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Nr. 03-04
Notausgabe
4. März 2004

9. Jahrgang online

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Kopftuch, Islam und „deutsche  Leitkultur“

von Max Brym

In Deutschland tobt der Kopftuchstreit, Rechtskonservative sowie Grünalternative haben sich zu einer heiligen Allianz gegen das Kopftuch zusammengeschlossen. Dieser Allianz sind mittlerweile auch einige selbst erklärte Linke beigetreten.

Zweifellos ist das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau, in jedem Falle für die Ungleichbehandlung der Frau. Die Bedeckung des weiblichen Kopfes oder gar die Burka, ist Ausdruck einer rückständigen Ideologie, die Frauen nicht als gleichberechtigte Menschen akzeptiert. Dagegen rebellieren Frauen in Gebieten mit stark fundamentalistisch- islamistischen Strukturen. Auch in den Metropolen lehnen Frauen ihre Verhüllung entschieden ab. Es gibt aber auch Frauen, die sich der männlich patriarchalen Gewalt beugen oder das Kopftuch aus Überzeugung tragen. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung ist international und hat die Frauen als Subjekt ihrer eigenen Befreiung zu betrachten. 

In Europa findet gegenwärtig statt einer zivilgesellschaftlichen Solidarisierung mit Frauen und Mädchen, die gegen den fanatischen Fundamentalismus Widerstand leisten, eine mehr als seltsame Debatte statt. Der Islam wird metaphysisch als geschlossene Einheit an den Pranger gestellt, da er angeblich rückständiger sei, als die „christlich-abendländisch- jüdische“ Kultur. Diese Herangehensweise ist grundverkehrt. Jede der genannten Religionen hat patriarchale und reaktionäre Bestandteile in ihrem System. Gleichzeitig erfüllt die Religion die Funktion „der Seufzer der bedrängten Kreatur“ zu sein, Trost zu spenden und Hoffnung zu geben. Es steht niemanden an, die Religion als Privatsache des einzelnen Menschen militant zu attackieren. Überhaupt nicht akzeptabel ist es, eine Religion verbunden mit der Phrase von einer geschlossenen „Nationalkultur“ gegen die andere „Kultur“ zu privilegieren. Das Christentum hat in seiner jahrhundertelangen Geschichte die größten Massaker zu verantworten, sowohl gegen Menschen mit islamischer als auch jüdischer Religion. Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die Schoa fand im letzten Jahrhundert durch den deutschen Faschismus in Europa statt. Von einer christlich-jüdischen Symbiose sprechen und schreiben nur historische Traumtänzer. Das Judentum lieferte die ideologische Basis für das Christentum wie für den Islam. Jeder Alleinvertretungsanspruch, jede Arroganz, jede Unterdrückung der jeweils anderen religiösen Richtung ist abzulehnen und kontraproduktiv. Religiöser Wahn und Intoleranz sind keine historischen Phänomene sondern aktuelle Erscheinungen.  

Im Sinne der Aufklärung gilt es die Ideale der jungen Bourgeoisie, gegen das alt gewordene Bürgertum in den Metropolen zu behaupten. Die französische Revolution erklärte, „alle Menschen sind frei und gleich geboren“, im Code Civil von Napoleon sind sämtliche religiösen Freiheiten garantiert, die Menschen einander rechtlich gleichgestellt. Die bürgerliche Aufklärung trennte konsequent Kirche und Staat, um dem jungbürgerlichen Liberalismus im Gegensatz zur aristokratischen Machtbesessenheit zum Durchbruch zu verhelfen. Der Aristokrat wollte seine Herrschaft unter Berufung auf Gott abgesichert wissen, denn mit Gott wird bekanntermaßen nicht diskutiert. Die in die Jahre gekommene Moderne und ihre Vertreter, haben neben sozialen Grausamkeiten keinerlei Zukunftsperspektive mehr zu bieten. Die gegebene Welt der extremen sozialen Ungleichheit ist für sie das Ende der Geschichte. In diesem Sumpf rücksichtsloser wirtschaftlicher Konkurrenz, sozialer Ausbeutung und rapiden Verelendungsprozessen im Trikont, suchen die Menschen nach Halt und Orientierung.  

Durch das Scheitern der Systemalternative, die sich „Kommunismus“ nannte, sind Plätze frei geworden für jede Menge falscher Propheten. Die Welt wird heimgesucht von fanatischen, religiösen Fundamentalisten unterschiedlichster Couleur. Zu nennen sind christliche Fundamentalisten, die man massenhaft im so genannten „Bibelgürtel“ der USA beobachten kann. Nicht umsonst hat der antisemitische Film von Mel Gibson den größten Starterfolg in der Filmgeschichte zu verzeichnen. In Israel ist eine fanatisch-fundamentalistisch-jüdische Richtung zu beobachten, wie sie sich daran macht, die bürgerlich demokratisch laizistischen Grundlagen der Gesellschaft in Frage zu stellen. Der Millionär Bin Laden gibt sich als wahrer Interpret des Islam aus und versteht geschickt mit modernen Managementmethoden, seine brutal kapitalistische Version des Islam als einzig gültige auf den Markt zu bringen. Die Marketingstrategie jeder fundamentalistischen Richtung geht davon aus, das eigene Produkt als Original Religionsartikel abzusetzen. Die Vorgehensweise entspricht der Selbstpräsentation jedes x-beliebigen Autohändlers. Dem „Händler“ Bin Laden kommt die Islamophobie in vielen westlichen Staaten entgegen. Der Islam wird als grundsätzliche Bedrohung aufgefaßt, der „Kampf der Kulturen“ propagiert. Die Gleichung Islam = Fundamentalismus = Terrorismus kommt der Marketingstrategie islamischer Fundamentalisten entgegen. So auch die in Deutschland geführte Kopftuchdebatte kombiniert mit der Forderung nach der deutschen „Leitkultur“. 

Keine Diskriminierung des Islam 

Die Landesregierung von Niedersachsen legte am 13. Januar 2004 einen Entwurf zur Novellierung des Niedersächsischen Schulgesetzes vor. Den muslimischen Lehrerinnen soll nicht nur das Tragen von Kopftüchern untersagt werden, sondern den Lehrkräften und pädagogischen MitarbeiterInnen soll jede Meinungsbekundung zur Religion verboten werden. Das Land Niedersachsen begründet dies, „mit der Neutralitätspflicht des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern“. Außerdem soll von unerwünschten äußeren Bekundungen, „verbale Äußerungen, Kleidungsstücke, Plaketten“ Abstand genommen werden. In dem Entwurf werden ausdrücklich die abendländisch-christlich-jüdischen Symbole als positiv hervorgehoben, dass stellt eine absolute Diskriminierung des Islam dar und ist somit inakzeptabel. Gebürtige Moslems werden auf solche Vorgänge reagieren, moslemische Fanatiker werden das Ganze dankbar als Gottesgeschenk aufnehmen. Der Zulauf zu den Predigten diverser Hoxhas wird zunehmen. Menschen werden durch den „Kampf der Kulturen“ in die Hände der jeweiligen Fanatiker getrieben. Bei vielen Deutschen wächst kulturelle und nationalistische Arroganz, der deutsche Staat setzt seine Machtinstrumente gegen „Nichtdeutsche“ ein, was jeden Chauvinisten nur befriedigen kann. Weltanschauliche und nationalistische Überheblichkeit unterlegen damit auf praktische Weise die Politik der sozialen Grausamkeit im Lande. 

„Feministische Initiative“ für mehr Abschiebungen 

Es paßt zum Zeitgeist, wenn unter dem Namen „Becklash“ deutsche „Feministen“ und „Feministinnen“ den Krieg gegen den Islam mit verstärkten Abschiebungen verbinden wollen. Die „Becklash“-Initiative sammelt gegenwärtig Unterschriften für einen Brief an die Integrationsbeauftragte Frau Marieluise Beck, die Frauenministerin Frau Renate Schmidt und die Justizministerin Frau Brigitte Zypries, in dem sie noch einige Gesetze mehr gegen Ausländer und  Ausländerinnen in Deutschland fordern. In den Katalog der Abschiebegründe soll laut „Becklash“ folgendes aufgenommen werden: „Alle Frauen und Männer, die aus Ländern kommen in denen Männer gegenüber den Frauen rechtlich privilegiert sind und die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland beantragen unterschreiben ab sofort, dass sie Art. 3 Abs. 2 GG anerkennen. Damit anerkennen sie gleichzeitig, dass sie bei Verstößen ihr Aufenthaltsrecht verwirken.“

Die „deutsch-nationalen“ Feministinnen wie Helke Sander und Halina Bendkowski sowie der aktive Gewerkschafter Günter Langer, rufen unter dem Vorwand der Frauenemanzipation nach Abschiebungen. Ihr Konzept geht davon aus, daß es in Deutschland nur noch peripher Frauenunterdrückung gibt, denn ihr „Feminismus“ bezieht sich ausschließlich auf Frauen und Männer die aus anderen Ländern kommen. Der deutsche Macho, Schläger und Frauenfeind kann beruhigt seine Bierflasche öffnen. Für den alt SDS-ler Langer ist er eine randständige Figur. Das Briefchen der Initiativler soll auch die illegale Prostitution ausländischer Frauen bekämpfen. Statt für einen legalen Status sämtlicher Prostituierter einzutreten, fällt „Becklash“ objektiv nur die sinnige Parole „Ausländer raus“ ein. Natürlich steht es außer Zweifel, dass viele Frauen und Mädchen ohne deutschen Paß einer besonderen Unterdrückung ausgesetzt sind. Sie werden rassistisch diskriminiert, von vielen Deutschen nationalistisch angemacht und sind zu Hause oft strengen patriarchalen Regeln unterworfen. Dagegen etwas zu tun ist notwendig, aber statt an multinationale Frauengruppen zu appellieren, gemeinsame soziale Kämpfe zu planen, fällt der genannten Initiative nur die staatliche Drohung mit der Abschiebung ein. Dabei bedenken sie nicht, wenn extreme Machos in ihre „Herkunftsländer“ mit Frauen und Kindern (dafür wird der Staat sorgen) verfrachtet werden, haben die Leute in den betroffenen Ländern eine Unmenge davon. Für diese Typen werden sich die „Herkunftsländer“ bedanken. An den Frauen, wird sich die Wut der abgeschobenen Männer dann erst richtig austoben. Aber die „Becklash“-Leute wird das aufgrund ihres nationalistischen Konzeptes nicht anfechten. Für sie gibt es Länder mit geschlossener Nationalkultur, die natürlich rückständiger als Deutschland sind. Um welchen politischen Charakter es sich bei Herrn Langer und Konsorten handelt, zeigt ihre Aktion gegen das Partisan.net am 1. März 04. Nachdem Herr Langer feststellen mußte, daß er in der linken Projektgruppe Partisan.net mit seiner SDS-Webside nicht mehr geduldet wird, langte er richtig hin. Er versuchte die gesamte Domain zu zerstören und damit linke Öffentlichkeit zu liquidieren.  

Fundamentalisten bekämpfen

Der islamische Fundamentalismus, wie jeder andere religiöse Fanatismus, ist die pervertierte Antwort auf eine unsoziale, ausbeuterische und Elend produzierende Weltordnung. Den verschiedenen Fundamentalismen geht es nicht darum, Demokratie, soziale Sicherheit und Frauenrechte nach vorne zu bringen. Im Gegenteil, die gegebenen Zustände wollen sie zementieren und verabsolutieren. Ihre Parole ist der „Kampf der Kulturen“, dabei setzt jede fundamentalistische Richtung darauf, dass die von ihr vertretene fanatische Sicht der Dinge als, religiöses non plus ultra weltweit anerkannt wird. Dagegen sind mehrere Mittel anzuwenden. Entscheidend ist es Vereinfachungen abzulehnen. Der Islam ist nicht die Hamas und Bin Laden, das Christentum ist nicht Mel Gibson und das Judentum ist nicht Baruch Goldstein. Es gilt eine weltlich- laizistische Perspektive in Richtung Toleranz und sozialer Gleichheit zu entwickeln. Was Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und Atheisten miteinander verbindet ist der Kampf dafür, dass die Erde nicht zur Hölle wird. Die Definition der Hölle hat von konkreten Fakten und nicht von metaphysischen Spekulationen auszugehen. Die Befreiung der Arbeit kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein, genauso wie die Befreiung vom Kopftuch nur das Werk der Frauen im Bündnis mit anderen fortschrittlichen Strömungen sein kann. Die Frauen müssen Subjekt und nicht Objekt sein. Das Ablegen des Kopftuches, genauso wie das Tragen des Kopftuches, darf keinesfalls mit Zwang verbunden sein. Freiheit kann nicht den zu befreienden Subjekten mittels staatlicher Gesetze vorgegeben werden. Schon Napoleon mußte die Erfahrung machen, dass sich sowohl die russischen als auch die spanischen Bauern gegen ihn erhoben, obwohl gerade in Spanien das Programm von Joseph Bonaparte objektiv den Bauern mehr gab, als die Herrschaft der spanischen Feudalaristokratie.  

Jede Zwangsmaßnahme gegen das Kopftuch ist negativ, sie bestärkt tradierte politische Reaktion, schaltet die Frauen als Entscheidungsträger aus und ist daher vergleichbar mit der islamistischen Männergewalt, die vielen Frauen den Schleier aufzwingt. Verbots- und Zwangsmaßnahmen gegen das Kopftuch  im „christlichen Abendland“ nützen der Hamas und Bin Laden. Jener „Kulturkampf“ wird auf dem Rücken der Frauen ausgetragen, denn die herrschende Kultur auf dem Globus ist patriachal geprägt. Daneben gilt es in Sachen Kopftuchstreit noch einige zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen. Viele junge Mädchen tragen das Kopftuch freiwillig, um auf diese Art nicht nur ihre Identität, sondern auch ihre Ablehnung des metropolitanen Rassismus zu demonstrieren. Wie in der Farbenlehre gilt es in der Politik festzuhalten: Es gibt nicht nur schwarz und weiß, Grautöne sind verbreiteter und es stellt sich die Frage, ob es ein chemisch reines Schwarz und Weiß überhaupt gibt.

 


Editorische Anmerkungen

Den Artikel schickte uns am 8.3. 2004 Max Brym mit der Bitte um Veröffentlichung. Er wünschte uns in unserem Kampf gegen die Schließung des Partisan.net  "Viel Kraft und Mut".

Kopftuch,Islam und "deutsche Leitkultur" ist auch bei Indymedia veröffentlicht und kann dort diskutiert werden.

Max Brym hatte im Partisan.net seine Homepage und verlor durch Günter Langers Willkürakt seine Internet-Präsenz. Er hostet jetzt bei: http://www.a-i-z.net/maxbrym/

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