strikten Gleichheit zwischen den Geschlechtern sein muss."  

Die Unterzeichnerinnen fordern eine schnelle Verabschiedung des Verbotsgesetzes, "und von Ausführungsdekreten" der Regierung. Der Ort, den sie für ihre Veröffentlichung wählten, nämlich die Zeitschrift ELLE, ist allerdings nicht eben als Ort fundierter feministischer Kritik an der Rolle der Frau in der (bürgerlichen) Gesellschaft bekannt. Und blättert man um einige Seiten um, dann kann man ­ oder eher frau ­ sich in derselben Ausgabe der Zeitschrift beispielsweise darüber beraten lassen, wie "Ein moderner Ehemann" auszusehen hat. Ein moderner Ehemann, das ist jedenfalls nicht einer, der "so sehr gegen das System ist, dass er keine Arbeit hat ". Ein moderner Ehemann, das ist dagegen einer, der "nur deswegen keinen Chef hat, weil er ein so erfolgreicher Berater ist, dass die Unternehmer sich um ihn reißen." Emanzipation, hatten Sie gesagt, Mesdames et Mesdemoiselles...?  

Jener Teil des feministischen Spektrums, der für das Verbotsgesetz eintritt, versucht nunmehr in den Mobilisierungen rund um den internationalen Frauentag am 8. März in die Offensive zu kommen. So wurde ein sehr staatstragend gehaltener, auf die "Ideale der Republik" und den staatlichen Laizismus abstellender Appel für die jährliche Bündnisdemo zum Frauentag lanciert. Die Pariser Bündnisdemo findet dieses Jahr am Samstag, 6. März statt. Zu den wesentlichen Stützen dieses "republikanischen" Appels zählt die (im Oktober 2003 auf trend.partisan näher vorgestellte) Frauenorganisation "Ni putes ni soumises" (NPNS), "Weder Nutten noch unterwürfig". Diese im vorigen Jahr begründete Vereinigung griff ein grundsätzlich legitimes und notwendiges Anliegen auf, nämlich den Kampf für die Rechte von Frauen in Einwandererfamilien und und bei TrabantenstadtbewohnerInnen. Jedoch verwandelt sie sich mit zunehmender Geschwindigkeit in eine reine Vorfeldorganisation der französischen Sozialdemokratie, die sich hier einen neuen, "unbefleckten" Funktionärinnen-Apparat herangebildet hat. Im Gegenzug hat die Struktur den Kampf an der "Basis", in den Trabantenstädten, zunehmend vernachlässigt. (Die NPNS-Vorsitzende Fadéla Amara hat ebenfalls den Appel unterzeichnet, der im Dezember 03 in ELLE publiziert wurde.)  

Der von NPNS maßgeblich mit getragene Appel zum 6. März stieß allerdings bei vielen anderen Frauengruppen auf heftigen Widerspruch. Die linken Gruppen bemängelten, bisher habe bei den Mobilisierungen zum Frauentag eher die Kritik an gesellschaftlichen Missständen (Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen, mangelnde gesellschaftliche Repräsentation...) im Vordergrund gestanden. Und es komme nicht in Frage, jetzt plötzlich eine Demo "für" die Ideale des bürgerlichen Staates zu veranstalten, anstatt die Kritik an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in den Vordergrund zu stellen. Und die Gruppen um Christine Delphy wandten sich gegen eine Ausgrenzung muslimischer Frauen.  

U.a. durch die tatkräftige Vermittlung von Frauen der radikalen Linken konnte ein offener Bruch vor der Bündnisdemo vermieden werden, und es gibt doch noch einen gemeinsamen Aufruf. Doch wird durch die Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Demo der Streit in wesentlichen Punkten lediglich vordergründig ausgeklammert. Tatsächlich wird es auf der Demonstration weitgehend autonome Blöcke geben, die ihr eigenes Profil zu diesen Fragen in den Vordergrund stellen werden.  

Zwang oder "Differenz"suche?  

Jüngste Untersuchungen von Einzelfällen scheinen zu zeigen, dass die jungen Kopftuchträgerinnen, die unter Druck und Zwang seitens ihrer Familie handeln ­ wie es bei den ersten "Kopftuch-Affären" 1989 anscheinend der Fall war ­ nur noch einen kleinen Teil der verzeichneten "Fälle" darstellen. Vielfach werden umgekehrt heute die Eltern, die eher Anpassung und Konzentration auf ihre schulische oder berufliche Zukunft von ihren Kindern fordern, von einer Form der Radikalisierung der jungen Generation überrannt. Jungen und Mädchen werfen ihrer Eltern vor: "Ihr seid 40 Jahre lang stumm gegenüber allen Benachteiligungen geblieben und habt nur gearbeitet, weil ihr immer mit der Perspektive der Rückkehr ins Herkunftsland gelebt habt. Wir dagegen wollen offen zeigen, dass wir uns nicht mehr gefallen lassen."  

Das zentrale Problem dabei ist aber, dass diese Haltung sich in den 80er Jahren noch vorwiegend mittels der Forderung nach Gleichheit ausdrückte, etwa anlässlich des "Marschs für die Gleichheit" ­ ein spektulärer Fußmarsch arabischstämmiger Einwandererkinder von Marseille nach Paris ­ im Dezember 1983. Angesichts des vielfachen Scheiterns dieser Perspektive, aufgrund der Verschlimmerung der sozialen Situation in den Banlieues und der enormen Enttäuschung der Einwandererkinder durch mehrere Linksregierungen, drückt sich die Frustration der nachwachsenden Generation dagegen oft eher im Verlangen nach Ausdruck von "Differenz" aus. Eine emanzipatorische Perspektive ist das nicht, zumal wenn islamistische oder andere Identitätsideologien mit in¹s Spiel kommen. Dennoch müssen die Gründe dafür ernst genommen werden.  

Ob das neue Verbotsgesetz daran irgend etwas ändern wird, wird von den Kritikerinnen angezweifelt. Selbst einige konservative Abgeordnete, die am Dienstag für das Gesetz stimmten, vertraten allerdings die Ansicht, dass sich de facto nicht viel ändern werde. Wie Bildungsminister Luc Ferry vor dem Gesetzesausschuss des Parlaments bei der Vorstellung des von ihm mitverfassten Gesetzentwurfs anmerkte, würden jetzt eben neue Symbole gesucht.  

ANMERKUNGEN

FUSSNOTE 1: Nur um die Behauptung nicht ohne Beleg im Raum stehen zu lassen, ein paar Hinweise. Erstens, die Ausführungen der Autorin zu Attac, die um die zentrale Behauptung kreisen, Attac sei eine "Querfront-Organisation", in der Linke gemeinsam mit Faschisten arbeiteten. Diese Behauptung beruht auf einer Einstufung politischer Strömungen, die vollkommen auf Sand gebaut ist. Gudrun Eussner kapriziert sich dabei auf bürgerlich-nationalistische Strömungen, die einen spezifisch französischen historischen Hintergrund haben. Dazu gehören die links-etatistischen "republikanischen Nationalisten" um Ex-Innenminister Jean-Pierre Chevènement sowie bestimmte Überbleibsel der Gaullisten (die in Opposition zum Mainstream der französischen Konservativen stehen, vor allem zur Frage der EU-Integration). Diese Strömungen haben eine Geschichte, die mit der bürgerlichen Revolution von 1789/93 und dem in ihr begründeten Nationalismus zusammenhängt (Stichwort: Frankreich ab 1792 im Krieg mit den europäischen Monarchien). Aber auch der spezifische Nationalismus der französischen Résistance, der sich unterscheidet vom pro-faschistischen Nationalismus der Vichy-Kollaborateure, liefert eine wichtige Erklärung. Ein Teil der gaullistischen Tradition kommt ja genau daher. Das sind bestimmt keine Antikapitalisten oder linken Staatsgegner, aber diese Leute haben dennoch eine antifaschistische Herkunft.  

Gudrun Eussner nimmt nun einfach diese Strömungen, ohne die leiseste Ahnung von ihrer Geschichte zu haben, und stuft sie als "faschistisch" ein. So bezeichnet sie die alt-gaullistische Partei RPF (die tatsächlich eher weit rechts im bürgerlichen Spektrum steht) als "rechtsextrem", was jedoch nicht in dem Sinne zutrifft, dass es sich hier um eine faschistische Strömung handeln würde - letztere Aussage ist grundfalsch. Nur über mehrere Ecken (die Chevènement-Strömung, die tatsächlich in Attac vertreten ist, arbeitete vor den Präsidentschaftswahlen 2002 mit einigen Gaullisten zusammen, die in Opposition zu Chirac und zum konservativen Mainstram stehen) kommt sie so zu der völlig abstrusen Aussage, Attac Frankreich sei eine Organaisation der "Querfront" mit Faschisten.  

In einem anderen Text behauptet sie zu Jean-Pierre Chevènement, dem autoritär-sozialdemokratischen Innenminister der Jahre 1997 - 2002, nichts oder kaum etwas unterscheide ihn vom (tatsächlichen) Faschisten Jean-Marie Le Pen. Das ist ungefähr so intelligent, wie zu behaupten, die Neonazis der NPD seien in der BRD momentan faktisch das Gleiche wie die Regierung. Das ist Quatsch, was nichts davon wegnimmt, dass diese Leute (Chevènement, Gaullisten...) dennoch politische Gegner der antiautoritären Linken sein müssen. Nicht alle unsere Gegner stehen für "Faschismus"! Aber wahrscheinlich hat die Autorin einfach nur versucht, ihre eigene Vergangenheit ­ ungeschickt ­ aufzuarbeiten, denn sie war bis im Sommer 2002 Redakteurin der Online-Zeitschrift "kalaschnikow", bei der tatsächlich einige Protagonisten eine faktische Querfront mit deutschen Rechtsradikalen befürworteten oder zu knüpfen versuchten. Ihr Austritt aus "kalaschnikow" war deswegen eine richtige Handlung.  

Nicht richtig ist hingegen, dass die Autorin daraufhin in den folgenden Monaten krampfhaft versucht, ihre Erkenntnisse aus dieser Affäre zu beweisen, indem sie in Frankreich überall "Querfronten" mit Faschisten zu entdecken versuchte, vor allem dort, wo es keine gibt. An anderer Stelle beschuldigte sie eine kleine Vereinigung linker Journalisten, die sich an Medienkritik versuchen (namens Acrimed), sie betreibe quasi-faschistische Agitation, da die Adresse ihrer Webpage die Bezeichnung "Samizdat" enthält. Das aber, so meinte Frau Eussner, sei ein rechtsextremes Verlagshaus, weshalb sie die Parallele meinte ziehen zu müssen, Acrimed verhalte sich, als wenn eine deutsche Redaktion als Internet-Adresse "Der Stürmer" angebe. Das war nur leider voll daneben: "Samizdat" kommt vom russischen Wort für "Selbstdruck" und bezeichnet lediglich die Tatsache, dass ein Medium zum Selbstkostenpreis der AutorInnen verbreitet wird, also z.B. ohne Vorfinanzierung durch einen Verlag. Dieses Verfahren bedienen sich Linke häufig, wenn sie keinen bürgerlichen Verlag finden; aber es gibt auch Fälle, in denen rechtsextreme Bücher mit der Verlagsangabe "Samizdat" erschienen, da kein Verleger sie drucken wollte. Daraus abzuleiten, eine kleine und bescheidenen Initiative einer Handvoll linker Journalisten sei mit dem "Stürmer" der NS-Zeit zu vergleichen ­ das kann nur einem deutschen Trampeltier im Ausland einfallen.  

Weitere fundamentale Fehler finden sich bei Gudrun Eusser. So hat sie in mehreren Artikeln über den halb-linken Radiojournalisten namens Daniel Mermet herumgegeifert: Diese haben NS-Täter im Radio hetzen lassen, und er sei ein Nazi-Sympathisant. Nur leider hatte sie überhaupts nichts verstanden. Mermet hatte tatsächlich eine Kassette mit Äußerungen des ehem. KZ-Arztes Münch in einer Sendung eingespielt. Aber mit einer eindeutigen, und für jede Zuhörerin erkennbaren Absicht: Das alte Nazi-Schwein auffliegen zu lassen! Sinn der Sendung war, zu zeigen: Da ist ein altes Nazi-Schwein, der - als KZ-Arzt - bisher völlig unbehelligt lebt, und hört her: Er hetzt auch heute noch unbefangen gegen "Zigeuner"! Das war der Sinn, und das hat damals auch niemand missverstanden. Ein Jahr später hatten Leute, die einen politischen Dissens zu Daniel Mermet hatten, aus anderen Gründen einen Prozess gegen den Radiojournalisten angestrengt und dabei - um ihn zu diffamieren - erstmals versucht, diese Radiosendung gegen ihn zu verwenden. Dabei hatten sie die DInge falsch dargestellt, in dem Sinne, wie Gudrun Eussner es tat ("Mermet lässt einen NS-Verbrecher zu Wort kommt und sympathisiert mit ihm"). Mit Ausnahme von Gudrun Eussner und den Klägern selbst hat aber niemand an diese Version geglaubt. Die Presse ebenso wie das Gericht bügelten die Klage, und die politisch motivierten Diffamierungen der Kläger, schnell ab.  

Es ist nicht möglich, alle Verdrehungen und teilweise auch sprachlich bedingten Übersetzungsfehler bei G.E. richtig zu stellen, das lohnt sich auch nicht. Teilweise merkt man an den Übersetzungsfehlern, dass die Autorin nur näherungsweise Französisch spricht. So übersetzte sie jüngst einen Zeitungstitel zum angeblichen Mossad-Enthüllungsbuch von Nima Zamar (Je devais aussi tuer) - eine offenkundige Fälschung - kurioserweise mit "Die Spionion, die alles abwägt". Richtig hätte es heißen müssen "Die Spionin, die auspackt", was im Zusammenhang mit ihrem Enthüllungsschinken auch mehr Sinn gemacht hätte. Denn zwar bezeichnet das französische Substantiv "une balance" im Deutschen eine Waage; das Verb "balancer" aber bedeutet verpetzen, denunzieren oder auspacken, aber auch wegwerfen. Unter Schülerinnen ist auch das Wort "une balance" für eine "Petze" geläufig. Solche Übersetzungsfehler zeigen m.E., dass es mit der Sprachpraxis bei G.E. nicht so weit her sein kann. Im selben Text, der hier zitiert wurde, kommen noch drei weitere offenkundige Übersetzungsfehler vor.  

FUSSNOTE 2: Ziel der Diffamierung sind die beiden Journalisten René Monzat und Jean-Yves Camus, die beide mehrere ­ fundierte ­ Bücher zur französischen extremen Rechten publiziert haben. Dabei werden auch noch fleißig Pseudonyme heruntergezerrt und bürgerliche Namen preisgegeben, was Gudrun Eussner ihrerseits in ihrem deutschsprachigen Text übernimmt. "Staatsanwältin" Eussner scheint sich dabei jedoch als große Entlarverin voll in ihrer Rolle zu fühlen. Leider strotzt die längere Passage aber vor materiellen Fehlern und Fehlzuordnungen.  

René Monzat ist zwar, wie es an der Stelle richtig heißt, der Sohn eines rechten Filmregisseurs namens Eric Rohmer (der allerdings nicht "Pétainist" ist, wie behauptet, sondern der Nouvelle Droite nahe steht). Ferner ist die Behauptung falsch, Monzat sei "ehemaliges Mitglied der LCR" (einer Partei der radikalen Linken), er war allenfalls zeitweise ihr Sympathisant. Ferner wird ein weiterer Antifa-Experte eingeführt, Jean-Yves Camus, der fälschlicherweise als "radikaler Linker" bezeichnet wird. Das stimmt nicht: Camus ist Chevènementist, also Anhänger des linksnationalistischen und EU-skeptischen früheren Innenministers, der 1992/93 aus der Sozialdemokratie ausgetreten ist; Camus war wesentlich an dessen Wahlkampf 2002 beteiligt. Ferner heißt es , Camus sei zum Judentum konvertiert, wohl, weil die beiden Autoren auch jüdische Leser finden wollen, denen sie Camus als eigentlich falschen Glaubensgenossen präsentieren wollen. Jean-Yves Camus ist allerdings "echter" (und praktizierender) Jude, und als solcher geboren.  

Über Monzat heißt es ferner, er "betreibe eine pro-arabische Vereinigung namens Golias". Da kommt nun wirklich alles durcheinander, und man merkt bei Gudrun Eussner - die den Schmonzes Eins zu Eins übernimmt - überdeutlich, dass sie von Dingen spricht, von denen sie keine Ahnung hat. "Golias" (die französische Entsprechung zu Goliath) ist eine linkskatholische Gruppe in Lyon, ungefähr vergleichbar der "Initiative Kirche von unten". Diese gibt seit langen Jahren eine gut gemachte Zwei-Monats- oder Vierteljahres-Zeitschrift heraus, die Frau Eussner zwar offenkundig noch nie in Händen gehalten hat, die aber einer kritischen Aufarbeitung der Kirchengeschichte und -politik gewidmet ist. Dabei geht es u.a. um die Rolle der Kirche unter dem Vichy-Régime, in Afrika, um christlichen Antijudaismus und um den Einfluss der extremen Rechten auf Randbereiche der heutigen katholischen Kirche. Dass die "Golias"-Gruppe lose Kontakte zu Linken und namentlich zur Dritte-Welt-Bewegung hat, wie Ihr angekreidet war (allerdings so, als sei sie Teil einer Verschwörung), ist plausibel. Darin steckt allerdings weder etwas Geheimes noch Anrüchiges.  

FUSSNOTE 3: Ferner ist es im Hinblick auf die historische Analyse ziemlich komisch, wenn G.E. den ­ im 7. Jahrhundert Teile Südeuropas erobernden ­ Moslems, aber auch den zeitgenössischen christlichen Westgoten für die damalige Zeit "Antisemitismus" vorwirft. Das zeigt lediglich, dass sie mitnichten den Unterschied zwischen vormodernen Religionskriegen und der modernen "Rassen"ideologie des Antisemitismus (mit seinen Besonderheiten: Verschwörungstheorien als vermeintliche Welterklärung; pseudo-antikapitalistischer Reflex, der durch eine Pseudo-Kritik an der "Macht des Geldes" vermittelt wird...) begriffen hat. Christlicher Antijudaismus im 7. Jahrhundert geltender Zeitrechnung hat es gegeben, nämlich auf der Grundlage der Überzeugung ausnahmslos jeder der betroffenen Religionsgruppen, jeweils allein dem "richtigen Gott" zu dienen. Das mit dem modernen Antisemitismus begrifflich gleich zu setzen, zeugt von blankem historischem Unverständnis. Bernhard Schmid (Paris)  

 


Editorische Anmerkungen
Der Autor schickte uns seinen Artikel in der Fassung vom 4. 3. 2004 zur Veröffentlichung.

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