"Kommunismus. Was sonst." unter diesem Motto feierte der TREND sein 10jähriges Bestehen  am 20. und 21. Januar im Berliner Mehringhof
03/06

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Nach dem Veranstaltungswochenende erhielten wir vom Genossen Andreas K. den Redebeitrag,  den er in dem Workshop Sozialforen und Kommunismus gehalten am 21.1.2006 hatte.

Sozialforen und Kommunismus

Dieser Beitrag kommt zu Euch vom einem aus der Initiative für ein Berliner Sozialforum. Er spiegelt zwar das Selbstverständnis dieses Zusammenhangs wieder, ist aber kein Konsensbeitrag, der für alle stehen könnte. Stattdessen äußere ich hier vor allem meine eigene Sicht der Dinge. Der geschlossene Teil meines Vortrags wird den Charakter einer Erörterung haben. Es gibt contra und pro, also nicht gleich aufspringen, wenn das Gegenargument auf der Zunge liegt. Sachliche Zwischenfragen sind erlaubt.


Veranstaltungsheft

Ausgehend von einem globalen Treffen in den Lakandonischen Urwäldern in Chiapas/Mexiko 1994, ist ein weltumspannendes Netzwerk gegen neoliberale Globalisierung entstanden. Die Zapatistische Bewegung gilt als erste eines neuen Typus, der mit der Guerrillatheorie Che Guevaras bricht. Es ist der Versuch, neue Welten in der bestehenden aufzubauen, ohne die Staatsmacht in einem bewaffneten revolutionären Kampf zu stürzen. Parolen der GlobalisierungskritikerInnen wie "eine Welt, in der viele Welten möglich
sind" haben ihre Wurzeln bei den Zapatisten. Gleichzeitig waren sie die erste Bewegung, die das Internet und andere Formen neuer Technologie als hauptsächliche Kommunikationsformen nutzt. Das hat deutlich zu ihrer Popularisierung in einem radikalen, akademisch und studentisch geprägten Spektrum beigetragen.

Seitdem findet ein weltweiter Aufbauprozeß der globalisierungskritischen Bewegung statt. Hier ist vor allem attac zu nennen ( gegründet um die Zeitung Le monde diplomatic. ab 99. Dazu kamen die bewegungsdynamischen "Selbstläufer" der Gipfelproteste seit dem G-8 Treffen in Seattle, die vor allem eine neue Generation in den 90ern aufgewachsener junger Leute mobilisierten.

DIE SOZIALFOREN UND DIE CHARTA VON PORTO ALLEGRE

Deutlichster organisierter Ausdruck der globalisierungskritischen Bewegung sind die internationalen Sozialforen. Weltsozialforen fanden bislang in Mumbai, Indien und vor allem im brasilianischen Porto Allegre statt. Dieses Jahr gibt es zum ersten mal ein dreigeteiltes WSF in Mali, Venezuela und Pakistan. In Porto Allegre wurde 2001 von einem Teil der Versammelten eine Charta beschlossen, die als eine übergreifende Arbeitsgrundlage der
Bewegung dient. Sie soll vor allem die Dominanz durch große Parteien oder staatsnahe 0rganisationen ausschließen, ist aber auch umstritten, da informelle Wege der Machtausübung so nicht beschnitten werden können und eine große Distanz zu bewaffneten Befreiungsbewegungen besteht. Ich möchte hier genauer auf das "informelle Grundgesetz" der Bewegung eingehen. Insbesondere dieser Teil meines Vortrags ist Meinungsäußerung und nirgendwo abgesprochen.  Die Charta von Porto Allegre ist im Netz leicht zu finden, z.B. unter www.weltsozialforum.org .

Die Charta wurde am 9.April 2001 den Gruppen und Organisationen verabschiedet, die das Organisationskomitee des Weltsozialforums bildeten und später durch einen Internationalen Rat des WSF beschlossen.

Ihr Anspruch ist "Die in dieser Charta enthaltenen Grundsätze sollen von allen, die an diesem Prozeß teilnehmen wollen, respektiert werden." Zugleich heißt es "Das Weltsozialforum ist ein offener Raum des Nachdenkens"..."

Dieser Raum wird geschaffen von Gruppen, Organisationen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus und der Herrschaft der Welt durch das Kapital und jeder möglichen Form von Imperialismus widersetzen ".

Darin ist bereits die Widersprüchlichkeit des Sozialforumsprozesses angelegt. Die Charta wurde von Gruppen festgelegt, die ihre Autorität daher nehmen können, daß sie die ersten waren. Eine tatsächliche Abstimmung über die Charta fand nirgends statt. Zugleich will sie allgemein und damit weltweit gültig sein, aber auch Grundlegung für einen offenen Raum der Zivilgesellschaft. Es zeigt sich , daß ein normatives, recht formales Verständnis von Offenheit vorherrscht. Die Grundlagen gelten als gegeben, werden nicht verhandelt . Auch die Europäischen Sozialforen (ESF) , dasjenige in Deutschland 2005 in Erfurt und die meisten lokalen Foren beziehen sich auf die Charta von Porto Allegre.

Wichtigstes Kennzeichen ist die Selbstdefinition der Sozialforen als "Offener Raum". In den Sozialforen, gleich ob auf regionaler oder weltweiter Ebene sollen Gruppierungen und auch Einzelpersonen unterschiedlicher Weltanschauungen wirken, ohne sich auf Beschlüsse oder Programme vereinheitlichen zu müssen. Es wird davon ausgegangen, daß hier ohne Entscheidungsdruck innerhalb eines gewissen Rahmens herrschaftsfrei debattiert, voneinander gelernt und miteinander gefeiert werden kann.

STRUKTURPROBLEME

Ein Problem dabei ist, daß von einer Gleichheit der Akteure ausgegangen wird, die aber nur formal vorhanden ist. (ähnl. Gleichheit vor dem Gesetz) Die Zugänge der Gruppen z.B. zu Massenmedien oder zu Repräsentationsformen der Macht ( NGOs, Parteien ) sind aber real höchst ungleich.

Veröffentlichte Meinung kann so z.B. vom tatsächlichen Gehalt einer Diskussion variieren, wenn nur VertreterInnen bestimmter, zumeist bürgerlicher, Positionen Kontakt zu Medien haben. Auch die Frage, wer Protokolle führt und wie transparent sie gehalten werden, ist nicht ganz ohne. Es gibt Tendenzen zur Politikberatung für sozialdemokratische Parteien, die sich z.B. in Paris und London auf den ESF auch lähmend ausgewirkt haben. Eine hierarchische Gesellschaft (Patriarchat, Kapitalismus , verschiedene Rassismen) wird nicht per Dekret freiheitlich, derartige Annahmen sind idealistisch. Wichtiger wäre, die Widersprüche auch innerhalb der Bewegung klar zu benennen, statt sie zuzukippen. Der Umgang mit Konflikten ist jedoch oft so, daß nicht souverän die verschiedenen Positionen in Wettstreit zueinander treten, sondern die Widersprüche wegverwaltet werden, indem bestimmten Gruppen die Veröffentlichung erschwert wird, für sie mit gesprochen wird, ohne nachzufragen oder eben leider auch einzelne in Ihrer persönlichen Integrität, also an ihren menschlichen Schwächen angegriffen werden.

Im "freien Raum" ist alles erlaubt, solange es unter Kontrolle bleibt. Foucault nannte diese Herrschaftstechniken und die damit verbundene psychische Disposition Gouvernementalität. Sie kann dem postfordistischen Stadium des Kapitalismus zugeordnet werden, wogegen die Souveränität Herrschaftsform staatlich verfaßter industrie- kapitalistischer Strukturen war, aber eben auch auf die Aufklärung rekurriert. Es geht meines Erachtens nicht darum, daß einzelne Personen schlechte Menschen wären, weil sie Machtmittel anwenden, sondern darum, daß die Struktur der Sozialforen unoffene, also auch schwerer angreifbare Machtformen begünstigt. Wahlen oder andere Formen gewählter Strukturen gibt es nicht, Dies mag vielleicht wünschenswert erscheinen, um eine Dominanz durch bürgerliche  Parteien zu verhindern, aber so gibt es auch keine Rechenschaftslegung oder Kontrolle von unten. FührungsANSPRUCH (gar Avantgarde) ist out, aber Führung als Funktion ist in jedem politischen Prozeß vorhanden.  Dieser Widerspruch wird zuwenig offen verhandelt, stattdessen herrschen pragmatische Umgangsformen, die manchmal an Management erinnern, auch wenn das Arbeitsziel eine Veranstaltung oder Demo ist, wo antikapitalistische
Inhalte vertreten werden. Debatten um politische Kultur, sofern sie geführt werden, haben oft auch einen antikommunistischen Einschlag, da die Positionen "Macht", "führen wollen" oder "Hierarchie" KommunistInnen zugeordnet werden, auch wenn real "undogmatische",. d.h. pragmatisch weltanschauungslose, letztlich bürgerliche Kräfte bestimmend sind. Im Demokratiediskurs, der Herrschaftskritik einschließt, sollten hier KommunistInnen meines Erachtens dialektisch-materialistische und strukturalistische Methoden verbinden, um den vermachteten Liberalismus der BewegungsfetischistInnen wirkungsvoll kritisieren zu können.
Aber manchmal sind die Ungleichhheiten auch ganz einfach: Vor allem Bei internationalen Foren sind Fahrtkosten ein Problem, das die klassenmäßige Zusammensetzung beeinflußt. Dagegen setzen ESF und WSF  immerhin wechselnde Orte: Das ESF findet dieses Jahr Anfang Mai bewußt in Griechenland, so daß es für OsteuropäerInnen leichter erreichbar ist.  Doch die Arbeitweise der vorbereitenden Gruppierungen sind so, daß ein flexibles Zeitbudget und Zugang zu modernen Kommunikationsmedien, am besten am Arbeitsplatz, fast unabdingbar sind. AkademikerInnen werden durch die Struktur also bevorzugt.

SOZIALFORUM UND PARTEIEN ?

Neben dem Machtdiskurs gibt es anderes Problem für viele KommunistInnen:   Es gibt eine Art Parteienverbot mit Ausnahme vom Persönlichkeiten aus Regierungsparteien.

Weder RepräsentantInnen von Parteien noch militärische Organisationen können am Forum teilnehmen. Regierungsmitglieder und StaatsbeamtInnen, welche die Verpflichtungen dieser Charta annehmen, können als Einzelpersönlichkeiten eingeladen werden."(Charta von P.A.)
Parteien und bewaffnete Gruppen sind also ausgeschlossen, damit auch die ZapatistInnen offiziell, die trotz ihrer Ideologie die indigenen Freiräume nur bewaffnet absichern können.

Ist es vielleicht noch taktisch klug, einen Bürgermeister das Grußwort sprechen zu lassen, führt dies zur absurden Situation, daß eher ein Präsident Lula abgefeiert wird, als daß z.B. kommunistische Oppositionsparteien offen teilnehmen können--. Es ist jedoch für parteinahe
Jugendorganisationen und Publikationen möglich, an den Foren teilzunehmen.  Logischerweise gilt das auch für individuelle Parteimitglieder, aber es wird erwartet, in der "1.Person" zu sprechen. Andererseits war so auch ein Auftritt vom Hugo Chavez in Porto Allegre möglich (als solidarischer Regierender) und jetzt im Januar 2006 natürlich die Abhaltung des lateinamerikanischen WSF-Teils in Caracas, das letztlich von der bolivarianischen Bewegung ausgerichtet wurde.  Die Unterteilung in bürgerliche Parteien, die lediglich die Regierung ablösen wollen, und revolutionäre bzw. radikaltransformatorische Parteien, die mit anderen Mitteln eine tatsächlich solidarische Welt durchsetzen wollen, genauso wie die Foren, ist mit diesem Passus jedoch nicht möglich und vermutlich nicht gewollt.

ALS KOMMUNIST/IN IN SOZIALFOREN AKTIV SEIN

Warum finde ich es sinnvoll, dennoch teilzunehmen, weshalb verlasse ich nicht einfach die SF-Zusammenhänge und suche mir eine Kleingruppe mit größerer weltanschaulicher Übereinstimmung?

1. Relevanz: Präsidenten kommen nicht überall hin. Bürgermeister brüsten sich nicht mit jedem Treffen. Wenn es Ziel linker und revolutionärer Kräfte ist, Einfluß in gesellschaftlichen Konflikten zu gewinnen, so ist hier ein wichtiger Ort.

2. Internationalistische Grundorientierung: Sie besteht zumindest dem Anspruch nach (hier stimme ich mit der Charta überein!) auch in den lokalen und regionalen Foren. Dies ist ein qualitativer Fortschritt gegenüber den Teilbereichsbewegungen der 8oer, wo Sozialpolitik und Antiimperialismus voneinander getrennt waren. Das Zusammendenken von beidem ist notwendige Bedingung für eine Antwort von unten auf die neoliberale Globalisierung.

3. Subjektivität: Die Arbeit in Sozialforen ist Zusammenkommen unterschiedlicher Menschen: Es geht endlich raus aus der Szene- Nische. Für mich war es ein Wiedereinstieg in die Politik. Hier können sich Menschen aufeinander beziehen und auch Erfahrungen in Situationen des zivilen Ungehorsams machen, ohne daß eine gemeinsame subkulturelle Lebensweise vorausgesetzt wird. Ich finde immer wieder eigene Inspiration durch
Kennenlernen von unterschiedlichen subjektiven Erfahrungen und Entwicklungswegen. Dies geht überein mit der Vernetzung und Herstellung politischer Arbeitsbeziehungen. Bedingung dafür ist ein hinterfragen  lassen eigener Positionen und Wortmeldungen. Nicht immer ist es leicht, die dafür notwendige solidarische Atmosphäre zumindest in der eigenen lokalen Sozialforumsinitiative herzustellen. Doch schützt dieses Herangehen vor eigenem Sektierertum und stärkt die politische Bodenhaftung.

3. Strategische Situation: Nach Ende des realsoz. Blocks und dem Zusammenbruch der Zentralperspektive vieler KommunistInnen ("Realsozialismus", antiimperialistische/ antikapitalistische Bewegungen in den Metropolen, nationale Befeiungsbewegungen der "3. Welt") ist keine linke Kraft aus sich heraus in der Lage, Wege zu weisen oder gar die in den Theorien so gar nicht vorgesehene strategische Defensive zu überwinden. Das Sozialforum als neue Form der Politik ist Ausdruck der veränderten Situation. Die Kräfteverhältnisse sind nicht so, daß wir alle bürgerlichen Positionen kategorish von uns weisen können, sondern wir müssen uns selbst neu einbringen. Kommunismus ist neben Konservatismus und (Neo-)Liberalismus als eigenständige Perspektive erst wiederherzustellen. Es gilt, "Sachkompetenz wiederzuerlangen" , wie es in einem Vorbereitungstext zum Trend- Kongreß heißt, und zwar sowohl theoretisch als auch in konkreten Kämpfen. Allerdings liegt genau auf diesem Gebiet auch die Grenze der Foren: Vielen, auch Linksradikalen, geht es NICHT um Kommunismus neben Liberalismus, für viele ist die Defensive keine zu überwindende Phase, an der sich die Form bestimmt, sondern ist die offene Form die grundlegend adäquate im Postfordismus.

Dementsprechend unterentwickelt sind dann auch Debatten zu Venezuela und Bolivien, wo z.T. an die Radikaldemokratie Allendes angeknüpft wird, verbunden mit indigenen Identitäten aber auch guevaristischen Theorien. Diese neuen Erfahrungen liegen im Widerspruch zu Chiapas. Offene Räume sind also weder herrschaftsfrei, noch kommunistisch, sondern umkämpft. Bürgerliche Dominanz oder Führung läßt sich durch Meckern oder bloßes Beobachten nicht überwinden. Also: mitmischen.

Die Aufgabe, eine revolutionäre Linke in Weiterentwicklung des Marxismus wieder herzustellen, ist jedoch außerhalb dieses Raumes zu lösen. Linke in Sozialforen sind sich dessen bewußt, gesinnungs- und klassenübergreifend organisiert zu sein.

Für manche problematisch ist auch Folgendes: Der Ausschluß von Gruppen erfolgt nur im Ausnahmefall. Es tummeln ich auch religiöse, zum Teil esoterische Gruppen auf Sozialforen. Jedoch schützt die teils extreme Breite schützt einen auch selbst, sofern sie wirklich für alle gleich gilt. Schießlich: Wo gibt es heute die Chance, daß Pfarrer oder Imame KommunistInnen zuhören??!! Allerdings verlangt das, auch selbst nicht vorschnell abzuurteilen, Kategorien nicht schematisch auf Menschen zu übertragen und praktisch zu lernen, daß es die Widersprüche sind, aus denen sich Geschichte entwickelt.

Eine andere Welt ist möglich, tragen wir dazu bei, die Defensive zu überwinden!

Hoch die internationale Solidarität!