Die Internationalisierung des Staates
Anmerkungen zu einigen aktuellen Fragen der Staatstheorie

von
Joachim Hirsch
03/05

trend
onlinezeitung

Im Rahmen des ebenso allgegenwärtigen wie in der Regel begriffslosen Redens über "Globalisierung" haben derzeit Spekulationen über das bevorstehende Ende des (National-) Staates und das Entstehen einer Welt(zivil-)gesellschaft Hochkonjunktur. Fast einhellig wird davon ausgegangen, dass die Staaten zumindest mit einschneidenden "Souveränitätsverlusten" konfrontiert seien. An die Stelle des souveränen Staats träten zunehmend komplexe staatlich-private Netzwerke, "governance"- Strukturen  oder "Regimes", hierarchisch-bürokratische Gesellschaftssteuerung werde immer mehr durch horizontale "Verhandlungssysteme" zwischen staatlichen und vielfältigen nichtstaatlichen Akteuren ersetzt (vgl. u.a. Held 1991, 1995, Kohler-Koch 1993, Messner 1997, Scharpf 1996, Zürn 1998). Diese Veränderungen beträfen nicht nur die innerstaatlichen Verhältnisse, sondern drückten sich auch im wachsenden Gewicht internationaler und supranationaler politischer Organisationen und Netzwerke aus. Dieser Internationalisierung der politischen Apparatur entspreche ein zunehmendes Gewicht lokaler und regionaler, oft quer zu den vorhandenen Staatsgrenzen sich herausbildender politisch-ökonomischer Einheiten. Eingezwängt zwischen diesen als "Glokalisierung" bezeichneten Entwicklungen bleibe vom Nationalstaat, dem Eckpfeiler der überkommenen "westfälischen Ordnung", nicht mehr viel übrig. Dem gegenüber steht die Behauptung, das nationalstaatliche System bilde - trotz einiger Modifikationen - nach wie vor Kern und Zentrum der politischen Prozesse auf nationaler wie internationaler Ebene und die aktuellen Umstrukturierungstendenzen seien nichts anderes als die Anpassung der im Prinzip überdauernden nationalstaatlichen Struktur an veränderte ökonomisch-technische Bedingungen. Für beide Behauptungen lassen sich gute Gründe und treffliche empirische Belege anführen. Die Implikationen dieser Entwicklung sind indessen weitreichend: sie betreffen nicht nur die Frage nach der politischen Gestaltbarkeit sozialer Verhältnisse, sondern auch die Zukunft der liberalen Demokratie, die sowohl in ihrem Entstehungszusammenhang als auch in ihren Funktionsvoraussetzungen eng an den Nationalstaat gebunden ist (Görg/Hirsch 1998).

Die Strukturveränderungen der kapitalistischen (Welt-)Gesellschaft sind offensichtlich, und um so mehr fällt in den gängigen Beschreibungen das Fehlen eines theoretischen Instrumentariums auf, mit dem dieser Prozess verstanden werden könnte. Je weltumfassender sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse durchsetzen, desto überflüssiger scheint eine halbwegs stringente Theorie dieser Gesellschaftsformation und ihrer Entwicklung zu sein. Und je mehr der Staat und dessen Zukunft ins Gerede kommt, desto stärker fällt die Begriffslosigkeit auf, mit der dies geschieht.

In der neueren Politikwissenschaft gilt der Staat im wesentlichen als eine zweckrationale Organisation, die mit bestimmten Funktionen und Kompetenzen gesellschaftlicher Regulierung ausgestattet ist. Die Frage, aufgrund welcher Bedingungen er in seiner heutigen Gestalt entstanden ist, wird selten gestellt und wenn, dann unzureichend, nämlich mit einigermaßen abstrakten Verweisen auf säkulare Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesse - Bürokratisierung, gesellschaftliche Ausdifferenzierung usw. - beantwortet. Selbst Max Webers Feststellung, dass das entscheidende Merkmal des modernen, d.h. bürgerlich-kapitalistischen Staates sein "Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit" sei, wird zwar oft zitiert, erfährt aber kaum eine theoretische Berücksichtigung. Von staatlicher "Souveränität" und deren angeblichen Verlust wird geredet, als gäben juristische Begrifflichkeiten die gesellschaftliche Realität wider, also ungeachtet der Tatsache, dass noch niemals ein Staat nach innen und außen auch nur einigermaßen souverän war. Dass ausgerechnet die Politikwissenschaft vom Staat keinen theoretisch zureichenden Begriff hat, trägt einiges zum Elend der aktuellen Globalisierungsdebatte bei (vgl. Esser 1999).

Nun haben diese Defizite Ursachen, die im Stand der Theorieentwicklung selbst liegen. Tatsächlich scheint in mehrfacher Hinsicht die Gesellschaftstheorie nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein und läuft Gefahr, von den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte überrollt zu werden. Die Schwierigkeiten, das Ende des fordistischen 20.Jahrhunderts und die Realität der "neuen Weltordnung" des globalisierten Kapitalismus theoretisch zu verarbeiten, sind unübersehbar. Dies gilt allerdings in gewisser Weise auch für die sich auf  Marx` Kritik der politischen Ökonomie beziehende materialistische Staatstheorie. Diese bleibt selbst in ihren fortgeschritteneren Varianten im wesentlichen auf die abstrakte Gestalt des Staates im Rahmen allgemeinen Strukturmerkmale der bürgerlichen Gesellschaft bezogen und war daher immer nur begrenzt in der Lage, dessen historische Transformationsprozesse und nicht zuletzt die Existenz eines Staatensystems und die sich auf dieser Ebene abspielenden Veränderungen schlüssig zu erklären. (Eine gewisse Ausnahme stellt dabei der sogenannte neogramscianische Ansatz in der Theorie der internationalen Politik dar, vgl. Gill 1993). Daher rühren ihre Schwierigkeiten mit einer Theorie der internationalen Politik und ihre Probleme beim Umgang mit dem Phänomen des Nationalstaats und des Nationalismus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die historisch-materialistische Theorie den immer noch wichtigsten Ausgangs- und Bezugspunkt staatstheoretischer Diskussionen darstellt, steht deshalb auch sie zur Überprüfung und Revision an.

1.  Materialistische Staatstheorie: Grundzüge und Reformulierungsansätze

Will man die Frage nach der Transformation des Staates und des Staatensystems im aktuellen Globalisierungsprozess beantworten, so bedarf es also zunächst einmal einer Bemühung um das, auf was gerade die neuere Politikwissenschaft trotz ihrer "Wiederentdeckung des Staates" (vgl. Esser 1998) notorisch verzichten zu können glaubt: eine Staatstheorie. Dabei kommt es darauf an, den Staat nicht nur juristisch oder organisationssoziologisch, sondern in einem strikteren Sinne gesellschaftstheoretisch zu erklären. In dieser Hinsicht bleiben auch neuere systemtheoretische Konzepte mit ihren abstrakt-evolutionstheoretischen, widersprüchliche Vergesellschaftungsverhältnisse und historische Brüche negierenden Grundannahmen defizitär. Im Zentrum der Erklärung muss vielmehr - wie schon bei Max Weber - der Zusammenhang zwischen der Entstehung des Kapitalismus und der Durchsetzung des modernen Staates stehen. Zu fragen ist nach dem bestimmten Verhältnis zwischen Struktur und Reproduktionszusammenhang der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und der für sie spezifischen Form des Politischen. Staatstheorie setzt somit eine adäquate Kapitalismustheorie voraus, eine Kapitalismustheorie, die zudem in der Lage ist, die historischen Veränderungen dieser gesellschaftlichen Formation und der für sie charakteristischen politischen Strukturen zu erklären.

Nun wäre es allerdings falsch, von der materialistischen Staatstheorie zu sprechen. Marx selbst hat sich bekanntlich über den Staat kaum systematisch geäußert und in seiner Tradition wurden recht unterschiedliche Konzeptionen entwickelt. Ich beziehe mich hier auf den Theoriestrang, der vor allem mit den Namen Gramsci und Poulantzas verbunden ist und verwende das theoretische Gerüst, das im Rahmen der (gerne als Staatsableitungsdebatte apostrophierten) Staatsformanalyse der siebziger Jahre entwickelt wurde (vgl. Gramsci 1986, 1991ff., Poulantzas 1978, Hirsch 1975, Holloway/Piciotto 1978,  Jessop 1982, 1985). Dieser Ansatz dürfte - verbunden mit neueren regulationstheoretischen Konzepten - für eine Analyse der aktuellen Transformationsprozesse im Staatensystem immer noch am fruchtbarsten zu sein.

Skizzieren wir zunächst einmal seine wichtigsten Elemente: Ein grundlegendes, wenn auch nicht funktional vorgegebenes, sondern -  wie sich gerade im vorliegenden Zusammenhang zeigen wird -  immer prekäres und umkämpftes Strukturmerkmal der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist die Herausbildung einer von den gesellschaftlichen Individuen, Gruppen und Klassen formell abgesonderten politischen Instanz und damit die Trennung von "Staat" und "Gesellschaft", von "Politik" und "Ökonomie". Für eine Gesellschaft, deren Ausbeutungs- und Klassenverhältnisse wertgesetzlich und marktvermittelt, d.h. mittels arbeitsteiliger Privatproduktion, Lohnarbeit und Warentausch reproduziert werden, ist die Verselbständigung und Zentralisierung der physischen Zwangsgewalt getrennt von allen gesellschaftlichen Klassen, auch der ökonomisch herrschenden, eine grundlegende Bestands- und Reproduktionsvoraussetzung. Diese Form des Politischen, d.h. die "Besonderung" oder "relative Autonomie" des Staates ist somit ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses selbst. Als soziale Form bezeichnet Marx die in einer "naturwüchsig" arbeitsteiligen Gesellschaft sich hinter dem Rücken der Subjekte herstellende und von ihnen nicht unmittelbar durchschaubare Verobjektivierung sozialer Beziehungen. Mittels dieser Formen vollzieht sich die Reproduktion der Gesellschaft zwar durch das Handeln der individuellen Akteure, aber nicht planmäßig und bewusst. Von grundlegender Bedeutung sind dabei die - widersprüchlich aufeinander bezogenen - ökonomische (Wert-) Form (Ware, Geld) und die politische Form (Staat) (Hirsch 1994, 1995).

Der ökonomische Reproduktionsprozess ist immer politisch vermittelt. Die häufig anzutreffende Vorstellung einer Selbstregulierung der Ökonomie auf der Basis von Marktprozessen kann bestenfalls als eine analytische Abstraktion gelten. Märkte existieren nur im Rahmen spezifischer politischer Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, in denen z.B. das Privateigentum und die Tauschverhältnisse geregelt und gesichert werden. Der bürgerlich-kapitalistische Staat ist somit grundsätzlich - wenn auch in historisch wechselnden Formen - "Interventionsstaat". Es kann deshalb auch kein "staatenloses" Kapital geben, selbst wenn die Beziehungen zwischen Kapital und Staat(en) sich historisch verändern. Die Besonderung oder relative Autonomie des Staates ist eine zentrale Voraussetzung für die Regulation der antagonistischen kapitalistischen Klassenverhältnisse: Nur mittels des Staates ist das in der Konkurrenz fraktionierte Kapital in der Lage, relativ konsistente Politiken zu formulieren. Sie macht es möglich, das Verhältnis zwischen den Klassen nicht nur durch physische Repression, sondern auch durch ideologisch und materiell abgestützte Kompromiss- und Konsensbildungsprozesse zu regulieren und nicht zuletzt ist der Staat die Instanz, mittels derer - im Kontext politisch-sozialer Auseinandersetzungen - die gesellschaftlichen und natürlichen Voraussetzungen des ökonomischen Reproduktionsprozesses geschaffen und erhalten werden können, die der kapitalistische Verwertungsprozess aus sich heraus nicht erzeugen kann, sondern tendenziell sogar zerstört. Das institutionelle Arrangement der liberalen Demokratie bildet ein zwar nicht strukturnotwendiges, aber günstiges Terrain für die Herausbildung der relativen Autonomie des Staates.

Diese Strukturbedingung darf indessen nicht funktionalistisch missverstanden werden. Die "Besonderung" des Staates ist nicht vorgegeben und wird auch nicht von den ökonomischen Verhältnissen mit Notwendigkeit erzeugt. Sie ist vielmehr - wie gerade die aktuellen Transformationsprozesse zeigen - Gegenstand fortwährender sozialer Kämpfe. Tatsächlich hat sich der Staat als zentralisierte Gewaltapparatur zumindest in Europa in Form der absoluten Monarchien vor der allgemeinen Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse herausgebildet und war selbst eine Voraussetzung für diesen Prozess. Historisch-genetische und funktionale Bedingungszusammenhänge stehen somit in einem komplexen Wechselverhältnis.

Als Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses ist der entwickelte kapitalistische Staat Klassenstaat, ohne jedoch das unmittelbare Instrument einer Klasse sein zu können. Er ist weder ein eigenständiges Subjekt, noch eine bloß zweckrationale Organisation, sondern eine Form der Institutionalisierung sozialer Verhältnisse, genauer ein Kristallisationspunkt (Poulantzas) von widersprüchlichen Sozial- und Klassenbeziehungen. Gleichwohl darf er nicht einfach nur als eine abhängige Resultante bestehender Kräfteverhältnisse betrachtet werden, sondern weist eine eigene institutionelle Festigkeit und Dynamik, eben eine "relative Autonomie" auf. Diese wird durch die Existenz besonderer Institutionen, Regeln und Verfahren und die Interessen  einer eigenen, die Staatsapparate besetzenden "regierenden Klasse" untermauert. Weil der Staat sowohl Ausdruck als auch  Institutionalisierung widersprüchlicher Sozial- und Klassenbeziehungen ist, bildet er notwendigerweise einen heterogenen Komplex relativ voneinander unabhängiger und oft gegeneinander agierender Apparate mit unterschiedlichen und divergierenden gesellschaftlichen Beziehungen. Die immer nur relative Geschlossenheit der Staatsapparatur ist selbst Gegenstand von Auseinandersetzungen um "politische Führung" und Resultat hegemonialer Prozesse. Wie noch zu zeigen sein wird, gilt dies auch für das Staatensystem und die internationalen Organisationen.

"Staat" und "Gesellschaft" sind zwar getrennt, bilden aber als Ausdruck der bestehenden Produktionsverhältnisse zugleich eine widersprüchliche Einheit. Beide Sphären sind als komplexer Herrschaftszusammenhang zu verstehen, als ein auf Zwang und Konsens gestützter hegemonialer Block (Gramsci 1991ff., Kramer 1975). Die Zivilgesellschaft als Ort politischer Selbstorganisation und Öffentlichkeit ist das - selbst von Macht- und  Herrschaftsverhältnissen durchzogene und staatlichen Eingriffen unterliegende - Feld, auf dem Hegemonie, d.h. die Rechtfertigung der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in einem Prozess permanenter politisch-sozialer und ideologischer Auseinandersetzungen erzeugt wird. Hier werden die herrschenden Normen und Wertvorstellungen ausgearbeitet und durchgesetzt und zugleich ist hier auch der Entstehungszusammenhang und Ansatzpunkt "gegenhegemionaler" Strategien zu finden. Die Zivilgesellschaft ist somit als von ökonomisch-politischen Macht- und Herrschaftsstrukturen durchzogenes Kampffeld zu verstehen. Als Bestandteil des hegemonialen Blocks und als Gegenstand staatlicher Eingriffe und Organisationsleistungen kann sie zugleich als "erweiterter Staat" betrachtet werden. Die Existenz einer entwickelten Zivilgesellschaft ist eine entscheidende Voraussetzung für demokratische Prozesse. Diese können allerdings nur dann wirksam werden, wenn sie sich auf einen staatlich institutionalisierten und formalisierten Willensbildungs- und Entscheidungszusammenhang beziehen können. Es ist wichtig, festzuhalten, dass die "demokratische Zivilgesellschaft" den zentralisierter Staat zu ihrer Voraussetzung hat.

Es ist nun allerdings ein bemerkenswertes Defizit der materialistischen Staatstheorie, dass sie in ihren Analysen bislang im wesentlichen auf den Raum des einzelnen (National-) Staats oder mehr noch auf den abstrakten Typus des bürgerlichen Staates an sich bezogen blieb. (Ausnahmen sind z.B. v.Braunmühl 1973, Siegel 1984, eine entsprechende Debatte in Capital & Class vgl. Lambert 1991, Piciotto 1991, Pooley 1991 sowie der schon erwähnte neogramscianische Ansatz. Auch Poulantzas hat mit seinen Analysen zur Internationalisierung des Kapitals wichtige Beiträge geleistet, vgl.Poulantzas 1975). Dies schränkt die Reichweite ihrer Aussagen erheblich ein. Weder wurden bisher die Bedeutung der Pluralität des Staatensystems für Form und Funktionen des Staates noch der Charakter inter- und supranationaler politischen Institutionen und Prozesse in theoretisch zureichender Weise konzeptualisiert. Angesichts der aktuellen Globalisierungstendenzen und der damit verbundenen Transformationsprozesse der staatlichen Apparate erhält dieses Defizit ein besonderes Gewicht. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die materialistische Staatstheorie in ihren Grundaussagen gültig bleibt, solange das kapitalistische Produktionsverhältnis existiert, bedarf es einer Rekonstruktion und Erweiterung des gesamten Ansatzes.

Dazu einige vorläufige Überlegungen. Zunächst muss davon ausgegangen werden, dass sich der moderne Staat ebenso wie der Kapitalismus als "Weltsystem" (Wallerstein 1985) von vorneherein plural, in Form eines Staatensystems entwickelt hat. Das dem kapitalistischen Vergesellschaftungsmodus zugrundeliegende Prinzip der Konkurrenz reproduziert sich auf diese Weise auf der internationalen politischen Ebene. Schon an der Wiege des modernen Staates steht der Kolonialismus und die damit verbundene Verbindung unterschiedlicher Produktionsweisen und Herrschaftsverhältnisse in einem globalen Akkumulations- und Ausbeutungszusammenhang. Nicht die Globalisierung an sich ist deshalb neu, sondern ihre konkrete Gestalt. Schon immer war die politische Fragmentierung des globalen Kapitalismus eine wesentliche Voraussetzung für den Verwertungsprozess, für die politische Organisation von Klassen sowie für die Regulierung der Klassenverhältnisse (vgl. dazu Hirsch 1995, 31ff.). Die Pluralität der Staaten spaltet die Klassen entlang nationaler Grenzen und sorgt für die Möglichkeit einer Herausbildung miteinander konkurrierender "nationaler" Klassenformationen. Sie ermöglicht die Bildung sich national identifizierender bourgeoiser Klassenfraktionen, konstituiert ein Konkurrenzverhältnis zwischen getrennten Segmenten der Lohnabhängigen und ermöglicht damit die Herausbildung "korporativer" Klassenkompromisse. Die Fragmentierung des Staatensystems erweist sich damit als entscheidende Basis für eine nicht nur legitimatorische, sondern auch materiell abgestützte Herausbildung klassenübergreifender "nationaler Identitäten". Der bürgerliche Staat ist daher - wenn auch in historisch unterschiedlichen Ausprägungen - grundsätzlich Nationalstaat und damit strukturell mit Nationalismus, Rassismus oder -  in ihrer aktuellen Variante - Wohlfahrtschauvinismus verbunden. Schließlich schafft vor allem die Pluralität des Staatensystems die Voraussetzungen für die Entstehung und Konsolidierung räumlich-sozial unterschiedlicher Verwertungsbedingungen, deren Ausnutzbarkeit eine grundlegende Voraussetzung des globalen Akkumulations- und Verwertungsprozesses ist. Dieses Verhältnis ist seit der kolonialen Ära trotz einschneidender Gestaltveränderungen des kapitalistischen Weltsystems erhalten geblieben. Die Pluralität der Staaten ist somit kein historischer Zufall, sondern ein Bestandteil des kapitalistischen Produktions- und Klassenverhältnisses selbst. Was heute mit "Globalisierung" bezeichnet wird, ist nichts anderes als eine tiefgreifende Reorganisation dieser räumlich-sozialen Beziehungen nach dem Ende des Fordismus mit dem Effekt, dass Kolonialismus und Imperialismus eine historisch neue Gestalt annehmen.

Die Klassenverhältnisse auf nationaler wie internationaler Ebene sind ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für das Verhältnis der Staaten untereinander. Die Dominanz- und Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den Staaten beruhen nicht nur auf ihren relativen ökonomischen Ressourcen und militärischen Potentialen. Sie werden vielmehr entscheidend von der Fähigkeit bestimmt, innerhalb der bestehenden Grenzen und vermittelt durch den Staat als Zentrum der gesellschaftlichen Regulation einen eigenständigen Akkumulations- und Regulationsmodus herauszubilden und so mit dem Weltmarkt zu verbinden, dass ein starker und selbsttragender Akkumulationsprozess möglich ist. Ob, in welcher Weise und bis zu welchem Grade dies realisiert werden kann, hängt ganz entscheidend von den internen Klassenstrukturen und den sie organisierenden und regulierenden institutionellen Formen ab. Sie bestimmen wesentlich die Bedingungen für die Herausbildung eines relativ homogenen und eigenständigen ökonomischen Reproduktionszusammenhangs und damit einer kohärenten "Gesellschaft". Als Komplex einzelstaatlich umgrenzter und regulierter gesellschaftlicher Reproduktionszusammenhänge ist der "Weltmarkt" wesentlich politisch, im Sinne der Institutionalisierung und Regulierung von Klassenverhältnissen geformt und bestimmt. Es gibt auch auf der internationalen Ebene keinen gegenüber Staat und Politik freigesetzten und nur nach eigenen Logiken funktionierenden Markt. Deshalb ist es zumindest ungenau, im Hinblick auf den aktuellen Globalisierungsprozess von einer generellen "Freisetzung" ("disembedding") ökonomischer Prozesse zu sprechen (vgl. Görg/Hirsch 1998, 324f., Brand/Görg 2000).

Die internen politischen Strukturen und Klassenverhältnisse sind indessen nicht nur ein wesentlicher Bestimmungsfaktor für das Verhältnis der Staaten untereinander und für die Dominanz- und Abhängigkeitsbeziehungen im internationalen System, sondern letztere wirken zugleich auf diese zurück (Hirsch 1993). Eine abhängige Einbindung in den Weltmarkt strukturiert die Klassenverhältnisse in einer Weise, die die Herausbildung eines kohärenten Akkumulations- und Regulationszusammenhangs auf einzelstaatlicher Ebene erschwert und umgekehrt. Somit entwickeln sich die einzelstaatlichen institutionellen Konfigurationen und Klassenbeziehungen von vornherein im Kontext des Weltmarkts und der politischen Beziehungen innerhalb des Staatensystems. Die für die einzelne Gesellschaft entwickelte politische Formbestimmung gilt somit, in modifizierter und erweiterter Weise, auch für das System der internationalen Organisationen und Institutionen: dieses muss ebenfalls als eine mit relativer Autonomie ausgestattete Institutionalisierung von Klassenbeziehungen betrachtet werden, denen allerdings die Eigenschaft eines mit einem relativen Gewaltmonopol ausgestatteten, zentralisierten Apparats fehlt. Als institutionelle Verdichtung von Klassenverhältnissen und als Komplex heterogener Apparaturen reproduziert sich die staatliche Form unter diesem modifizierten Bedingungen auf der internationalen Ebene. Internationale politische Organisationen und Prozesse sind ohne Berücksichtigung dieses Zusammenhangs kaum zu verstehen.

2. "Globalisierung" und das Ende der "westfälischen Ordnung".

Vor diesem Hintergrund lassen sich nun etwas genauere Aussagen darüber machen, was unter der aktuellen Transformation von Staat und Staatensystem zu verstehen ist. Eine detailliertere Analyse des Globalisierungsprozesses muss hier unterbleiben (vgl. u.v.a. Altvater/Mahnkopf 1996, Hirsch 1995,1998) ). Festzuhalten bleibt nur, dass er im Kern als eine Strategie zur Lösung der in den siebziger Jahren ausgebrochenen Krise des Fordismus betrachtet werden muss, die auf eine grundlegende Umstrukturierung der Klassenverhältnisse im nationalen wie internationalem Maßstab abzielt. Sie beruht im wesentlichen auf einer weitgehenden Flexibilisierung und Deregulierung der internationalen Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Finanzmärkte. Diese ist nicht nur auf eine Verschiebung der gesellschaftlichen Verteilungsrelationen gerichtet, sondern zugleich auch die Voraussetzung für einen systemischen Rationalisierungsschub auf der Basis neuer Technologien und Arbeitsorganisationsformen. Mit dieser neuen Form der Internationalisierung der Produktion, gestützt auf die Schaffung globaler "Wertschöpfungsketten", konnte sich das Kapital in starkem Maße aus seiner Abhängigkeit von nationalen Märkten und den sie strukturierenden Klassenkompromissen befreien und schuf dadurch die Möglichkeit einer grundlegenden Reorganisation der Arbeitsverhältnisse und einer Neukombination unterschiedlicher Produktions- und Arbeitsweisen im globalen Maßstab. Diese Reorganisation der Klassenbeziehungen war notwendigerweise mit einer Transformation der Staaten und des Staatensystems als Ausdruck ihrer Institutionalisierung und Regulation verbunden. Der Übergang vom fordistischen "Sicherheits-" oder "keynesianischen Wohlfahrts-" zum "nationalen Wettbewerbsstaat" bis hin zur Herausbildung neuer, staatlich-privater governance- und Netzwerk-Strukturen schließt eine weitreichende Veränderung der politischen institutionalisierten Klassenbeziehungen und des Verhältnisses von "Staat" und "Gesellschaft" insgesamt ein.

Die "Souveränität" des Staates und sein "Gewaltmonopol", d.h. die Fähigkeit, politisch-ökonomische Kontrolle über ein abgegrenztes Territorium und seine Bewohner auszuüben, ist an eine spezifische Struktur des Staatensystems gebunden. Seit der Entstehung der modernen Staates ist dieses Staatensystem durch die Existenz von Gleichgewichten zwischen ähnlich starken Staaten und Staatengruppen - bzw. den Kampf darum - bestimmt gewesen. Diese "westfälische Ordnung" hatte sich mit dem Ende des dreißigjährigen Kriegs und dem Frieden von Münster und Osnabrück etabliert. Ihre letzte Ausprägung war die bipolare Welt des 20.Jahrhunderts. Die darin liegende  Machtbalance war eine wesentliche Grundlage für die besondere historische Form des Nationalstaates und hat den einzelnen Staaten eine gewisse, wenn auch mehr oder weniger beschränkte innere wie äußere Souveränität gewährt. Die Aufhebung des Ost-West-Gegensatzes hat diese Ordnung tiefgreifend modifiziert (Held 1995). Sie bedeutete zugleich das Ende der "Dritten Welt" als einer relativ unabhängigen, zwischen den dominierenden Blöcken operierenden Staatengruppe. Es gibt, sieht man von den besonderen Fällen Russlands und Chinas mit ihrem starken Missverhältnis zwischen ökonomischen und militärischen Potentialen ab,  nur noch zwei: Das metropolitane Zentrum und die Peripherie. Zwar kann man davon ausgehen, dass sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion früher oder später neue Machtkonstellationen und -balancen herausbilden werden, doch dürften die stark veränderten technologischen wie ökonomischen Grundlagen militärischer Machtkonzentration zu einer bleibenden Veränderung des internationalen Systems führen und eine Rückkehr zur Staatenwelt des 18. und 19. Jahrhunderts unmöglich machen. Es ist anzunehmen, dass sich damit auch der Charakter des Staates und seine Rolle im Zusammenhang der Herstellung von Klassenbeziehungen grundsätzlich verändert. Konkreter: wenn man davon ausgeht, dass die nationalstaatliche politische Form ein wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses darstellt, so impliziert die aktuelle Transformation des Staatensystems eine wichtige Modifikation desselben.

Innerhalb des "nachwestfälischen" internationalen Systems zeichnen sich somit neue globale Spaltungen ab: auf der einen Seite steht die kapitalistische "Triade" mit der zumindest militärisch uneingeschränkt dominierenden Supermacht USA und dem mit ihnen in einem komplexen Kooperations- und Konfliktverhältnis stehenden Block "starker Staaten". Sie besitzen aufgrund ihrer militärisch-ökonomischen Potenz eine gewisse Selbständigkeit bzw. Souveränität nach außen. Auf der anderen Seite stehen die "schwachen" oder peripheren Staaten, die - infolge des Fehlens einer internationalen Machbalance wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges - militärisch wie ökonomisch weitgehend vom globalen Machtzentrum beherrscht und abhängig sind. Der herrschende Staatenblock entscheidet im Rahmen der von ihm gesetzten "Weltmilitärordnung" nach seinen sowohl innenpolitischen wie geostrategischen Interessen, wo mittels gewaltförmiger Befriedungsmaßnahmen in die Konflikte und Kriege in der Peripherie eingegriffen wird, die aufgrund der als "Globalisierung" bezeichneten Durchkapitalisierung der Welt entstehen, oder wo die gewaltsamen Auseinandersetzungen sich eben selbst überlassen bleiben (Böge 1999). Seit dem Kosovo-Krieg hat sich Deutschland diesem Block sozusagen gleichberechtigt-untergeordnet eingefügt.

Damit verändert sich auch die Bedeutung des staatlichen Gewaltmonopols. Die Politikwissenschaft hat diese - von Max Weber als grundlegendes Charakteristikum des modernen Staates bezeichnete - Eigenschaft inzwischen auch wieder entdeckt, tut sich indessen wegen ihres beschränkten Staatsbegriffs etwas schwer, die damit verbundenen Veränderungen zu begreifen. Zürn (1998) sieht das Gewaltmonopol vor allem durch drei Entwicklungen in Frage gestellt: die internationale organisierte Kriminalität, den "Terrorismus" und den "Separatismus". In der Tat verringert der Globalisierungsprozess und die damit verbundene Erosion "national"-ökonomischer Zusammenhänge die soziale und ökonomische Integrationsfähigkeit der Staaten. Es entstehen regionale Wachstumspole quer zu nationalen Grenzen und gleichzeitig führt die Globalisierung zu einer Verstärkung sozioökonomischer Ungleichheiten auf nationaler wie internationaler Ebene sowie zur Marginalisierung ganzer Weltteile. Dies ist eine wesentliche Ursache für den Zusammenbruch bestehender Staaten und für die Entwicklung separatistisch-nationalistischer Bewegungen. Diese Entwicklung kann die bestehende Staatenwelt verändern, muß aber die einzelstaatliche Organisation nicht im Grundsatz tangieren - immerhin entstehen dadurch fortwährend neue "National"-Staaten. Ebenso ist die - in ihrer realen Bedeutung wie auch immer einzuschätzende -  internationale organisierte Kriminalität ganz wesentlich eine Folge der neoliberalen Globalisierung und der damit verbundenen Privatisierungen und Deregulierungen. Allerdings ist die daraus hervorgehende Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols schon deshalb zu relativieren, weil ein wesentlicher Teil davon - beispielsweise im Drogen- und Waffengeschäft - faktisch Regierungskriminalität darstellt oder zumindest eng mit Teilen der Staatsapparate verflochten ist und diese zu ihrer Operationsbasis hat. Die Entgegensetzung von "organisierter Kriminalität" und "Staat" ist ebenso irreleitend wie die zwischen "Markt" und "Staat".

Das staatliche "Gewaltmonopol" verschwindet also keinesfalls allgemein und kann dies auch nicht, solange die Reproduktion und Regulation der kapitalistischen Klassenbeziehungen darauf beruht. Es wird vor allem dadurch entscheidend verändert, dass sich die absolute militärische Gewalt bei einer Supermacht konzentriert, deren Position dadurch definiert ist, dass zumindest gegen sie - und in der Regel auch ohne sie - kein größerer Krieg im konventionellen Sinn geführt werden kann. Diesem faktischen globalen Gewaltmonopol fehlt jedoch, weil es sich eben nicht um einen (Welt-)Staat handelt und die Supermacht zunächst einmal nur ihre eigenen Interessen verfolgt, jene Legitimität, die aus der Fähigkeit des Staates resultiert, eine gewisse, auf gesellschaftlichen Kompromissen beruhende Stabilität innerhalb ihres Territoriums zu gewährleisten. Nach außen militärisch weitgehend abhängig, bleibt den untergeordneten Staaten allerdings im Prinzip - und wenn man von den erwähnten Relativierungen absieht - das Gewaltmonopol nach innen (Esser 1999). Dieses kommt um so unmittelbarer zum Zuge, je mehr die Möglichkeiten zu einer materiell abgestützten und konsensuellen gesellschaftlichen Integration dahinschwinden. Zuletzt hat der Krieg der NATO gegen Jugoslawien die komplexe Verschiebung der innerstaatlichen und internationalen Gewaltverhältnisse manifestiert (Vgl. Böge 1999, Hildebrandt 1999, Hirsch 1999a). Insgesamt liegt darin eine wesentliche Ursache für die tendenzielle Veränderung des Feldes militärischer Auseinandersetzungen. "Guerilla-Aktionen" und "Terrorismus" gewinnen an Bedeutung, die von den "starken Staaten" geführten konventionellen Kriege nehmen die Form menschenrechtlich-humanitär etikettierter Polizeiinterventionen an.

Während den nationalen Befreiungsbewegungen in der Peripherie nicht nur durch die neoliberale ökonomische Restrukturierung, sondern auch durch das Ende der Systemkonfrontation der Boden entzogen wurde, wird die Struktur des herrschenden Blocks (im typisch politologischen Verschleierungsjargon neuerdings die "OECD-Welt" genannt, vgl. Zürn 1998) durch ein komplexes und ungleiches politisch-ökonomisches Konflikt- und Kooperationsverhältnis geprägt. Die militärische und politische Zusammenarbeit zwischen den Zentren der herrschenden "Triade" verbindet sich mit einem permanenten, mit unterschiedlichen Mitteln geführten Wirtschaftskrieg. Historisch gesehen, ist die Herausbildung der kapitalistischen Triade ein Resultat des Fordismus und hatte zunächst zu einer erheblichen Schwächung der internationalen Dominanzposition der USA geführt. Diese Entwicklung war selbst eine wesentliche Ursache der Krise dieser Formation. Seither sind die Triadezentren verstärkt in eine ständige Auseinandersetzung um die Kontrolle von Märkten, Investitionsgebieten und Rohstoffquellen verwickelt.

Wichtig für die Beurteilung dessen, was "Globalisierung" heißt, ist nun, dass die neoliberale Globalisierungsoffensive seit den siebziger Jahren ganz wesentlich auch als Versuch der USA gewertet werden muss, die konkurrierenden europäischen und asiatischen - stärker staatskapitalistisch und staatsinterventionistisch geprägten - Fordismusmodelle auszuhebeln, d.h. des US-amerikanische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell wieder beherrschend zu machen. Dies ist - nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Krise des Fordismus seit den siebziger Jahren und der damit verbundenen Aushebelung der sozialdemokratisch-wohlfahrtsstaatlichen Regime - weitgehend gelungen. Den USA kam dabei die relativ schwache Ausbildung institutioneller fordistischer Strukturen, die bleibende Rolle des US-$ als Reservewährung und die zentrale Bedeutung der neuen und wesentlich militärtechnisch vorangetriebenen  Informations- und Kommunikationstechnologien zugute. Die Asienkrise von 1997, die auch als eine Folge der neoliberalen Deregulierungsoffensive anzusehen ist, kann ebenfalls als Bestandteil dieser Strategie verstanden werden. Die Selbstmandatierung der NATO als unabhängig von Vereinten Nationen und außerhalb des Völkerrechts operierender Weltpolizei unter Führung der USA ist insoweit das militärische Pendant des Globalisierungsprozesses. Die "neue Weltordnung" ist ohne diese sozusagen "geostrategische" Komponente kaum zu verstehen (vgl. Saxe-Fernandez 1996). Die "Globalisierung" ist also kein unabhängiger ökonomischer Prozess, sondern zugleich Ausdruck und Bestandteil von Kämpfen zwischen Staaten und Staatengruppen. Nicht zuletzt werden kriegerische Konflikte von den USA immer wieder dazu benutzt und deshalb auch provoziert, ihre wesentlich militärisch begründete Dominanz gegenüber den konkurrierenden Metropolen zu festigen (Hildebrandt 1999).

Gleichzeitig existiert aber ein starker Kooperationszwang zwischen den metropolitanen "starken Staaten". Er beruht darauf, dass sie in gewisser Weise ökonomisch wie politisch ihre Herrschaft nur gemeinsam ausüben können. Die relative ökonomische Potenz Japans oder Europas erfordert ein Mindestmaß an internationaler ökonomischer Koordination und eine gewisse Bereitschaft zu gemeinsamem Krisenmanagement. Die USA benötigen die ihnen militärisch subordinierten Triadezonen als Märkte und Investitionsräume, während diese auf der anderen Seite militärisch wie ökonomisch auf die Kooperation mit den USA angewiesen sind. Die "OECD-Welt" erscheint somit als ein trotz immer wieder aufbrechender Rivalitäten relativ stabiler Block, der durch das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung der existierenden ökonomischen und politischen Weltordnung, d.h. der in sie eingeschriebenen Ungleichheiten und Abhängigkeiten zusammengehalten wird.

Damit nimmt der Imperialismus eine neue Gestalt an. Sie ist zunächst dadurch charakterisiert, dass die innerimperialistischen militärischen Konflikte, die das neunzehnte und zwanzigste Jahrhundert bestimmt haben, weitgehend neutralisiert sind. Dies schließt allerdings Stellvertreterkriege in der Peripherie (wie z.B. in Afrika) oder "verdeckte Kriege" (wie z.B. die in den neunziger Jahren  unter NATO-Label geführten Interventionen am Golf oder auf dem Balkan) nicht aus. Diese sind zumindest auch als Kämpfe um regionaleVorherrschafts- und Einflusszonen innerhalb der europäischen Staaten sowie zwischen diesen und den USA zu verstehen (vgl. Böge 1999, Hildebrandt 1999, Hirsch 1999a). Wenn also Zürn (1998, 326) davon spricht, mit der "neuen Weltordnung" sei zugleich das Ende der großen internationalen Konfliktlinien gekommen und statt dessen entstehe eine "Weltrisikogesellschaft" unüberschaubarer "lokaler" Konflikte, so verdankt sich diese Sichtweise einem grundsätzlichen Missverständnis des existierenden internationalen Systems und seiner Machthierarchie. Viele Konflikte mögen zwar lokale Auslöser haben, sind aber in ihrer Brisanz  und Entwicklung ohne die neue globale Machtstruktur und die ihr innewohnenden Konkurrenzverhältnisse nicht zu verstehen. Die Kriege in Afrika und auf dem Balkan sind zumindest in ihrer Entwicklung und ihrem Ausmaß kaum als Ausfluss lokaler oder gar "ethnischer" Konflikte verstehbar. Und schließlich hat nicht zuletzt das, was als "gesellschaftsinduzierter", d.h. unabhängig von den Staaten sich entwickelnder "Terrorismus"  diagnostiziert wird, eine entscheidende Grundlage in den neuen militärischen Dominanz- und Abhängigkeitsstrukturen, etwa in der faktischen Unmöglichkeit mit traditionellen militärischen Mitteln geführter "nationaler Befreiungskämpfe", wenn sie den Interessen des herrschenden Machtblocks widersprechen. So gesehen, erscheint der "Terrorismus" oft eher als eine prekäre und fragwürdige Form des "antiimperialistischen Kampfs" - soweit es sich dabei nicht ohnehin um Inszenierungen der dominierenden Staaten in Form der counter-insurgency handelt.

Zugleich sind auf der anderen Seite relativ tragfähige internationale Organisationen zur Formulierung und Durchsetzung einer Politik des herrschenden Staatenblocks geschaffen worden (IWF, Weltbank, WTO, vor allem die NATO als das - wenn man so will - global operierende eigentliche "Staatsorgan" der "OECD-Welt"). Und nicht  zuletzt dürfte die dominierende Rolle multinationaler Unternehmungen das Verhältnis zwischen den Staaten in kooperativer Richtung verändert haben. Zwar wird der ökonomische Konflikt zwischen ihnen durch das gemeinsame Interesse an der Aufrechterhaltung der liberalen Weltwirtschaftsordnung und an der Sicherung der Herrschaft über die Peripherie partiell neutralisiert, doch bleibt das kapitalistische Weltsystem gerade deshalb, weil eine politische Kontrolle des Weltmarkts nach der Krise des Fordismus, der neoliberalen Umstrukturierung und dem Zusammenbruch der Bretton-Woods-Institutionen verlorengegangen ist, grundsätzlich krisenhaft. Man könnte also heute tatsächlich von der Existenz einer Art von "Hyperimperialismus" sprechen, muss aber dabei in Betracht ziehen, dass dieses System keinesfalls stabil ist und bei jeder größeren ökonomischen Krise auseinanderbrechen kann.

3. Die Transformation des Staates

Im Zusammenhang dieser Entwicklung lassen sich drei Aspekte der Transformation des Staates feststellen (vgl. dazu vor allem Jessop 1997a, der allerdings eine etwas andere Begrifflichkeit verwendet, sowie Sassen 1997, Görg/Hirsch 1998, Zürn 1998):

Erstens kommt es zu einer grundlegenden Veränderung des Verhältnisses von "Staat" und "Gesellschaft" , die man auch als "Denationalisierung" bezeichnen könnte. Gründe dafür sind die Internationalisierung der Produktion, mit der sich das Kapital aus den für den Fordismus typischen "national" -ökonomischen, d.h. auf die Entwicklung des Binnenmarkts zentrierten Akkumulations- und Regulationszusammenhängen tendenziell ausklinkt. Zentraler Bestandteil der Globlisierungsstrategie und der sie kennzeichnenden Deregulierungspolitiken  ist eine Beschränkung der einzelstaatlichen Interventionsspielräume insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Diese beschränkt die Fähigkeit der Staaten zu einer kohärenten und integrativen gesellschaftlichen Regulierung. Mit zunehmender Globalisierung des Akkumulationsprozesses werden die nationalen Gesellschaften heterogener, sozial-räumliche Ungleichheiten und Spaltungen nehmen zu und es entstehen wirtschaftliche Verflechtungen, die oft quer zu den staatlichen Grenzen liegen. Zugleich führen die wachsenden internationalen Ungleichheiten zu verstärkten Wanderungs- und Fluchtbewegungen. Diese sind wiederum ein Mittel der Reorganisation der Klassenbeziehungen, der Umwälzung der Arbeitsformen und der Veränderung der sozialen Kräfteverhältnisse (Sassen 1996, 59ff., Samers 1999, Pellerin 1999). Dies führt dazu, dass die Gesellschaften insgesamt "multinationaler" und "multikultureller" werden. Der Umstand, dass Ungleichheiten, Marginalisierungen und soziale Spaltungen insgesamt zunehmen, führt zu dem scheinbaren Paradox, dass die "Denationalisierung" zugleich mit starken nationalistischen und rassistischen Tendenzen verbunden ist. Sie bedeutet somit nicht das Verschwinden der nationalstaatlichen Form an sich. Der partikulare "National"-Staat als die Instanz, die auf der Basis ihres physischen Gewaltmonopols für die Regulierung der Klassenbeziehungen und für die darauf gegründete Herstellung einer gewissen gesellschaftlichen Kohärenz grundlegend ist, behält eine zentrale Bedeutung.

Zweitens kommt es zu einer tendenziellen Privatisierung von Politik durch die Herausbildung von politischen Regulierungsnetzwerken, in denen der Staat eher als primus inter pares, als Moderator und Koordinator innerhalb eines Geflechts relativ unabhängiger gesellschaftlicher Akteure und Gruppen erscheint. Die Formulierung und Durchsetzung politischer Entscheidungen wird damit mehr als zuvor in - im weitesten Sinne - korporative Strukturen und staatlich-private Verhandlungssysteme verlagert. Nun ist dieser "verhandelnde" Staat keine ganz neue Erscheinung, weil Regierungen immer schon zu Kompromissen mit mächtigen gesellschaftlichen Gruppen gezwungen waren. Sie verstärkt sich aber im Zuge der neoliberalen Restrukturierung und Privatisierung. Mit der Deregulierung der internationalen Märkte nehmen die administrativen Interventionskapazitäten ab und mächtige "private" Akteure insbesondere in Gestalt der sich einzelstaatlicher Regulierung mehr und mehr entziehenden multinationalen Unternehmungen treten auf den Plan. Dazu kommt die Notwendigkeit, in der verschärften Konkurrenz der Standorte komplexe gesellschaftliche Wissens- und Machtressourcen zu mobilisieren, was durch legislative und bürokratische Verfahren nur beschränkt möglich ist, sondern "kooperative" Strategien erfordert. Dies ist der nicht immer ganz reflektierte Hintergrund der aktuellen Konjunktur von "Governance-" und "Netzwerk" -Theorien (vgl. u.v.a. Messner 1995).

Diese Entwicklung wird als tendenzieller Übergang des dominierenden Steuerungsmechanismus von "government" zu "governance" beschrieben (Scharpf 1996, Messner-Nuscheler 1996, Messner 1995, 1997, Kommission 1995). Allerdings bleibt das physischen Gewaltpotential des Staates entscheidende Basis seiner "Verhandlungsmacht". Die damit verbundene Veränderung des Verhältnisses von "Staat" und "Gesellschaft" reflektiert eine Transformation der Klassenbeziehungen auf nationaler wie internationaler Ebene, die durch die Herausbildung eines transnationalen Kapitals auf der einen, verstärkten gesellschaftlichen Heterogenisierungs- und Spaltungsprozessen auf der anderen Seite gekennzeichnet ist.

Die damit verbundene "Refeudalisierung ", d.h. der Bedeutungsverlust formalisierter, mit institutionellen Kontrollmechanismen versehenen Willensbildungs- und Entscheidungssysteme zugunsten entformalisierter "Verhandlungssysteme", die mittels demokratischer Institutionen und Mechanismen kaum mehr kontrollierbar sind, untergräbt wesentliche Grundlagen des liberaldemokratischen Systems (Maus 1991, vgl. auch Sassen 1996, 40ff.). Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle, sozusagen "realistische" Wende zu "wettbewerbsstaatlichen" oder "deliberativen" Demokratiekonzepten zu sehen, in denen Demokratie auf eher "zivilgesell-schaftliche" Aushandlungsprozesse zwischen allerdings höchst ungleichen Akteuren oder überhaupt auf einen Modus einer "partizipatorischen" Mobilisierung für die Standort-konkurrenz reduziert wird (vgl. Görg/Hirsch 326ff).

Drittens lässt sich schließlich eine zunehmende Internationalisierung politischer Regelungskomplexe und die Verdichtung eines entsprechenden Geflechts von Organisationen, Institutionen und "regimes" feststellen. Ursachen dafür sind einerseits die Tatsache, dass der globalisierte Akkumulationsprozess und seine Folgen - von zusammenbrechenden Staaten über die permanent gewordene Krise der Finanzmärkte bis hin zu den globalen Umweltgefährdungen - Regulierungsprobleme erzeugt, die die Grenzen und Kapazitäten einzelner Staaten überschreiten. Gleichzeitig versuchen Regierungen, dem Verlust ihrer Interventionsspielräume durch die Schaffung oder Stärkung internationaler Regulierungszusammenhänge zu begegnen, die sie aber in neue und vor allem für schwache Staaten bestimmende Kooperationszwänge einbindet (Hein 1998). Weiterhin ist Globalisierung mit einer verstärkten Regionalisierung und Versuchen zur Schaffung entsprechender Wirtschaftsblöcke verbunden und führt zu einem erhöhten Koordinationsbedarf zwischen der lokal-regionalen, der staatlichen und der makro-regionalen Ebene. Die neue internationale Machtstruktur, in der wenige starke Staaten im Form einer konfliktorischen Kooperation praktisch die Welt beherrschen, drückt sich in der gewachsenen Bedeutung vor allem der internationaler Organisationen aus, die die gemeinsamen Interessen der Metropolen organisieren und repräsentieren (also vor allem NATO, IWF, Weltbank, OECD und WTO), nimmt aber auch die Gestalt weniger fest institutionalisierter Kooperationszusammenhänge und Netzwerke an, in denen multinationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen eine unterschiedlich bedeutsame Rolle spielen. Die Entwicklung zum "verhandelnden Staat" vollzieht sich damit auch auf der internationalen Ebene. Die internationale Organisation, auf die sich die Hoffnungen auf Schaffung einer friedlichen "neuen Weltordnung" besonders gerichtet hatten, die Vereinten Nationen, verliert dagegen mit dem Auslaufen der "westfälischen Ordnung" und mit der unbeschränkten militärischen Vorherrschaft der USA immer mehr an politischer Bedeutung, jedenfalls soweit sie sich nicht im Interesse der Metropolen instrumentalisieren lässt.  

Aus der wachsenden Bedeutung internationaler und supranationaler Organisationen sowie vielfältiger, in unterschiedlichem Ausmaß institutionalisierter Kooperationsbeziehungen und "Regimes" (zur Regimetheorie vgl. Mayer/Rittberger/Zürn 1993) folgt indessen nicht, dass eine von den Einzelstaaten wirklich unabhängige internationale politische Ebene entstünde. Die internationalen Organisationen und Regimes beruhen auf dem Kooperationsinteresse zumindest der starken Staaten und bleiben in ihrer Wirksamkeit von diesen bestimmt und begrenzt. Die wachsende Bedeutung informellerer Netzwerke gegenüber den formalisierten, mit klaren Zugangs- und Entscheidungsregeln versehenen internationalen Organisationen reflektiert allerdings das zunehmende Gewicht staatlich-privater Verhandlungssysteme und damit verbunden das Machtungleichgewicht zwischen starken Staaten und multinationalen Unternehmen auf der einen, schwachen Staaten auf der anderen Seite. Gerade die Dominanz der starken Staaten erzeugt einen Kooperationszwang, dem sich nur die mächtigsten - im Zweifel allein die USA - entziehen können. Die Europäische Union stellt insofern einen Sonderfall dar, als sich dort am ehesten tatsächlich Elemente eines "supranationalen Staates" herausgebildet haben. Aber selbst hier bleiben die einzelnen Staaten - gestützt auf ihr bislang auf keine Weise zur Disposition gestelltes Gewaltmonopol - die entscheidenden Akteure. Die Internationalisierung der policy-regimes hebt demnach das einzelstaatliche System nicht auf, verändert aber sowohl die institutionellen Strukturen als auch die Bedingungen des staatlichen Handelns insofern nachhaltig, als Strukturen, Regelwerke und Regimes geschaffen werden, die - zumindest für schwächere Staaten - nicht ohne im Zweifel weitreichende Nachteile und Kosten missachtet werden können.

Das wachsende Gewicht internationaler Organisationen und Regimes bedeutet, dass staatsapparative Gebilde an Relevanz gewinnen, die sich auf eine Vielzahl nationaler Gesellschaften beziehen. Damit verändert sich das Verhältnis zwischen "Staat" und "Gesellschaft" im Sinne sich überschneidender Verbindungen und Fragmentierungen ganz entscheidend. Zugleich nimmt auch auf internationaler Ebene die Bedeutung "privater" Akteure zu, und zwar nicht nur der multinationalen Unternehmungen, sondern auch der sogenannten Nichtregierungsorganisationen. Deren Entwicklung ist nicht zuletzt als eine Reaktion auf eingeschränkte staatliche Politikspielräume, die Austrocknung liberaldemokratischer Institutionen mit der damit einhergehenden Krise der Repräsentativität sowie die wachsende Notwendigkeit zu betrachten, zwischen verschiedenen räumlichen politischen Ebenen - lokal/regionalen, nationalen und internationalen - zu vermitteln. Dabei kann bezweifelt werden, ob das System der Nichtregierungsorganisationen tatsächlich als "privat" und als Bestandteil einer unabhängigen "internationalen Zivilgesellschaft" oder viel eher als "erweiterter Staat" betrachtet werden muß (Hirsch 1999b). Die Nichtregierungsorgansiationen nehmen - etwa bei der Herstellung von Öffentlichkeit, der Interessenartikulation und  -vermittlung, dem politischen agenda setting und "monitoring" -  Funktionen wahr, die von den nationalstaatlichen politischen Institutionen, insbesondere von den Parlamenten nicht mehr oder nur noch unzulänglich erfüllt werden können. Insofern bilden sie ein entscheidendes Element der Internationalisierung des Staates und ihre Existenz als Bestandteile eines "erweiterten Staates" deutet darauf hin, dass das Verhältnis von "Staat" und "Gesellschaft" längst nicht mehr in den herkömmlichen Kategorien gefasst werden kann. Was "Staat" ist, nimmt immer stärker öffentlich-private Mischformen an.

4. Die "Internationalisierung" des Staates

Ein entscheidendes Merkmal der im Zuge der neoliberalen Globalisierungsoffensive durchgesetzten Umstrukturierung der Staaten und des Staatensystems liegt in einer Internationalisierung der Staatsapparate selbst, die sich mit einer räumlich-sozialen Diversifizierung staatlicher Ebenen und Funktionen verbindet. Diese Entwicklung weist mehrere Dimensionen auf:

Erstens folgt aus der neoliberalen Globalisierungsstrategie und den damit verbundenen Deregulierungs- und Privatisierungsprozessen eine verstärkte Abhängigkeit der einzelnen Staatsapparate von den internationalen Kapital- und Finanzmärkten, eine Entwicklung, die sich in der besonderen Struktur des auf eine Politik der Standortoptimierung ausgerichteten "nationalen Wettbewerbsstaats" ausdrückt (Hirsch, 1995,1998). Das heißt, Kapital- und Finanzmärkte und deren zentrale Akteure (vor allem die "starken" Staaten und die internationalen Unternehmen) bestimmen mittels der Wirksamkeit ökonomischer Mechanismen in einer quasi "entpolitisierten Weise" und relativ unabhängig von formalisierten politischen Institutionen und Entscheidungsprozessen wesentliche Inhalte einzelstaatlicher Politik. Der Grad dieser Abhängigkeit ist allerdings bei "starken" und "schwachen" Staaten erheblich verschieden. Institutionell drückt sich dies in Verschiebungen in der Konfiguration der Staatsapparate und in ihrem Verhältnis zueinander aus. Diese äußern sich nicht zuletzt im wachsenden Gewicht der Finanzministerien und der gegenüber demokratischen politischen Entscheidungsprozessen weitgehend "autonomisierten" Zentralbanken, die beide eine besonders enge Verbindung mit den Interessen des internationalen (Finanz-) Kapitals aufweisen und in gewisser Weise wenn nicht als Transmissionsriemen, so doch quasi als Vermittlungsinstanzen zwischen internationalen Kapitalbewegungen und einzelstaatlicher Politik fungieren. Diese Form der "Internationalisierung" der einzelnen Staatsapparate ist Ausdruck und Folge einer mit der neoliberalen Restrukturierung verbundenen Veränderungen der staatlich vermittelten Klassenbeziehungen in Gestalt einer relativen Schwächung der "massenintegrativen", breitere Bevölkerungsinteressen vermittelnden Instanzen innerhalb des staatsapparativen Systems (etwa Sozialministerien, Parteien, sozialpartnerschaftlich-korporative Strukturen, vgl. dazu vor allem Baker 1999 sowie Lukauskas 1999)).

Zweitens wächst mit der zunehmenden Notwendigkeit einer gewissen politischen Regulierung des globalen Akkumulationsprozesses und seiner Folgen nicht nur die Bedeutung internationaler Organisationen, sondern vor allem die der eher informellen "Regimes", Kooperationszusammenhänge und Netzwerke, in denen "private" Akteure wir multinationale Unternehmungen und Nichtregierungsorganisationen eine wesentliche Rolle spielen. Diese werden von den Staaten zwar organisiert und getragen, entwickeln aber eigene Zwänge und Dynamiken, die stark auf die Einzelstaaten zurückwirken (Hein 1998).

Drittens zeichnet sich eine zunehmende Relevanz der lokal-regionalen politischen Ebene ab, die in einigen Fällen zu quer zu den Staatsgrenzen liegenden und diese überschreitenden Regulationszusammenhängen führt.

Der "integrale" Staat als auf einen umgrenzten territorial-gesellschaftlichen Raum bezogener und mit zentralisierten Macht- und Entscheidungskompetenzen ausgestatteter Apparat scheint damit, obzwar keinesfalls in Auflösung begriffen, so doch erheblichen Neukonfigurations-, Desintegrations- und Fragmentierungstendenzen zu unterliegen. Gleichzeitig verschieben sich aber  als Folge des sich globalisierenden Akkumulationsprozesses mit seinen - nicht zuletzt ökologischen - Folgen wesentliche Interessenartikulations-, Entscheidungs- und Legitimationsprozesse auf die sub- und supranationale Ebene. Auf ihr Gewaltmonopol gestützt, sind die Staaten allerdings immer noch die entscheidenden Garanten der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und des sozialen Zusammenhalts. Sie sind nach wie vor Zentrum der Regulation von Klassenbeziehungen und ihnen obliegt immer noch im wesentlichen die Bereitstellung allgemeiner Produktionsbedingungen (Infrastruktur, Forschung, Technologie usw.) (Vgl. dazu Sassen 1996, Boyer/Hollingsworth 1997, Hirst/Thompson 1997)). Die Frage, inwieweit private Unternehmen zu Zukunft etwa im Bereich von Bildung, Infrastrukturentwicklung oder Sicherheit noch stärker auch solche Funktionen übernehmen könnten, bleibt hier ausgeklammert. Tendenzen zu einer derartigen Form der "Re-Feudalisierung" gibt es im Zuge der neoliberalen Privatisierungstendenzen durchaus, aber es ist kaum anzunehmen, dass die Staaten dadurch einfach ersetzt werden könnten. Die im Kern immer noch einzelstaatliche Regulation konflikthafter Sozial- und Klassenbeziehungen garantiert nicht zuletzt, dass der Weltmarkt ein Komplex nationaler "Standorte" mit höchst ungleichen Produktions- und Verwertungsbedingungen bleibt, was nach wie vor eine entscheidende Grundlage des globalen Akkumulations- und Verwertungsprozesses darstellt.

Das im Verhältnis zum historischen Typus des fordistischen Nationalstaats feststellbare Auseinanderfallen von staatlichen Ebenen und Funktionen hat allerdings deutliche Folgen für die politischen Prozesse. Neben der Tendenz zum "verhandelnden Staat" beinhaltet insbesondere die Bedeutungszunahme informellerer internationaler "Netzwerke" eine signifikante Aushöhlung der einzelstaatlichen demokratischen Systeme (Hirsch 1995, 1998). Nicht zuletzt erzeugt die Tatsache, dass relevante politische Diskussions-, Konsensbildungs- und Entscheidungsprozesse sich zunehmend sowohl auf die regionale wie auf die internationale Ebene verlagern und die wirtschafts- und sozialpolitischen Interventionskapazitäten der Staaten  im Zuge der Globalisierung eingeschränkt werden, ein strukturelles politisches Legitimationsdefizit. Mangels materieller Integrationsspielräume entwickelt sich eine generelle Krise der Repräsentation und damit verstärkt sich die Tendenz zu nationalistischen, rassistischen und "wohlfahrtschauvinistisch"-populistischen Legitimationsdiskursen ebenso wie zu repressiven staatlichen Eingriffen sowohl auf innergesellschaftlicher als auch auf internationaler Ebene. Der "nationale Wettbewerbsstaat" ist deshalb zugleich ein sich systematisch gewaltförmig armierender "Sicherheitsstaat" (Hirsch 1998). Zu betonen bleibt allerdings, dass die Einzelstaaten nicht passives Objekt, sondern zugleich strategische Akteure dieser Entwicklung sind. Insofern und wegen ihrer letztinstanzlichen Verfügungsgewalt über die militärischen Gewaltpotentiale bleiben sie die wesentlichen Angelpunkte der internationalen politischen Apparatur.

Die Internationalisierung des Staates ist Grundlage und Ausdruck einer grundsätzlichen Neuformierung der Klassenbeziehungen im globalen Maßstab. Nach wie vor ist das System der Einzelstaaten Grundlage der Spaltung der ausgebeuteten und unterdrückten Klassen und Schichten innerhalb und entlang nationalstaatlicher Grenzen. Die mit der Globalisierung erzeugte internationale Flexibilität und Beweglichkeit des Kapitals lässt in Verbindung mit der bleibenden staatsräumlichen Fixierung der Arbeitskräfte diesen Fragmentierungs- und Spaltungseffekt immer deutlicher hervortreten. Aber auch das Verhältnis von "Staat" und "Kapital" formiert sich unter den Bedingungen von Globalisierung und Internationalisierung neu. Falsch ist jedoch die Annahme, das Kapital werde im Zuge dieser Entwicklung "staatenlos" oder zumindest weitgehend staatsunabhängig. Das internationale Kapital hat sich im Zuge der neoliberalen Globalisierungs- und Deregulierungsoffensive in der Tat stark von den nationalstaatlich regulierten Akkumulationszusammenhängen abgekoppelt und die staatlichen Regulationskapazitäten damit entscheidend geschwächt. Multinationale Unternehmen sind mehr denn je in der Lage, sich flexibel - unter Durchsetzung und Ausnutzung relativer "Standortunterschiede" - auf das Staatensystem insgesamt zu beziehen. Gleichwohl bleiben sie zur Durchsetzung ihrer Interessen, in gewisser Weise auch aus Gründen politischer Legitimität, auf die staatlichen Gewalt- und Organisationspotentiale angewiesen.

Nach wie vor sind die Staaten wesentliche Vermittler bei der Formulierung einer über die konkurrierenden Einzelinteressen hinausreichenden "Politik des Kapitals" und zugleich Stützpunkte spezifischer Kapitalgruppen auf Weltmarktebene. Diese Fragmentierung wird indessen wiederum dadurch überlagert, dass das multinationale Kapital sich zugleich immer stärker auf internationale Organisationen wie IWF, Weltbank oder WTO stützt, deren Politik allerdings gleichzeitig immer noch wesentlich von den im einzelstaatlichen Rahmen gebündelten Interessen bestimmt wird. Die internationalen Unternehmungen treten  - weil nicht mehr so stark an nationalstaatlich organisierte Märkte, Reproduktionszusammenhänge und soziale Kompromisse gebunden - den Staaten insgesamt unabhängiger gegenüber und können sie dabei auch verstärkt gegeneinander ausspielen. Die Internationalisierung des Produktions- und Zirkulationsprozesses hat die Begriffe "nationales Kapital" oder "nationale Bourgeoisie" fragwürdig werden lassen (vgl. Poulantzas 1978, Jessop 1997b). Das Verhältnis zwischen Staaten und (internationalem) Kapital hat eine neue Gestalt angenommen, ohne dass dadurch die Verflechtung zwischen Kapital und staatsapparativem System insgesamt geringer geworden wäre. Internationale Unternehmen bleiben auf die Staaten als Garanten für die Bereitstellung nicht marktförmig herstellbarer Produktionsbedingungen, der sozialen Ordnung und der notfalls mit Waffengewalt durchzusetzender Sicherung ihrer Interessen angewiesen. Es ist daher kein Zufall, dass die relevanten Konzerne ihren Sitz oder ihr operatives Zentrum fast ausschließlich in den starken Staaten des Weltsystems haben (Sassen 1996, 1ff.). Sie sind dadurch in der Lage, sowohl von deren militärischen Gewaltpotentialen als auch von deren spezifischen gesellschaftlichen Strukturen, z.B. einem geeigneten Umfeld für avancierte Technologieentwicklungen nicht zuletzt im Rahmen der dominierenden militärisch-industriellen Komplexe zu profitieren. Dies kann  bis an die Grenze einer Instrumentalisierung der Staaten für ihre Interessen reichen, bleibt aber im Grundsatz ein widersprüchliches Kooperations/Konflikt-Verhältnis.

Nach wie vor reproduzieren sich also die kapitalistischen Konkurrenzverhältnisse nicht nur im Rahmen der einzelnen Staatsapparate, sondern auch auf der Ebene der Beziehungen der Staaten untereinander und mittels der komplexen Verbindungen zwischen multinationalem Kapital, Staaten und internationalen Organisationen. Dies wird beispielsweise deutlich an den Versuchen von Unternehmungen aus der kapitalistischen Triade, in den USA als dominierender Supermacht Fuß zu fassen (wie etwa im Fall der Daimler/Chrysler oder der Deutsche Bank/Bankers Trust-Fusion). Die "OECD-Welt" ist, was die Politikwissenschaft systematisch vergisst, eben sehr wesentlich auch die Welt der "Multis". Ein herausragendes Beispiel für den Konkurrenzzusammenhang zwischen Staaten und multinationalen Unternehmungen ist das - vorläufig gescheiterte - "multinationale Investitionsabkommen" (MAI). Dieses ist vor allem als Versuch des metropolitanen Staatenblocks zu sehen, die Interessen des multinationalen Kapitals insbesondere gegenüber Staaten der Peripherie durchzusetzen. Vorläufig gescheitert ist das Abkommen indessen nicht nur an der Mobilisierung einer weltweiten kritischen Öffentlichkeit, sondern auch an den divergierenden Interessen der Metropolen und - wie man annehmen kann - der von ihnen jeweils bevorzugt repräsentierten Unternehmen. Ähnliche Gründe sind auch für das Scheitern der WTO-Konferenz in Seattle im Herbst 1999 maßgebend, zu dem nicht nur die Interessengegensätze zwischen metropolitanen und peripheren Staaten, sondern vor allem auch zwischen den von der US-amerikanischen Regierung und der EU vertretenen Unternehmensinteressen, z.B. auf dem Feld der Gentechnologie entscheidend beigetragen haben. Auch die multinationalen Unternehmen bilden keinen einheitlichen Block, sondern stehen in einem Konkurrenzverhältnis, das sich innerhalb des Staatensystems und der internationalen Organisationen reproduziert. Insgesamt führt das mehrfach widersprüchliche Verhältnis zwischen Kapital und Staat jedoch dazu, dass die kapitalistische Klassenformation weiter an Kohärenz verliert und es ist anzunehmen, dass sich dadurch auch der Konflikt zwischen dem multinationalen und dem immer noch auf regionaler oder nationaler Ebene operierenden Kapital zumindest latent verstärkt.

Von wesentlicher Bedeutung für die Klassenstruktur und für die mittels des staatsapparativen Systems hergestellten Klassenbeziehungen ist schließlich, dass sich im Zuge der Internationalisierung von Politik und Ökonomie eine internationale Managerschicht herausgebildet hat, bestehend aus den Leitungen multinationaler Unternehmen, den Funktionären von Regierungen, internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, von Medienpersonen und WissenschaftlerInnen. Diese ist zwar durchaus noch nationalstaatlich fraktioniert, erhält aber zugleich ein eigenständiges Gewicht und bildet zumindest lockere institutionelle Strukturen, z.B. in Form von globalen Konferenzen und Treffen wie z.B. beim Davoser "World Economic Forum" aus. Dadurch entstehen Ansätze zur Formulierung übergreifender gesellschaftlich-politischer Konzeptionen und zur Entwicklung hegemonialer Strategien auf globaler Ebene (Demirovic 1997, Slater 1997, vgl. auch Van der Pijl 1997). Wenn von einer internationalen Zivilgesellschaft gesprochen wird, so bezieht sich dies nicht zuletzt auf diesen Komplex. Tatsächlich beginnen sich im Zuge der Internationalisierung der Produktion, der Zunahme globaler Probleme und Gefährdungen, der Migrations- und Fluchtbewegungen, der wachsenden internationalen Abhängigkeiten sowie durch die Verbesserung der Transport- und  Kommunikationstechniken die Konturen einer Art "Weltzivilgesellschaft" herauszubilden. Diese ist jedoch nicht nur nationalstaatlich fragmentiert und machtförmig hierarchisiert, sondern regional, sektural und funktional höchst zersplittert. De facto ist auch die "internationale Zivilgesellschaft" ein widersprüchliches Konglomerat unterschiedlicher, divergierender und untereinander nur wenig verbundener Kommunikationszusammenhänge und Öffentlichkeiten.

Auch von der internationalen Ebene her hat das Auseinanderfallen von einzelstaatlichem Gewaltmonopol und politischen Entscheidungs- und Legitimationsprozessen wesentliche Auswirkungen für die liberale Demokratie. Da diese in ihrem institutionell garantierten Kern auf den nationalstaatlichen Raum beschränkt bleibt, führt der Internationalisierungsprozess des Staaten zu einer grundlegenden Krise der Repräsentation und Legitimation. Das verstärkte Auftreten von Nichtregierungsorganisationen kann als Folge dieser Krise gesehen werden, bleibt aber in Ermangelung formell kontrollierbarer Entscheidungsstrukturen und Verantwortlichkeiten bestenfalls eine "Kompensationsform für Demokratie" (Görg/Hirsch 1998, 331ff.). Die demokratischen Systeme der starken metropolitanen Staaten tendieren bei wachsenden internationalen Ungleichheiten und den damit verbunden Migrationsbewegungen dazu, sich zu einer Art Interessengemeinschaften relativ Privilegierter zurückzubilden, deren politisches Primat darin besteht, die eigene Wohlstandsfestung durch Abschottung zu erhalten sowie politische Sicherheit und ökonomische Prosperität durch militärisch-polizeiliche Interventionen in der abhängigen Peripherie zu garantieren.

5. Einige staatstheoretische Schlussfolgerungen

Gerade angesichts der aktuellen Globalisierungs- und Internationalisierungsdiskussion und der darin vertretenen Thesen scheint es notwendig, auf die - trotz aller Transformationsprozesse - bleibende Bedeutung des einzelstaatlichen Systems als Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses hinzuweisen (Esser 1999, 131ff.). Dies gilt nicht nur in dem Sinne, dass die Staaten als spezifische politische Organisationsform erhalten bleiben. Vielmehr bleibt festzuhalten, dass sie - als nach wie vor entscheidende Vermittler sozialer Beziehungen und Klassenverhältnisse und als Träger der militärischen Gewaltpotentiale - wesentliche Akteure der ökonomischen Entwicklung sind. Sie als eine Art passiver Erfüllungsgehilfen kapitalistischer Krisenlösungs- und Restrukturierungsstrategien oder als bloße Transmissionsriemen verselbständigter ökonomischer Prozesse aufzufassen,  trägt die Gefahr in sich, den Kapitalismus als Macht- und Herrschafts- und (militärischen) Gewaltzusammenhang auszublenden und damit gerade der neoliberalen Ideologie auf den Leim zu gehen (vgl. zur diesbezüglichen Kritik an der "neogramscianischen" Variante der Theorie internationaler Beziehungen (Baker 1999). Staaten als komplexe Herrschaftsorganisationen und Gewaltapparate reproduzieren das Kapitalverhältnis nicht nur, sondern prägen es in seinen historischen Formen - bedingt durch die von ihnen vermittelten Klassenbeziehungen, sozialen Kräfteverhältnisse und hegemonialen Projekte - ganz entscheidend.

Es bleibt nun die Frage, wie die skizzierte Internationalisierung des Staates im Lichte der eingangs skizzierten staatstheoretischen Überlegungen beurteilt werden muss und welche theoretischen und politischen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Zentral geht es darum, inwieweit davon die grundlegende soziale Formbestimmung des Politischen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft  berührt wird. Dies ist zweifellos der Fall, zumindest in der Weise, dass ihr grundlegendes Element, nämlich die "Besonderung" des Staates als von der Gesellschaft und den gesellschaftlichen Klassen getrennte und zentralisierte Gewaltinstanz erheblich modifiziert und in gewisser Hinsicht prekär wird. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Charakter und die Reproduktionsfähigkeit des kapitalistischen Produktionsverhältnisses insgesamt. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei diesem Prozess nicht nur um ein aus der Krise der fordistischen Formation resultierendes Übergangsphänomen handelt, nach dem sich irgendwann der traditionelle Typus von Staat und Staatensystem wiederherstellt, sondern dass es um eine dauerhafte Strukturveränderung des staatlich-politischen Systems geht. Angemerkt werden sollte auch, dass die Entwicklung mit Sicherheit nicht zu einer wie auch immer gearteten Form des Weltstaates führen wird. Die Pluralität des Staatensystems ist ein Bestandteil des kapitalistischen Produktionsverhältnisses und wird bestehen bleiben, solange dieses existiert (vgl. Hirsch 1995, 31ff.). Es geht also in der Tat nicht um ein Verschwinden des Nationalstaates, sondern um seine Transformation im Zuge seiner Internationalisierung . Diese Veränderungen sind allerdings einigermaßen folgenreich.

Erstens beschränkt die Fragmentierung des Staates die Möglichkeiten einer relativ kohärenten Organisation von Klassenbeziehungen und einer auf die gesellschaftliche Gesamtreproduktion bezogenen (Klassen-) Politik. Dies bezieht sich sowohl auf die Differenzen zwischen unterschiedlichen - in eher nationalem oder regionalem Maßstab oder global operierenden - Kapitalen als auch auf die Spaltung der Abhängigen und Ausgebeuteten innerhalb und entlang nationalstaatlicher Grenzen. Da das multinationale Kapital in der Lage ist, sich relativ flexibel auf verschiedene Staaten und auf das System der internationalen Organisationen zu beziehen, wird sein Interesse an der gesellschaftlich-politischen Stabilität nationalstaatlicher Reproduktionszusammenhänge und den sie absichernden sozialen Kompromissen geringer. Die relevanten internationalen Organisationen unterliegen im wesentlichen dem Einfluss der dominierenden multinationalen Unternehmungen und der kapitalistischen Metropolenstaaten und von ihnen geht zugleich ein zunehmender Druck auf die einzelnen Staaten, insbesondere auf die der Peripherie im Sinne neoliberaler Strukturanpassungspolitiken mit ihren gesellschaftlich desintegrativen Folgen aus.

Die Bewältigung der Folgen dieser Politik bleibt allerdings völlig den einzelnen Staaten überlassen, denen zugleich wesentliche materielle Integrationsressourcen abhanden kommen. Aufgrund dessen nimmt die ideologische und repressive Form der Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte zu, wovon die allerorts zügige Ausweitung der sicherheits-staatlichen Apparaturen und nicht zuletzt die voranschreitende wohlfahrtschauvinistisch-rassistische Formierung der Gesellschaften Zeugnis ablegt. Eine Folge davon sind weitergehende innergesellschaftliche Fraktionierungen und damit wachsende Schwierigkeiten bei der Herstellung politisch-sozialer Kompromissgleichgewichte. Dadurch weist das neoliberale Muster der politischen Integration durch Spaltung und Marginalisierung selbst in den kapitalistischen Metropolen erhebliche Instabilitäten auf. Zugleich fehlt auf der internationalen Ebene in Abwesenheit eines Weltstaats die Instanz, die solche integrative Funktionen übernehmen könnte. Die Folge davon ist, dass die institutionellen Voraussetzungen für eine Organisation von Klassenbeziehungen auf der Basis materiell abgestützter sozialer Kompromissgleichgewichte unterminiert werden und in verschiedenen Formen der Kampf der Gruppen, Klassen, "Wertegemeinschaften", "Ethnien" und "Nationen" gegeneinander an Schärfe gewinnt. Während also auf der einen Seite sich die integrativen Beziehungen zwischen den Staaten und den abhängigen Gruppen und Klassen abschwächen und zersplittern, erscheinen die Staaten - nicht zuletzt vermittelt durch die internationalen Organisationen und Kooperationszusammenhänge - selbst immer stärker als abhängig von den dominierenden multinationalen Unternehmen. Es ist diesen gesellschaftlichen Fraktionierungen geschuldet, dass demokratische Verfahren immer stärker zum Mittel der Legitimation und Durchsetzung von ökonomisch-politischen Privatinteressen im Rahmen der "Weltgesellschaft" werden.

Zweitens führt die Internationalisierung des Staates zu einer Tendenz, die man als spezifische Form seiner Privatisierung beschreiben könnte. Freimut Duve, der Medienbeauftragte der OSZE, hat kürzlich sein Verständnis für die (Des-) Informationspolitik der NATO-Staaten während des Kosovo-Krieges mit dem Hinweis begründet, "die Allianz habe wie eine Firma operieren müssen, die am Erfolg gemessen werde" (Frankfurter Rundschau v. 1.7.1999). Diese Äusserung ist erhellend. Tatsächlich erscheint der "nationale Wettbewerbsstaat", der sich qua innerer "Internationalisierung" von relevanten gesellschaftlichen Interessen entkoppelt und als "verhandelnder Staat" zugleich vom internationalen Kapital abhängiger wird, immer mehr als Bestandteil eines quasi-neofeudalen Politikkomplexes. Je mehr Demokratie auf der Basis populistischer und wohlfahrtschauvinistischer Legitimationsstrategien zur partikularen Interessenvertretung im Kampf um relative Privilegien wird, desto mehr entwickelt er sich im Rahmen der "Weltgesellschaft" zu einer Art Bürgerkriegspartei. Gleichzeitig äußert sich die neoliberale Restrukturierungspolitik mit der Schaffung "schlanker" Staaten in einer fortschreitenden Ausbreitung privater und parastaatlicher Sicherheitsapparaturen, die wiederum besonders in einigen peripheren Ländern das staatliche Gewaltmonopol offen zur Disposition stellt (Lock 1998). Ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Globalisierung stellt nicht zuletzt die Ausbreitung privater, von internationalen Unternehmen geschaffener und kontrollierter Rechtssysteme und Gerichtsbarkeiten dar (vgl. Sassen 1996, 1ff.)

Drittens führt dies zu einer einigermaßen grundlegenden Veränderung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft. Die Ausbreitung von politischen governance- und Netzwerkstrukturen im Zuge der Entwicklung zum "verhandelnden Staat" auf einzelstaatlicher wie internationaler Ebene läßt die Grenzlinien zwischen beiden Sphären verschwimmen. Nicht zuletzt auf der internationalen Ebene bilden Staaten, internationale Organisationen, multinationale Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen unterschiedlichster Gestalt ein durch komplexe Konflikt- und Kooperationsbeziehungen charakterisiertes Geflecht. Innergesellschaftliche Spaltungen und die wettbewerbsstaatliche Transformation der Staaten untergraben die von Gramsci noch als relativ kohärenten "historischen Block" gekennzeichneten - wenn auch widersprüchlichen - Zusammenhang von "Staat" und "Zivilgesellschaft". Während letztere zunehmend fraktioniert und in ihren politischen Prozessen von einer sich immer stärker internationalisierenden Medienindustrie geformt wird, büßt ersterer wichtige Kapazitäten zur materiellen Integration der Gesellschaft ein. Damit wird die Herausbildung einer politischen Hegemonie, d.h. die Entwicklung einer relevante gesellschaftliche Sektoren umgreifenden und generalisierten Konzeption von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft schwieriger. Die allseits beklagte Programm- und Konzeptionslosigkeit der politischen Parteien, die sich bestenfalls als die jeweils besseren Sachwalter der bestehenden Verhältnisse zu profilieren vermögen, verweist auf diesen Zusammenhang. Von einer "internationalen Zivilgesellschaft" in einem theoretisch strikteren Sinn kann schon deshalb nicht gesprochen werden, weil diese einerseits außerordentlich fragmentiert ist und ihr auf der anderen Seite eben kein kohärenter, zentralisierter und mit umfassenden Macht- und Interventionsmitteln ausgestatteter Staat gegenübersteht, in dem und durch den sich politische Projekte und hegemoniale Strukturen verdichten und praktisch realisieren könnten. Als unstrukturiertes Gemenge divergierender staatlicher Apparate, privater Unternehmungen und Nichtregierungsorganisationen, das eher den Charakter einer "strukturierten Anarchie" oder eines quasi-feudalen Zustands aufweist, ermangelt es der "Weltgesellschaft" aller Voraussetzungen für die Formulierung kohärenter und demokratisch legitimierter Politiken. Die Folge ist zunächst ein spürbarer neoliberaler Hegemonieverlust, der sich beispielsweise in den Wahlsiegen europäischer sozialdemokratischer Parteien ausgedrückt hat. Diese Entwicklung dürfte allerdings einigermaßen folgenlos bleiben, solange die gesamte Architektur des internationalen politischen Systems und der Charakter der Staaten nicht grundlegend verändert wird.

Die auf Gramsci zurückgehende Bestimmung des Verhältnisses von Staat und ziviler Gesellschaft mag damit zwar als analytische Kategorie brauchbar bleiben, verliert aber ihre Bedeutung als Beschreibung der existierenden gesellschaftlich-politischen Verhältnisse. Staat und Zivilgesellschaft in dem von ihm konzipierten Sinne scheinen tendenziell zu erodieren, auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Viertens besteht zwar das einzelstaatliche Gewaltmonopol grundsätzlich weiter, bleibt aber zugleich in bezug auf die "Weltgesellschaft" vielfältig fragmentiert. Infolge der Internationalisierung der staatlichen Apparatur und des damit verbundenen Auseinanderfallens von Willensbildungs-, Konsensfindungs-, Entscheidungs- und Legitimationsprozessen büßt es tendenziell seine Bedeutung als gesellschaftsintegratives Moment ein und verliert nicht zuletzt dadurch auch an Legitimation. Staatliche Gewalt wendet sich zunehmend gegen ganze Gruppen der innerhalb der nationalen Grenzen lebenden Menschen (gegen "Ausländer", "Fremde" und MigrantInnen). Und sie richtet sich  in Form polizeilich-militärischer Interventionen  gegen als instabil oder für die bestehende "Weltordnung" - konkret: die Interessen der dominierenden Staaten und des multinationalen Kapitals - als gefährlich eingeschätzten Regionen, Staaten oder sozialen Bewegungen. Gerade auf internationaler Ebene sorgt der Hobbes`sche Leviathan für alles andere als gesellschaftlichen Frieden. Das internationale System weist - ungeachtet des beschönigenden Geredes von der "Staatengemeinschaft" - keineswegs die Züge einer stabilen und friedlichen Weltordnung auf. Je umfassender sich im Zuge der Globalisierung das kapitalistische Waren- und Tauschverhältnis sich weltweit durchsetzt, desto unvermittelter treten zugleich auch wieder die physischen Gewaltverhältnisse hervor (Böge 1999). Das Zurücktreten unmittelbarer Gewalt im Zuge der Durchsetzung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses wird im Prozess der kapitalistischen Globalisierung tendenziell wieder zurückgenommen.

Staaten sind Herrschaftsorganisationen, die gesellschaftliche Ungleichheits- und Abhängigkeitsverhältnisse organisieren und befestigen. Insofern kann die Relativierung ihrer Position durchaus Anlass zu optimistischen Spekulationen über das Heraufziehen einer friedlichen Weltgesellschaft geben, wie sie nicht nur im politischen Feuilleton, sondern auch in wissenschaftlichen Debatten derzeit en vogue sind (Vgl. z.B. Zürn 1998 und etwas weniger optimistisch Kohler-Koch 1993). Diese Überlegungen sind in der Regel allerdings durch eine erhebliche gesellschafts- und staatstheoretische Uninformiertheit gekennzeichnet. Tatsächlich ist es eher so, dass die politisch-soziale Fragmentierung auf nationaler wie internationaler Ebene und die Erosion der liberalen Demokratie die Herausbildung einer friedlichen und demokratischen "Weltzivilgesellschaft" eher unwahrscheinlich machen. Wenn im Zuge der Internationalisierung des Staates die für den Kapitalismus grundlegende Formbestimmung des Politischen zur Disposition gestellt wird, gibt es noch weniger Anlass, auf eine "Zivilisierung" des Kapitalismus zu hoffen, als dies in der Ära des Fordismus den Anschein haben mochte. Diese Entwicklung tangiert vielmehr die Bestands- und Reproduktionsbedingungen dieser Formation zumindest auf längere Sicht und trägt das Zeichen einer strukturellen politisch-sozialen Krise.

6. Die Zukunft der liberalen Demokratie

Sowohl historisch-genetisch als auch von ihren grundlegenden Funktionsbedingungen her ist die liberale Demokratie - wenn auch auf höchst widersprüchliche Weise - eng mit dem kapitalistischen Nationalstaat verbunden, schuf dessen Entstehung doch erst räumlich einigermaßen klar abgegrenzte Gesellschaften, einen relativ geschlossenen ökonomischen Reproduktionszusammenhang, ein politisch definiertes, der Zentralgewalt unterworfenes Volk und eine handlungsfähige und damit im Prinzip auch verantwortliche und kontrollierbare Regierung (vgl. Hirsch 1995). Deshalb herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Internationalisierung des Staates im aktuellen Globalisierungsprozess einige ihrer entscheidenden Fundamente untergräbt (vgl. Hirsch 1995, 1998, Görg/Hirsch 1998 Zürn 1998, Narr-Schubert 1994, Archibugi/Held 1995, Held 1991,1995, Sassen 1996). Dies wiederum hat Auswirkungen für die Organisation von Sozial- und Klassenbeziehungen und damit auf die Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion überhaupt. Eine entscheidende Folge des Globalisierungs- und Internationalisierungsprozesses ist die gewachsene Abhängigkeit der einzelstaatlichen Regierungen von der Dynamik des globalen Akkumulationsprozesses und den Strategien des internationalen Kapitals. Unter dem Primat der "Standortkonkurrenz" bleiben demokratische Institutionen zwar formell erhalten, drohen aber zunehmend leer zu laufen. Verbunden mit spezifischen institutionellen Rekonfigurationen, nicht zuletzt die fast überall durchgesetzte Unabhängigkeit der Finanzadministrationen und Zentralbanken vom (demokratischen) politischen Entscheidungsprozeß, entsteht dadurch eine neue Form der Entkoppelung von Staat und Gesellschaft und eine autoritäre Verselbständigung der Staatsapparate. Eine wesentliche Folge davon ist, dass staatlich vermittelten, sozialpartnerschaftlich-korporativen Klassenkompromissen der Boden entzogen wird. Die neoliberale Organisation von Klassenbeziehungen beruht im Unterschied zur fordistischen Form der umfassenden Institutionalisierung (und damit auch politischer Befriedung) des kapitalistischen Klassengegensatzes wesentlich auf Fragmentierung, Spaltung und Mobilisierung verallgemeinerter - regelmäßig rassistisch, nationalistisch und wohlstandschauvinistisch eingefärbter - Konkurrenzen zwischen Individuen und Gruppen. Zugleich verlagern sich politische Interessenartikulations- und Entscheidungsprozesse auf demokratisch praktisch kaum kontrollierbare internationale Organisationen und Verhandlungssysteme. Je folgenloser im einzelstaatlichen Rahmen institutionalisierte demokratische Prozesse für die tatsächlich getroffenen politischen Entscheidungen sind, desto mehr reduziert sich die liberale Demokratie endgültig auf eine bloße Herrschaftsorganisation und verliert ihre wie auch immer beschränkten Potentiale von Freiheit und Selbstbestimmung. Wenn aber der demokratische Prozess auf diese Weise materiell leer läuft, dann verlieren die politischen Systeme nicht nur ihre Fähigkeit zur gesellschaftlichen Integration, sondern auch für die Verarbeitung konfligierender Interessen. Sie werden gegenüber neuen gesellschaftlichen Problemen, Interessen und Kräftekonstellationen reaktionsunfähiger, d.h. sie büßen die gesellschaftliche Lernfähigkeit ein, die die besondere Funktionalität demokratischer Strukturen für die Regulation kapitalistischer Gesellschaften ausgemacht hat. Tendenziell wirken demokratische Verfahren und Institutionen nicht mehr integrierend, sondern politisch-sozial eher desintegrierend. Staat als Herrschaftsapparat und Demokratie, verstanden als gesellschaftliche Selbstbestimmung, entkoppeln sich weiter.

Diese Entwicklung nimmt indessen in den metropolitanen Zentren und in der Peripherie unterschiedliche Formen an: In der Peripherie , wo im Zuge der neoliberalen Restrukturierung und mit dem Ende des Ost-West-Konflikts verstärkt formell demokratische Regime eingesetzt wurden, handelt es sich in wesentlichem Grade um eine "Demokratisierung der Machtlosigkeit" (Hippler 1994), d.h. die formell demokratischen Strukturen, soweit sie überhaupt substanziell einigermaßen ausgebildet sind, bleiben gegenüber den faktisch autoritären, vom internationalen Kapital, internationalen Organisationen und starken Staaten abhängigen Regierungen weitgehend wirkungslos. In den metropolitanen Zentren hingegen gewinnt Demokratie immer stärker den Charakter einer politisch, ökonomisch und sozial ausschließenden Selbstorganisation der Privilegierten, die auch Teile der Arbeiterklasse einschließt, zur politischen Formierung einer im globalen wie im nationalen Rahmen geschlossenen und sich abschottenden Minderheit. Nicht zuletzt die Tatsache, dass in vielen Staaten im Zuge der anhaltenden Migrations- und Fluchtbewegungen nur ein Teil der dort lebenden Bevölkerung überhaupt wahlberechtigt ist, verweist auf diesen Zusammenhang. Verbunden mit der Wahlabstinenz derer, die durch den demokratischen politischen Prozess materiell kaum noch etwas zu gewinnen haben, entwickeln sich die die Welt beherrschenden westlichen Demokratien zur Angelegenheit der "Besserverdienenden" und zur politischen Form einer sich abschließenden und militant verteidigenden sozialen Festung. Demokratie wird tendenziell zu einer Organisationsform sozialer Apartheid. Dieses regressive Moment entkleidet sie ihres historisch zumindest tendenziell vorhandenen universalistischen, offenen und weitertreibenden Charakters.

Dem entspricht das sich auf ideologischer Ebene abzeichnende hegemoniale Projekt der "OECD-Welt". Es beruht wesentlich auf Wohlstandschauvinismus, Rassismus, der behaupteten Überlegenheit der westlichen Zivilisation im "Krieg der Kulturen" (Huntington) und legitimiert sich durch den andauernden Kampf gegen "organisierte (Ausländer-) Kriminalität", "Terrorismus" und "antiwestliche" Regimes". Geführt wird er mittels "humanitärer" Militär- und polizeilicher Kriseninterventionen sowie der höchst selektiven Organisierung von Not- und Katastrophenhilfen für die Teile der Welt, die Opfer des Globalisierungsprozesses oder Leidtragende innerimperialistischer Konflikte sind. Die "Menschenrechte", im Namen derer er geführt wird, verkümmern zum Inbegriff der metropolenkapitalistischen Lebensweise und ihrer ökonomisch-politischen Grundlagen. Kennzeichnend für dieses hegemoniale Projekt ist ein regressiver und partikularistischer Universalismus, der "westliche Werte" und das US-amerikanische Muster von "freedom and democray", d.h. die unbedingte Verteidigung sowohl kapitalistischer Eigentums- und Marktprinzipien als auch der Vorherrschaft der starken Staaten zur allgemeingültigen Norm erhebt. Insofern sind die Hoffnungen auf die demokratisierende Wirkung  internationaler "Menschenrechtsregime" (Sassen 1996, 83ff.) mit erheblicher Skepsis zu beurteilen.

Der kapitalistischen Marktvergesellschaftung wohnt insgesamt die Tendenz inne, ihre eigenen sozialen und natürlichen Grundlagen zu zerstören. Dieser Entwicklung wurde historisch durch die politische Herausbildung von Gegenkräften - sozialen Bewegungen wie die Arbeiterbewegung und Arbeiterparteien - im Rahmen der Nationalstaaten und der innerhalb dieser mehr oder weniger stark durchgesetzten demokratischen Verhältnisse entgegengewirkt (vgl. Polaniy 1990). Wenn im Zuge der Internationalisierung des Staates nun diese spezifische kapitalistische politischen Form untergraben wird, gehen wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung derartiger Kräftekonstellationen verloren. Anzunehmende Folge ist eine umfassende und auf Dauer gestellte gesellschaftliche Krise globaler Dimension, die als ein komplexer Zusammenhang sich gegenseitig bedingender ökonomischer und politischer Prozesse zu verstehen ist. Zweifelsohne benötigt der globalisierte Kapitalismus neue Formen einer internationalen politischen Regulierung. Auf der Grundlage des bestehenden und sich in der beschriebenen Form internationalisierenden Staatensystems ist aber kaum zu erwarten, dass diese mehr beinhalten kann als notdürftige Krisenreaktionen, die nicht an die Grundlagen einer aus den Fugen geratenen Weltordnung rühren. Vor allem ermangelt sie strukturell einer demokratischen Grundlage und damit auch an der Möglichkeit, den destruktiven Folgen entfesselter Marktkräfte entgegenzuwirken.

Da es bekanntermaßen wenig Sinn macht, auf kapitalistische Krisen und Zusammenbrüche als Auslöser emanzipativer Prozesse zu hoffen, bleibt die Frage, wie dieser Entwicklung politisch entgegengewirkt werden könnte. Eine einfache Wiederherstellung des überkommenen nationalstaatlichen Systems mit seinen inhärenten Unterdrückungs-, Spaltungs- und Ausgrenzungsmechanismen wäre, selbst wenn sie angesichts radikal veränderter Klassenstrukturen - nicht zuletzt der Dominanz des internationalen Kapitals - möglich wäre, keine vielversprechende Lösung. In diesem Zusammenhang ist das weltweite Erstarken von Demokratie- und Menschenrechtsbewegungen und das Wiederaufleben der "demokratischen Frage" in der politischen Debatte bedeutsam. Freilich ist diese Entwicklung außerordentlich widersprüchlich: auf der einen Seite drückt sich in ihr das hegemoniale Projekt der "neuen" OECD- Weltordnung aus, auf der anderen Seite ist sie eine protestförmige Reaktion auf die materielle Aushöhlung der liberalen Demokratie und die mit der Globalisierung verbundenen sozialen Fragmentierungs- und Degradierungsprozesse. "Menschenrechte" haben historisch und gesellschaftlich eine durchaus unterschiedliche Bedeutung. Immerhin trat bereits Napoleon die Eroberung Ägyptens "mit dem Schwert in der einen, den Menschenrechten in der anderen Hand" an. Mit anderen Worten handelt es sich bei den aktuellen Diskussionen und Konflikten ganz wesentlich auch um eine Auseinandersetzung um den Inhalt und der praktischen Realisierung des Demokratiebegriffs nach dem Auslaufen des liberalen Demokratiemodells im Zuge der Globalisierung und der Internationalisierung der Staaten. Auch hier ist die Differenz zwischen den kapitalistischen Zentren und der Peripherie bedeutungsvoll, wie sich nicht zuletzt bei den Diskussionen um den Begriff der Zivilgesellschaft zeigt. Dient die Zivilgesellschaftsdiskussion in den Zentren im wesentlichen der Legitimation der politischen Strukturen des sich "demokratisch" als Wohlstandsfestung abschottenden "nationalen Wettbewerbsstaats" und als Propagandaformel neoliberaler "freedom and democracy", so reflektiert sie in der Peripherie eher den Kampf um eine vom autoritären Herrschaftsapparat unabhängige und sich selbst bestimmende demokratische Gesellschaft (so etwa die in der Folge des zapatistischen Aufstands in Mexico entstandene Diskussion, vgl. Brand/Cecena 1999). Sicher ist, dass eben dieser Kampf um den Demokratiebegriff und die diesen tragenden politischen Organisationsformen und Bewegungen zukünftig eine zentrale Bedeutung haben werden.

Auf der Tagesordnung steht damit die Entwicklung und Realisierung eines den liberalkapitalistisch-nationalstaatlichen Rahmen überschreitenden Demokratiekonzepts, das sich von der herkömmlichen Modellen notwendigerweise erheblich unterscheiden muss. Gerade angesichts der sich abzeichnenden Internationalisierung des Staates kommt es darauf an, neue Formen demokratischer Politik unabhängig vom staatsapparativen System zu entwickeln. Dies ist nur möglich, wenn die für die liberalen Demokratie charakteristischen politischen Formen und Inhalte - die Trennung zwischen Privatem und Öffentlichen, die Prinzipien der Repräsentation und Entscheidungsfindung - grundsätzlich reformuliert werden. Dazu gehört nicht zuletzt, die internationale Kooperation von staats- und unternehmensunabhängigen Organisationen und Bewegungen so entwickeln, zu stärken und auch in neuen Formen zu institutionalisieren, dass die so häufig apostrophierte Weltzivilgesellschaft tatsächlich ihrem Begriff näherkäme (vgl. Görg/Hirsch 1998). Eine solche Politik kann sich jedoch nicht auf die internationale Ebene beschränken, sondern setzt grundlegende Demokratisierungsprozesse im lokalen, regionalen und nationalstaatlichen Rahmen voraus, die den Horizont und die Beschränkungen der bürgerlich-liberalen Demokratie gleichfalls überschreiten.


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Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.societyofcontrol.com/library/htm_pdf/hirsch_internationalisierungstaat.htm