Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
03/06

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V. ROM Zur Kapitelübersicht

1. Charakter der römischen Geschichtsschreibung.

Die römische Geschichte bis 300 v. Chr. ist zum großen Teile sagenhaft; sie beruht auf mündlichen Überlieferungen, da die römischen Archive im Jahre 390 v. Chr., beim Einfall der keltischen Stämme, vernichtet wurden. Erst im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden unter dem literarischen Einfluß der Griechen römische Annalisten (Schreiber von Jahreschroniken) und ein Jahrhundert später römische Historiker, die die Geschichte ihres Landes vorerst in griechischer, dann in lateinischer Sprache schrieben, aber stets im konservativen, patriotischen und antirevolutionären Sinne. Auch die griechischen Schriftsteller, wie Polybios(1), Plutarch(2) und Appian(3), die römische Geschichte in ihrer Muttersprache schrieben, standen unter römischem Einflüsse. Die römischen Historiker, wie Sallust(4), Livius(5) und Tacitus(6) wurden den Reformern selten gerecht, den revolutionären Versuchen aber standen sie schlechthin feindlich gegenüber und betrachteten deren Urheber und Führer einfach als Verbrecher. In nationalen Angelegenheiten: im Kampfe gegen Revolutionäre und äußere Feinde, waren die Römer von rücksichtsloser Eigenliebe und Selbstgerechtigkeit geleitet: alle Gegner Roms waren in ihren Augen Meineidige, Treulose, Vertragsbrüchige oder namenlose Barbaren, nur die urgesellschaftlichen Zustände der Germanen zwangen ihnen einige Achtung ab. Und so dachten auch ihre lateinischen Geschichtsschreiber, die nun die Quellen für uns bilden, aus denen wir unser Urteil über die Reformer, Revolutionäre und Rebellen, die gegen die römischen Zustände auftraten, schöpfen müssen. Die früher genannten griechischen Schriftsteller waren zwar weniger geneigt, alle Gegner Roms in Bausch und Bogen zu verurteilen, aber sie schrieben doch für die Lateiner und waren von Schmeichelei sicherlich nicht frei oder sie ließen sich nur allzuoft von römischen Vorurteilen beeinflussen. Am meisten darunter gelitten haben Catilina und Spartakus, die als Revolutions- und Aufstandsführer den Römern wirklich gefährlich wurden. Hinzu kommt noch, daß die Römer wenig intellektuell waren und keine reine Freude finden konnten an großen Bewegungen und Gedanken, wenn diese den römischen Interessen zuwiderliefen. Wir finden unter den Römern keinen Plato, keinen Aristophanes und keinen Sophokles. Männer, wie die jüdischen Propheten, waren bei den Römern schon ganz undenkbar. Es ist deshalb eine sehr schwierige Aufgabe, eine revolutionäre Geschichte Roms zu schreiben.

2. Patrizier und Plebejer.

Aus den römischen Überlieferungen und Einrichtungen geht hervor, daß die Römer ursprünglich in Geschlechter (gentes) und Stämme (tribus) gegliedert waren und kein Sondereigentum kannten. An der Spitze des Gemeinwesens, das sich ursprünglich nicht über die Stadt Rom hinaus erstreckte, standen „Könige", das heißt Häuptlinge, die zugleich Feldherren, Oberpriester und Richter waren. Der Sage nach war Romulus der Gründer der Stadt Rom und ein Brudermörder wie Kain. Schon sehr früh finden wir dort zwei Stände: Patrizier und Plebejer, die gegeneinander kämpften. Die Patrizier waren Großbauern, die alle wichtigen Ämter bekleideten und zum herrschenden Stand heranwuchsen; die Plebejer waren Kleinbauern, die, obwohl frei, von der politischen Macht ausgeschlossen waren. Auf Grund ihrer politischen Macht eigneten sich die Patrizier große Teile des Gemeinlandes (ager publicus) an; ihre wirtschaftliche Übermacht wurde immer drückender; die Plebejer gerieten in Abhängigkeit, sie wurden nach und nach die Schuldner der Patrizier; das Schuldrecht war hart, der Zinsfuß hoch. Die Plebejer forderten einen Anteil an der politischen Macht und vor allem am Gemeinland. Dieses scheint ursprünglich ein Überrest des Gemeineigentums gewesen zu sein; später bestand es aus eroberten Ländereien, die zu Staatsdomänen gemacht wurden.

Zu Anfang des 6. Jahrhunderts waren die alten gentilizischen Zustände schon so weit zersetzt, daß die Patrizier das „Königtum" abschafften und eine Adelsrepublik gründeten, in der die hervorragendsten Patrizier alle Macht, die dem Königtum noch verblieben war, an sich rissen. An der Spitze der Republik standen zwei Konsuln, die zwei Unterbeamte (Quästoren) ernannten, als Verwalter der Finanzen und der Archive. In Zeiten der Not und Gefahr wurde von einem der Konsuln ein Diktator auf höchstens sechs Monate ernannt und mit unumschränkten Machtbefugnissen ausgerüstet. Die Diktatur war also ein fester Bestandteil der römischen Verfassung und wurde oft angewandt.

Der Interessengegensatz zwischen den beiden Ständen, der im Zeitabschnitt der „Könige" noch einigermaßen gemildert war, verschärfte sich sodann, da Rom inzwischen seine Nachbarn mit Krieg überzog und neues Staatsland gewann, das zum großen Teile den Patriziern zufiel. Im Jahre 494 v. Chr. war die Plebs schon so verärgert, daß sie ihrer Vaterstadt den Rücken kehrte, nach dem heiligen Berge zog, um dort ein eigenes Gemeinwesen zu gründen. Die Patrizier, die in ihrer Kriegspolitik stets Soldaten brauchten, ließen sich zu Zugeständnissen herbei und gewährten der Plebs die Ernennung von zwei Volkstribunen, deren Aufgabe es sein sollte, die Kleinbauern vor der Willkür der patrizischen Beamten zu schützen, Plebejerversammlungen einzuberufen und sie Beschlüsse (Plebiszite) fassen zu lassen. Die Plebiszite hatten jedoch nur den Wert von Versammlungsbeschlüssen: sie blieben fromme Wünsche, ohne gesetzliche Wirksamkeit. Der Kampf wurde fortgesetzt, wobei es nicht ohne Blutvergießen abging. Aber in dem Maße, wie die Patrizier ihre Kriegspolitik nach außen hin entwickelten und sich bereicherten, wurden sie im Innern den Plebejern gegenüber nachgiebiger, denn ohne die Mithilfe der letzteren konnten sie ihre Außenpolitik nicht durchsetzen. Die Plebs machte im 4. Jahrhundert bedeutende politische und ökonomische Fortschritte. Im Jahre 367 wurden die Gesetzentwürfe des Licinius angenommen, die i. die Schuldenlast der Plebejer erheblich erleichterten; 2. das Höchstmaß der Aneignung von Gemeindeland auf 500 Morgen festsetzten, so daß auch die Plebs ihren Anteil an den eroberten Staatsländereien erhalten konnte; 3. Ernennung eines Plebejers zum Konsul bestimmten. Weitere politische Zugeständnisse folgten von Zeit zu Zeit, und im Jahre 287 stand die Plebs vollkommen gleichberechtigt da. Sie konnte nunmehr an allen wirtschaftlichen Vorteilen der Eroberungen teilnehmen. Denn während dieser ganzen Zeit hörten die Patrizier nicht auf, die italienischen Völkerschaften eine nach der anderen zu unterwerfen und Roms Herrschaft über ganz Italien auszudehnen und einen Einheitsstaat, eine römische Nation zu bilden.

Das war eine hohe politische Leistung, und sie war hauptsächlich den römischen Patriziern zu verdanken. Diese abergläubischen, zähen, erfahrungsmäßig handelnden und militärisch tüchtigen Großbauern vollbrachten in Italien ein Werk, das den geistvollen, hochkultivierten und philosophierenden athenischen Adelsgeschlechtern in Hellas nie gelingen wollte. Den Athenern gelang es nie, einen hellenischen Staat zu begründen.

Bald nach der Einigung der Stände bildete sich aus den reichen Patriziern und Plebejern ein neuer Adel, der alle Ämter für seine Angehörigen in Beschlag nahm. Die äußere Politik trat nunmehr über die nationalen Grenzen hinaus: sie wurde zur Weltpolitik, was damals die Beherrschung des Mittelmeeres und seiner Küsten bedeutete.

3. Weltpolitik und Zersetzung. Charakteristik der römischen Politik.

Die Jahre von 264—133 v. Chr. sahen den Aufstieg Roms zur größten Weltmacht. Dieser Aufstieg war begleitet von einer Umwandlung der ökonomischen Grundlagen Roms: an die Stelle der früher maßgebend gewesenen Bauernwirtschaft traten Geldwirtschaft und Spekulation. Im Jahre 269 wurde die Silberprägung eingeführt; ein Jahrfünft später brach der erste Punische Krieg aus, — der Krieg gegen Karthago, die damalige größte Handelsmacht im Mittelmeere. Karthago beherrschte die nordafrikanischen Küsten, Südspanien, Sardinien und Westsizilien. In diesem Kriege, der von 264—241 dauerte, wurden Sizilien und Sardinien von Rom erobert. Dieser Krieg zeigte den Römern die Bedeutung der Seeherrschaft; sie bauten deshalb eine große Flotte, die teils Kriegszwecken, teils den Handelsinteressen diente. Reedereien und Handelsgesellschaften entstanden. Der zweite Punische Krieg (218—201), in dem der semitische Feldherr Hannibal, eines der größten Kriegsgenies aller Zeiten, der Schrecken Roms wurde, hätte den römischen Eroberungen ein Ende setzen können, wenn die karthagische Plutokratie staatsmännischer und der römische Senat weniger zähe oder das römische Volk weniger patriotisch gewesen wäre. Diese Umstände machten die militärischen Leistungen Hannibals zunichte (7). Karthago wurde niedergeworfen und im dritten Punischen Kriege (149 bis 146) mit der ganzen brutalen und scheinheiligen Grausamkeit, deren die Römer fähig waren, vollends zerstört. Inzwischen unterwarfen die Römer Griechenland, Kleinasien und Spanien. Ein Strom von Edelmetallen und Sklaven flutete nach Rom und unterwühlte den alten, kräftigen Bauernstaat. Das Zerstörungswerk wurde um so leichter, als die Kriege, insbesondere der zweite Punische Krieg, einen großen Teil der alten Patrizier- und Plebejergeschlechter hinweggerafft hatten. Von diesem schrecklichen Aderlaß hat sich Rom nicht mehr erholt. Rom, auf dem Gipfel seiner materiellen Macht, befand sich bereits am Anfang seines moralischen Niedergangs. Langsam, aber sicher vollzog sich der Abstieg, und im ersten Jahrhundert v. Chr. traten seine Symptome schon klar in die Erscheinung. Oder wie der römische Geschichtsschreiber Sallust erzählt (Verschwörung Catilinas, Kapitel 10—13): „... Die Sieger kannten weder Maß noch Ziel... Nachdem es einmal dahin gekommen war, daß Reichtum zur Ehre gereichte und Ruhm, Macht und Einfluß in seinem Gefolge hatte, da begann auch der Sinn für Tugend sich abzustumpfen, Armut als Schimpf zu gelten... Nicht geringer war der Hang zur Unzucht und Schlemmerei. Männer ließen sich brauchen wie Weiber, Weiber boten ihre Keuschheit öffentlich feil..."

Rom war keine gewerblich produktive Gesellschaft, sondern ein militärischer Räuberstaat. „Unser Handwerk", erklärte der römische Senat, als er die Fortsetzung des Krieges gegen Karthago beschloß, „ist das, die gewerbetätigen Völker zu besiegen und sie uns tributpflichtig zu machen; beharren wir also in dem Kampfe, der uns zu ihren Herren erhebt." Rom verfolgte diesen Grundsatz mit unerschütterlicher Zähigkeit. Das Ergebnis dieser Politik faßt der römische Satiriker Juvenal in den Worten zusammen: „Wir zehren die Völker bis auf die Knochen auf." Sobald Rom in einen Krieg zog, war es die Aufgabe des Senats, die bekriegten Völkerschaften als Verbrecher und Feinde des ganzen Menschengeschlechts hinzustellen. Rom machte nie einen ehrlichen Frieden. Seine Friedensverträge waren so abgefaßt, daß sie den besiegten Feind stets ins Unrecht setzten und weitere Gelegenheit zu neuen Eroberungen boten; sie legten ihm so schwere Tribute auf, daß er finanziell zugrunde gehen mußte; sie zwangen auch die Regierungen der besiegten Länder, ihre Untertanen mit Steuerlasten zu erdrücken und sich deshalb bei ihnen mißliebig zu machen (Montesquieu, Grandeur et decadence des Romains, Kapitel 3 und 6, wo der Grundgedanke des Versailler Friedensvertrags zu finden ist).

Die Kriege begünstigten die Entstehung von kapitalistischen Kaufleuten und Handelsgesellschaften, die dem Staate Anleihen machten, Schiffe, Proviant und Kriegsgeräte zu wucherischen Preisen lieferten. Sie pachteten in den eroberten Ländern die Staatsdomänen und Bergwerke, trieben die Steuern ein und lieferten Sklaven für die landwirtschaftlichen Großbetriebe. Das römische Großkapital war nicht gewerblich produktiv, wie das modern-europäische Kapital in der Zeit der industriellen Revolution. Es war vielmehr die Hyäne der römischen Schlachtfelder; es fraß sich voll von der Beute der römischen Legionen und preßte die eroberten Ländereien aus. Die senatorischen Familien und Beamten wurden in die Geschäfte hineingezogen; die höchsten Staatsbeamten verfielen der Korruption und seit 160 galt auch der Senat für bestechlich. Der durch die langen Kriege stark verminderte Bauernstand schwand nach und nach, teils infolge der Konkurrenz der billigen Kornfrüchte, die aus den Provinzen (eroberten Ländereien) eingeführt wurden, teils infolge Auskaufs durch die neuen Reichen, die sich durch Landeigentum einen adeligen Anstrich geben wollten. An Stelle der alten Bauernhöfe traten Latifundien: landwirtschaftliche Großbetriebe mit viel Weinbau und Weidewirtschaft. Die produktive Arbeit wurde immer mehr von Sklaven betrieben, während die freien ländlichen und städtischen Arbeiter der Erwerbslosigkeit anheimfielen, nach Rom abwanderten, wo sie als Lumpenproletarier von staatlichen Kornlieferungen lebten und durch öffentliche Spiele bei guter Stimmung erhalten und als Stimmvieh benutzt wurden. Der Reichtum sammelte sich in wenigen Händen an; im Jahre 104 v. Chr. klagte ein Volkstribun, daß es im ganzen Staate noch keine 2000 Reiche gäbe! Die Ursachen zu heftigen sozialen Unruhen waren somit gegeben. Sie äußerten sich auf zwiefache Weise: i. Reformbestrebungen zur Wiederherstellung des Bauernstandes (Gracchen) oder zur Neuverteilung des Eigentums (Catilina); 2. Sklavenauf stände, von denen der des Spartakus der berühmteste war.

4. Reformkämpfe: Gracchus, Catilina und Cicero.

Die Versuche, den Bauernstand wiederherzustellen, wurden unternommen von den Brüdern Tiberius und Cajus Gracchus, die dem alten römischen Adel entstammten. Tiberius war Volkstribun im Jahre 134 v. Chr. und wurde von den armen Bürgern aufgefordert, ihnen zum Genuß der Staatsländereien zu verhelfen. Ein Jahr später machte er den Vorschlag, die Aneignung der Staatsländereien zu beschränken und aus den dann frei gewordenen Ländereien unveräußerliche Heimstätten oder Erbpachtungen von 30 Morgen zu schaffen. Für den herausgegebenen Grund und Boden sollten, wie es scheint, die früheren Besitzer entschädigt werden, aber ebenso sollten die kleinen Bauern bei der Anschaffung des Inventars staatliche Unterstützung erhalten. Da der Adel opponierte, entfaltete Tiberius eine umfassende Agitation und in einer Schilderung der Not des Volkes sagte er:

„Die wilden Tiere, die in Italien hausen, haben ihre Höhlen; jedes von ihnen weiß seine Lagerstätte, seinen Schlupfwinkel. Nur die Männer, die für Italien fechten und sterben, können auf weiter nichts als auf Luft und Licht rechnen; unstet, ohne Haus und Wohnsitz, müssen sie mit Weibern und Kindern im Lande umherstreifen. Die Feldherren lügen, wenn sie in Schlachten die Soldaten ermuntern, ihre Grab-mäler und Heiligtümer gegen die Feinde zu verteidigen, denn von so vielen Römern hat keiner einen häuslichen Herd, keiner eine Grabstätte seiner Vorfahren aufzuweisen. Nur für die Üppigkeit und den Reichtum anderer müssen sie ihr Blut vergießen und sterben. Sie heißen Herren der Welt, ohne auch nur eine einzige Erdscholle ihr Eigentum nennen zu können" (Plutarch, T. S. Gracchus).

Als die Abstimmung der Volksversammlung über den Gesetzentwurf nahe bevorstand, hielt Tiberius — wie Appian (Römische Bürgerkriege, i. Buch, n. Kapitel) erzählt — eine lange Rede und fragte, „ob es denn nicht gerecht sei, gemeinschaftliche Güter gemeinschaftlich zu verteilen, ob nicht der Bürger stets besser sei als der Sklave, der Krieger nützlicher als der zum Kriege Untaugliche? Nachdem die Römer, so fuhr er fort, bereits die meisten Länder durch Kriegsgewalt erobert und auch auf die übrigen bewohnten Gegenden der Erde ihre Hoffnungen gerichtet hätten, stände jetzt für sie alles auf dem Spiel, entweder auch die übrigen Länder durch ihre Menge streitbarer Männer zu erobern, oder wegen ihrer Kraftlosigkeit und ihres Neides auch ihre jetzigen Besitzungen zu verlieren. Er ermahnte die Reichen, in Erwägung dieser Umstände diese Ländereien als freiwilliges Geschenk und auf eigenen Antrieb für die Hoffnungen der Zukunft denjenigen zu überlassen, welche dem Staate Kinder erzögen, und nicht das Wichtigere zu übersehen, indem sie um Kleinigkeiten stritten." Nach Appian war Gracchus hauptsächlich vom Beweggrunde geleitet, dem römischen Staate zahlreiche und streitbare Bürger zu schaffen und ihm die Möglichkeit zu gewähren, seine Eroberungen zu behaupten und fortzusetzen. Auf jeden Fall war der Reformvorschlag eine sozialkonservative Maßregel.

Die Begeisterung des Volkes für Tiberius Gracchus wurde so überwältigend, daß der Senat schließlich den Vorschlag annahm, aber bei der Durchführung ihm große Schwierigkeiten entgegensetzte. Tiberius sah sich deshalb gezwungen, sich für das Jahr 132 um das Tribunal zu bewerben und hielt Wahlversammlungen ab. In einer dieser Versammlungen erschienen die Anhänger der Senatspartei mit Knütteln und Stöcken bewaffnet und erschlugen Tiberius und viele seiner Anhänger. Das Agrargesetz blieb jedoch nicht ohne Wirkung: etwa 80000 kleine Bauernhöfe wurden geschaffen.

Das Werk des Tiberius nahm sein Bruder Cajus im Jahre 123 auf. Zum Volkstribun gewählt, setzte er es durch, daß jedem aus dem Volke monatlich ein gewisses Quantum Getreide auf Staatskosten verabfolgt wurde. Er reformierte das Gerichtswesen, ließ durch ganz Italien lange Straßen bauen, um die Arbeitslosen zu beschäftigen, und versuchte auch das Wahlrecht zu demokratisieren und eine umfassende innere Kolonisation in Angriff zu nehmen. Cajus teilte schließlich das Schicksal seines Bruders: er wurde 121 erschlagen.

Es entsprach vollkommen dem Hange der Römer zur Heuchelei, daß sie an dem Platze, an dem die Ermordung der Gracchen und deren Anhänger stattfand, einen Tempel der Concordia (Eintracht) erbauten.

Trotz der Concordia brachen bald äußerst mörderische Sklavenaufstände und Bürgerkriege aus. Im Jahre 100 ließ der sogenannte Demokrat Marius 50 Senatoren und 1000 Ritter, sein Gegner Sulla (82) 40 Senatoren und 1600 Ritter ermorden. Ihr Vermögen wurde konfisziert; der Ertrag der Konfiskationen Sullas belief sich auf 81 Millionen Mark; das Wucher- und Kaufmannskapital kaufte die beschlagnahmten Güter auf, die das Vielfache des Kaufpreises wert waren. Im Jahre 73 brach der Spartakusaufstand aus, den wir weiter unten behandeln werden. Diese Zustände lieferten den Gärungsstoff zur Verschwörung Catilinas im Jahre 63 v. Chr. Der römische Historiker Sallust, der dieses Ereignis von seinem konservativ-patriotischen Standpunkte beschrieb, meinte, das römische Volk habe sich damals in einem kläglichen Geisteszustände befunden: „Während ihm nämlich vom Osten bis zum Westen alles, durch Waffengewalt bezwungen, gehorchte, im Innern Ruhe und Reichtum ihm in Fülle beschert waren, gab es dennoch Bürger, die verstockten Sinnes darauf ausgingen, sich und den Staat ins Verderben zu stürzen. Denn trotz der beiden Senatsbeschlüsse (gegen die Verschwörung und trotz der hohen Belohnung, die ausgesetzt wurde für diejenigen, die hierüber Anzeige machen würden) ließ sich doch aus der so großen Menge auch nicht einer durch die Belohnung verleiten, die Verschwörung zu verraten oder sich aus Catilinas Lager zu entfernen. So gewaltig war die Krankheit, die pestartig die Gemüter der meisten Bürger durchdrungen hatte. Doch nicht nur bei denen, die um die Verschwörung wußten, herrschte die feindselige Stimmung, sondern überhaupt der ganze Plebejerstand war aus Vorliebe für einen Umschwung der Dinge mit Catilinas Unternehmen einverstanden" (Verschwörung Catilinas, Kapitel 36 bis 37). Die Massenstimmung war also revolutionär. Dennoch stellen die Historiker den Catilina, den Führer dieser Bewegung, als das schrecklichste Scheusal der Weltgeschichte dar. In seiner Lebensbeschreibung des Theseus sagt Plutarch ein sehr kluges Wort: „Es scheint in der Tat gefährlich, sich einem Staate, in welchem Beredsamkeit und Dichtkunst blühen, verhaßt zu machen." Dasselbe gilt für individuelle Fälle. Catilina hatte das Unglück, einen Cicero, einen der größten Redner aller Zeiten, zum politischen und persönlichen Feinde zu haben. Zwei entgegengesetztere Charaktere konnte es gar nicht geben. Catilina entstammte dem hohen Adel Roms, Cicero war ein Emporkömmling der Provinz. Jener ein Offizier und stets bereit, mit äußerstem Mute „die Sache der Bedrängten im Staate zu vertreten", dieser ein Advokat und der Typus eines ängstlichen, moraltriefenden, um sein Privateigentum besorgten Bourgeois. Beide traten sich entgegen im Jahre 63 als Kandidaten für die Konsular-wiirde. Cicero als Vertreter aller Eigentumsinteressen, Catilina als Führer der Besitzlosen und als ehrlicher Reformer, dessen Vorschläge darauf abzielten, sämtlichen Besitzlosen Bodenanteile zu verschaffen, ihre Schuldenlast zu beseitigen, eine stärkere Aufsicht über die Staatsfinanzen herbeizuführen und im allgemeinen die Wohlfahrt der Volksmassen durch sozialpolitische Maßnahmen zu fördern; ebenso scheint er für eine Milderung des Schicksals der von Rom unterjochten Völker gewesen zu sein. Wie Cicero, der Liebling unserer Gymnasien, über diese Fragen dachte, geht aus seinen Ansichten, die er hierüber in seinem Buche „Von den Pflichten" (2. Buch, Kapitel 22—24) äußerte, deutlich hervor:

„Diejenigen, welche Volksfreunde sein wollen und aus diesem Grunde mit den Gütern einen Versuch machen, so daß der Besitzer aus seinem Eigentum vertrieben oder dargeliehenes Geld den Schuldnern nachgelassen wird, diese erschüttern die Grundfeste des Staates... Denn es ist der eigentliche Zweck des Staates und einer Stadt, daß die Sicherheit des Eigentums frei und unangefochten bleiben soll... Was ist es aber für Billigkeit, wenn ein Grundstück, das viele Jahre oder gar Menschenalter hindurch seinen rechtlichen Besitzer gehabt hat, Besitz eines ändern wird, der vorher keines hatte, und der es hatte, es verlieren soll? Diese Art von Ungerechtigkeit war es, um deren willen die Lakedämonier ihren König Agis, was bei ihnen noch nie vorgekommen war, hingerichtet haben. Und seit dieser Zeit folgte dann eine Reihe von Unruhen, so daß dieser Staat mit seiner vortrefflichen Verfassung sich auflöste. Und nicht genug, daß er allein fiel; auch das übrige Griechenland sank ihm nach, angesteckt mit dem Unheile, das von Lazedämonien ausgegangen, weiter sich verbreitete. Auch unsere Gracchen... was anderes hat sie gestürzt, als die Streitigkeiten um Länderverteilung?" Cicero hielt alle Agrarreformen, auch die Gracchischen, für verderblich. Ebenso alle radikale Wohnungsreform: „Man sollte umsonst ein fremdes Haus bewohnen? Wie? Damit, nachdem ich es gekauft, gebaut, unterhalten, mein Geld darauf verwendet habe, nunmehr du wider meinen Willen den Genuß von meinem Eigentume hast? Was heißt das anders, als dem einen das Seine rauben und dem ändern fremdes Gut geben? Neue Schuldbücher, aber was erhalten sie anders, als daß du mit meinem Gelde sollst Grundstücke kaufen können und, während du solche besitzest, ich mein Geld nicht mehr habe?"

Bei dieser Gesinnung mußte Cicero, zum Konsul gegen Catilina gewählt, den Kampf für Ordnung und Eigentum aufnehmen. Und er bediente sich hierbei seiner besten Waffen: Beredsamkeit, demagogischer Advokatenkniffe, Brandmarkung seines Gegners als eines aller Moral, allen Anstandes, aller Ehre baren Menschen. Der Nachwelt wurde Catilina in dieser von Cicero verstümmelten Gestalt überliefert. Der zwei Jahrzehnte später schreibende römische Historiker Sallust, ein sozialkonservativer Patriot, folgte Cicero, aber auch die griechisch schreibenden Historiker Roms, wie Plutarch und Appian, machten keinen Versuch, Catilina gerecht zu werden. Plutarch wiederholt sogar ganz kritiklos die abgeschmacktesten Schauergeschichten über Catilina und seine Freunde. So viel steht jedoch fest, daß Catilina sich mit allen Besitzlosen und Unterdrückten identifizierte und von den Massen rückhaltlos verehrt wurde. Der Geist, der die Catilinarier beseelte, geht aus dem Schreiben hervor, das ihr militärischer Führer Manlius an den römischen Feldherrn Marcius sandte: „... Wir verlangen nicht Herrschaft noch Reichtum, die die Quellen aller Kriege und Streitigkeiten in der Welt sind; wir verlangen nur Freiheit."

Catilina bewarb sich zweimal um die Konsulnwürde, um die gesetzliche Macht zu erlangen, „den wenigen Machthabem, die den Staat als ihr ausschließliches Eigentum besaßen, das Heft zu entwinden und dem Volke seine Freiheiten und Rechte wiederzugeben." Bei den Wahlen siegte das Ordnungskartell. Catilina unterlag. Da ihm der gesetzliche Weg verschlossen war, ging er daran, einen Aufstand vorzubereiten und die Massen der Unzufriedenen zu organisieren. Cicero, der siegreiche Gegenkandidat Catilinas, hatte überall seine Spione, die um so leichter ihre Arbeit verrichten konnten, als Catilina sich nach der Provinz begeben hatte, um dort mit dem römischen Heer in Verbindung zu treten. Die Vorbereitungen zum Aufstand wurden am 5. Dezember 63 in Rom entdeckt iind die Rädelsführer hingerichtet. Catilina und seine Fähnlein wurden im Jahre 62 in offener Schlacht unweit Florenz von der römischen Übermacht besiegt. Catilina und Manlius waren unter den Erschlagenen. Wie tapfer und hartnäckig gefochten wurde, geht aus Sallusts Schilderung (Schlußkapitel) hervor:

„Erst nach Beendigung des Treffens konnte man vollends recht sehen, welchen Mut und welche Seelenstärke im Heere Catilinas geherrscht hatten. Denn fast jeder deckte im Tode noch mit seinem Leibe die Stelle, die er lebend im Kampfe eingenommen hatte. Catilina selbst aber wurde mitten unter den feindlichen Leichnamen gefunden; noch atmete er ein wenig, und in seinen Mienen lag noch der trotzige Sinn, welcher ihm im Leben eigen war."

Die oligarchische und korrupte Republik näherte sich rasch ihrem Ende. Zwei Jahre nach dem Tode Catilinas sah Rom das militärische Triumvirat Pompejus, Crassus und Julius Cäsar. Die Militärmonarchie pochte an die Pforten des römischen Weltreiches.

5. Sklavenaufstände.

Seit dem Abschluß des zweiten Punischen Kriegs (201 v. Chr.) und seit den siegreichen Kriegen gegen Mazedonien und Syrien nahm die Bewirtschaftung der großen Güter durch Sklavenherden rasch zu. Und da die Wirtschaft kapitalistisch betrieben wurde und die Römer als Weltherrscher die Besitzlosen und die Arbeit verachteten, wurde das Los der unfreien Arbeiter immer elender. Ebenso wurden fast alle Gewerbe, alle häuslichen Arbeiten von Sklaven verrichtet. Die Luxusbauten und Villenanlagen beschäftigten eine Unmenge unfreier Arbeiter. Berge wurden abgetragen, Seen gegraben, je nach der Laune der Plutokraten. Die ewigen Kriege in allen Weltteilen lieferten Hunderttausende von Gefangenen, die ins Sklavenjoch gespannt wurden, dennoch konnten die Bedürfnisse der römischen Herren nicht befriedigt werden. Es wurden deshalb Menschenjagden veranstaltet und Menschenraub getrieben, um die Sklavenmärkte zu füllen. Rom wurde zum Tyrannen dreier Weltteile. Die Behandlung der Sklaven wurde immer hartherziger. Wie hartherzig sie war, beweist das Vorgehen Catos des Älteren, eines wegen seiner großen Tugend berühmten Römers, der seine alten Sklaven, nachdem sie ihre Arbeitskraft in seinen Diensten eingebüßt hatten, einfach verkaufte. Was Wunder, daß die Sklaven mürrisch wurden, zur Auflehnung neigten und jede günstige Gelegenheit zur Flucht benutzten. Um sie an der Flucht zu verhindern, wurden dann die landarbeitenden Sklaven mit glühenden Eisen, wie das Vieh, gebrandmarkt und bei der Arbeit gefesselt. Auf die Flucht stand die Todesstrafe durch Kreuzigung. Die tiefste Degradation traf jedoch diejenigen Sklaven, die, durch Körperkraft ausgezeichnet, zu Gladiatoren (Fechtern) abgerichtet wurden, um dem römischen Mob, dem patrizischen, noblen, ritterlichen und plebejischen Pöbel, das Schauspiel von Menschenmetzeleien in der Arena zu bieten.

Gebildete Kriegsgefangene und Geiseln, wie die Griechen, oder sonst geschäftstüchtige Sklaven, wie die Syrer, fanden Anstellung als Hauslehrer oder Verwalter und wurden nach und nach freigelassen. Einer der freigelassenen Geiseln war der griechische Historiker Polybios, dessen Bücher römischer Geschichte zu den besten gehören. Die römische No-bilität und Plutokratie hatten für die Griechen nur Verachtung und beklagten deren Einfluß auf die römische Kultur. Es gab auch da manche Ausnahme, im allgemeinen aber verachtete der herrschende Römer das Hellenentum.

Die Konzentration der Sklaven, dieser mit bitterstem Haß erfüllten Menschenmassen, mußte früher oder später zu Verschwürungen und Aufständen führen, und es hing dann nur vom Vorhandensein energischer Führer ab, um die Aufstände zum Aus-'oruch zu bringen. Der erste italische Sklavenauf-stand brach 187 v. Chr. in Apulien aus. Er wurde bald niedergeschlagen; 7000 Sklaven wurden ans Kreuz geschlagen. Unvergleichlich blutiger und langwieriger waren die beiden großen Sklavenaufstäncle in Sizilien (134—132, 104—101). Diese fruchtbare Insel bot ein ausgedehntes Feld für Sklavenwirtschaft. Die dortigen Staatsgüter waren Latifundien: weite Kornfelder, ülivenpflanzungen und Weiden für Schafzucht. Sklavenmassen bebauten den Boden, pflegten die Bäume, hüteten die Schafherden und machten Sizilien zur Kornkammer Roms. Der Aufstand, der dort 134 ausbrach, wuchs sich zu einem langwierigen Kriege aus. Die Führer der Aufständischen waren der Syrer Eunus und der Mazedonier Kleon, die um sich 70000 waffenfähige Männer sammelten und die Insel fast vollständig in ihre Gewalt bekamen. Mehrere Jahre behaupteten sie sich gegen die römischen Heere: wurden aber schließlich teils durch Hunger, teils durch Waffengewalt besiegt. Nicht weniger als 20000 Aufständische wurden sodann ans Kreuz geschlagen. Das geschah in derselben Zeit, als die Grac-chische Agitation sich in Rom abspielte. Der andere sizilische Aufstand wurde ebenfalls von einem Syrer, namens Salvius, und einem Mazedonier, namens Athenion, geleitet. Erst als die Führer im Kampfe umgekommen waren, gelang es den Römern, des Aufstandes Herr zu werden.

Die Jahre der Gracchischen Agitation waren überhaupt eine Periode der Aufstände. Auch in Kleinasien rebellierten Besitzende und Sklaven gegen die Ausdehnung der römischen Herrschaft. Im Jahre 133 starb in Pergamon König Attalos III., ein geisteskranker, dekadenter Monarch, der unter römische Herrschaft geraten war. Entweder durch Zwang oder durch Fälschung erhielten die Römer ein Testament von ihm, in welchem Attalos sein sehr großes Vermögen sowie sein Land an Rom vermachte. Gleichzeitig wurde Pergamon in eine vollständige politische Demokratie verwandelt; sämtliche Einwohner, einheimische wie fremde, besitzende wie besitzlose, erhielten das Wahlrecht und die Selbstverwaltung ihres Staates. Als nun die Römer ihre Erbschaft antreten und ihre Herrschaft über das Land ausdehnen wollten, brach der Aufstand aus, an dessen Spitze Aristo-nikos, ein Halbbruder des Attalos, trat. Er wohnte in Leuka, einer kleinen Hafenstadt zwischen Smyrna und Pdokäa. Mehrere Städte fielen ihm zu, andere hingegen, wie Ephesus, traten auf die Seite der Römer. Ein Krieg brach aus, in welchem Aristonikos vorerst geschlagen wurde. Bald aber tauchte er als Sklavenbefreier auf und rief alle unfreien Arbeiter zum Kampfe gegen die Römer auf. Die Sklaven folgten in Massen seinem Appell und er gründete mit ihnen eine Sonnenstadt oder einen Sonnenstaat. Was diese Gründung bedeutete, ist nicht klar; die historischen Quellen lassen uns hier ganz im Stich. Man darf jedoch die begründete Vermutung aussprechen, daß hierunter ein kommunistisches Gemeinwesen verstanden wurde. Beim Ausgange des Altertums sowie im Mittelalter verstand man unter Sonnenstaat eine kommunistische Gründung. Die von Aristonikos geleiteten Bürger der Sonnenstadt, das heißt die befreiten Sklaven, organisierten sich rasch und durchzogen siegreich das pergamenische Land. Die Römer, die nunmehr den Verlust ihrer reichen „Erbschaft" befürchteten, schickten im Jahre 131 Truppen nach Pergamon und stellten sie unter den Oberbefehl eines Konsuln. Es muß also ein Heer von beträchtlicher Stärke gewesen sein; nichtsdestoweniger wurde es von Aristonikos völlig besiegt. Der Krieg wurde jedoch bis zum Jahre 129 fortgesetzt und die Sonnenstädter endgültig geschlagen. Aristonikos wurde gefangen, nach Rom gebracht und hingerichtet.

6. Spartakus.

Diesen zahllosen Opfern römischer Habsucht sollte in Spartakus ein Rächer erstehen, wie Rom ihn noch nicht gekannt hatte. Der Aufstand der Ausgebeuteten und Unterdrückten unter Führung dieses Mannes (vom Jahre 73—71 v. Chr.) war der einzige, der die Weltherrscher in Schrecken versetzte und ihnen Demütigungen und Niederlagen bereitete, die sie mit Schmach und Spott bedeckten. Sklaven der niedrigsten Kategorie, Gladiatoren waren es, die sich mit konsularischen Heeren Roms maßen, ihnen erfolgreich die Spitze boten und sie in mehreren offenen Schlachten vernichtend schlugen. Wie tief Rom durch diesen Aufstand gedemütigt wurde, zeigt die Bemerkung des römischen Historikers Florus (Römische Geschichte, 3. Buch, 20. Kapitel):

„Die Schmach eines Sklavenkrieges ist noch zu ertragen. Sklaven, so sehr sie das Schicksal erniedrigt hat, gehören doch in der Menschheit zweiten Rang und können die Vorrechte der Freiheit wieder erlangen. Aber wie ich den Krieg mit dem Spartakus nennen soll, weiß ich nicht. Hier waren Sklaven Krieger und Gladiatoren Feldherren. Jene aus der niedrigsten, diese aus der verächtlichsten Klasse fügten zur Gefahr noch die Verspottung hinzu."

Spartakus war ein Feldherr und Organisator von der Größe Hannibals. Mit wohlausgerüsteten Streitkräften von genügender Zahl hätte er Roms Herrschaft erschüttern können. Plutarch (Leben des Cras-sus) schildert ihn als „äußerst stark und ernst, über seinen Stand klug und leutselig, mehr ein echter Grieche als ein Barbar". Das ist im Munde eines Hellenen, wie Plutarch, sehr großes Lob. Spartakus hat auch Männer wie Lessing und Marx begeistert(8)

Über seine Jugend und im allgemeinen über seine Schicksale bis zum Jahre 73 v. Chr. ist äußerst wenig bekannt. Er war ein Thrazier, entstammte einer nomadischen Horde, kam als Kriegsgefangener nach Rom und wurde als Sklave verkauft. Er entfloh, wurde Mietsoldat und endlich an den Eigentümer einer Fechtschule in Capua verkauft, um als Gladiator abgerichtet zu werden. Mit Spartakus befanden sich etwa 200 andere Sklaven, Thrazier und Gallier, die sich verschworen, bei der ersten besten Gelegenheit auszubrechen und sich in die Freiheit zu flüchten. Die Verschwörung wurde verraten, aber Spartakus und einigen 70 mit ihm gelang es doch, durchzubrechen. Unterwegs plünderten sie einen Wagen mit Waffen, die sie bald gegen die Verfolger, die ihr Eigentümer ausgesandt hatte, mit Erfolg gebrauchten. Dieser Erfolg wurde bald in der Gegend bekannt und brachte ihnen neue Anhänger und Kämpfer. Ihre Zahl belief sich nunmehr auf 200 Mann, die den Besitzenden gegenüber sich keineswegs zimperlich benahmen. Vorerst wurden sie als eine gefährliche Räuberbande betrachtet, gegen die die römischen Behörden den Prätor Claudius Pulcher mit 3000 Mann schickten, um den Räubereien ein Ende zu machen. Spartakus nahm Aufstellung auf dem Gipfel des damals nicht tätigen Vesuvs und schlug seine Feinde aufs Haupt. Lager, Gepäck und Waffen fielen in seine Hände. Von diesem Augenblick an war Spartakus ein berühmter Mann. Sein Name wurde in ganz Italien bekannt. Er erklärte sich öffentlich für einen Feind Roms und forderte alle Sklaven und Bedrückten auf, sich ihm anzuschließen und in den Befreiungskampf einzutreten. Massenhaft folgten Sklaven und Besitzlose, Fremde und Italer seinem Rufe. Landleute verließen ihre Äcker, Hirten ihre Herden, Sklaven ihre Herren, Gefangene sprengten die Kerker, Zwangsarbeiter brachen ihre Fesseln — alle flüchteten sich zu ihm, dem Züchtiger Roms. Spartakus bildete aus dem zusammengelaufenen Haufen ein Heer, das in der Schlacht sich wohl bewährte, aber auch seinem Genie gelang es nicht, diese verbitterten, haßerfüllten Menschen zu gesittetem Betragen den Nichtkämpfern gegenüber zu erziehen. Plündernd und brennend zogen sie durchs Land, verwüsteten das blühende Campanien; selbst bis ins nachbarliche Gebiet von Rom streiften seine leichten Truppen, überallhin Schrecken verbreitend. Die Plünderungssucht der Truppen war eine der Ursachen, die Spartakus zuweilen verhinderte, seine Siege auszunützen oder frühzeitig den Feind anzugreifen. Ebenso fiel es ihm schwer, die verschiedenen Völkerschaften: Thrazier, Syrer, Gallier, Germanen, Italer usw., aus denen sein Heer bestand, dauernd in Einigkeit zu halten.

Die Nachricht von der Niederlage des Prätors Claudius Pulcher wurde in Rom mit Unwillen und Staunen aufgenommen. Rasch wurde ein Heer von 8000—10000 Mann aufgestellt, — die eigentlichen römischen Legionen wurden zu derartigen Expeditionen nicht verwandt, übrigens waren sie damals unter den großen Feldherren Pompejus und Lucul-lus in Spanien und an der unteren Donau beschäftigt —, und unter zwei Prätoren gestellt. Spartakus wurde vorsichtig und wagte es noch nicht, seinen Feinden in offenem Felde die Spitze zu bieten. Aber seine Unterfeldherren, insbesondere die Gallier, hielten seine Vorsicht für Furchtsamkeit, griffen mit 3000 Mann die Römer an und wurden geschlagen. Erst dann erkannten die übrigen die Klugheit ihres Führers, unterwarfen sich seinen Befehlen und willigten in den Rückzug ein, der ohne jeden Verlust erfolgte. Spartakus fand jedoch bald Gelegenheit, die Niederlage wieder gutzumachen. Nach einigen gelungenen Überfällen und Scharmützeln kam es zur Schlacht, die mit einem glänzenden Siege für Spartakus endete. Ganz Unteritalien fiel den Gladiatoren zum Preis.

Das Sklavenheer jubelte und plünderte, während Spartakus immer ernster wurde. Als guter Kenner der römischen Weltmacht wußte er, daß der Feldzug bis jetzt nur ein kleines Vorpostengefecht bedeutete und Roms Macht noch gar nicht berührte. Sein Gedanke war vor allem auf die Sklavenbefreiung gerichtet, und dies glaubte er, in hohem Maße leisten zu können. Die Sklaven Unteritaliens waren bereits frei. Nunmehr gedachte er in raschem Zuge nordwärts zu marschieren, ganz Italien zu durchstreifen, alles niederzuschlagen, was sich ihm in seiner Befreiungsarbeit entgegenstellte, ehe die Römer Zeit gewännen, sich vom Schrecken zu erholen und ihre großen Feldherren Pompejus und Lucullus mit ihren Legionen zurückzurufen. Dieser Gedankengang zeugt von großer staatsmännischer Einsicht. Aber seine Unterfeldherren und auch die Truppen, die römisches Blut geleckt hatten, setzten diesem Plane hartnäckigen und heftigen Widerstand entgegen. Vergeblich erinnerte sie Spartakus daran, daß sie noch nie sich mit Roms eigentlichen Legionen gemessen hätten; vergeblich schilderte er ihnen die ganze Macht dieses Weltreichs, das zwar eine Zeitlang überrascht werden könnte, doch wenn es alle seine Hilfsquellen sammelte, schwerlich jemals zu besiegen wäre. Das Heer war geteilter Meinung: die Gallier und die Germanen unter Leitung des Unterfeldherrn Crixius waren für einen Marsch gegen die Stadt Rom; die Thrazier und die Unter-italer hielten zu Spartakus. Inzwischen traf Rom umfassende Vorbereitungen, dem Gladiatorenheere mit aller Kraft zu begegnen. Die ursprüngliche Geringschätzung hatte sich in Besorgnis verwandelt. Drei mächtige Heere wurden bald ins Feld geschickt, zwei unter Konsuln, also unter den höchsten Beamten Roms, eines unter einem Prätor. Angesichts dieser römischen Rüstungen söhnten sich Spartakus und Crixius zwar aus, aber eine wirkliche Einigung kam nicht zustande. Sie marschierten nunmehr getrennt: Spartakus mit 40000 Mann, Crixius mit 30000 Mann, die Apulien überschwemmten. Bald stieß Crixius auf das römische Prätorenheer, das beim Angriff der Gallier und Germanen in Unordnung geriet und die Flucht ergriff. Da die Verfolgung lässig war, sammelte sich das Prätorenheer am nächsten Tag und überfiel die nichtsahnenden Gallier und überwältigte sie. Auch Crixius fiel in der Schlacht. Etwa 10000 Mann konnten sich durch die Flucht retten und schlugen sich zu Spartakus durch. Das siegreiche Prätorenheer vereinigte sich sodann mit einem der beiden konsularischen Heere, die, in zwei Kolonnen geteilt, Spartakus aufsuchten. Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Mit dem größeren Teile seines Heeres — dem kleineren Teil befahl er, das andere konsularische Heer in Schach zu halten — warf er sich dem einen konsularischen Heer entgegen und schlug es vollständig. Rasch vereinigte er sich mit dem übrigen Teil seines Heeres, griff am selben Tage das andere konsularische Heer an und erfocht auch gegen dieses einen vollständigen Sieg. Gepäck und eine große Menge von Gefangenen fielen in die Hände des Spartakus. Unermüdlich setzte er seinen Marsch nordwärts fort, schlug die ihm von römischen Prätoren und Prokonsum in aller Eile entgegen geworfenen Truppen und erreichte Modena. Er schien unüberwindlich. Nun unternahm er etwas, das in Rom als die schmerzhafteste Demütigung empfunden wurde. Er veranstaltete eine Leichenfeier für Crixius und ließ bei dieser Gelegenheit — angesichts seines ganzen bewaffneten Heeres — 300 gefangene Römer als Gladiatoren auftreten und auf Leben und Tod kämpfen. Die verachteten Sklaven waren jetzt die Zuschauer, — die stolzen Römer wie gedungene Fechter in der Arena l Unter allen Nachrichten über die bisher in diesem Fechterkriege erlittenen Verluste hatte keine die Römer so tief, so bitter geschmerzt, als diese. Der Gladiatorentod von 300 römischen Kriegern galt für die schmählichste Beleidigung der Majestät Roms, für ein unauslöschliches Brandmal seiner Ehre. Treffend bemerkt Meißner in seinem „Spartakus" (S. 71): „Über gefangene Könige und Fürsten mit kalter, überlegter Grausamkeit zu richten, sie im Kerker verhungern, zerfleischen, des qualvollsten Todes sterben zu lassen; mit ganzen weggeschleppten Völkern, wie mit Viehherden zu schalten, das alles sahen Roms Bürger, das sogenannte erste und edelste Volk auf Erden, als ihr verbrieftes Herrscherrecht an. Doch, daß man seine gefangenen Bürger auch zwingen konnte, sich wechselseitig zu metzeln, —• ein solcher Frevel war noch zu keines Römers Ohr, ja vielleicht die bloße Möglichkeit desselben noch in keines Römers Herz gekommen. Und wer tat ihnen diese Schmach an? Ein Mann, über dessen Leben und Tod noch vor wenigen Monaten der ausgestreckte oder eingedrückte Daumen einiger Plebejer entschieden hätte l Ein Mann, der sich, nebst fünfzig, sechzig seinesgleichen, hätte würgen lassen müssen, wenn es einem jungen römischen Patrizier beliebt hätte, seiner verblichenen Tante ein Totenopfer zu bringenl"

Spartakus stand nunmehr auf dem Höhepunkt seiner Macht. Es war ihm jetzt möglich, seinen ursprünglichen Plan auszuführen: eine Unmenge von Sklaven zu befreien, sein Heer aufzulösen und im Bewußtsein zu leben, Rom, den Bedrücker der Welt, gedemütigt zu haben. Aber er änderte plötzlich seinen Plan. Er überschritt nicht den Po, sondern machte kehrt und wandte sich südwärts. In Italien nahm man an, daß er gegen die Stadt Rom zu ziehen beabsichtige. Um ihm den Weg dorthin zu versperren, warf sich ihm ein neues Prätorenheer entgegen; im Picenischen Gebiet kam es zu einer großen Schlacht, aus der Spartakus wiederum als Sieger hervorging. Rom geriet nunmehr in Bestürzung. Spartakus zog jedoch an Rom vorbei und führte sein Heer nach Unteritalien, besetzte Thurium, erklärte es für einen Freihafen und erließ menschenfreundliche Gesetze. Es sind Anzeichen vorhanden, daß Spartakus den Plan faßte, aus Unteritalien einen Staat nach dem Muster des Lykurgischen Sparta zu errichten. Er schaffte den Gebrauch von Gold und Silber ab, setzte billige Preise für alle Lebensmittel fest, förderte die spartanische, einfache Lebensweise, schweißte die Flüchtlinge der verschiedenen Völker, die unter seinem Schütze lebten, zu einer Brüderschaft zusammen und bildete sie zur Kriegstüchtigkeit heran. Mit diesen staatsmännischen Plänen beschäftigt, vergaß Spartakus, daß der Feind, dem er Zeit ließ, sich vom Schrecken zu erholen, mit aller Kraft rüstete. Ein starkes, wohldiszipliniertes Heer wurde aufgestellt und der kriegserfahrene Prätor Crassus zum Oberbefehlshaber ernannt. Die Römer gingen jetzt viel vorsichtiger vor, benutzten auch ihre technischen Kenntnisse, in denen sie dem Feinde überlegen waren, nichtsdestoweniger erlitten sie anfangs mehrere Niederlagen. Erst als im Lager des Spartakus Uneinigkeit ausgebrochen war, — es waren wiederum die hitzigen, undisziplinierbaren Gallier, die unter eigenen Feldherren selbständig vorgingen und in den Kämpfen gegen die Römer große Verluste erlitten, wurde die Lage für Crassus günstiger. Spartakus errang zwar mehrere Siege auch über ihn, schließlich aber unterlag er im Jahre 71 der römischen Übermacht. Er selbst wurde in der Schlacht tödlich verwundet.

Etwa 6000 Mann seines Heeres fielen in die Hände des Crassus, der sie ans Kreuz schlagen ließ, während im Lager des Spartakus 3000 lebende römische Gefangene gefunden wurden. Die „niedrigste" Menschenkategorie: die spartakistischen Fechter hatten das Leben ihrer Feinde geschont. Der Schrecken jedoch, den dieser Fechterkrieg den Römern eingejagt hatte, stak ihnen noch mehrere Jahrzehnte im Leibe. Die römischen Mütter aus dem einfachen Volke pflegten ihre unartigen Kinder mit dem Ausruf einzuschüchtern: „Jetzt wird Spartakus kommen!"

Fußnoten

1) Polybios schrieb zu Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr.
2) Plutarch verfaßte im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Reihe vergleichender griechischer und römischer Biographien großer Männer beider Völker. Seine Werke (bei Reclam zu haben) sind sehr lesenswert.
3)Appian, ein jüngerer Zeitgenosse Plutarchs, ist besonders wegen seiner Schilderung der römischen Bürgerkriege beachtenswert.
4) Sallust, ein Zeitgenosse und Anhänger Julius Cäsars, geboren 86, gestorben 35 v. Chr., ist wegen seiner Schilderung des Aufstandes Catilinas bekannt.
5) Livius, geb. 59 v. Chr., gest. 17 n. Chr.
6) Tacitus, geboren um das Jahr 55, gestorben um das Jahr 120 n. Chr., ist am besten bekannt wegen seiner Schilderung der alten Germanen.
7) Der römische Historiker Livius drückt dies noch stärker aus; „Nicht das römische Volk, sondern die Mißgunst des karthagischen Senats besiegte den Hannibal" (Römische Geschichte,. XXX, 20.)
8) In einem Briefe an Friedrich Engels schreibt Marx: „Spartakus erscheint als der famoseste Kerl, den die antike Geschichte aufzuweiscn hat. Großer General, nobler Charakter, wirklicher Vertreter des antiken Proletariats" (Briefwechsel zwischen Marx und Engels, 3. Band, Seite 13).

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 89 - 112

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html