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Nr. 03-04
Notausgabe
4. März 2004

9. Jahrgang online

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Adornos Erben
Interview mit Sebastian von textz.com


geführt von Aktivist

Aktivist: Hi.

Sebastian: Hallo.

A: Erzähl doch mal kurz was textz.com für ein Projekt ist und wie es dazu kam.

S: textz.com gibt es seit 2000 und das ist einerseits ein Archiv kritischer Texte und andererseits eben auch eine Website "gegen Copyright".

A: Wieviele Texte habt ihr archiviert und was sind das in der Regel für Texte?

S: 700-800, und nochmal genauso viele auf der Warteliste. Theorie, Romane, Science-Fiction, Situationisten, Kino, Franzosen, Douglas Adams, kritische Theorie, Netzkritik usw. Für die Warteliste gibt es keine expliziten Kriterien. Das ist eine absolut subjektive Auswahl, von mir und einigen anderen. Das soll keine Publikations-Startup-Plattform für junge Autoren werden... und auch kein Gutenberg-mässiger Kanon der Weltliteratur. Kafka und Richard Stallman in einem Archiv, das ist schon selten.

A: Die Texte die auf der Warteliste sind, sind das Texte von zeitgenössischen Autoren die sie Euch anbieten?

S: Manchmal gibts Autoren, die was anbieten. Das geht dann auch schneller. Aber vor allem ist das viel Zeug von zb. Foucault, Deleuze, auch die gesammelten Werke von Adorno.

A: Zu Adorno gleich. Ich hab mir hier eine handvoll Zitate rausgedruckt von anderen Medien, die Euch loben "Das Napster der Bücher", "The evil Project Gutenberg", "virtuelles gallisches Dorf"...

S: Naja, Journalismus eben. "Napster der Bücher", das wurde vor allem in Italien viel geschrieben. Obwohl das Quatsch ist wars natürlich ganz hilfreich. "In den Knast für Adorno" scheint die leute auch zu interessieren.

A: Wie bekannt seid Ihr denn? Ich kenne Euch nur sehr kurz. Wieviele Nutzer habt Ihr denn so?

S: Du kannst ja mal unter textz.com/logs nachsehen. Über eine Million Leute bis Ende letzen Jahres. 60% von denen kommen nicht aus Deutschland, immer mehr u.a. aus Südostasien.

A: Kommen wir zu Adorno. Du bist von Jan Philipp Reemtsmas Wissenschafts- und Kulturstiftung verklagt worden, wegen zweier Adorno-Texte. Wann war das, und worum geht es genau?

S: Im August 2002 hat Reemtsma vor dem Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung durchgesetzt wegen zweier Adorno-Texte, "Jargon der Eigentlichkeit" und "Fascism and Anti-semitic Propaganda", an denen seine "Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur" die Rechte hält. Ich hab zu der Zeit in New York gelebt, ziemlich weit weg von meinem Briefkasten. Keine Ahnung, ob die mich vorgeladen haben. Jedenfalls wurde das wegen angeblicher Dringlichkeit in meiner Abwesenheit verhandelt und ich bekam in New York einen Anruf "Du hast da was in der Post...". Und dann haben wir die Texte runtergenommen.

A: Was war denn so dringlich dran?

S: Da ist natürlich nichts dringlich dran. Wenn jemandem was dringlich ist -das hab ich auch schon einmal erlebt- dann schreibt der meinem Provider. Dh. er schaut sich an, wo liegen diese texte physikalisch und dann schreibt mir mein Provider und sagt "Sie haben jetzt 48 Stunden, und dann schalten wir Sie ab." Das ist eigentlich sehr einfach. Oder man schreibt mir direkt eine E-mail. Suhrkamp hat mal " inbox@textz.com" 150.000 Euro Strafe angedroht. Das war sehr lustig.

A: Ihr habt die Texte also erstmal runtergenommen.

S: Ja. Und sichergestellt, dass sie aus dem Google Cache nicht verschwinden. Auf textz.com gibts die nicht mehr, aber Google findet die schon noch. Und dann, über ein jahr später, hatte ich einen Haftbefehl in der Post. "Bitte erscheinen Sie dann und dann (ist schon etwas her) in der JVA Berlin Plötzensee."

A: Da waren die Texte schon lange unten.

S: Die Texte waren unten, aber die "Schäden", Anwaltskosten usw. der Hamburger Stiftung -z.Zt. knapp zweieinhalb Tausend Euro-, die wollten (und wollen) sie tatsächlich von mir ersetzt haben. Und wer beim Schulden eintreiben keinen Erfolg hat, der kann halt einen Haftbefehl beantragen, wenn er's wirklich wissen will, wie weit man mit Adorno gehen kann.

A: Also ich fasse mal zusammen: die Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur von Jan Philipp Reemtsma sehen einen Schaden verursacht dadurch, dass Du zwei Adorno-Texte auf Deiner Seite hast und haben verfügt, dass die Texte heruntergenommen werden. Ausserdem haben sie sich dadurch Anwaltskosten verursacht, die sie nun zurückerstattet haben wollen. Wie teilen sich die Anwaltskosten und die "Schadensersatzkosten" auf?

S: Also, 2000 sind durch die Sache entstanden und ein paar Hundert durch das Verfahren. IANAL, "I am not a lawyer", keine Ahnung.

A: Sind das alles Anwaltskosten?

S: Ja, Gerichtsvollzieher, irgendwelche Mahnkosten, so Zeug. 2050 waren vom Gericht festgesetzt worden. Etwa 300 sind dazugekommen, plus Tageszins von soundsoviel. Jedenfalls, das bizarre ist jetzt folgendes (das ist auf textz.com/adorno auch alles dokumentiert): ich habe daraufhin eben dem Reemtsma geschrieben. Okay, zwei Texte, wie auch immer die da drauf gekommen sind, und ausgerechnet Adorno, und ausgerechnet "Wissenschafts-" und "Kulturförderung". Ich hab ihm halt versucht zu erklären, dass er nicht nur mir damit keinen Gefallen tut, wenn er das bis zum Knast eskalieren lässt, und habe ihn um ein Stipendium in Höhe der Gerichts- und Anwaltskosten gebeten. Antwort von den Anwälten: "Unsere Mandantin (die Stiftung) kann Ihren Ausführungen nicht folgen". Mandantin ist verpflichtet, die texte zu schützen, usw. usf. "Sie können ja in eine staatliche Bibliothek gehen und die Texte dort kostenlos ausleihen". Gegen sog. "Raubkopien" (das allerdings wörtlich) müsse man vorgehen. Siehe  http://textz.com/adorno/documentation.de.txt

A: Staatliche Bibliotheken kosten mehr Geld als eine Webseite und werden von den Steuergeldern bezahlt.

S: Seine Stiftung wird sicher auch gefördert oder steuerlich bevorzugt. Und nach der Staatsbibliothek von Bangalore kannst Du lange suchen, oder dem Adorno-Regal in Nairobi.

A: Ich will mal etwas konkreter werden: Reemtsma hat sich die Rechte an diesen Adorno Texten irgendwann einmal gekauft?

S: Nein, eben nicht.

A: Was dann?

S: Das ist vielleicht das interessanteste an der Sache. Adorno ist 1969 gestorben. Seine Witwe Gretel saß in Frankfurt im gemeinsamen Haus mit dem gesamten Nachlass von ihrem Mann, und dem von Walter Benjamin ( http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Benjamin ). Dann hat sie irgendwann versucht, sich umzubringen, was aber fehlgeschlagen ist. Und irgendwer musste sich um sie kümmern und ihren Unterhalt zahlen, nachdem die Rente ihres Mannes verbraucht war. Die Stadt Frankfurt konnte oder wollte nicht. Als Reemtsmas Stiftung gefragt wurde hat diese mit Gretel Adorno einen Vertrag gemacht. Sie haben sie bis an ihr Lebensende finanziert und dafür hat Reemtsmas Stiftung die Rechte an den Nachlässen Adornos und Benjamins erhalten.

A: Gut. Also sie haben die Rechte am Adorno- und Benjamin-Nachlass und sie argumentieren nun sie würden diesen "verteidigen" indem sie verhindern dass die Texte frei im Internet verfügbar sind.

S: Verhindern sie ja nicht. Du kannst Dir Adorno komplett via E-Donkey runterladen.

A: Das kann man sowieso. Aber es gibt schon lange einen klaren Unterschied zwischen offener Verfügbarkeit und dem Untergrund. Man kann die freie Verbreitung von Inhalten nicht unterbinden, aber man scheint verhindern zu wollen dass dies allzu offen und selbstverständlich geschieht. Das ist es was sie stört.

S: Ja, und das ist ja eins der Anliegen von textz.com. Sich so als 5-Buchstaben-Dotcom, à la warez.com hinzustellen und zu sagen: hier, bitte: Sichtbarkeit und offenes Visier.

A: Wenn ich mir das so ansehe sind diese Texte in einer verstaubten Bibliothek doch wesentlich weniger zugänglich als im Internet. Für die meisten Menschen stellt der Gang zur Bibliothek eine riesen Hürde dar, mit literarischen Inhalten in Kontakt zu treten. Eine Webseite ist einen Mausklick entfernt.

S: Ja klar. Das macht schon Sinn, dass das im Netz steht. Ich dachte eher, Suhrkamp kommt daraufhin an. Mit Reemtsma hatte ich weniger gerechnet.

A: Erzähl mal was zu Suhrkamp, darüber weiss ich nichts.

S: Dieser Roman von Walser, "Tod eines Kritikers", wo sich ein Autor, der sehr nach Walser aussieht, an einem jüdischen Kritiker rächt, der sehr nach Reich-Ranicki aussieht.

A: Davon haben wir gehört. Was ist damit? ( http://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Walser )

S: Naja, es gab einen ziemlichen Skandal. Als Herr Schirrmacher von der FAZ sich geweigert hat einen Vorabdruck zu bringen und stattdessen einen Artikel geschrieben hat, das sei ein übles antisemitisches Werk, hat Suhrkamp (Verleger von jüdischen Autoren wie Adorno und Benjamin) gesagt, sie wären der "Aufklärung" verpflichtet, und haben den Walser als PDF-Datei an Journalisten herumgemailt. Zwei Tage später war das überall im Netz und alle deutschsprachigen Weblogs haben zumindest darauf verlinkt. Unter textz.com/trash/walser.pdf erschien eine Datei die zwar "The Hacker Crackdown" von Bruce Sterling enthielt, ein Public-Domain-Buch über Hacker, aber Suhrkamps Anwälten reichte der Dateiname und sie haben " inbox@textz.com" 24 Stunden später eine Mail geschickt: "Verstoß gegen geistiges Eigentum", "100.000 Euro im Wiederholungsfall", ich hätte 6 Stunden Zeit zu reagieren (in New York wars gerade Samstag morgen 7 Uhr.) Ausserdem "Verstoß gegen das Teledienstekennzeichnungsgesetz", 50.000 Euro. Weiter stellten sie eine Strafanzeige vor dem Landgericht München wegen Beleidigung Martin Walsers.

A: Was für eine Beleidigung?

S: " textz@textz.com" hatte ihn auf einer Mailingliste als "Arschloch" bezeichnet. Und für die E-Mail wollten sie 1.200 Euro. Die Antwort aus New York kann man auf textz.com/trash nachlesen. Dann war jedenfalls Ruhe. Daraufhin habe ich "walser.php" geschrieben, ein php-Script, Open Source, unter der GNU Public License veröffentlicht, das den kompletten Text von Walsers Roman errechnen kann. Dazugeschrieben habe ich "vor dem Ausführen bitte schriftliche Genehmingung von Suhrkamp einholen". Naja, das führte zu grosser Heiterkeit. ("walser.php" errechnet nur exakt den Walser, enthält aber "makewalser.php", womit man walser.php's für jedes beliebige Buch herstellen kann.)

A: Sie meinten also Du würdest das Walser-Buch anbieten unter dem Dateinamen walser.pdf, dabei war das einfach irgendein Buch?

S: Ja.

A: Und was war das mit dem "Teledienstekennzeichnungsgesetz"?

S: Keine Ahnung, was das ist. Das braucht einen in New York auch nicht zu interessieren. textz.com wird in NY gehostet. Und da ist das deutsche Teledienste-blabla-gesetz so interessant wie der Rundfunkstaatsvertrag von Tuvalu.

A: Zurück zu Reemtsma und Adorno. Wie interpretierst Du das ganze inhaltlich? Wie beurteilst Du Reemtsmas Handeln, bzw. das seiner Stiftung?

S: Ich weiss von einigen Leuten, dass diese Stiftung schon oft sehr pissig war, wenn es um sehr viel legalere Unternehmungen ging, im Vergleich zu textz.com. Das Zitieren aus dem Adorno-Archiv sollen sie untersagt haben, Abdruckgenehmigungen zurückgezogen, Anthologien verhindert, usw. Und über das Internet sind sie allem Anschein nach überhaupt nicht im Bilde. Und vor allem sind die über Walter Benjamin nicht im Bilde, der das gleiche Problem der Reproduzierbarkeit von Werken aller Art schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts vor sich hatte und erkannt hat: die Massen haben das Recht, sich das alles wieder anzueignen. Sie haben das Recht zu kopieren, und das Recht, kopiert zu werden. Jedenfalls ist das eine ganz schön ungemütliche Situation, dass dessen Nachlass jetzt von solch einem Bürokraten verwaltet wird.

A: Glaubst Du es ist überhaupt legitim intellektuellen Inhalt zu "besitzen"? Oder Eigentümer davon zu sein?

S: Es ist *unmöglich*. "Geistiges" Irgendwas verbreitet sich immer weiter. Reemtsmas Vorfahren wären nie von den Bäumen runtergekommen oder aus dem Morast rausgekrochen, wenn sich "geistiges" Irgendwas nicht verbreitet hätte.

A: Nun man kann Inhalte so gut es geht unzugänglich machen. Also zb. kann man Inhalte im Netz verbieten oder Bücher verbrennen, usw.

S: Ja, Bücher verbrennen ist noch was anderes. Das haben ausser den Nazis kaum welche gemacht. Aber man kann natürlich alles mögliche verbieten. Man kann das Kiffen verbieten, oder dass irgendwer im Netz auf irgendwas verlinkt. Oder oder. Aber das bringt halt nichts. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

A: Eine Datei mit intellektuellem Inhalt böswillig und unwiderruflich zu löschen ist sehr analog zum Verbrennen von Büchern. Du hast die Texte Adornos jetzt aus dem Google-Cache heraus verlinkt.

S: Ja.

A: Macht sich jetzt nicht eigentlich Google schuldig der "Kopierrechtsverletzung"?

S: Ach, Google... Google ist geduldig. Diese Kanzlei, Senfft und Partner, das ist eine Top-Copyright-Klage-Firma. Die sind in jeder "European Legal 500", oder wie das heisst. Die sind nicht wahnsinnig (hoffe ich). Die werden Google Google sein lassen.

A: Das heisst sie suchen sich leichte Opfer.

S: Naja, das ist ne Firma. Diese Lübbert & Briessmann, die Anwälte von Suhrkamp, das ist auch ne Firma. Die machen eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Die überlegen sich: "Was ist das?", "Verstehen wir das?", "Gewinnen wir das?", "Lohnt sich das?". Und wenn sich das nicht lohnt, dann lassen sie es sein.

A: Dich zu verklagen hat sich für die bisher nicht gelohnt, oder?

S: 2300 Euro scheint mir noch recht günstig. Ich weiss nicht was die im Monat verdienen. Ich glaub aber, die machen das nicht, weil sie Lust auf Ärger haben. Und ich ja auch nicht.

A: Und Du forderst in Deinem Brief an Reemtsma, dass dieses Geld quasi der Kläger selbst übernimmt, in Form eines Stipendiums?

S: Das war meine Idee. Um dem Reemtsma zu ersparen, dass ich das anderweitig eintreiben muss. Und dafür eben rumerzähle, und dann steht das plötzlich gross in der Zeitung.

A: Eine Gruppe von Leuten hat Reemtsma eine "Absage" geschrieben, in der sie ankündigt dass er hiermit sämtliche Rechte an Adornos Texten gegenüber der Öffentlichkeit verwirkt hat. Was hat sich daraus ergeben?

S: "A.S.Ambulanzen". Das sind einige Leute, hauptsächlich aus Berlin. Daraus hat sich ergeben, dass die Texte seit dem 24. Februar frei sind. Der gesamte Adorno- und Benjamin-Nachlass, für alle, die der Argumentation folgen wollen. Und ich habe noch nirgendwo gesehen, dass jemand dagegen argumentiert hätte.

A: Das heisst, von nun an befinden sie sich in der Public Domain?

S: Wenn man das Public Domain nennen will, ja. Nun sollte sich niemand hinstellen und das morgen alles auf seinen Webserver schieben. Das würde vermutlich teuer. Aber die Texte nehmen ihre Wege. Das geschieht fast von alleine. Da braucht man gar nicht gross nachzuhelfen. Was allerdings so komisch ist: jemand hat in der TAZ einen Artikel geschrieben, sehr wohlwollend, also Partei ergriffen für textz.com. Und gegen Reemtsma. Und die Redaktion der TAZ war wohl ziemlich beunruhigt, vier Tage lang. Bis es dann doch gedruckt wurde.

A: Weshalb?

S: Naja, Reemtsma kritisieren...

A: Verstehe.

S: Das überlegt man sich vier Tage lang. Und vielleicht ruft man ihn auch vorher schon mal an. Und dann erscheint am Tag darauf im Feuilleton der FAZ ein riesen Verriss des Artikels aus der TAZ (textz.com/adorno/press.de.txt). Der sich eher so liest, als schriebe da der Stürmer. "Staatlich geförderte Protestkultur, bla bla".

A: Habe ich gelesen, von einem Jürgen Kaube.

S: Das passiert denen auch nicht jeden Tag, dass ihnen die FAZ ihre Texte um die Ohren haut.

A: Wobei dieser Artikel schon auffällig unecht war. So einen erzreaktionären Apologismus schreibt man nicht einfach so.

S: Und dann, letzten Donnerstag oder so, steht in der TAZ das grosse Reemtsma-Interview zum Thema. "Haben wir Sie nicht damals schon bei der Entführung gekränkt?" "Wie kann es sein, dass bei Copyright-Verletzungen sich niemand aufregt, bei Ihrem Versuch, das durchzusetzen, hingegen fast alle?" Und so weiter. Und Reemtsma... "man kann ja nicht aus der Menschheit aussteigen" und "die jungen Leute werden das schon lernen". Das reichte offensichtlich nicht und daneben war noch so ein Kasten "Leider leider, unser Artikel von letzer Woche war korrekturbedürftig: die Texte gehören nicht Reemtsma, sondern seiner Stiftung." Das ist schon ziemlich lächerlich. Da könnte Jürgen Schrempp kommen und richtig stellen lassen, nicht er leitet DaimlerChrysler, sondern der Vorstand.

A: Man möchte es eben so aussehen lassen, als unterläge das alles keinerlei persönlicher Entscheidung, sondern einem Pflichtbewusstsein gegenüber "Recht und Ordnung" das man nicht ändern könne.

S: Na und dann stand da "es waren nicht zwei Texte, sondern neun". Die Anwälte haben davon nichts erzählt. Stattdessen schreibt das ein Herr Feddersen in der TAZ als Richtigstellung eines Artikels von Herrn Hablützel. Komisch das alles. Ich habe mal nachgezählt. Auf textz.com waren zu keinem Zeitpunkt neun Texte von Adorno, geschweige denn neun von Reemtsma.

A: Ich würd gern zurück zum gesellschaftlichen Anspruch. Die Stiftung meint also sie habe das alleinige Recht darauf wie und wo der Nachlass Adornos(/Benjamins) gehandhabt wird. Die Öffentlichkeit hat dies nicht.

S: Ab 2039. Bei Adorno. Benjamin schon früher.

A: Falls es vorher nicht noch ein paar "Disney Acts" gibt (s.u.). Wir haben es hier mit zwei Bevölkerungsschichten/Generationen zu tun die vollkommen unterschiedliche Auffassungen vom "Kopierrecht" haben. Für die einen ist es das selbstverständlichste und anständigste überhaupt, deren Anfechtung regelrecht töricht ist. Für die anderen eine quälende Tatsache der Unterdrückung freier Informationsverbreitung, die es zu umgehen und abzuschaffen gilt.

S: Das "Kopierrecht" ist ein "Eigentumsrecht" geworden. Copyright hiess ja ursprünglich mal -so um 1700 rum in Grossbritannien- "Statute of Anne". 7 Jahre lang durfte ein Autor seine Bücher aus der Public Domain zum Eigengebrauch entleihen. Und dann bei Bedarf nochmal 7 Jahre. Aber was wir gerade erleben das ist ein Krieg um die informationelle Freiheit. Und das ist keine Metapher. Letztes Jahr im Spiegel hat Mark Getty, der CEO von Getty Images, der grössten Bilderdatenbank der Welt gesagt: "Geistiges Eigentum ist das Öl des 21. Jahrhunderts". Und schöner kann man mit 8 Wörtern das eine Wort -Krieg- nicht sagen. Das ist nicht nur Napster oder "Softwarepiraterie", das sind auch Firmen wie der Lebensmittelkonzern Monsanto, die die halbe Biosphäre patentieren lassen und dann südamerikanische Landwirte verklagen, denen der Wind die patentierten Samen auf die Felder weht. Es gibt ja fast kein Saatgut mehr, das sich von selbst vermehrt. Und weil bestimmte Pharmakonzerne auf bestimmten Patenten bestehen verbreitet sich AIDS so wahnsinnig schnell überall dort, wo die Devisen fehlen. Dort wo die Leute weniger verdienen, als eine europäische Kuh an Subventionen bekommt.

A: Dabei steht der Wert des "geistigen Eigentums" doch im krassen Widerspruch zur fast mühelosen Vervielfältigbarkeit von Informationen. Im Gegensatz zum richtigen Öl muss der kaufbare Wert des "geistigen Eigentums" nun durch einen künstlich geschaffenen Mangel erzeugt werden.

S: Genau das ist es.

A: Das führt doch sogar die Begriffe ad absurdum.

S: Ja.

A: Das Kopieren von Informationen, also das Verfügbarmachen von Informationen wird bezeichnet als "Raub". Das Unterdrücken ungehemmter Reproduktion von Information und das gegen Bezahlung limitiert angebotene Produkt wird zur Heldentat umerklärt. "Geistige Verbrechen sind nun wieder möglich", so drückte es ein Kommentator im Heise-Forum aus.

S: Ja, genau. Zb. eine Videokamera mit ins kino zu nehmen ist in den USA jetzt eine Straftat. Oder die Funktionsweise von kopierrechtlich geschützter Software zu untersuchen.

A: Ich würde aber sagen es geht hier um vielmehr als politische Korruption. Es geht hier um das etablierte Verständnis in der breiten Masse der Bevölkerung, wonach alles irgendwo irgendwem gehören muss. Wenn etwas nicht irgendwem gehört, scheint etwas mit der Welt nicht in Ordnung.

S: Kommt darauf an wo. In Deutschland müssen natürlich auch die Löcher im Gartenzaun noch irgendwem gehören.

A: Hier geht es also um mehr als nur rechtliche Fragen. Sondern um eine Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft, ihre Einstellung zum "Eigentum", vor allem was geistiges Schaffen betrifft, grundsätzlich zu überdenken.

S: Aber... dass zb. die Strassen den Leuten nicht mehr gehören, sondern den Geschäften und Einkaufszentren, das nehmen die Leute schon nicht so leicht hin. Wie gesagt, "Eigentum" an "geistigem" Irgendwas, das ist absurd. Es gibt kein "geistiges" Irgendwas, das nicht von vornherein kollektiv wäre.

A: Wie wird es mit textz.com nun weitergehen?

S: Naja... es wird halt gerade noch mal populärer. Und... mir hat man auch schon fast 1000 Euro gespendet. Dh. Reemtsma wird zu seinem komischen Recht kommen. Auch wenn er das teuer bezahlen wird, weil ich befürchte Adorno und Benjamin sind zu exemplarisch, als dass nicht eine ganze Menge Leute daran ein Exempel zu statuieren versuchen würden. Kurz: der sieht die nie wieder.

A: Den Grossteil der Menschen auf dieser Welt wird es nicht interessieren ob Reemtsma irgendwo irgendwelche Rechte an Adorno-Texten hat. Das beruhigt.

S: Den Grossteil der Menschen interessiert auch Adorno nicht. Das ist auck ok. Benjamin schon eher.

A: Ihr habt am Grey Tuesday ( http://de.indymedia.org/2004/02/75385.shtml ) auch das "Grey Album" auf Eurer Seite bereit gestellt.

S: Ja.

A: Das ist ja ein ähnlicher Fall.

S: Ja. Und die Leute die das veranstaltet haben nennen sich "Downhill Battle". Also ein Kampf, der bergab gekämpft wird. Ich glaube textz.com sollte sich nennen: landslide victory.

A: Zum 100. Geburtstag Adornos hat die Stadt Frankfurt übrigens die Sanierung der Villa für Adorno's Nachlass finanziert, Kosten: ca. 100,000 Euro.

S: Das finde ich auch klasse. Ansonsten renovieren die nur Sanatorien für irgendwelche reaktionären Rentner.

A: Schon seltsam, dass die Öffentlichkeit zwar blechen darf, aber sie darf über die Inhalte eines toten Schriftstellers nicht frei verfügen.

S: Ja, ich weiss nicht. Du hast natürlich recht. Ich glaube, die darf schon, die Öffentlichkeit. Sie sollte sich dabei bloß nicht erwischen lassen.

A: Ich dank Dir für's Interview.

S: Ich danke.

Nachtrag:

Das "Statute of Anne" ( http://en.wikipedia.org/wiki/Statute_of_Anne ), das 1710 in Kraft trat, erklärte den Urheber eines Buches für den Zeitraum von 14 Jahren als alleinig berechtigt dafür, sein Werk zu verfielfältigen. Die Verfielfältigungsrechte von Büchern, welche zu diesem Zeitpunkt schon veröffentlicht waren, lagen für weitere 21 Jahre bei den Autoren und/oder denjenigen die Druckrechte schon erhalten hatten. Bei Zuwiderhandlungen sollten alle unrechtmässigen Kopien vernichtet und für jede Seite der Bücher ein Penny an den Urheber entrichtet werden. Nach dem Ablauf der 14 Jahre wurde das alleinige Verfielfältigungsrecht, für den Fall dass der Autor noch lebte, automatisch um weitere 14 Jahre verlängert.

Der sog. "Sonny Bono Copyright Term Extension Act", auch "Disney Act" genannt ( http://en.wikipedia.org/wiki/Sonny_Bono_Copyright_Term_Extension_Act ), der durch den Druck der Konzernwelt 1998 in den USA verabschiedet wurde, verlängerte das alleinige Verfielfältigungsrecht für Werke, deren Urheber Privatpersonen waren, von der Lebenszeit des Autors zuzüglich 50 Jahre auf die Lebenszeit des Autors zuzüglich 70 Jahre. Bei Werken die vor 1978 veröffentlicht wurden, oder bei solchen deren Urheberschaft in den Händen von Firmen liegt, wurde das alleinige Kopierrecht von 75 auf 90 Jahre verlängert.

Die Tendenz der Firmenwelt geht eindeutig dahin, die Aufhebung des Kopierrechts auf vergangene Inhalte immer weiter aufschieben zu lassen, um sich die kapitale Ausnutzung dieser intellektuellen Inhalte weiter zu sichern. Sie fordert darüberhinaus die Aufhebung zeitlicher Beschränkungen für das Copyright und somit das Kopierrecht auf Ewigkeit.

Die sich herauskristallisierende Gegengesellschaft zu dieser Form von Informationsverwertung durch kapitale Interessen nimmt dagegen immer mehr Abstand vom Konzept des alleinigen Kopierrechts und fordert freien Zugriff auf Informationen für alle dort wo durch die Vervielfältigung intellektueller Inhalte kein ökonomischer Mehraufwand entsteht.


Im Web findet man die betroffenen Texte u.a. hier:

"Jargon der Eigentlichkeit":
 http://www.kk.jgora.pl/gutenberg/etextde/Adorno
 http://216.239.37.104/search?q=cache 

"Anti-semitism and fascist propaganda":
 http://216.239.37.104/search?q=cache:
 http://indybay.org/news/2004/02/1671441.php
 http://www.beepworld.de/members3/kwp/fascist_propaganda.htm
 http://www.why-war.com/files/2004/02/adorno_fascistpropaganda.html


P2P-Filesharing bietet natürlich auch mehr als nur MP3s. Unter folgender Adresse findet man Infos rund um die Netzwerke und ihre Software:  http://www.slyck.com/ 

Ich kann bestätigen, dass die beiden Texte um die es geht, sowie weitere Adorno-Werke im Soulseek zu finden sind ( http://slsknet.org/ ). Man muss die Suche dort ggf. einige Zeit laufen lassen (evtl. 10-15 Minuten).

Auch Gnutella ( http://www.gnutelliums.com/ ) und eDonkey ( http://www.edonkey-faq.de/ ) sollten Adorno haben, was aber abhängig von der Tageszeit sein kann.

Man findet Bücher und Texte, vor allem englischsprachige, ausserdem mühelos im IRC (Internet Relay Chat,  http://www.irc-faq.de/ ). In den grösseren Netzen wie EFnet, DALnet, IRCnet gibt es sogenannte Bookwarez-Channels (oft #bookz oder #bookwarez) in denen Bots ihr Archiv anbieten oder User miteinander tauschen. Von Plato bis Harry Potter ist alles dabei.

Man sollte, wie im Interview erwähnt, nicht vergessen dass man im Netz immer alles finden kann, wenn man weiss wo man suchen muss. Das wird sich auch nie mehr ändern, weil die Möglichkeiten der Vernetzung und Chiffrierung unendlich sind. Das sog. World Wide Web mit seinem HTTP-Protokoll ist hierbei nur eine der oberflächlichsten Ebenen des Netzes, welches in einiger Zukunft neuen, weniger zensierbaren Telekommunikations-Protokollen weichen wird. Der Drang einer immer grösser werdenden Bevölkerungsschicht zu 100-prozentiger Informationsfreiheit ist unumkehrbar. Lediglich der Weg dorthin kann im schlimmsten Falle abgebremst, nicht aber gestoppt werden.


Links zum Text:
 http://www.textz.com/ 
 http://rolux.org/a.s.ambulanzen/ 
 http://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Philipp_Reemtsma 
 http://www.wem-gehoert-die-welt.de/ 
 http://www.p2punited.org/ 
 http://freenetproject.org/ 

Berichterstattung (Auswahl):
 http://www.taz.de/pt/2004/03/04/a0172.nf/text 
 http://www.ct.heise.de/newsticker/meldung/print/44771 
 http://www.de-bug.de/news/2322.html 
 http://www.octopusweb.org/fanclub.html 
 http://adorno.gesellschaftsanalyse.de/ 
 http://log.netbib.de/archives/2004/03/03/haftbefehl-wegen-zweier-adorno-texte/ 
 http://www.kritische-masse.de/blog/item/233 
 http://www.linksnet.de/linkslog/?itemid=73 
 http://felix.openflows.org/html/adorno.html  - "Die Kultur im digitalen Käfig" 
 http://www.ibs.uni-bielefeld.de/src/AdornoTheodorW
 


Editorische Anmerkungen

Am letzten Februarwochenende diesen Jahres lernte der Interviewer  auf dem NEURO-Kongress in München ( http://neuro.kein.org/) Sebastian Lütgert aus Berlin/New York kennen. Er ist Betreiber der Seite textz.com, einem Underground-Archiv für Literatur, und wurde von der "Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur" des Jan Philipp Reemtsma auf Schadenersatz verklagt, weil er dort zwei Texte Theodor W. Adornos für den Download anbot.

Jan Philipp Reemtsma und seine Stiftung sehen sich in ihren Rechten verletzt, den intellektuellen Nachlass Adornos alleinig verwalten zu dürfen und verklagten den jungen Studenten auf Unterlassung und Wiedergutmachung.

Lütgert selbst bat den Millionenerben Reemtsma in einem persönlichen Schreiben um Beilegung des Streits und die Begleichung der Gerichtskosten. Dieser lehnte ab. Nun setzte eine Berliner Gruppe Literatur-Interessierter Reemtsma mit einem offenen Brief darüber in Kenntnis, er habe mit seinem Verhalten sämtliche Rechte an Adornos Werken an die Öffentlichkeit verloren.

Das Chat-Interview wurde in der Nacht zum 8. März 2004 geführt.

Es ist eine Spiegelung von http://www.germany.indymedia.org/2004/03/76975.shtml
und kann dort auch kommentiert werden.

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