Zum Selbstverständnis der Gruppe MAD Köln:
Seien wir unrealistisch, versuchen wir das Mögliche!
03/05

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Die radikale Linke befindet sich unbestreitbar in einer nicht gerade guten Lage. Ein nicht unbedeutender Teil sieht daher scheinbar die Hoffnung darin, sich in jede erdenkliche aufkommende Massenbewegung zu begeben und schreckt auch vor einer Zusammenarbeit mit ihren reaktionärsten Elementen nicht zurück, allein getrieben vom Willen endlich einmal mehr zu werden. Der andere Teil der Restlinken zieht sich in den theoretisch-akademischen Elfenbeinturm zurück, aus dem er vornehmlich über die anderen Linken urteilt und richtet.

MAD [measures against discouragement] Köln versteht sich hingegen als Teil einer sich neu konstituierenden Linken, die nicht jeden Frosch küssen muss*1, aber selber auch aktionistisch auftritt. Linke Politik muss unserer Meinung nach antirealistisch sein und die dogmatisch verteidigte kapitalistische Realität in Frage stellen. Hierbei wenden wir uns gegen den immer wieder aufs Neue eingeforderten Realismus, der einzig systemimmanente Machbarkeit meint. Es gilt im wahrsten Sinne antirealistisch zu sein, die „Realität“ zu dekonstruieren um darüber hinausgehende Möglichkeiten aufzuzeigen. Wenn alle Welt nur noch davon redet, inwieweit ein Vorschlag realistisch, in wieweit er also innerhalb des Kapitalismus umsetzbar ist; damit aber dann doch nur die schrittweise Anpassung des Menschen an die realen Verhältnisse und nicht mehr die schrittweise Änderung der Verhältnisse in Richtung der realen Möglichkeiten des Menschen meint, stellen wir dem somit eine antirealistische Politik entgegen. Diese Politik gegen die Realität gilt es dabei sowohl in Theorie, als auch in der Praxis umzusetzen. "Nur belehrt von der Wirklichkeit, können wir die Wirklichkeit ändern" wusste schon Bert Brecht. Wer sich also einer tiefgehenden Analyse und Kritik der herrschenden Zustände verweigert, wird weiterhin die falschen Frösche küssen. Wer aber überhaupt nicht bereit ist innerhalb dieser Gesellschaft ein kritisches Bewusstsein zu verbreiten, wird weiterhin in seinem wohlig eingerichteten Elfenbeinturm verharren.

Aufräumen "mit der ganzen ökonomischen Scheiße" (Karl Marx)

Die aktuelle Umgestaltung der sozialen Wirklichkeit, die sich in den letzten Jahren drastisch beschleunigt, indem man von Reform zu Reform hetzt und die eine Verschlechterung der realen Lebensbedingungen nach sich zieht, erfordern mehr den je eine kritische Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Verwertungslogik. Solch eine Auseinandersetzung kann sich jedoch nicht in Forderungen nach einer "gerechteren" Besteuerung oder weiteren - nur anders gelagerten - Reformen erschöpfen, die schlimmstenfalls in "Wir sind das Volk" und "Arbeit für alle" Rufen kulminieren. Solche Forderungen hoffen auf eine systemimmanente Lösung und negieren den Anspruch auf ein besseres Leben für alle bereits im Ansatz.

Es gilt vielmehr im besten Sinne "unrealistisch" zu sein und die kapitalistische Realität als Ganzes in Frage zu stellen. Der Ansatzpunkt einer emanzipatorischen linksradikalen Politik muss demnach über die jetzige kapitalistische Realität hinausweisen und sich daher auch in dieser nicht befriedigen und befrieden lassen. Diese "andere Welt" ist vom jetzigen Zustand aus aber nicht positiv bestimmbar, sondern nur als Gegenpunkt zu Lohnarbeit und kapitalistischer Verwertungslogik zu fassen. Daher zielen Forderungen nach einer Tobin-Steuer oder auch nach Aneignung von einigen Produkten und Dienstleistungen am Kern des Problems, der ungerechten Verteilung der Produktionsmittel, vorbei und könnten letztendlich sogar zu einer erneuten Anpassung des Kapitalismus führen, der oberflächlich einige Bedürfnisse befriedigt ohne die ganze ökonomische Scheiße ein für alle mal über den Haufen zu werfen. Eine es ernst meinende radikale Linke kann hier nicht erneut den Fehler begehen, der kapitalistischen Marktwirtschaft ein Hinweisgeber zu sein, wodurch besonders exponiert stehende Widerwärtigkeiten dann zwar abgemildert werden - die konkrete Verbesserungsmöglichkeit von Lebensverhältnissen sei hier nicht in Abrede gestellt - sich gleichzeitig jedoch die Perspektive auf Überwindung der bestehenden Verhältnisse verschließt. Wer also konkret nur von einer Aneignung von Gütern spricht, dabei aber Produktions- und Arbeitsverhältnisse unberücksichtigt lässt, wird zum Kernproblem leider nicht vordringen können.

Deutschland ist unrockbar

Dem positiven Bezug auf die Nation, wie er zurzeit auf verschiedenen Ebenen wechselseitig forciert wird, ist von einer sich neu konstituierenden Linken eine klare Absage zu erteilen. In Deutschland erlebt nicht nur das nationale Konstrukt mit seinen nationalen Mythen einen Relaunch, sondern insbesondere der Geschichtsrevisionismus wird ausgiebig herangezogen, um wieder von der Volksgemeinschaft träumen zu dürfen. Dabei werden alle Beteiligten des 2. Weltkrieges zu Hitlers Opfern, die gemeinsam unter dem Nationalsozialismus litten. Ein vermeintlicher Bombenterror gegen deutsche Städte wird entkontextualisiert, wodurch sich die Deutschen als harmlose, in ihrem Luftschutzbunker Schutz suchende Opfer stilisieren können, die weder etwas mit dem reibungslosen Ablauf der Shoa, noch etwas mit dem über ganz Europa hereingebrochenen Krieg zu tun hatten. Diese Schuldabwehr verquickt sich dabei unheilvoll mit einem neuen deutsch-europäischen Großmachtstreben, in dem der als humaner und friedvoller dargestellte europäische Kapitalismus dem "Raubtierkapitalismus" der USA gegenüber gestellt wird. In dieser Gegenüberstellung bahnen sich nicht nur plumpeste antiamerikanische und teilweise auch antisemitische Stereotype ihren Weg, man kann auch endlich wieder lauthals Stolz auf Deutschland sein. Dieser positive Bezug auf Deutschland, der die BRD völlig vom 3.Reich abgetrennt betrachtet, wird aktuell insbesondere im Bereich der Popkultur (sowohl Musik, als auch Film und Fernsehen) vorangetrieben und erreicht auf dieser Ebene die breite Masse. Der „linke“ Deckmantel unter dem der „neue“ Nationalismus oftmals daherkommt, ist nicht nur möglichst effizient zu lüften, ebenso gilt es dem deutsch-europäischen Großmachtstreben bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Quere zu kommen.
Deutschland ist, war und bleibt uncool!


„Die Anderen“ – Nationale Mythen und Rassismus

Nicht nur in Deutschland erlebt der Nationalstolz seit geraumer Zeit einen Aufschwung, beinahe weltweit werden nationale Konstrukte wieder zu einem positiven Bezugspunkt, um sich gegenüber als „anders“ konstruierten Gemeinschaften zu positionieren. Sei es eine vermeintlich panarabische, islamistische Allianz, die sich gegen den Westen und insbesondere gegen Israel und die USA richtet; oder die Positionierung Europas gegenüber den USA. Steht hier zumeist noch ein Verbund von Nationen im öffentlichen Bewusstsein, fehlt dies bei der Betrachtung von Krisenregionen aus der spezifisch westlichen Perspektive völlig. Konflikte werden schlichtweg ethnisiert und somit soziale Konflikte, antagonistische Gesellschaftsverhältnisse sowie verschiedene politische Interessen verdeckt. Diese Ethnisierung fußt dabei auf einem völkischen und rassistischen Weltbild, dem seitens der (radikalen) Linken aktiv widersprochen werden sollte.
Rassismus bekommen die in Europa lebenden Migrantinnen täglich zu spüren. Gerade der Ausbau der „Inneren Sicherheit“ und die Verschärfung der Sozialpolitik treffen vor allem Menschen ohne deutschen Pass und zielen auf eine weitere Ausgrenzung ab. Rassismus ist immer dort zu thematisieren wo er auftaucht. Antirassistische Politik ist nicht mehr von anderen Problemfeldern losgelöst zu betrachten. In den Migrantinnen ist dabei weder ein revolutionäres Subjekt zu suchen, noch kann man mit rein karitativen Bemühungen der Problematik gerecht werden. Eine fortschrittliche antirassistische Politik muss die Ausgrenzung und Entrechtung von Flüchtlingen thematisieren, deren spezifische (Über)lebenspraktiken anerkennen und gleichzeitig reaktionäre Ansichten unter Migrantinnen nicht ignorieren, sondern offen zum Thema machen.


Antifa - da geht noch was!?

Antifaschistische Kritik und Praxis bleibt Bestandteil der Politik von MAD, sowohl vor Ort als auch überregional. Praktischer Antifaschismus, das Erkämpfen und Erhalten von Freiräumen, ist nicht zuletzt erst Vorraussetzung um antirealistische Politik machen zu können. Dabei darf sich Antifaschismus aber nicht nur im Sammeln von Daten erschöpfen. Eine progressive Antifaarbeit muss ebenso auf die Mitte der Gesellschaft zielen, sonst verkommt sie nur zum radikaleren, militanten Arm des "besseren Deutschlands". Die gesellschaftliche Verankerung und alltägliche Reproduktion von Rassismus, faschistischen Idealen und Geschichtsrevisionismus gilt es zu beleuchten und aufzudecken. Gerade auch dem Antisemitismus, der sich wieder offen artikuliert und im Antizionismus auch seine linke Spielart findet, kommt dabei eine bedeutende Rolle zu. Somit sind selbstverständlich auch antisemitische Stereotype innerhalb der Linken zu bekämpfen, allerdings ohne sich dabei als Scharfrichter aufzuspielen.


In diesem Sinne:
Keep the dream alive: communism

*1
die Zeitschrift arranca spricht in der Ausgabe #30 davon, dass "mittlerweile ein gewisser Aufwind [für die Linke, MAD] im globalen Maßstab zumindest nicht mehr zu übersehen" sei und fordert die Linke daher dazu auf Frösche zu küssen: "Wenn wir nun alle genügend Frösche küssen, wird schon einer in den nächsten Jahren zum Prinzen bzw. zur Prinzessin werden." (alle Zitate aus dem Editorial "Die Linke küsst den Frosch!", Ausgabe 30 entnommen). Gerade solch eine Annahme, nach der man sich nur in möglichst vielen verschieden gearteten Bewegungen tummeln müsse, um dann endlich irgendwann mit einer dieser eine wie auch immer geartete Revolution zu erreichen, ist unserer Ansicht nach falsch.

MAD Köln im Januar 2005

 

Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine Spiegelung von: http://www.mad-koeln.de/