Nach den Protesten ist vor der Revolution 03/05

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„Die Aufhebung des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit, wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefasst wird.“ (Karl Marx)

Der 3. Januar 2005, monatelang als „Agenturschlusstag“ beworben, ist vorbei. Der öffentlich gewordene Zorn über die Härten von Hartz IV hat sich verzogen. Der von Teilen der "radikaleren Linken" erhoffte und staatlicherseits befürchtete, Ansturm wutentbrannter ALG-II-Empfänger auf die Ämter blieb aus. Der Bundeswirtschaftsminister kann sich die Hände reiben und davon träumen, 600.000 Langzeitarbeitslose in 1-Euro-Jobs unterzubringen. Die Wohlfahrtsverbände freuen sich über die kostengünstigen Arbeitskräfte, die ihnen der Staat zuschanzt.  

Dabei werden sie ideologisch von der „veröffentlichten Meinung“ flankiert, die von 1-Euro-Jobber­Innen berichtet, die glücklich darüber sind, ihrem Leben durch Zwangsarbeit wieder einen Sinn geben zu können. An der medialen Oberfläche scheint sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens der Unabwendbarkeit der harten, "aber gerechten" Auswirkungen von Hartz IV etabliert zu haben. Die Konflikte für die unmittelbar Betroffenen wurden weiter individualisiert. Als Vereinzelte sind sie den Behörden und ihren Kontrolldiensten ausgesetzt. Der Hass und die Kritik bleiben öffentlich und kollektiv unartikuliert. 

Als sich im September 2004 eine Bewegung in Form der Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-Gesetze formierte, krankte diese seit Beginn an den Positionen ihrer dominanten Akteure. Sozialforen, diverse Gruppen und Organisationen und linke GewerkschafterInnen einte vor allen eins: Die staatlich organisierte Durchsetzung des Kapitalverhältnisses sollte unangetastet bleiben. Sie sollte lediglich „humaner“ gestaltet werden.  

Skandalisiert wurde der Abbau des Sozialstaates. Hierin bestand der Denkfehler. Denn der Sozialstaat wird keineswegs abgebaut. Vielmehr wird mit den gegenwärtigen Maßnahmen ein sozialstaatliches Netz aus Repression und Kontrolle geschaffen, das wie nie zuvor den Alltag der Individuen bis in die letzte noch verbliebene private Zufluchtsmöglichkeit durchdringt, um den Zwang zur Arbeit effektiver durchzusetzen.  

Wer sich also mit der Forderung nach dem Erhalt des Sozialstaats bescheidet, der bejaht den Staat und dessen vornehmste Funktion: Den kapitalistischen Verwertungsprozess durchzusetzen. Der Rahmen kapitalistischer Vergesellschaftung wird dadurch nicht verlassen. Klar, dies war auch nicht die Absicht der selbsternannten RepräsentantInnen der Proteste, die Schattenminister spielten. Denn jede Kritik musste "konstruktiv" sein und im von Kapital und Staat definierten Rahmen bleiben. Es wurde keine Forderung formuliert, ohne nicht gleichzeitig brav den Beweis ihrer Realisierbarkeit zu liefern. 

„Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde“, dürften sich die herrschende Klasse und ihr politisches Personal gedacht haben. Natürlich sollen Maßnahmen a la Hartz IV nicht einfach so per Gesetz dekretiert werden. Es bedarf zusätzlich eines öffentlichen Diskurses, in den alle „verantwortungsbewussten“ Kräfte integriert sind, um einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Allen voran tat sich hierbei wieder der DGB hervor, der im vorauseilenden Gehorsam seine Dialogbereitschaft unter Beweis stellte, indem er sich von den Anti-Hartz-Protesten distanzierte und (eigentlich fälschlicherweise) deren Mangel an Konstruktivität kritisierte.  

Aber auch diejenigen, denen nichts Originelleres einfiel, als ihren Unmut mit der Forderung nach mehr Arbeit zu verbinden, haben damit ihre Anschlussfähigkeit an den herrschenden Diskurs demonstriert. Denn wer Arbeitswilligkeit artig bekundet, dem soll auch Arbeit besorgt werden. Es fragt sich nur zu welchem Preis. Insofern lagen die Vorstellungen dieser Teile der Anti-Hartz-Protestierenden und jene der herrschenden Politik nicht allzu weit auseinander. 

Einige linke Gruppen versuchten, einen Kontrapunkt zu den sozialstaatsnostalgischen Protesten zu setzen, indem sie für den 3. Januar zum Sturm auf die Arbeitsagenturen aufriefen. Auch wenn sich in 80 Städten 15.000 - 20.000 Menschen an den Protesten beteiligten, kann wohl kaum von mehr als einem symbolischen Erfolg die Rede sein. In der Regel blieb die Trennung zwischen den Initiatoren und den Betroffenen bestehen oder mensch wurde nur als alternative Sozialberatung wahrgenommen. Es scheint mal wieder so gewesen zu sein, als ob die Aktion „Agenturschluss“ nur eine weitere Kampagne gewesen wäre, die sich auf einen Tag X konzentriert und dann folgenlos verpufft. 

Was tun? Diese Frage stellen sich Sozialrevolutionäre seit über 150 Jahren. 

Zunächst einmal ist es notwendig, sich jeder Form „konstruktiver Kritik“ zu verweigern, die uns die Institutionen der bürgerlichen Staatsvernunft und ihre willfährigen Helfer und Problemlöser, wie die bürgerlichen Parteien, die DGB-Gewerkschaften und sonstigen Konsensmacher, aufzwingen wollen.  

Jeglicher Widerstand wird an sich selbst scheitern, wenn er nicht das Regime der Lohnarbeit, jenes falsche Ganze, das Kapitalismus heißt, grundsätzlich in Frage stellt. Alle Kritik ist gegen den eigentlichen Skandal, den kapitalistischen Verwertungsprozess, zu richten. Darauf, dass trotz steigender Produktivität, die Ausbeutungsbedingungen verschärft werden. Objektiv ist immer weniger Arbeit notwendig, um gesellschaftlichen Reichtum zu produzieren. Wir „leben“ in einer Gesellschaft, deren oberstes Prinzip die Abpressung von Mehrwert und die Maximierung von Profit und nicht die Befriedigung von Bedürfnissen ist. Daher führt die Steigerung der Produktivität nicht dazu, dass wir von den Fesseln der Lohnarbeit befreit werden und endlich jenen selbstorganisierten Tätigkeiten nachgehen können, die uns wirklich interessieren und die das Leben aller Menschen bereichern.  

In den letzten Jahren hat ein neuer Prozess der Deklassierung und der Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und der "Mittelschichten" eingesetzt, von dem sehr viele Leute betroffen sind. Auch viele "radikale Linke" - für manche eine neue Erfahrung - finden sich mittlerweile selbst auf den unteren Stufen des gesellschaftlichen Arbeitsregimes wieder. Sei es als prekär Beschäftigte, (schein)selbstständige/r ArbeiterIn, LeiharbeiterIn oder 1-Euro-JobberIn.  

Allerdings sollte keine künstliche Trennung zwischen Prekarisierten und tariflich abgesicherten LohnarbeiterInnen vorgenommen werden. Die mit den Hartz-Gesetzen verbundenen Konsequenzen sind nicht als isolierte Attacke gegen die Erwerbslosen zu begreifen, sondern stellen den größten Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse seit dem Zweiten Weltkrieg dar: Ein allzeit zur Verfügung stehendes Heer von BilligjobberInnen und ZwangsarbeiterInnen ist die Drohkulisse, um auch die Arbeitsbedingungen in den „sozialpartnerschaftlich“ abgesicherten Segmenten des Arbeitsmarktes zu verschlechtern und alle Löhne massiv nach unten zu drücken. 

Das System der Lohnarbeit kann nur zerschlagen werden, wenn es von allen Teilen der gesellschaftlichen Fabrik angegriffen wird. Es kommt darauf an, wieder die eigene objektive Stellung im Produktions– und Reproduktionsprozess in den Blick zu bekommen.  

Davon ausgehend, müssen alle Möglichkeiten autonomer proletarischer Organisierung ausgelotet werden - unabhängig von den sozialpartnerschaftlichen, d.h. kapital- und staatsfixierten, DGB-Gewerkschaften, aber auch unabhängig von hierarchischen, autoritären, reformistischen und staatskapitalistischen politischen Organisationen. Es gilt, zu Formen sozialrevolutionärer Organisierung zurückzukehren, oder besser gesagt, überhaupt erst mal, damit anzufangen. 

Am längsten lebe der Kommunismus! 

gruppe k-21
Kontakt:
rotes-infonetz@gmx.de

V.i.S.d.P. K. Korsch, Rosa-Luxemburg-Str. 18, Frankfurt am Main, Februar/März 2005

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde als Flugi in Frankfurt/M verteilt und uns mit der Bitte um weitere Verbreitung überlassen.