Französische und italienische Geiseln im Irak
Undurchsichtige Hintergründe und verworrene Interessengeflechte

von Bernhard Schmid
03/05

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Befreiung gelungen, Geisel beinahe tot: So lässt sich das Drama vom Freitag, 4. März resümieren. An diesem Tag kam die linke italienische Journalistin und Kriegsgegnerin Giuliana Sgrena aus vierwöchiger Geiselhaft frei. Aber das Auto, in dem sie neben dem italienischen Nachrichtendienst-Mitarbeiter Nicola Calipari saß, wurde in wenigen hundert Metern Entfernung vom Bagdad International Airport von US-Soldaten beschossen.  

Zufälliger Tod (beinahe!) einer freigelassenen Geisel  

Über 300 Schüsse wurden auf das Auto abgegeben, das sich nach Angaben aller Insassen mit niedriger Geschwindigkeit einem Checkpoint näherte. Die These von Sgrenas Lebensgefährten Pier Scolari, der behauptet, die US-Amerikaner hätten die Journalistin ­ als Trägerin unbequemen Wissens ­ gezielt liquidieren wollen, erscheint dabei nicht unbedingt plausibel. Hätte dieser Wunsch dahinter gestanden, so wäre es intelligenter gewesen, die Autoinsassen nicht bis 700 Meter an den Bagdad International Airport heran kommen zu lassen - sondern sie irgendwo auf dem Weg "verschwinden" zu lassen und an weniger auffälligem Ort zu beseitigen. Das wäre aus Sicht derer, die Giuliana Sgrena hätten liquidieren wollen, auch sicherer gewesen; denn bei so geringer Entfernung vom Flughafen (dort, wo die Schüsse real fielen) musste aus ihrer Sicht das Risiko hoch sein, dass durch irgendeine "Panne" die geplante Ermordung daneben geht und es danach keine "zweite Chance" zu ihrer Ausführung mehr gibt. Insofern spricht vieles gegen die These vom beabsichtigten Anschlag oder Mordkomplott.  

chst wahrscheinlich dagegen ist, dass das, was da passiert ist, die alltägliche Realität einer Besatzungsmacht widerspiegelt: So schilderte die französischsprachige irakische Akademikerin Nadia Ahmed am 5. Februar in ’Le Monde' ihre doppelte Furcht, als Frau von islamistischen Gruppen attackiert zu werden ­ oder "aus Versehen" getötet zu werden, weil sie zufällig zu nahe an eine US-Patrouille herankomme. Die Besatzungssoldaten haben den Ruf, dass "ihr Finger extrem locker am Abzugshebel" sitze. Dazu mag sicherlich auch beitragen, dass viele der oft ziemlich jungen Soldaten unerfahren sind und ohne hinreichende Ausbildung als "Kanonenfutter" an die irakische Front verschickt werden: Die Hauptanklage muss daher sicherlich die dafür verantwortlichen Politiker treffen und nicht die "Jungs (und Frauen) aus dem Ghetto", die ihrer Misere durch einen freiwilligen Dienst bei der Armee zu entfliehen versuchen. Doch das macht die Todesbilanz der Besatzungstruppen, die erst aus Anlass der "Giuliana-Befreiung" für kurze Zeit durch die Öffentlichkeit erkennbar geworden ist, nicht weniger erschreckend. Dazu einige beeindruckende kurze Angaben.  

Laut dem ’Le Monde'-Reporter in Bagdad, Patrice Claude (Ausgabe vom 6. März), sterben jede Woche (!) "ein halbes Dutzend" irakischer Zivilisten aus solchen Gründen. Und die ’New York Times' berichtete, im US-Hauptquartier am Flughafen von Bagdad sei eigens ein "Kompensationsbüro" eingerichtet worden, das in solchen Fällen den irakischen Angehörigen "Entschädigungszahlungen" für den "zufälligen" Tod ihrer Angehörigen bezahlt. Angeboten werden dabei höchstens 2.500 Dollar für ein Menschenleben. Die aktuelle Besatzungswirklichkeit hat nun einmal verflucht wenig mit der harmonischen Idylle und dem Idealismus von angeblichen "Freiheitsbringern" zu tun, welche auch deutsche "linke" Autoren und Schreibtisch-Kriegsverbrecher wie Thomas von der Osten-Sacken ausmalen. (ANMERKUNG 1)  

Nicola Calipari schützte mit seinem Körper die Journalistin von Il Manifesto und starb dabei selbst durch eine Kugel in den Kopf. Bis vor wenigen Wochen war es noch undenkbar, aber die heroische Geste von Calipari machte es möglich: Ein ranghoher Gehiemdienstler wurde zum Helden auch weiter Teile der linken Öffentlichkeit. Darin ist freilich primär keine Unterstützung für das Regierungslager zu erblicken, sondern vor allem ein Dank an seinen persönlichen Einsatz. Dennoch scheint es, so stellt es jedenfalls Federica Matteoni in 'Jungle World' vom 16. März mit stichhaltigen Argumenten (und entsprechenden Zitaten) dar, dass inzwischen der Patriotismus den politischen Verstand größerer Teile der Linken überwuchert hat. Wenn Berlusconis Geheimdienst-Staatssekretär demnach ausruft: "Calipari hat uns das Vaterland zurückgegeben"... und der Kommunisten-Chef Fausto Bertinotti darauf nicht "Halt's Maul" antwortet, sondern Berlusconi wegen seiner verbalen Verurteilung der Todesschüsse (jedenfalls wenn sie ausnahmsweise keine Iraker treffen, sondern Italiener) sogar einen "guten Politiker" nennt, dann kann einem tatsächlich nur übel werden.  

Infolge des jüngsten Vorfalls, der die Nachricht von der tödlichen Schießwut von Soldaten der Besatzungsmacht noch bis in den letzten italienischen Haushalt transportierte, sah sich auch die Rechts-Rechts-Koalition unter Berlusconi kurzfristig veranlasst, etwas lautere und scheinbar kritischere Töne gegenüber der US-Administration anzuschlagen. Aber wohl nur, um möglichst eng an der öffentlichen Meinung dran zu bleiben und um daraufhin die Affäre wieder herunter zu kochen: Nach wenigen Tagen gab der "postfaschistische" Außenminister Gianfranco Fini persönlich bekannt, die Schuld an dem Vorfall liege in Wirklichkeit bei den italienischen Geheimdiensterln, da sie (anders als zuvor von ihm selbst behauptet) die US-Besatzungsmacht nicht über die Einzelheit der geplanten Reiseroute im Irak informiert hätten. Sondern die US-Amerikaner seien nur global über die Mission des italienischen Nachrichtendienst unterrichtet worden. Zu diesem Zeitpunkt glaubte die Rechts-Rechts-Koalition offenkundig, die Affäre bereits wieder herunter kochen und zum "Normalgeschäft" als Co-Besatzungsmacht im Irak übergehen zu können.  

Am 16. März 05 gab der italienische öffentliche Fernsehsender RAI jedoch bekannt, dass das Land "überraschend" seine 3.000 im Irak stationierten Soldaten von dort abziehen werde. Der Abzug soll im  September 2005 beginnen. Die liberale Pariser Abendzeitung 'Le Monde' sieht jedoch keinen grundlegenden Konflikt zwischen Rom und Washington dahinter stehen - sondern nur eine wahlpolitisch motivierte Taktik Berlusconis, denn im Frühsommer 05 finden in Italien Regionalwahlen statt, und im kommenden Jahr 2006 stehen Parlamentswahlen an. Aufgrund der Opposition großer Teile der italienischen öffentlichen Meinung gegen den Krieg im Irak will die Rechts-Rechts-Regierung jetzt vorübergehend weniger Angriffsfläche bieten

Bis dahin hatten sich die "beiden Italien", die Anhänger der Regierung aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen einerseits und die Linken und Kriegsgegner andererseits, noch säuberlich in Entfernung voneinander gehalten ­ und das war auch besser so. Wenn die Linke für die Freilassung der Geisel im Irak mobilisierte, dann forderte sie dabei regelmäßig auch den Abzug der 3.000 italienischen Soldaten im Irak und denunzierte den Militarismus der Berlusconi-Regierung.  

Frankreich: Entpolitisierender "nationaler Schulterschluss"  

Das ist (bzw. war) ein wichtiger Unterschied zu Frankreich: Dort werden die ebenfalls zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen und ­veranstaltungen für die seit bereits über zwei Monate im Irak gefangen gehaltene Journalistin Florence Aubenas regelmäßig von einem entpolitisierend-patriotischen Einheitsbrei geprägt. Bei einem der ersten Solidaritätskonzerte im Januar in Paris forderte etwa der bürgerliche Journalist Christian Chesnot, selbst Ex-Geisel im Irak, jetzt müssten "Linke und Rechte in einem nationalen Schulterschluss zusammen stehen". Was das konkret bringen soll, abgesehen von der Erzeugung eines wenig rationalen patriotischen Gefühls, blieb sein Geheimnis. Die französische Vereinigung RSF (Reporter ohne Grenzen) forderte nach der Freilassung von Giuliana Sgrena, jetzt müssten "die Regierung, die Leute auf der Straße und die Geheimdienste" eng zusammen arbeiten. Dass dies auch implizieren würde, dass die Nachrichtendienste transparent werden und ihr Wissen vor der kritischen Öffentlichkeit darlegen, wurde hingegen nicht bekannt.  

Die Hintergründe der beiden Entführungsfälle sind möglicherweise nicht dieselben. Im Falle der oppositionellen italienischen Journalistin Giuliana Sgrena übernahm zu Anfang eine mysteriöse Organisation "Mudjhahedin ohne Grenzen" die Verantwortung. Eine Bezeichnung, mit der die wahrscheinlichen islamistischen Kombattanten sich wahrscheinlich über französische NGOs (mit Staatsanbindung) wie "Reporter ohne Grenzen" oder "Ärzte ohne Grenzen" lustig machen wollten. Dagegen ist zur Identität der Geiselnehmer von Florence Aubenas, die für die staatstragende linksliberale Zeitung Libération arbeitete, in der Öffentlichkeit nichts bekannt. Aubenas wurde zusammen mit ihrem Fahrer, Dolmetscher und ortskundigen Führer Hussein Hanoun as-Saadi entführt; dieser studierte als damaliger irakischer Luftwaffenoffizier in der ersten Hälfte der 80er Jahre in Frankreich. Es ist wahrscheinlich, dass Hussein Hanoun früher auch nachrichtendienstliche Funktionen ausübte ­ die damalige irakische Diktatur schickte sicherlich nicht "irgend wen" an ausländische Militärakademien ­ und diese mittlerweile in den Dienst Frankreichs stellte. Im Gegensatz zum (syrischstämmigen) Fahrer der im Vorjahr entführten Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot wird er heute in Frankreich fortlaufend namentlich erwähnt.  

Der rechte Polit-Desperado Didier Julia taucht aus der Versunkung auf ­ aber nur für kurze Dauer  

Erstmals wurden Ende Februar dieses Jahres Nachrichten von Florence Aubenas bekannt: Auf einer Videokassette flehte sie um Hilfe - und wandte sich dabei drei mal namentlich an Didier Julia.  

Dieser Abgeordnete, Rechtsaußen der französischen Konservativen mit Kontakten ins Söldnermilieu, hatte sich im Herbst 2004 hervorgetan. Damals behauptete er, mit einer Handvoll Helfer auf eigene Faust die beiden Geiseln Chesnot und Malbrunot frei zu bekommen, und zieh das französische Außenministerium der Unfähigkeit.  

Doch die Gurkentruppe blamierte sich fürchterlich: Julias Mitarbeiter Philippe Brett ­ der ehemalige Leibwächter des neofaschistischen Politikers Bruno Gollnisch, "Nummer Zwei" von Jean-Marie Le Pen ­ behauptete gegenüber Journalisten, er befinde sich im Irak und in Kontakt mit den Geiseln. Eine Auswertung seiner Mobiltelefon-Kommunikation ergab jedoch, dass er sich in Damaskus befand. (Die ersten detaillierten Presseberichte Anfang Oktober 2004, namentlich in "Libération" und im "Journal du Dimanche", hatten noch behauptet, Brett und die anderen Julia-Mitarbeiter seien gar nie in den Irak eingereist, sondern hätten sich stets nur in Syrien aufgehalten. Dort seien sie von den Nachrichtendiensten des Landes, die behauptet hätten, über Kontakte in den irakischen "Widerstand" hinein zu verfügen, an der Nase herum geführt worden. Dagegen stellt ein gründlich recherchierter Hintergrundbericht über "De(n) Fall Julia" in der liberalen Pariser Abendzeitung "Le Monde" vom 10. März 2005 die ganze Angelegenheit ein bisschen anders dar. Demnach ist Philippe Brett vorübergehen tatsächlich im Irak aktiv geworden, jedoch ohne Erfolg, da er sich von zwielichtigen "Vermittlern" verschaukeln ließ, hinter denen sich im Endeffekt nur Geschäftemacher verbargen. Dem Bericht zufolge hattte Philippe Brett wohl tatsächlich damit gerechnet, zusammen mit den Geiseln über die irakisch-syrische Grenze ausreisen zu können. Aus dieser Hoffnung wurde dann aber nichts, aus den genannten Gründen. Daraufhin begann das bekannte Theater von Didier Julia und Co. im Oktober 2004, wonach angeblich die US-Army die Ausreise der Geiseln verhindert habe und nur deswegen Philippe Brett ohne diese über die syrische Grenze reisen musste. Von diesem angeblichen Eingreifen der Besatzungsarmee spricht allerdings inzwischen niemand mehr, und auch die damaligen Ex-Geiseln selbst haben es mit Bestimmtheit dementiert. Fest steht in jedem Fall, dass die Reise des Julia-Teams reichlich ergebnislos in Damaskus endete, wo die kleine Truppe der selbsternannten «modernen Helden» schlussendlich auflief.)  

Der vorgeblich an ihn gerichtete "Hilferuf" der gefangen gehaltenen Florence Aubenas ließ den Abgeordneten Didier Julia nochmals kurzfristig aus der Versenkung hervor kommen. Nunmehr witterte er eine Chance auf Revanche gegen den vorherigen beißenden Spott der Medien, aber auch gegen die Behörden, die Ende Dezember seine beiden Mitarbeiter Philippe Brett und Philippe Evanno festgenommen und verhört hatten. (Julia selbst war am 20. Januar 05 zu einer Anhörung beim Untersuchungsrichter in Terrorismussachen vorgeladen worden, hatte sich dem Termin jedoch entzogen. Als Abgeordneter des französischen Parlaments kann er dem Untersuchungsrichter nicht gegen seinen Willen zwangsvorgeführt werden. Still geworden dagegen ist es um die angeblichen Beweise über eine Verwicklung von Staatspräsident Jacques Chirac in seine Eskapaden, die Julia um dieselbe Zeit der Öffentlichkeit präsentieren wollte: Im Januar behauptete der Abgeordnete noch, dass in seinem Parlamentsbüro eingebrochen worden sei und dabei entsprechende Unterlagen ­ die einen Fax-Austausch mit Chirac belegten ­ entwendet worden seien; er besitze aber Kopien der gestohlenen Dokumente. Inzwischen hat eine Untersuchung bestätigt, dass es keinerlei Einbruchsspuren in Didier Julias Büro gibt. Und von den angeblich existierenden Kopien der angeblichen Dokumente hat man auch nie wieder gehört.) Als dann aber plötzlich Florence Aubenas ihn vermeintlich persönlich um Hilfe anrief, muss der aufgrund seiner mutmaßlichen Lügen ziemlich in Bedrängnis gekommene Didier Julia sich plötzlich wieder obenauf gefühlt haben.  

Daraufhin forderte ihn am Mittwoch, 2. März sogar Premierminister Raffarin im Parlament zur Zusammenarbeit auf, wobei er sich jedoch erneute eigenmächtige Eskapaden verbat: Julia solle sich gefälligst an den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE wenden und ihm sein sachdienliches Wissen mitteilen. Julia brüstete sich zwar öffentlich mit seinen "seit 40 Jahren bestehenden Kontakten" im Irak und in der Region ("wahrscheinlich kennen die Geiselnehmer mich"), konnte aber bei einer Anhörung durch die DGSE nur unbrauchbare Allgemeinplätze feilbieten. Daraufhin erklärte Raffarin Julia, am Ende der ersten Märzwoche, öffentlich für inkompetent und nicht für Verhandlungen irgendwelcher Art mit den Geiselnehmern zuständig. Didier Julia war nunmehr endgültig abserviert, die Hochstimmung war jäh beendet.  

Seitdem geriet er mächtig unter Druck: Am Dienstag, 8. März legte er seine Mitgliedschaft in der Parlamentsfraktion der bürgerlichen Regierungspartei UMP nieder, nachdem er sich zuvor in heftige verbale Streitereien mit der Regierung verwickelt hatte. Im Interview mit einem italienischen Rundfunksender hatte Julia die Vermutung ausgesprochen, wenn es sich bei der Geisel im Irak um die Tochter des Premierministers Raffarin handeln würde, dann ginge die Regierung schon längst anders vor. Ob dem so ist, kann nicht beurteilt werden, da Einzelheiten über das Wirken der französischen Regierung hinter den Kulissen nicht bekannt sind. Hingegen steht fest, dass der Abgeordnete damit jegliche unter bürgerlichen Politikern übliche Gepflogenheiten und diplomatischen "Anstandsregeln" verletzt, und eine rote Linie überschritten hatte. Damit dürfte er politisch endgültig erledigt sein. (Didier Julia drückte sich zu der Kluft, die sich mittlerweile zwischen ihm und der Regierungsmannschaft auftut, in folgenden schönen Worten aus: "Man hat versucht, uns als Witzbolde, als Verrückte, als eine Art Mischung aus Mata Hari und James Bond erscheinen zu lassen. Aber die wirklichen Hanswurste sind jene, die sich hinter den getönten Scheiben der Staatslimousinen verstecken.")  

A propos Nebenaußenpolitik...  

Seitdem er die UMP-Parlamentsfraktion verlassen hat (auf formaler Ebene ruht seine Mitgliedschaft unterdessen nur, aber für eine politsche Wiederkehr Julias ist zu viel Porzellan zerschlagen worden), dürfte Didier Julia weitgehend politisch abgemeldet sein. Das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die französische Regierungspolitik eine Figur wie Didier Julia in der Vergangenheit mitunter am ausgestreckten Arm vorgeschickt oder zumindest seine Umtriebe toleriert hat, solange noch unklar blieb, ob sie nicht für die Außenpolitik des Landes von Nutzen sein könnten.  

Die "Geiselbefreiungs"versuche der Equipe Julia im September 2004 wurden zwar durch diese auf eigene Faust unternommen ­ aber das französische Außenministerium hatte ihn zumindest Einreiseerleichterungen in mehreren Ländern der Region (Libanon, Syrien) verschafft. Noch früher, im Jahr 2000, als der rechte Pseudo-NGO-Vertreter und "Geschäftseinfädler" Philippe Brett von Paris aus einen Flug nach Bagdad (trotz des damals geltenden Embargos) organisierte, hatte der französische Senatspräsident Christian Poncelet dessen Dienste sogar auf weiter gehenden Weise in Anspruch genommen. "Le Monde" vom 10. März 05 zitiert jedenfalls aus einem Brief, den Poncelet, Vorsitzender des parlamentarischen "Oberhauses" in Paris, an den Präsidenten der irakischen Nationalversammlung unter der Diktatur der Baath-Partei verfasste und den er Philippe Brett mit auf die Reise gab. In dem Schreiben vom 28. 11. 2000 heißt es u.a.: "Gestatten Sie mir, die schöne Gelegenheit des durch OFDIC (Anm.: der damaligen NGO von Philippe Brett) organisierten Fluges zu nutzen, um Ihnen diese Freundschafts-Nachricht zukommen zu lassen." Damals setzte Frankreich - im Namen eigener imperialistischer Interessen in der Region und für den Fall eines Verbleibs der Baath-Diktatur an der Macht - auf eine allmähliche Wiederaufnahme der Beziehungen, die 1991 (im Zuge der Teilnahme Frankreichs am damaligen Zweiten Golfkrieg) abgebrochen worden waren. Der Dritte Golfkrieg und die Besetzung des Irak durch andere imperialistische Mächte haben diese Politikoption historisch überholt werden lassen.  

Aber die wichtigste Frage lautet: Warum (und von wem) wurde diese "Fährte" gelegt?  

"Die" große Frage lautet jedoch, warum die Gefangene Florence Aubenas, die auf dem Video extrem erschöpft und verängstigt wirkt, überhaupt in dieser Form an Julia appellierte. Es dürfte feststehen, dass sie dies unter enger Kontrolle der Entführer tat. Eine These lautet, dass es ihr dennoch gelungen sei, einen versteckten Hinweis auf einen syrischen Hintergrund ihrer Geiselnehmer zu platzieren, durch eine Anspielung auf Julias Eskapaden in Damaskus. Diese in mehreren Radiosendungen lancierte Idee erscheint jedoch nicht sonderlich plausibel: Dagegen spricht nicht nur, dass Aubenas Angst haben musste, ein "falsches Wort" zu sagen, sondern wohl auch, dass die Entführer ihr sicherlich nicht ihre genauen politische Hintergründe verrieten.  

Eine andere Thesen wird von GegnerInnen des Irakkrieges vertreten, die die derzeitigen irakischen Behörden und die Koalition der Besatzungsmächte dahinter stehen sehen: Ihnen gehe es darum, Frankreich in eine Einkreisungsstrategie gegen Syrien einzubeziehen. Das ist insofern plausibel, als Frankreich auch traditionell eigene Interessen namentlich im Libanon verfolgt und sich dabei historisch vor allem als als Schutzmacht der christlich-maronitischen Bourgeoisie (die sich in den Reihen der anti-syrischen Opposition befindet) begreift. Im Hinblick auf die Konfliktregion im Libanon und in Syrien ziehen Paris und Washington derzeit tendenziell am selben Strang, da Frankreich Anfang September 04 ebenso wie der USA der Resolution des UN-Sicherheitsrats gegen die syrische Truppenpräsenz im Libanon zustimmte. Dennoch dürften unterschiedliche Sichtweisen bzw. erhebliche Interessenkonflikte betreffs einer Gesamtperspektive für die Region fortexistieren.  

Schließlich ist auch nicht unwahrscheinlich, dass Gruppen internationaler islamistischer Kämpfer Interesse daran haben könnten, eine solche "Spur" zu legen. Die Dijhad-Aktivisten, die im Irak auf weit verbreitete Ablehnung stoßen, könnten Interesse an einer Ausweitung der Kampfzone und einer Eskalation haben ­ um die gesamte Region vor die Alternative zu stellen: "Die USA oder wir".  

Nicht ausgeschlossen werden kann aber, dass die Entführer die Pariser Regierung schlicht verspotten wollten. Auf jeden Fall aber scheinen sie über die dortige politische Szenerie recht gut informiert.  

Die Redaktion von ’Libération' - die freilich aus Furcht um das Überleben ihrer Reporterin wohl nicht alles brisaten Wissen preisgibt - behauptet bisher, über Hinweise zu verfügen, die Entführer hätten einen rein kriminellen und nicht politischen Hintergrund. Dagegen schreibt ’Le Monde' (vom 5. März): "Entführer im Irak sind nie unpolitisch". Banditengruppen hätten Kontakte entweder zur Guerilla oder zu Polizei und Nachrichtendiensten, um in der derzeitigen Chaossituation ihre Interessen effektiv zu verfolgen.  

ANMERKUNG 1:  

Über diese Figuren ist hier schon das Wesentliche dargestellt worden: http://www.trend.infopartisan.net/trd1004/t351004.html  - Insbesondere sei auf die zitierten Passagen hingewiesen, in denen unsere Propaganda-Helden die im Irak stationierten US-Soldaten in Uniform als Musterbeispiel des autonomen, emanzipiert handelnden Individuums ausmalen. Ansonsten gilt: Nichts wird vergeben, nichts wird vergessen - kein Wort und keine Zeile.  

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text am 16.03. 2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung.